Christian Russau – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Thu, 15 Apr 2021 20:34:22 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Nach über 30 Jahren geschafft: Der Deutsche Bundestag ratifiziert die ILO 169 https://www.gegenstroemung.org/web/blog/nach-ueber-30-jahren-geschafft-der-deutsche-bundestag-ratifiziert-die-ilo-169/ Thu, 15 Apr 2021 20:34:19 +0000 https://www.gegenstroemung.org/web/?p=2199 Der Deutsche Bundestag hat heute das Ratifizierungsgesetz über die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker verabschiedet. Auch ein Erfolg der jahrelangen Kampagnen- und Advocacyarbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen.

21:20 Uhr im Deutschen Bundestag. Es sind nicht mehr viele der Bundestagsabgeordneten anwesend, das ist aber dem späten Abend geschuldet und bei solchen per Fraktionsabsprachen zu entscheidenden Abstimmungen üblich, die Abgeordneten sind anwesend entsprechend der Mehrheitsverhältnisse. Um 21:19 forderte die Sitzungsleitung unter Hans-Peter Friedrich als Vizepräsident des Deutschen Bundestages die anwesenden Abgeordneten, über die Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 169 durch die Bundesrpublik Deutschland abzustimmen. 21:20 Uhr: Geschlossen erhoben sich die anwesenden Abgeordneten der Fraktionen von CDU und CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, der FDP und der Linken. Nur die Mitglieder einer hier nicht notwendigerweise namentlich zu erwähnenden Fraktion blieben sitzen, nachdem ihr Vertreter in der vorausgegangenen Aussprache über die Annahme der ILO 169 sprachlich und intellektuell entgleist war, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden muss. Allzu erwartbares Plattes muss nicht erwogen und nicht erwähnt werden. Was aber hiermit erwähnt wird, ist: Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker angenommen. Damit ist Deutschland der 24. Unterzeichnerstaat dieser Konvention.

Bei der Aussprache der demokratischen Parteien des Deutschen Bundestages war bei mehreren Redner:innen die gravierende Situation der Achtung, Gewährleistung und Garantierung der indigenen Rechte in Brasilien unter einem Bolsonaro Gegenstand der Reden. Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Margarete Bause, erwähnte sogar ausdrücklich die Bedrohungen, denen die indigenen Munduruku im Tapajós-Becken derzeit ausgesetzt sind. Dies sind unter anderem Bergbau- und Staudammprojekte.

Die Bundesrepublik Deutschland vollzieht mit der Ratifizierung der ILO 169 eine Vereinbarung des Koalitionsvertrags. Der seit vielen Jahren für eine solche Ratifizierung arbeitende Koordinationskreis ILO 169 sieht darin einen entscheidenden Schritt, die Rechte indigener Völker zu stärken. Die Konvention garantiert indigenen Völkern ihre Rechte auf Erhalt der kulturellen Identität, auf Beteiligung an staatlichen Entscheidungen sowie auf Land und Ressourcen. Denn indigene Völker werden auch heute noch politisch, wirtschaftlich und sozial stark benachteiligt. „Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 setzt Deutschland ein starkes Zeichen der Solidarität mit indigenen Völkern. Jetzt kommt es darauf an, ihre Rechte auch ganz konkret zu schützen“, sagt auch Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt. „In vielen Teilen der Welt ist der Lebensraum indigener Völker bedroht – durch die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien, durch Lithiumgewinnung in Bolivien oder durch Palmölanbau in Indonesien.“ Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich die Lebensbedingungen indigener Völker weltweit noch verschlechtert, weil sie oft keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben.

„Durch die Zerstörung des Regenwaldes sind indigene Völker, die Verteidiger des Waldes, vielfältigen Gefahren ausgesetzt, die das Klima auf regionaler und globaler Ebene beeinflussen“, erklärt Harol Rincón Ipuchima, stellvertretender Vorsitzender des Klima-Bündnis und Klimakoordinator der COICA, dem Dachverband der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens, anlässlich der Ratifizierung setens der Bundesrepublik Deutschland. Dabei sind die Territorien indigener Völker und ihr traditionelles Wissen von weltweiter Bedeutung für den Erhalt der biologischen und kulturellen Vielfalt.

Die ILO-Konvention 169 ist das einzige rechtsverbindliche internationale Instrument zum Schutz der Rechte indigener Völker. „Mit der deutschen Ratifizierung der ILO 169 gewinnt die Konvention erheblich an Gewicht. Dies sollte Schule machen“, betont Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker. Bisher haben lediglich 23 Länder die Konvention ratifiziert. Nun reiht sich Deutschland in die Gruppe europäischer Staaten ohne eigene indigene Gemeinschaften ein, die ebenfalls ratifiziert haben, wie die Niederlande, Spanien und Luxemburg. Sie setzen damit ein Zeichen für Solidarität und globale Verantwortung.

„Auf die Ratifizierung müssen im nächsten Schritt auch konkrete Maßnahmen zum Schutz der Rechte indigener Völker folgen“, sagt Michael Thiel, Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachen. Hierfür sei es wichtig, in der nächsten Legislaturperiode eine ressortübergreifende Strategie zu entwickeln. „So braucht es konkrete Richtlinien für die Außenwirtschaftsförderung, um die Rechte indigener Völker zu achten. Ebenso sind deutsche Unternehmen gefordert, indigene Rechte entlang der gesamten Lieferkette zu berücksichtigen“, sagt Heike Drillisch, Vorstandsmitglied des INFOE – Instituts für Ökologie und Aktions-Ethnologie.

Weltweit gehören zwischen 350 und 400 Millionen Menschen rund 6.000 indigenen Völkern an. Dies entspricht etwa vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung. Der Koordinationskreis ILO 169 in Deutschland ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken und Expert:innen, die sich für die Stärkung der Rechte indigener Völker, der Menschenrechte sowie den Schutz der Regenwälder und den Klimaschutz einsetzen. Auch ihm ist dieser Erfolg zu verdanken!

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Massiv bedrohte Fischpopulationen: Snake-River zum gefährdetsten Fluss der USA erklärt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/massiv-bedrohte-fischpopulationen-snake-river-zum-gefaehrdetsten-fluss-der-usa-erklaert/ Thu, 15 Apr 2021 06:27:42 +0000 https://www.gegenstroemung.org/web/?p=2197 Nichtregierungsorganisation American Rivers stellt ihren neuen Jahres-Bericht der zehn gefährdetsten Flüsse der USA vor. Am schlimmsten sieht die Situation beim Snake-River aus.

Von Christian Russau

American Rivers: America’s Most Endangered Rivers of 2021:
01: Snake River
02: Lower Missouri River
03: Boundary Waters
04: South River
05: Pecos River
06: Tar Creek
07: McCloud River
08: Ipswich River
09: Raccoon River
10: Turkey Creek

Beim Snake-River im Nordwesten der USA identifizierte die Umweltschutzorganisation American Rivers als zentrales Problem den Rückgang und die Gefährdung der Lachsbestände durch Staudämme, was den Lebensunterhalt und die kulturellen Rechte der dortigen indigenen Völker bedrohe. Derzeit gibt es eine heftige in Politik und Medien und auch vor Gericht ausgetragene Kontroverse um den eigentlich bereits gerichtlich mehrfach beschlossenen Rückbau der vier Staudämme am Snake River endlich umzusetzen, aber mächtige Lobbygruppen und Politiker:innen setzen sich nach wie vor mit allen Tricks dagegen zur Wehr.

Der Snake-River liegt in den US-Bundesstaaten Wyoming, Idaho, Oregon und Washington und ist ein Nebenfluss des Columbia River. Im Columbia-Snake-Wassereinzugsgebiet sind es insgesamt acht Staudämme, die der Stein des Anstosses sind und über die eine breite Koalition aus Umweltaktivist:innen, Indigenen und lokalen Anwohner:innen fordern, dass sie zurückgebaut werden.

Im Flusseinzugsgebiet der drei US-amerikanischen Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho prallen die unterschiedlichen Interessen von Indigenen, Umweltschützer:innen auf der einen Seite und Weizenfarmer:innen und Transportschifferei auf der anderen Seite aufeinander. Während in Seattle und Portland Umweltschützer:innen auf Demonstrationen für den Schutz der Orcas demonstrieren und die traditionell am Snake River lebenden Indigenen wegen des seit Jahrzehnten mehr und mehr ausbleibenden Lachses protestieren, mobilisieren in Idaho die Weizenfarmer:innen und Transportschiffer:innen seit Jahren die Politik für ihre Interessen. Der Stein des Anstoßes: die insgesamt acht Energie produzierenden Staudämme am unteren Columbia-River und an dem Zufluss des Columbia-Rivers, dem Unteren Snake Fluss. Denn die seit 1975 bestehenden Dämme produzieren zwar nur fünf Prozent des Stroms der im weiteren Einzugsgebiet liegenden Städte, dienen aber gleichzeitig wegen der Schleusen an den Dämmen der Verschiffung des Weizens aus der agrarwirtschaftlich geprägten Region Idahos, hin zu größeren Binnenhäfen und von dort weiter, hin zum Weltmarkt. Und die Dämme bilden Reservoirs, aus denen die Farmer:innen regelmässig Wasser entnehmen, um damit ihre Landwirtschaft zu bewässern.

Doch die Dämme behindern die natürliche Wanderung der dort angestammten Chinook-Lachse. Beherbergten der Columbia- und der Snake-River dereinst die mit 16 Millionen Lachsen größte Population, sind es heute nur noch 1,1 Millionen Fische. Das hat Folgen für das Ökosystem. Zwar gelangen durch neu angepasste Turbinen mehr Fische als früher flussabwärts, so belegen aber neuere Studien der vergangenen Jahre, dass die Fische dennoch nahezu bei jedem Turbinengang mindestens einen Schlag erhalten. Dennoch überleben mittlerweile die meisten Lachse den Weg durch die Turbinen dank neuerer, angepassterer Technik flussabwärts, aber flussaufwärts sieht das anders aus. Denn die Barrieren der Dämme sind zu hoch, auch Fischtreppen helfen oftmals nicht weiter, so dass bereits 2016 zum fünften Mal die Staudammbetreiber richterlich dazu verurteilt wurden, mittels Hebekähnen die die Flüsse kurz vor der Laichzeit hochziehenden Lachspopulationen manuell über die Dämme hinwegzuheben, – dies gelingt aber nach wie vor nur in weniger als zwei Prozent der Fälle und verursacht – sehr zum Leidwesen der Staudammbetreiberfirma – Millionenkosten. Wären es zumindest zwei Prozent der Lachse, die es dergestalt über die Staudammbarrieren schafften, dann gelte dies unter Wissenschaftler:innen als die zu erreichende absolute Mindestzahl, um die vor Ort existierende Population des Chinook-Lachs zumindest vor dem Aussterben zu retten. Diese Zielzahl – zwei Prozent – wird aber nicht erreicht.

Um die Population der Chinook-Lachse aber hingegen gar dauerhaft zu sichern und einen Anstieg der Population zu erreichen, müsste das – regelmäßig in der Praxis unterschrittene – Zweiprozentziel deutlich übertroffen werden. Hinzu kommt: Das Reservoir in dem durch die Staudämme regulierten Flusslauf ist ein meist stehendes, wärmeres Gewässer – und kein lebendig fließendes und daher deutlich kühleres Gewässer. Dadurch breiten sich dort vermehrt natürliche Fressfeinde des Chinook-Lachses aus, was die Population weiter reduziert. 2018 wurde zudem bei den infolge des Klimawandels erhöhten Wassertemperaturen der stehenden Reservoirgewässer eine weitere deutliche Bedrohung des Chinook-Bestandes festgestellt. Wissenschaftler:innen fordern seit Langem, dass mehr Wasser durch die Überlaufkanäle der Dämme abgeleitet werden solle, um so die Gefahr für die Chinook durch Turbinenrotorschlag zu vermindern und um das Wasser der Flüsse wilder und damit auch kühler zu machen. Doch noch mehr Wasser über die Überlaufkanäle, das ist den Staudammbetreibern ein Dorn im Auge, wollen sie doch möglichst viel Wasser zur Stromproduktion durch ihre Turbinen jagen.

Niedrigwasser ist auch bei der Transportschifferei und den Weizenfarmer:innen nicht sonderlich beliebt. Der deutliche Rückgang des Chinook hat zudem aber auch flussabwärts, in einem ganz anderen Habitat, dramatische Folgen. Und zwar für die Meeresfauna im Pazifik. Dies wurde im Sommer 2018 auch den letzten die Medien verfolgenden Bürger:innen klar, als über mehrere Tage Livebilder in regionalen Fernsehen und international in sozialen Medien gezeigt wurden, auf denen eine Orca-Walmutter über mehrere Tage ihr junges, aber bereits totes Kalb im Wasser bewachte. Das Kalb war infolge des Fressmangels der Mutter verhungert. Denn eine der Hauptnahrungsquellen der Orcas vor der Mündung des Columbia-Rivers sind die Chinook-Lachse, denen die Orcas zu dieser Jahreszeit, kurz vor dem Flussaufwärtsschwarm der Lachse, folgen. Je weniger Chinook, desto weniger haben die Orcas in der Region eine Überlebenschance. Daher gibt es die deutliche Forderung von Indigenen und von Umweltschützer:innen, die Dämme zurückzubauen und den Columbia- und den Snake-River wieder zu einem frei fließenden Flusssystem zu machen. Damit sind aber die Weizenfarmer:innen und Transportschiffer:innen nicht einverstanden, wollen sie doch ungehindert aus dem als Seehafen geeigneten Verladenhafen Lewiston im Bundesstaat Idaho, 465 Meilen, also 748 Kilometer vom Pazifik entfernt, weiterhin ihren Weizen in alle Welt exportieren. Und die Staudammbetreiberfirma BPA will auch lieber weiterhin ihren Strom verkaufen. Dabei liefern mittlerweile neuesten Erhebungen zufolge Solaranlagen in Kalifornien, die gekoppelt sind mit Speicherbatterien, billigeren Strom als die Wasserkraft vom Columbia- und Snake-River. Doch die Energiefirma BPA kann derzeit ihren Strom an die Großabnehmer noch teurer verkaufen, weil die Alt-Verträge noch höhere Preise garantieren als die neuen billigeren Solaranlagen. Doch diese Alt-Verträge enden 2028. So kämpft seit Jahren im Dreiländereck eine neue Allianz aus Umweltschützer:innen, Wissenschaftler:innen, Indigenen und kritischer Öffentlichkeit, die fordern, jetzt endlich mit dem Plan für den Rückbau der Dämme zu beginnen. Die Wissenschaftlerinnen wiesen in Bezug auf die Besorgnisse der Weizenfarmer:innen auf den ohnehin massiven Anstieg des Weizentransports per Bahn hin und die Bewässerung für die Farmer:innen reiche auch an einer weiter oben gelegeneren Stelle des Snake-Rivers.

Obwohl der Rückbau der Dämme wegen der offensichtlichen Chinook-Lachs-Gefährdung bereits ein halbes Dutzend Mal gerichtlich angeordnet wurde (siehe wiederholte Berichterstattung von GegenStrömung), entscheidet die zuständige Bundespolitik noch anders und will die Dämme noch halten. Dagegen laufen die Indigenen, Umweltschützer:innen und Teil der Anwohner:innen Sturm und ziehen vor Gericht. Derweil aber bewegt sich auch in der Politik etwas: der Abgeordnete Mike Simpson, ein republikanischer Bundes-Abgeordneter aus Idaho hat Anfang des Jahres einen 33,5 Milliarden US-Dollar schweren Dammrückbauplan vorgestellt.

Die Nichtregierungsorganisation American Rivers führt seit Jahren in ihrem Kampf um freifließende Flüsse in den USA auch ein Register, das den wachsenden Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert. Neuesten Zahlen der Umweltschützer:innen von American Rivers zufolge wurden im Jahr 2020 in den USA insgesamt 69 Staudämme in 23 US-Bundesstaaten zurückgebaut. Somit wurden – laut American Rivers – in den USA seit 1912 insgesamt 1797 Staudämme zurückgebaut. Die bei diesen Vorhaben erfolgreichsten US-Bundesstaaten im Jahr 2020 waren Ohio mit 11 Rückbauten, Massachusetts mit 6 und der Bundesstaat New York ebenfalls mit 6 Rückbauten.

Insgesamt befinden sich in den USA mehr als 90.000 Staudämme. Dabei sind viele der Dämme zwischen 1930 und 1970 gebaut worden, so dass sie nun an das Ende ihrer projizierten Lebensdauer gelangen und von daher eine wachsende Gefahr darstellen. Dies wurde jüngst in einem Bericht einer UN-Organisation bestätigt – und zwar für 59.000 Dämme weltweit. Bis zum Jahr 2050 werde mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung flussabwärts von zehntausenden großen Staudämmen leben, die ihre vorgesehene Lebensdauer erreicht oder überschritten haben werden, so der UN-Bericht. Die meisten der weltweit fast 59.000 großen Staudämme wurden zwischen 1930 und 1970 gebaut und waren damals ausgelegt für eine Betriebsdauer von 50 bis 100 Jahren. Diese strukturellen Bruchgefahren stellten ein erhebliches Risiko für Milliarden von Menschen dar, so die Studie des UNU Institute for Water, Environment and Health (UNU-INWEH).

Umso wichtiger ist es, sich weiter für den Rückbau von Dämmen einzusetzen. Durch den bisher erreichten Rückbau entstanden tausende Kilometer frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. American Rivers hat dazu auch eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: https://www.americanrivers.org/threats-solutions/restoring-damaged-rivers/dam-removal-map/

Der Rückbau vieler Dämme und somit die Schaffung freifließender Flüsse weltweit und der Erhalt der Fischpopulationen sind dringendste Aufgaben. Denn eine unlängst veröffentlichte Studie zeigte, wie seit 1970 die weltweiten Bestände der in Süßwasser migrierenden Fische um 76 Prozent zurückgingen.

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Wie Vale sich entschädigen lässt für Ausfälle, für die sie selbst juristisch haftbar ist https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wie-vale-sich-entschaedigen-laesst-fuer-ausfaelle-fuer-die-sie-selbst-juristisch-haftbar-ist/ Wed, 14 Apr 2021 12:16:11 +0000 https://www.gegenstroemung.org/web/?p=2195 Vales Wasserkraftwerk Risoleta Neves steht seit dem Dammbruch der Vale-Tochter Samarco im November 2015 still, erhält aber dennoch millionenschwere Kompensationszahlungen aus dem Ausgleichmechanismus MRE. Dagegen wird nun geklagt.

Oberster Justizgerichtshof entscheidet in Kürze über möglichen Ausschluss des Wasserkraftwerks Risoleta Neves, auch Candonga genannt, im Bundesstaat Minas Gerais, aus dem Energieumverteilungssystem MRE, dem alle Wasserkraftwerke Brasiliens zugehören und das dazu dienen soll, im Fall von verminderter Stromgeneration infolge von Dürre und Niedrigwasser dem notleidenden Kraftwerk einen virtuellen Anteil aller im Lande generierten Stromleistungen Dritter entsprechend seiner vorherigen prozentuellen Anteilsgröße zur Verfügung zu stellen. Das Kraftwerk Risoleta Neves hat aus diesem Kompensationsmechanismus in der Vergangenheit neuesten Daten der staatlichen Stromagentur Aneel zufolge 430 Millionen Reais erhalten. Der Grund: seit 2015 produziert Candonga keinen Strom. So argumentiert die Besitzerin, die Bergbaufirma Vale, da Candonga Teil des gemeinschaftlichen Kompensationsmechanismus ist, stehe ihr dieser Anteil zu.
Brisant ist aber: Candonga steht seit 2015 still, weil damals der Damm der Bergbaufirma Samarco gebrochen war und sich damals deutlich über eine Million Kubikmeter Erzschlamms im Reservoir vor der Staumauer von Risoleta Neves angesammelt hatte, so dass der Betrieb seit damals -zuerst aus Sicherheitsgründen, dann aus technischen Gründen, weil der Erzschlamm die Turbinen des Wasserkraftwerks bedroht und obendrein durch die Schlammsedimente die Wasserkraftleistung ohnehin geringer ausfalen würde – nicht mehr möglich war. Und verantwortlich für den Bruch war die Firma Samarco, eine 50%-Tochter der Bergbaufirma: Vale.

2017 dekretierte die Stromagentur Aneel die formale Schliessung Candongas und mithin den Ausschluss des Wasserkraftwerkes aus dem Kompensationsmechanismus MRE, wogegen die Staudammbesitzerin, Vale, aber Klage einreichte und erstmal die Zahlungen für den Ausfall, für den sie selbst als Miteigentümerin von Samarco juristisch haftbar wäre, weiter kassierte. Dagegen hat die Aneel Klage eingereicht und in den kommenden Tagen wird eine Entscheidung der Sonderkammer des Obersten Justizgerichtshof in der Sache erwartet.

Am 5. November 2015 war der Damm Fundão des Erzgrubentailings der Firma Samarco gebrochen und Schätzungen zufolge ergossen sich 62 Millionen Kubikmeter Klärschlamms ins Tal. Der Schlammtsunami zerstörte zunächst das Dorf Bento Rodrigues sowie die Dörfer Paracatu de Baixo und Barra Longa, bevor der Schlamm sich 680 Kilometer flussabwärts durch die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio Carmo und Rio Doce bis hin zur Mündung desselben in den Atlantischen Ozean bei Linhares und Regência im Bundesstaat Espírito Santo bewegte. 19 Menschen starben, tausende Fischerinnen und Fischer wurden arbeitslos und Berechnungen der Rückversicherungsgesellschaft Terra Brasis Resseguros zufolge wurden dadurch rund 3,5 Millionen Menschen in ihrer Trinkwasserversorgung beeinträchtigt. Viele der von dem Dammbruch Betroffenen wurden bis heute nicht entschädigt, die Umweltzerstörung am Rio Doce ist noch immer anhaltend und die Reparationsarbeiten und -leistungen, für die die von Samarco, Vale und BHP Billiton eingesetzte Stiftung Renova zuständig ist, werden von den Betroffenen noch immer als unzureichend, mißachtend, diskriminierend und als Greenwashing tituliert.

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Munduruku-Frauenzentrum Wakoborun in Jacareacanga von Goldsuchern angegriffen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/munduruku-frauenzentrum-wakoborun-in-jacareacanga-von-goldsuchern-angegriffen/ Thu, 25 Mar 2021 18:11:20 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2192 Das Zentrum Wakoborun der Munduruku-Frauen in der Kleinstadt Jacareancanga im Südwesten des amazonischen Bundesstaates Pará wurde am heutigen Donnerstag von einer Menschenmenge angegriffen. Die indigene Frauenorganisation Wakoborun kämpft seit Jahren gegen Staudämme, illegalen Bergbau und für den natürlichen Erhalt der Flüsse und Wälder im Südwesten von Pará.

Das Zentrum Wakoborun der Munduruku-Frauen in der Kleinstadt Jacareancanga im Südwesten des amazonischen Bundesstaates Pará wurde am heutigen Donnerstag von einer Menschenmenge angegriffen. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen auf vor Ort Anwesende. Die Angreifer gaben sich als indigene Munduruku, die als Goldsucher:innen im illegalen Goldbergbau in indigenen Gebieten arbeiten, zu erkennen, die gegen die Arbeit der Frauen des gemeinnützigen Frauenvereins Wakoborun vorgingen, das Zentrum angriffen, die Fassade des Gebäudes beschmierten und in das Haus illegal eindrangen und drinnen das Mobiliar des Gebäudes und Dokumente und andere Vereinsmaterialien in Brand steckten, so die Munduruku-Frauen, die den Vorfall bei der Bundesstaatsanwaltschaft MPF in Pará meldeten, die heute sofort eine Untersuchung des Falles einleitete, wie diese auf ihrer Internetseite bekannt gab.

Laut der Mitteilung der Bundesstaatsanwaltschaft steigt seit dem 14. März dieses Jahres die Spannungen in der Region durch das weitere Eindringen des illegalen Bergbaus mit der Ankunft einer großen Anzahl von Radladern und Schaufelbaggern in der Region des Flusslaufes Baunilha Igarapé (übersetzt: Vanille-Bächchen), in der Nähe der Gebiete, in denen Munduruku arbeiten. Ein Hubschrauber, der in der Gegend gefilmt wurde, steht im Verdacht, den Kriminellen Geleitschutz zu geben, und eine bewaffnete Gruppe hinderte die Einheimischen daran, sich in die entsprechende Gegend zu begeben, so die Bundesstaatsanwaltschaft.

Letzte Woche wiederholte die Bundesstaatsanwaltschaft ihre bereits im Jahr 2020 an den Bundesgerichtshof gerichtete Forderung nach einem dringenden Einsatz von Bundeskräften, um gewaltsame Übergriffe illegaler Bergleute auf die indigene Bevölkerung zu verhindern. Seit 2017 warnt die Bundesstaatsanwaltschaft die Behörden vor dem zunehmenden Eindringen von Goldsucher:innen in das Munduruku-Gebiet, aber bis jetzt gab es keine hinreichende Bekämpfung des Verbrechens seitens der zuständigen Behörden, so die Bundesstaatsanwaltschaft.

Im August 2020 wurde sogar eine Inspektion durch das brasilianische Umweltinstitut Ibama eingeleitet, die aber nach einem Besuch des Umweltministers Ricardo Salles und der Intervention des Verteidigungsministeriums abgebrochen wurde. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und sein ihm politisch gleichgesinnter Umweltminister Ricardo Salles hatten nie einen Hehl aus ihrer Sympathie für Goldschürferei jeder Art, ob legal oder illegal, gemacht und bereits im ersten Regierungsjahr mehrmals öffentlich das eigentlich gesetzeskonforme Vorgehen der Umweltbehörde Ibama gegen illegale Brandrodungen und Goldschürferei aufs Schärfste kritisiert. Bolsonaro und Salles erließen Anordnungen, damit das Privateigentum der (illegal und kriminell operierenden) Goldschürfer:innen nicht länger von den Beamte:innen des Ibama zerstört werden dürfe. Umweltminister Salles traf sich während seiner nun knapp anderthalb Jahre währenden Amtszeit zudem wiederholt mit erklärt illegal operierenden Goldschürfer:innen und illegal Tropenholz rodenden Akteur:innen, ließ sich bereitwillig händeschüttelnd und in die Kameras grinsend mit diesen ablichten und versprach ihnen eine „neue“ Umweltpolitik im Land. Im Visier der Goldsucher:innen stehen vor allem Indigene Territorien.

Die Folge zeigt sich nun in zunehmender Brutalität in Jacareancanga und im Gebiet der Munduruku.

// Christian Russau

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Schwerer Schlag für Sojaeisenbahnpläne Ferrogrão in der Tapajós-Region https://www.gegenstroemung.org/web/blog/schwerer-schlag-fuer-sojaeisenbahnplaene-ferrograo-in-der-tapajos-region/ Tue, 16 Mar 2021 08:22:34 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2189 Die Reduzierung des Gebietes des Jamanxim-Nationalparks in Pará, um den Bau der Eisenbahnlinie Ferrogrão zum Transport von Soja aus vor allem Mato Grosso an die Überseehäfen am Amazonas zu ermöglichen, per einfacher Präsidialverordnung war nicht gesetzmässig. Oberster Richter Alexandre de Moraes argumentiert dabei mit „Wirksamkeit des Grundrechts auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt“. Oberster Procurador der Republik, Augusto Aras, widerspricht und sieht „Ökologie und Ökonomie in Harmonie“ bei dem Monsterprojekt, das schwere Auswirkungen auf indigene Völker in der Tapajós-Region hätte.

Von Christian Russau

Es ist ein schwerer Schlag für alle Befürworter:innen des Ferrogrão-Eisenbahntrassenprojektes in der Tapajós-Region. Der Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) setzte die Wirksamkeit des Gesetzes 13.452/2017 vorläufig aus, das aus der Provisorischen Maßnahme (MP) 758/2016, einer Präsidialverodrnung des damaligen Präsidenten Michel Temer aus dem Jahre 2016, hervorgegangen war und das die Grenzen des 2006 eingerichteten Nationalparkes Jamanxim in Pará um 862 Hektar einfach reduzierte. Diese geographische Reduzierung erfolgte, um im Nationalpark eine diesen durchschneidene Trasse zu ermöglichen, entlang derer dann die neue Eisenbahnlinie Ferrogrão gebaut werden sollte. Der Richter de Moraes wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Gebietsänderung in einem Naturschutzgebiet höchster Kategorie nicht durch eine einfache vorläufige Maßnahme hätte vorgenommen werden können. Dazu hätte es, laut de Moraes, eines Gesetzes bedurft, eine einfache Präsidialverordnung im Form einer Medida Provisória reiche dazu nicht aus. Damit folgte der Oberste Richter einer Beschwerde der Partei für Sozialismus und Frieden, PSOL.

Richter de Moraes argumentierte in seiner Urteilsverkündung mit den irreversiblen Schäden an der Natur, die sich unwiderbringlich einstellen würden, sollte die Reduzierung des Naturschutzgebietes Jamanxim weiterhin Gültigkeit haben und die Planungen für die Baumaßnahmen für die Eisenbahntrasse Ferrogrão vor Ort beginnen. Richter Alexandre de Moraes erklärte zudem, dass nach der Bundesverfassung die Umwelt ein gemeinsames Gut des Volkes sei und alle legislativen, administrativen und gerichtlichen Mittel, die für deren effektiven Schutz notwendig seien, eingesetzt werden müssten. Richter Alexandre de Moraes erklärte wörtlich: „Bekanntlich wurde der Umwelt in ihrer Gesamtheit vom Gesetzgeber besondere Aufmerksamkeit geschenkt, der der öffentlichen Gewalt und der Gemeinschaft die Pflicht auferlegt, die Umwelt für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu schützen und zu erhalten (Art. 225, caput der Bundesverfassung). In der Tat hat die Bundesverfassung von 1988 der öffentlichen Hand als Verpflichtung auferlegt, die Verteidigung, den Erhalt und die Gewährleistung der Wirksamkeit des Grundrechts auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt [zu garantieren, da die Umwelt und Natur] ein Gut zur gemeinsamen Nutzung durch das Volk und wesentlich für eine gesunde Lebensqualität“ seien, so Richter de Moraes. Die Umwelt solle daher, so Richter de Moraes, als gemeinsames Erbe der gesamten Menschheit betrachtet werden, um deren vollen Schutz zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf die zukünftigen Generationen.

Damit hat der Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) ein in der Tat starkes Signal für den Erhalt der Umwelt in Brasilien gesetzt, auch wenn der Fall nun an das Plenum des Obersten Gerichtshofes geht, wo noch unklar ist, wie sich die Mehrheit der Richter:innen entscheiden wird. Brasiliens Oberster Procurador da República, der Chefankläger der Republik, Augusto Aras, jedenfalls forderte den Obersten Gerichtshof umgehend auf, der Entscheidung von Richter de Moraes nicht zu folgen. „Die Verkleinerung von 0,054% des Jamanxim-Nationalparks, um Studien für die Installation einer Eisenbahnlinie zum Transport von Getreide (Ferrogrão – EF 170) zu ermöglichen, entspricht dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung als Faktor des Gleichgewichts zwischen Ökonomie und Ökologie“, so Aras in Bezug auf die Ende 2016 von Präsident Temer erlassene Präsidialverordnung zur Reduzierung des Gebietes des Jamanxim-Nationalparkes. Der Kampf um Ferrogrão geht also weiter, aber er ist auch Teil eines größeren gesellschaftlichen Disputs in Brasilien um Narrative, welchen Stellenwert nehmen Umwelt und Natur und Rechte ein im Gegensatz zu Ökonomie und Entwicklung.

Nicht Teil von Richter Alexandre de Morais juristischer Argumentation waren die Fragen nach der Verletzung indigener Rechte durch den geplanten Bau von Ferrogrão. Die indigenen Munduruku beispielsweise setzen sich vehement gegen die Eisanbahntrassenpläne von Ferrogrão zur Wehr. Auch die Bundesstaatsanwaltschaft hat im Oktober 2020 den Stopp des Ausschreibungsverfahrens für die geplante Bahnlinie Ferrogrão gefordert. Die zum Transport von vor allem Soja aus der Boomregion Sinop im Bundesstaat Mato Grosso an die Flusshäfen im Bundesstaat Pará vorgesehene Bahnlinie würde nach Erkenntnissen der Bundesstaatsanwaltschaft 48 von der Verfassung geschützte indigene Territorien durchschneiden und somit die verbrieften Rechte der Indigenen verletzen. Gemäß der bei der Bundesstaatsanwaltschaft eingereichten Anzeige gegen die das Projekt vorantreibende Bundesregierung, weigere sich die Regierung und die Behörden, Konsultationen mit den betroffenen Völkern durchzuführen, selbst nachdem sie sich verpflichtet habe, das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation gemäß dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu respektieren. Die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft war eingereicht worden im Namen des Instituto Socioambiental (ISA), der Iakiô-Vereinigung, des Volkes der Panará, der Xingu-Vereinigung für indigenes Land (Atix), des Raoni-Instituts, des Volkes der Kayapó, und des Kabu-Instituts sowie im Namen des indigenen Volkes der Kayapó Mekragnotireo. Über diese von der Bundesstaatsanwaltschaft beim brasilianischen Bundesrechnungshof TCU eingereichte Klage wurde bisher noch nicht verhandelt.

Das Ferrogrão-Bahnlinienprojekt ist seit Jahren eines der Lieblingsinfrastrukturprojekte von Brasília als auch der Soja-Farmer:innen in Mato Grosso. Für die derzeitige Boomregion beim Soja – dem zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso – gibt es seit der Regierung von Dilma Rousseff Pläne für weitere Straßen-, Wasserstraßen- und Bahnbauprojekte. In der Vergangenheit wurde das Soja meist per LKW an die Verladeterminals der Häfen im Südosten des Landes, Santos und Paranaguá, geliefert. Als die Autobahn BR-163 auch gen Norden, Richtung Miritituba und Santarém, asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke, im Durchschnitt eine Ersparnis von zwei Tagen. Als dritten LKW-Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren.

Für die Soja-Farmer:innen sind die Logistikkosten die entscheidende Stellschraube zur verstärkten Eroberung des Weltmarkts für brasilianisches Soja. 2014 betrug der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos 150 US-Dollar pro Tonne, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer:innen des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen läge, so ein damaliger Bericht bei „Bloomberg“.

Doch diese Straßen erhöhen erwiesenermaßen den Druck auf die Waldflächen in Amazonien. Márcio Santilli vom Instituto Socioambiental (ISA) sprach bereits 2017 angesichts dieses Amazonien durchziehenden Straßennetzes von dem „zerhackten Amazonien“: Diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80 Prozent aller Rodungen in Amazonien erfolgen Erhebungen zufolge entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen.

Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer:innen die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten auf der BR-163 gen Südosten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand bei LKW und Fahrer:in verursache. Die BR-163 gen Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg nach Westen über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Nach Vorstellungen von Politik und Soja-Farmer:innen sollen es Wasserstraßen und Bahntrassen richten.

Infolge der Asphaltierung der Bundesstraße BR-163 gen Norden sind die Frachtkosten bereits um 34 Prozent je Tonne Soja gesunken. Bei den geplanten schiffbaren Wasserstraßen an den Flüssen Tapajós, Teles Pires und Juruena — Wasserstraßen benötigen Schleusen zur Überwindung der Stromschnellen, dazu werden Staudämme errichtet und der Flusslauf und dessen Höhe nivelliert, was zu stehenden Gewässer führt, in den Fischpopulationen in Gefahr geraten, etc…) werden zukünftig gar Kostenersparnisse von weiteren 41 Prozent je Tonne Soja erhofft, was den Druck auf Landflächen in der Region noch weiter erhöhen wird. Auch gegen diese Laufen die Flussanwohner:innen, indigene Völker und andere traditionelle Gemeinschaften Sturm gegen diesen geplanten Bau von „Wasserautobahnen“, die „Entwicklung“ bringen sollen, aber meist Zerstörung von Umwelt und Lebenswelt der betroffenen lokalen Anwohner:innen der amazonischen Flüsse bedeutet.

Weitere Pläne sehen also den Bau von Bahntrassen vor. Und hier kommt Ferrogrão ins Spiel. „Ferrogrão“ heißt einer der geplanten Süd-Nord-Bahnkorridore von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planer:innen zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein.

Egal, ob Straße, Wasserstraße oder Bahn: Im Zuge solches Infrastrukturausbaus würden dann auch die Soja-Terminals massiv ausgebaut werden, so Politik und Farmer:innenlobby unisono: So sollen die Soja-Terminals von Santarém von 1,8 auf 8 Millionen Tonnen im Jahr, die von Porto Velho von 4 auf 7 Millionen Tonnen im Jahr und Miritituba von 3,5 auf 32 Millionen Tonnen bis Mitte der 2020er Jahre fast verzehnfacht werden. Ein Alptraum für die Savannenlandschaft des Cerrado und Amazonien sowie dessen Bewohner:innen.

All dieser Ausbau der Infrastruktur „zerhackt“ Amazonien, erhöht den Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen.
// christian russau

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Brasiliens Indigene informieren UN-Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brasiliens-indigene-informieren-un-sonderberichterstatterin-ueber-die-situation-von-menschenrechtsverteidigerinnen-in-brasilien/ Mon, 08 Mar 2021 08:34:01 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2183 Die gefährliche Situation der Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien wird heute Thema der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen sein.

Derzeit tagt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, wegen der Pandemie größtenteils virtuell. Dennoch sind die Treffen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen von enormer Bedeutung, um auf die brenzlige Situation der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Nachdem bereits vergangene Woche der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakri, über die verheerenden Verletzungen der Ernährungssouveränität und -sicherheit in Brasilien wegen der Pandemie und der gezielten Untätigkeit der rechtsextremen Regierung von Jair Bolsonaro von zivilgesellschaftlichen Organisationen Brasiliens in Kenntnis gesetzt wurde, steht für diesen Montag, 8. März, die Teilnahme der jungen Indigenen Sthefany Tupinambá am Interaktiven Dialog mit der Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Mary Lawlor, an. Die Veranstaltung begann am Freitag, dem 5. März, und wird heute als Teil des Terminkalenders der indigenen und indigenistischen Organisationen in der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen fortgesetzt. Dies berichtet der Indigenenmissionrat CIMI auf seiner Webseite.

Bei dieser Gelegenheit wird Sthefany Tupinambá, die aus dem Dorf Serra do Padeiro der Terra Indígena Tupinambá de Olivença im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia stammt, der Sonderberichterstatterin die Schwächen des brasilianischen Programms zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen darlegen. Diese von der Regierung Bolsonaro umgesetzte Politik gefährde das Leben und den Kampf der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften in Brasilien, so CIMI in einer Voraberklärung. Zu den am meisten gefährdeten Personen gehören demnach Menschenrechtsverteidiger:innen, die sich für die Umwelt, die Verteidigung von Land und traditionellen Territorien einsetzen. Zudem gebe es noch immer sehr viele Fälle, in denen die Behörden und Regierungen von Bundes-, Landes- und Kommunalebenen den indigenen Gemeinden Geschäftsprojekte ohne deren freie, vorherige und informierte Zustimmung aufzwängen. Die konkrete Bedrohungslage für Menschenrechtsverteidiger:innen, die von bewaffneten Milizen, privaten Sicherheitsdiensten und von angeheuerten Killern mit dem Tode bedroht werden, nehme zu, so CIMI. Viele der Täter:innen seien, so CIMI, Angehörige der repressiven Staatsorgane wie Militär- und Zivilpolizei.

Für den Indigenenmissionsrat CIMI ist der Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen eng mit der Verteidigung und dem Schutz traditioneller Territorien, ihrer Menschen und Lebensweisen verbunden. Die Bolsonaro-Regierung weist die seit den 1990er geringsten Ausweisungen (Demarkationen) indigener Territorien auf. Ganze 0 („Null“) indigene Territorien hat Bolsonaro ausgewiesen. Damit setzt er seine Ankündigung um, die er vor seiner Wahl getätigt hatte, nämlich den Indigenen „keinen Zentimeter Landes mehr“ zu geben. Düster steht es auch um die Agrarreform. Im Rückblick der vergangenen 25 Jahre war es vor allem die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, die die Agrarreform in Brasilien zahlenmäßig am meisten voranbrachte. Zwar erreichte auch die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) in den Jahren 1997 und 1998 Höchstwerte mit 81.944 bzw. 101.094 angesiedelten Familien, denen im Rahmen des staatlichen Agrarreformprogramms Land zugesprochen wurde, doch die historischen Spitzenwerte bei der Agrarreform erreichte die Lula-Regierung (2003-2010) in den Jahren 2005 (127.506 Familien) und 2006 (136.358 Familien). Während der Regierung von Dilma Rousseff oszillierten die Zahlen der Ansiedlungen im Rahmen der Agrarreform zwischen vergleichsweise bescheidenen 22.012 Familien (2011) und 32.019 Familien (2014). Während der Temer-Regierung reduzierte sich die Agrarreformzahlen weiter drastisch, bevor sie gegenwärtig unter Bolsonaro zum Stillstand gekommen sind.

Unter Bolsonaro spitzen sich auch die Landkonflikte zu. Oft äußern sich die illegal goldschürfenden und holzschlagenden Täter:innen unverhohlen, nun sei doch „ihr Hauptmann“ Bolsonaro Präsident und er habe zugesagt, er werde ihnen – den Gold suchenden garimpeiros, den Tropenholz illegal schlagenden madeireiros, den mit bewaffneten Killern ausgerüsteten Großfarmer:innen – zu „ihrem Recht“ verhelfen. Gepaart mit einer fortschreitenden Liberalisierung des Waffen- und Munitionsbesitzes im Lande entwickelt sich eine zunehmend explosive Mischung. Bolsonaros präsidiale Narrative schaffen Gewalt.

Derweil betreibt die Bolsonaro-Regierung gezielt eine schleichende Entmachtung der Indigenenbehörde Funai und der Umweltbehörde Ibama, indem sie fähige Mitarbeiter:innen durch Bolsonaro-freundliche Militärs oder Evangelikale austauscht. Außerdem kürzt sie diesen Behörden Gelder und verlagert deren Kompetenzen auf andere, ihm und seinem Machtapparat willfährigere Staatsorgane. Hinzu kommt Bolsonaros Plan, die indigenen Territorien künftig für Bergbau, Landwirtschaft und Energie- und Staudammprojekte freizugeben. Die Bilder von großflächiger Zerstörung in Amazonien – sei es durch gezielt gelegte Brände, sei es durch Holzfäller:innen, sei es durch die Goldsuche, sei es durch Infrastrukturbauten, sei es durch Staudämme – geben beredtes Zeugnis darüber, dass es bei Bolsonaro nicht mehr wie bei Lula und Dilma um einen in Kauf genommenen Gegensatz von „Entwicklung“ und „Umwelt“ geht, sondern vielmehr um eine gezielte Zerstörung und rücksichtlose Ausbeutung der „Umwelt“.

// christian russau

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2020 wurden in den USA 69 Dämme zurückgebaut https://www.gegenstroemung.org/web/blog/2020-wurden-in-den-usa-69-daemme-zurueckgebaut/ Sat, 20 Feb 2021 08:36:40 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2179 Die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation American Rivers führt seit Jahren in ihrem Kampf um freifließende Flüsse in den USA auch ein Register, das den wachsenden Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert. Neuesten Zahlen der Umweltschützer:innen von American Rivers zufolge wurden im Jahr 2020 in den USA insgesamt 69 Staudämme in 23 US-Bundesstaaten zurückgebaut. Somit wurden – laut American Rivers – in den USA seit 1912 insgesamt 1797 Staudämme zurückgebaut. Die bei diesen Vorhaben erfolgreichsten US-Bundesstaaten im Jahr 2020 waren Ohio mit 11 Rückbauten, Massachusetts mit 6 und der Bundesstaat New York ebenfalls mit 6 Rückbauten.

Insgesamt befinden sich in den USA mehr als 90.000 Staudämme. Dabei sind viele der Dämme zwischen 1930 und 1970 gebaut worden, so dass sie nun an das Ende ihrer projizierten Lebensdauer gelangen und von daher eine wachsende Gefahr darstellen. Dies wurde jüngst in einem Bericht einer UN-Organisation bestätigt – und zwar für 59.000 Dämme weltweit. Bis zum Jahr 2050 werde mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung flussabwärts von zehntausenden großen Staudämmen leben, die ihre vorgesehene Lebensdauer erreicht oder überschritten haben werden, so der UN-Bericht. Die meisten der weltweit fast 59.000 großen Staudämme wurden zwischen 1930 und 1970 gebaut und waren damals ausgelegt für eine Betriebsdauer von 50 bis 100 Jahren. Diese strukturellen Bruchgefahren stellten ein erhebliches Risiko für Milliarden von Menschen dar, so die Studie des UNU Institute for Water, Environment and Health (UNU-INWEH).

Umso wichtiger ist es, sich weiter für den Rückbau von Dämmen einzusetzen. Durch den bisher erreichten Rückbau entstanden tausende Kilometer frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. American Rivers hat dazu auch eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: https://www.americanrivers.org/threats-solutions/restoring-damaged-rivers/dam-removal-map/

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Nach erneuten Morddrohungen von Goldgräbern: Flucht von zwei Munduruku-Frauen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/nach-erneuten-morddrohungen-von-goldgraebern-flucht-von-zwei-munduruku-frauen/ Sat, 06 Feb 2021 13:24:19 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2176 Bolsonaro-Regierung ermuntert illegale Goldgräber und schafft so ein Narrativ der Gewalt. Flüsse verseucht und Indigene erhalten Morddrohungen.

Die Morddrohung kam per Whatsapp-Nachricht und auch über die lokalen Radiowellensender, mit denen die Bewohner:innen der abgelegenen Region am Tapajós, in Amazonien, miteinander kommunizieren. Die Botschaft war dabei eindeutig: Die Geduld sei erschöpft und man werde diejenigen nicht länger tolerieren, die sich der Goldsucherei entgegenstellten. Man werde sie töten.

Die Empfängerin der Morddrohung: Kabaiwun Munduruku, 33 Jahre alt, früher bekannt unter dem Namen Leusa Munduruku, heute bekannt unter dem Namen Kabaiwun Munduruku, Mutter von fünf Kindern. Die Täter: Goldsucher, die illegal in der Terra Indigena Munduruku und der Terra Indígena Sai Cinza nach Gold suchen, mit schwerem Gerät, mit Quecksilber, zum Trennen des Goldes, was die Flüsse derart verschmutzt, dass es mittlerweile kaum noch Flussanwohnende Indigene gibt, deren Quecksilberwerte im Körper nicht alarmierend hohe Werte aufweisen würde, mit Millionenschwerer Ausrüstung, bezahlt durch die wohlhabenden Hintermänner in den Städten. Und die, die die Maschinen vor Ort bedienen, die Bäume illegal roden, den Boden aufwühlen, Boden und Gewässer vergiften und Mondlandschaften hinterlassen, stets mit Gewehr oder Pistole zur Hand, die die Morddrohungen aussprechen und von denen alle wissen, sie würden ebenfalls nicht zögern, ihre Waffen einzusetzen, die sind auch Indigene Munduruku. Die Taktik der Spaltung hat funktioniert.

Ähnlicher Bedrohungslage ist auch Alessandra Munduruku ausgesetzt. Alessandra war im September 2019 als Gast der ASW und des FDCL in Berlin, nahm an der Berliner Klimastreik-Demo von „Fridays for Future“ am 20.9.2019 Teil, sprach vor zigtausenden Schüler:innen am Brandenburger Tor. Nun musste auch sie, genauso wie Kabaiwun fliehen, mit Familie an geheimen Ort, denn die Morddrohungen haben überhand genommen, Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgten sie, sie wurde ostentativ gefilmt, wie Partnerorganisationen berichten.

Es ist zu gefährlich für die beiden Frauen dort zu bleiben, wo sie leben. Nur in der indigenen Dorfgemeinschaft der Aldeia können sie nicht bleiben, denn der Weg raus und rein wäre zu gefährlich, in der Stadt zu bleiben ist auch kein Thema, ebenfalls zu gefährlich. So blieb für beide Frauen nur die Möglichkeit, mit Hilfe befreundeter Organisationen für eine Weile samt Familie in eine andere Gegend zu ziehen. An geheimen Ort vorrangig nur Eines: überleben.

Beide Frauen befinden sich in akuter Lebensgefahr, wegen ihrer Rolle als Anführerinnen der Indigenen im Widerstand gegen die zahllosen Angriffe auf das Gebiet ihres Volkes. Der mächtige und gefährliche Gegner: Garimpo, die Goldgräberei. Die Munduruku sind eine der größten ethnischen Gruppen des Landes, mit Territorien entlang des Tapajós, dem Becken, das den Amazonaswald mit dem Cerrado verbindet. Das Großgebiet umfasst drei Bundesstaaten, Pará, Amazonas und Mato Grosso. Die Region leidet nicht nur unter illegaler Holzgewinnung und großen Regierungsprojekten wie Staudämmen, Soja, Monokulturen jeder Art und den damit zusammenhängenden Pestiziden, sondern ist heute auch eines der Hauptziele der Goldgewinnung im Land. Kabaiwuns und Alessandras in Medien und vor Gericht und Parlament vorgebrachten Klagen zur Verhinderung all dieser die Munduruku-Gemeinschaft in ihrer Existenz bedrohenden Projekte provozierten die Empörung einer Munduruku-Gruppe, die Garimpo auf indigenem Gebiet befürwortet. Es geht ums Geld, wie so oft.

„Jetzt zeigen diejenigen, die den Garimpo verteidigen, ihr wahres Gesicht“, erklärt Kabaiwun gestern gegenüber dem Hintergrundportal von Repórter Brasil. „Zuvor versteckten sie sich noch, um so zu tun, als würden sie dem Volk keinen Schaden zufügen. Nun aber haben sie keine Angst mehr“, klagt Kabaiwun. „Einige Angehörige sind bereits getäuscht worden, verseucht von der pariwat-[weißen]-Ideologie, dass man das Territorium zusammen mit ihnen ausbeuten muss, um einen Anteil zu bekommen.“ Für Kabaiwun jedoch ist klar, dass es sich um eine Minderheit handelt, die hauptsächlich von Männern gebildet wird: „Es ist eine kleine Gruppe von Indigenen, die von den Unternehmern angelockt werden, die unser Gebiet ausbeuten. Wir Frauen sind hier, um zu sagen, dass das nicht passieren darf, denn es ist das Leben unserer Kinder, das auf dem Spiel steht“. Und sie bekräftigt: „Ich denke, wenn die Frauen nicht im Kampf wären, würden alle Männer da sein und das Gebiet verscherbeln, leider“.

Obwohl sie als Minderheit betrachtet wird, hat die pro-garimpo indigene Gruppe offene Unterstützung von der Bundesregierung erhalten. Im August 2020 empfing Umweltminister Ricardo Salles in Brasilia eine Gruppe von sieben Munduruku-Bergleuten, die mit einem Flugzeug der brasilianischen Luftwaffe aus Jacareacanga (PA) in die Hauptstadt gebracht wurden. Nach einem Gespräch hinter verschlossenen Türen setzte das Verteidigungsministerium sogar Operationen zur Bekämpfung des illegalen Garimpo in der Region aus. Die Bundesstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará (MPF/PA) leitete eine Untersuchung über den Einsatz der Militärflieger des FAB zum Transport der Gruppe ein, bisher ist niemand dafür zur Verantwortung gezogen worden. Von den Goldsuchern ganz zu schweigen. „Es war ihre Strategie, die Munduruku [nach Brasília] zu bringen, die über das Territorium verhandeln wollten. Sie sind wirklich gekommen, um unser Volk zu spalten“, sagt Kabaiwun.

Heute gehören diese beiden Frauen, Kabaiwun und Alessandra, zu den wichtigsten Wortführerinen bei der Verteidigung des Munduruku-Territoriums. Vor Jahren gründeten sie die Frauen-Widerstandsorganisation Wakoborun, die die Frauen organisiert, bildet und so enorme Empowermentprozesse unter den Frauen in Gang gebracht hat. Das schürt natürlich Hass, Hass bei einigen der Männer. Die internen Konflikte zwischen den mehr als 14.000 Indigenen Munduruku – aufgeteilt in mehr als hundert Dörfer – um das Garimpo im Gebiet sind alt. Die aktuelle politische Situation unter einer Bolsonaro-Regierung, der Umweltzerstörung egal ist und die den illegalen Bergbau in Amazonien voranbringen möchte, hat jedoch der Gruppe der Indigenen, die sich von der Goldgräberei Reibach erhoffen, Auftrieb gegeben. Während auf den Weltmärkten der Goldpreis historische Rekorde erreicht, treibt die Bolsonaro-Bundesregierung weiterhin den Bergbau auf indigenem Land voran. Im Februar letzten Jahres schickte Präsident Jair Bolsonaro den Gesetzentwurf 191/2020 in den Kongress, der diese Tätigkeit legalisieren soll.

Kabaiwun ist in Alto Tapajós geboren und aufgewachsen, wo sie das Fieber nach Gold bei einigen Männern aufflammen sah. „Junge Leute wollen heute nur noch Gold. Es ist sehr traurig, und es wird jeden Tag mehr.“ Sie sagt, dass die Gier immer mehr Menschen in den Gemeinden ergreift und sie bedauert, dass die Kultur ihres Volkes verloren geht. Deshalb widmet sie sich der Aufklärung über die Auswirkungen von Garimpo. Nun aber musste Kabaiwun Munduruku ebenso wie Alessandra Munduruku sich erstmal in Sicherheit bringen. Zu gefährlich wäre es für die zwei Frauen im Moment, vor Ort den Kampf fortzuführen, ohne hinreichend Schutz, für den der Staat eigentlich zuständig wäre.

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Staudamm Belo Monte vor ökonomischem Fiasko https://www.gegenstroemung.org/web/blog/staudamm-belo-monte-vor-oekonomischem-fiasko/ Mon, 01 Feb 2021 10:32:51 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2172 Staudammbetreiberin von Belo Monte warnt vor massiven ökonomischen Verlusten, wenn die von der Umweltbehörde Ibama unlängst beschlossene Reduzierung der Wasserableitung weg vom Staudammbereich hin zur Großen Flusschleife der Volta Grande zum Schutze der Interessen der kleinen lokalen Anwohner:innen umgesetzt werde. Firma will Ibama-Entscheidung rückgängig machen. Kritiker:innen hatten bereits vor Baubeginn vor Jahren auf den Konflikt „Profitabilität des Staudamms versus Interessen der lokalen Anwohner:innen“ gewarnt.

Staudamm Belo Monte. Foto: Christian Russau

Es war seit gut einem Jahrzehnt von vielen Kritiker:innen des Monster-Staudamms Belo Monte immer wieder darauf hingewiesen worden: Der Staudamm Belo Monte im amazonischen Bundesstaat Pará werde der Großen Flussschleife der Volta Grande zum profitablen Betrieb des 11-GW-Stauwerks so viel Wasser entziehen, dass Natur und Mensch vor Ort massiv in Mitleidenschaft gezogen werden, denn eine bis zu 80-prozentige Reduzierung der Wassermenge des fast 100 Kilometer langen Flusslaufs bedeutet dort vor Ort mehr stehendes Wasser, mit allen Konsequenzen wie Sauerstoffmangel, Fischsterben, vermehrte Mosquitobildung und massiv erschwerte Transportmöglichkeiten für die vor Ort lebenden Anwohner:innen (ganz zu schweigen vom direkten Zerhacken der Fische durch die Rotoren der Turbinen). Die Kritiker:innen hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass es trotz Regenzeit eben auch immer Trockenzeiten gebe und dass deshalb der Konflikt zwischen Profitabilität des Stauwerks und Interessen der lokalen Anwohner:innen der Volta Grande unausweichlich sei. Nun droht der angekündigte Konflikt sich zuzuspitzen.

Nachdem im November vergangenen Jahres sich Anwohner:innen zum Protest zusammengeschlossen und die Transamazônica blockiert hatten und eine erhöhte Mindestmenge an freiem Wasserdurchlauf für die Volta Grande forderten, hatte die Umweltbehörde Ibama entschieden, dass bei der Kanalabzweigung vor dem erste Stauwerk Pimental maximal nur noch vorläufig 10.900 Kubikmeter je Sekunde in Richtung Stauwerk Belo Monte abgezweigt werden dürften, um dergestalt einen Minimaldurchfluss von 16.000 m3/s in der Volta Grande do Xingu zu garantieren, damit die Reproduktion von Fauna und Flora während der Piracema-Periode in der Volta Grande gewährleistet werden könne.

Nun aber hat die Belo-Monte-Betreiberfirma Norte Energia dieser Entscheidung in einer formalen Mitteilung an die Umweltbehörde widersprochen. Eine Reduzierung der Wassermenge auf 10.900 Kubikmeter je Sekunde für den Betrieb des Stauwerks Belo Monte sei zu wenig, um eine profitable Stromproduktion zu gewährleisten, so berichtet es die Zeitschrift IstoÉ Dinheiro. Dieser formale Einwand wurde dem Bericht zufolge auch an die Bundesministerien in Brasília entsandt. Der Bericht zitiert Quellen, denen zufolge nicht nur die Profitabiliät des größeren Stauwerks Belo Monte, sondern auch die des vorgeschalteten kleineren Stauwerks von Pimental gefährdet sei. Eines der weiteren Argumente der Staudammbetreiberin dreht nun das Argument des Schutzes der Fische dabei aber um: Eine Reduzierung der Wassermenge für das dem Staudammreservoir zuzuführende Wasser berge die Gefahr, dass es im Reservoirbereich durch sinkende Wasserstände zu abgeschlossenen Teichbereichen käme, in denen die dann eingeschlossenen Fische verenden würden oder diesen Fischen der zur Laichung so wichtige Fischzug verunmöglicht werde, so IstoÉ Dinheiro in dem Bericht. Eine abrupte Erhöhung des Wasserdurchflusses bei Pimental berge zudem die Gefahr einer plötzlichen Flutbildung in der Volta Grande, was zu Überschwemmungen und Zerstörungen an Hab und Gut der dort lebenden Menschen sowie eine Gefährdung von Flora und Fauna bedeute. Der Konflikt wird sich zuspitzen. Als wäre vor all dem nicht vorher schon deutlich gewarnt worden…

// christian russau

Reservoir von Belo Monte. Foto: christian russau
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Wachstum bei Kleinwasserkraftwerken prognostiziert, aber potentiell ökologische Schäden dennoch existent https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wachstum-bei-kleinwasserkraftwerken-prognostiziert-aber-potentiell-oekologische-schaeden-dennoch-existent/ Sat, 16 Jan 2021 10:38:26 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2169 Dem Weltmarkt für sogenannte Kleinwasserkraftanlagen wird ein Wachstum vorausgesagt. 2019 lag der Weltmarkt für Kleinwasserkraftwerke von 1- 10 MW bei 2,6 Milliarden US-Dollar, bis 2024 solle dieses Segment auf 3 Milliarden US-Dollar steigen. Dies berichtet das Portal MarketsandMarkets. Der Bericht sieht als Ursachen dafür steigendes Interesse an Elektifizierung ländlicher Regionen sowie die Rolle der Politik, die vermehrt finanzielle Anreize für solche Kleinwasserkraftanlagen in ländlichen Regionen schaffe. Vor allem China sei derzeit schon führend in diesem Marktsegment für ländliche Elektrifizierung. Auch das zunehmende Interesse von Investoren und Finanzanlegern an „grüner“ Energie werde als einer der Treiber angesehen, so das Portal MarketsandMarkets, und verweist dabei auf die USA und Norwegen. Aber die für den Markt von 1-10 MW-Kleinanlagen führende Region sei die Asien-Pazifikregion, so das Portal in dem Bericht, vor allem China, Vietnam und Indien seien hier zu nennen. Der Bericht zitiert als führende Turbinenhersteller in diesem Segment unter anderem die Firmen Voith-Hydro, Andritz, GE Renewable Energy und Toshiba.
Der Bericht bei MarketsandMarkets gibt natürlich nur die ökonomischen Marktentwicklungen wider, was kritischen Beobachter:innen aber fehlt, ist die Gretchenfragen: „Wie hätst du es mit der Umwelt?
„Small is beautiful“ – oder doch nicht? Kleinst- und Kleinwasserkraftwerke gelten gemeinhin als sozial- und umweltbezogen bessere, da sanftere Alternativen. Als Argumente werden dafür oft ins Feld geführt, es seien für Kleinst- und Kleinwasserkraftwerke keine großen Stauseen vonnöten, durch die Menschen zu Tausenden von ihrem Land vertrieben würden, auch die Biodiversität würde in weitaus geringerem Maße Schaden nehmen, da die Kleinst- und Kleinwasserkraftwerke keine großflächigen Bauarbeiten und Überflutungen erforderten. Stimmt das? Eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 über den Fall von Kleinwasserkraftwerken an den Zuflüssen des brasilianischen Pantanal sollte nachdenklich stimmen.
Eines der größten Binnenland-Feuchtgebiete der Erde, das brasilianische Pantanal, ist durch den Bau von Kleinwasserkraftwerken an den Zuläufen bedroht. Dies geht aus der damaligen Studie von Wissenschaftler:innen des Instituto Nacional de Ciência e Tecnologia em Áreas Úmidas (INCT-INAU) im Bundesstaat Mato Grosso hervor, wie GegenStrömung bereits im Februar 2017 berichtete. Die Studie hatte zum Ziel herauszufinden, welche Folgen eine deutliche Erhöhung der Zahl der Kleinwasserkraftwerke hätte an den Zuflüssen zu dem artenreichen, unter Naturschutz stehenden und seit 2000 zum Welterbe durch die UNESCO anerkannten Feuchtbiotop Pantanal von damals 41 durch 96 weitere Kleinwasserkraftwerke. Die Folgen, so die Wissenschaftler:innen auf Basis ihrer dreijährigen Untersuchung damals, seien vor allem die Unterbrechung der nährstoffreichen Sedimentfracht unterhalb der Stauwerke, die Änderung des Flusslaufs und die Zunahme der Wassertrübung sowie die Beeinträchtigung der Fischmigration auf dem Weg zu den Laichgründen. „Wenn all diese 96 Vorhaben zusätzlich zu den bereits bestehenden 41 Kleinwasserkraftwerken in die Tat umgesetzt werden, gehen unsere Schätzungen davon aus, dass 30 Prozent der Fischmigrationsrouten verloren gehen“, so Professor Ibraim Fantin von der Bundesuniversität Universidade Federal de Mato Grosso (UFMT), der für die Studie „Auswirkungen von Wasserkraftwerken auf die Flüsse des Pantanal“ (“Impactos das Hidrelétricas nos rios do Pantanal”) damals zuständig war.
Fantin warnte zudem vor der Verkennung der auch von Kleinwasserkraftwerken ausgehenden Gefahr für das Gleichgewicht der Natur und die Biodiversität. Denn die bis zu 30 Megawatt großen Kleinwasserkraftwerke werden oft in Reihe in den Flüssen gebaut, ohne dass deren kumulativen Effekte in Betracht gezogen würden. Die brasilianische Gesetzgebung biete eben diesen Kleinwasserkraftwerke, wenn ihre Stauseen kleiner als 13 Quadratkilometer seien, die Möglichkeit der Befreiung von den eigentlich vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfungen an, die in Brasilien EIA-Rima heißen. Im Bundesstaat Mato Grosso, wo Zuflüsse des Pantanalgebiets fließen, obliege die Entscheidung, ob bei einem Kleinwasserkraftwerk eine Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt durchgeführt werden müsse, bei den Umweltbehörden des Bundesstaats. Diese analysierten in der Regel aber nur die jeweils lokal begrenzten Auswirkungen des jeweiligen Kleinwasserkraftwerkes. Zusammentreffende und gegebenenfalls kumulierend wirkende Effekte würden nicht in Betracht gezogen, ebensowenig wie Folgen wie flussabwärts oder -aufwärts Beachtung finden würden in den Entscheidungen zum Bau von Kleinwasserkraftwerken, so die Forscher. „Dies sind die Faktoren, die uns in Bezug auf die Zukunft des Pantanal extrem besorgt sein lassen, zumal wir noch immer nicht genau wissen, was passieren wird, wenn all diese 96 Vorhaben umgesetzt werden“, so Ibraim Fantin damals.
Auch ein Beispiel im Süden Indiens machte diese Problematik des vermeintlich „small is beautiful“ deutlich (GegenStrömung berichtete): In Südindien, im Staat Karnataka, fließt der Fluss Gundia, ein Zufluss des Netravathi-Flusses. Wegen seiner geologischen Lage scheint es Staudammbefürworter:innn ausgemacht, dass dies der ideale Ort für Wasserkraftwerke sei. Vor allem für sogenannte kleine Wasserkraftwerke. Dezentral und klein, dies sei doch umweltverträglich, so die Maxime, da es dort zu deutlich weniger sozialen und Umweltfolgenproblemen als bei Großstaudämmen käme. Aber stimmt das? Eine Feldstudie, die die Region zwischen den Jahren 1999 und 2013 untersuchte und sich dabei die Folgen von vier sogenannten Kleinwasserkraftprojekte vor Ort anschaute und deren Folgen analysierte, kam zu anderen Schlüssen. Was das mit wütenden Elephanten, sterbenden Fischen und ausgedorrten Äckern dank „Small is beautiful“ zu tun hat, wird hier erläutert.
In qualitativen Interviews mit den Bewohner:innen haben die Forscher:innen zunächst festgestellt, dass es zwischen 1999 und 2004 – vor dem Bau der kleinen Wasserkraftwerke – insgesamt 248 Zwischenfälle zwischen Elefanten und Anwohner:innen gab. Die Elephanten zerstörten die Felder, drangen in Siedlungen ein und brachten Menschen in Gefahr. Nach dem Bau der vier kleinen Wasserkraftwerke in den Jahren 2005 bis 2013 stieg diese Zahl der Konflikte auf 2.030 an, eine Verachtfachung.
Die Ursache: durch die Fragmentierung des Wanderungsbiet der Elephanten mittels den Kleinwasserkraftwerken dienenden Leitungen, Kanälen, Straßen und infolge dessen auch Waldrodungen sowie durch Reduzierung der Wassermengen in den ursprünglichen Flussläufen und damit einhergehender vertrocknender Vegetation wie dem für die Nahrung der Elephanten unerlässlichem Bambus entlang der Flussläufe waren die Elephanten mehr und mehr in ihrem Lebensumfeld und in ihrer Ernährung eingeschränkt, so dass sie vermehrt auf die Felder und in die Dörfer der Menschen auf Suche nach Nahrung eindrangen. Hinzu kam es durch die sinkenden Wasserpegel der ursprünglichen Flussläufe zu zurückgehenden Fischpopulationen: Die Fische schwammen wie gewohnt saisonal zum Laichen flussaufwärts, strandeten aber wegen des geringeren Wasserstands auf Sandbänken, wo sie verendeten, was den lokalen Kleinfischer:innen das Überleben schwerer machte, gar in etlichen Fälle ihre Ernährungssouveränität in Gefahr brachte. Und die verringerte Wassermenge reichte nach der Abzweigung für die Kleinwasserkraftwerke nicht mehr für die Bewässerung durch das traditionelle Kanal- und Leitungssystem für die lokale kleinbäuerliche Bewässerungslandwirtschaft. Dabei erwies sich zudem, dass jedes Kleinwasserkraftwerk lokale Folgen zeitigte, aber vor allem die Fülle der oft in Reihe geschalteten Kleinwasserkraftwerke dann über die lokale Ebene hinaus regional für die Menschen und die Umwelt gravierendere Folgen hatte, als zuvor angenommen. Möglich macht dies vor allem die Tatsache, dass Kleinwasserkraftwerke (nicht nur in Indien, in Brasilien besipielsweise auch) als harmlos gelten, mit geringen Impakten für Mensch und Umwelt, da sie eben „klein“ seien, und dass dies eben die Begründung dafür ist, dass diese Kleinwasserkraftwerke keine Umweltverträglichkeitsprüfung und von daher keiner Umweltprüfung durch Behörden benötigen. Sie können einfach gebaut werden. „Small is beautiful“, macht es alles einfach – und bedenkt dabei wieder einmal nicht die potentiellen Folgen.
Besagte Studie in Südindien wurde von der Umweltwissenschaftlerin Suman Jumani 2018 fortgesetzt und die Ergebnisse waren mehr als ernüchternd (GegenStrömung berichtete). Vor allem vor dem Hintergrund, dass „in Indien bereits mehr als 1.000 Kleinwasserkraftwerke errichtet wurden und weitere 6.474 potentielle Baustellen für weitere Kleinwasserkraftwerke identifiziert wurden“, erklärte Jumani den dem Portal Firstpost.
Kleinwasserkraftprojekte würden meist als umweltfreundliche Alternativen zu größeren Staudämmen gefördert und als „harmlos“ wegen ihrer geringen Größe propagiert. Die Auswirkungen von Kleinwasserkraftprojekten wären jedoch bislang nur unzureichend untersucht, insbesondere in tropischen Entwicklungsländern, wo ihr Wachstum überproportional gefördert werd, so Jumani. Die Wissenschaftlerin untersuchte die Auswirkungen von zwei Kleinwasserkraftwerken auf Süßwasserfischgemeinschaften im Biodiversitäts-Hotspot von Western Ghats in Indien. Zwei gestaute und ein ungedämmter Nebenfluss des Netravathi-Flusses mit ähnlicher Stromordnung, Höhenlage und umgebenden Landnutzungstypen wurden als Test- bzw. Kontrollorte identifiziert. Die Wissenschaftlerin stellte fest, dass die Kleinwasserkraftprojekte Strömungsänderungen hervorriefen, die die Breite und Tiefe des Stroms nachhaltig beeinflussten. Als weitere Folge nahm die Menge an Sedimenten ab, die Wassertemperatur nahm zu und der im Wasser vorhandene Sauerstoff ging deutlich zurück. Dadurch variierte die Zusammensetzung der Fischarten. An den Staubecken der Kleinwasserkraftanlagen fand sich geringerer Fischartenreichtum, die Biodiversität ging messbar zurück. Analysen der im Fluss vorhandenen Biodiversität zeigte, dass der Fischartenreichtum in gestauten Strömen mit der Entfernung vom Staudamm in der stromaufwärts gelegenen Richtung zunahm. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Kleinwasserkraftwerke besonders in der Trockenzeit gravierende Auswirkungen auf die Stromgeometrie, Wasserchemie und aquatische Lebensgemeinschaften haben.
Die Wissenschaftlerin Jumani riet schon damals angesichts des geplanten dramatischen Ausbaus von Kleinwasserkraftwerken vor allem in Indien daher dringend zu grundlegenden Verfahrensänderungen bei den Genehmigungsverfahren für Kleinwasserkraftwerke, um die Vielfalt der Flussfische zu erhalten. Dazu gehören obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie weitere umfangreiche Umweltsicherungsmaßnahmen, die zur Vermeidung der massiven Negativfolgen der vermeintlich harmloseren Kleinwasserkraftwerke beitragen könnten.
Grundsätzlich gilt aber: Es gibt keine international gültige Definition eines „Kleinwasserkraftwerks“. Was als Kleinwasserkraftwerk zählt, variiert von Fall zu Fall. Laut der International Commission on Large Dams sind alle Staumauern ab 15 Metern Höhe vom Fundament bis zur Krone oder von 5 bis 15 Metern mit einem Reservoir von mehr als drei Millionen Kubikmetern Großstaudämme. In vielen Ländern wird dagegen eine Megawattzahl zur Klassifizierung herangezogen: In der Regel werden demnach Kraftwerke bis zehn MW Nominalkapazität als Kleinwasserkraftwerke angesehen, von zehn bis 30 MW gelten sie als mittelgroße Kraftwerke. Länder mit besonders hohem Wasserkraftpotenzial wie Brasilien, China und Indien betrachten hingegen alle Kraftwerke bis 30 MW als „klein“, wie dem „Handbuch Kleinwasserkraftwerke des Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK / Bundesamt für Energie BFE: Handbuch Kleinwasserkraftwerke. Informationen für Planung, Bau und Betrieb, Ausgabe 2011“ entnommen werden kann. Auch bei Small Hydro ist also Vorsicht geboten: sie ist weder per se umweltfreundlich noch menschenrechtskonform, es bedarf immer einer sehr genauen Prüfung.
// christian russau

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