Brasilien – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Sat, 03 Oct 2020 08:28:13 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Zahl der wegen Bruchgefahr geschlossenen Bergbaudämme in Brasilien steigt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/zahl-der-wegen-bruchgefahr-geschlossenen-bergbaudaemme-in-brasilien-steigt/ Sat, 03 Oct 2020 08:25:44 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2115 In ganz Brasilien sind 45 Bergbaudämme wegen Instabilität bruchgefährdet, davon sind allein 42 im Bundesstaat Minas Gerais. Die anderen befinden sich in den Bundesstaaten Amapá, Pará und Rio Grande do Sul. Von diesen 45 Staudämmen waren 36 seit der behördlichen Entscheidungen bereits im März stillgelegt worden, nun kamen neun weitere der sogenannten Tailingdämme hinzu, so die Nationale Agentur für Bergbau in einer Mitteilung auf ihrer Internetpräsenz am 1. Oktober dieses Jahres.

Jedesmal bis zu den Stichtagen Ende März und Ende September müssen die Betreiber der Bergbautailings den Behörden die Sicherheitsatteste für ihre Dammstrukturen der Nationalen Bergbauagentur vorlegen. Diese Mitteilung ist obligatorisch für den Betrieb aller Strukturen, die Teil der Nationalen Staudamm-Sicherheitspolitik (PNSB) sind. Von den 436 Staudämmen, die derzeit im PNSB des Landes erfasst sind, verfügen laut Angaben der Behörde 391 über Sicherheitsaudits, die die Stabilität hinreichend bescheinigen, 38 haben Erklärungen abgegeben, in denen die Stabilität der Strukturen nicht hinreichend bescheinigt wird, und sieben haben die erforderlichen Dokumente zum Stichtag (30. Sept.) nicht eingereicht. Bei letzteren geht die Behörde automatisch davon aus, dass die Stabilität bei diesen Tailings nicht gewährleistet ist und lässt sie deswegen behördlich schließen, so die Behörde.

Von den 45 Bergbaudämmen, die bei der September-Überprüfung keine Stabilität bescheinigt bekommen haben, waren darunter sechs, denen das noch im März laut Audit bescheinigt worden war. Die Behörde tätigte keine konkrete Mitteilung darüber, was genau zu der neuen Instabilitätseinschätzung führte.

Die nach der stromaufwärts gerichteten Methode gebauten Dämme – sogenannte Upstream-Dämme – entsprechen der größten Gruppe der nun als instabil geltenden Dämme (16). Die anderen sind Staudämme, die einstufig (15) errichtet wurden, stromabwärts ausgerichtet („downstream“) waren 10 und nach der Mittellinie ausgerichtet (center“) waren 4 gebaut worden.

Erst im August veröffentlichte Brasiliens Nationale Agentur für Wasser und sanitäre Grundversorgung (ANA) den Bericht über die Staudammsicherheit 2019. Laut dieser Erhebung kam es im vergangenen Jahr 2019 zu 12 Unfällen und 58 Vorfällen mit Staudämmen in insgesamt 15 brasilianischen Bundesstaaten. Zum Vergleich: Für das gesamte Jahr 2018 wurden zwei Zwischenfälle und drei Unfälle gezählt. In der im August herausgegebenen Jahresbilanz berücksichtigte die staatliche Agentur nicht nur die Bergbaudämme, wie die, die in Brumadinho und Mariana brachen, sondern auch die Wasserkraftstaudämme.

Laut dem neuen 2019er Bericht der ANA kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg der Zahl der Staudämme, die laut Inspektionsbehörden in kritischem Zustand sich befinden und von daher besonders überwachungswürdig sind. Zählte der Jahresbericht 2018 noch 68 kritische Dämme, so zählt der nun vorgestellte 2019er Bericht insgesamt 156 kritische Staudämme und Bergwerksdämme in 22 Bundesstaaten auf, d.h. es gab einen Anstieg von 129%.

// christian russau

]]>
Behördenbericht: Zahl der als kritisch einzustufenden Dämme und Staudämme in Brasilien um 129 Prozent gestiegen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/behoerdenbericht-zahl-der-als-kritisch-einzustufenden-daemme-und-staudaemme-in-brasilien-um-129-prozent-gestiegen/ Thu, 03 Sep 2020 09:56:10 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2096 Brasiliens Nationale Agentur für Wasser und sanitäre Grundversorgung (ANA) stellte den Bericht über die Staudammsicherheit 2019 vor.

Am Montag, den 31. August, veröffentlichte Brasiliens Nationale Agentur für Wasser und sanitäre Grundversorgung (ANA) den Bericht über die Staudammsicherheit 2019. Laut der neuen Erhebung kam es im vergangenen Jahr 2019 zu 12 Unfällen und 58 Vorfällen mit Staudämmen in insgesamt 15 brasilianischen Bundesstaaten. Zum Vergleich: Für das gesamte Jahr 2018 wurden zwei Zwischenfälle und drei Unfälle gezählt. In der nun herausgegebenen Jahresbilanz berücksichtigt die staatliche Agentur nicht nur die Bergbaudämme, wie die, die in Brumadinho und Mariana brachen, sondern auch die Wasserkraftstaudämme.

Laut dem neuen 2019er Bericht kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg der Zahl der Staudämme, die laut Inspektionsbehörden in kritischem Zustand sich befinden und von daher besonders überwachungswürdig sind. Zählte der Jahresbericht 2018 noch 68 kritische Dämme, so zählt der nun vorgestellte 2019er Bericht insgesamt 156 kritische Staudämme und Bergwerksdämme in 22 Bundesstaaten auf, d.h. es gab einen Anstieg von 129%.

„Im Gegensatz zum Vorjahr gehören die meisten Staudämme in dieser Kategorie privaten Unternehmern (63%), aber es gibt auch öffentliche Staudämme im föderalen (10%), staatlichen (21%) und kommunalen (6%) Bereich“, erläutert das ANA-Dokument. Von den 68 Staudämmen, die 2018 auf der Liste standen, wurden 44 gestrichen, weil sie laut der staatlichen Agentur nicht mehr so viele Risiken bergen, und 24 verbleiben in der Übersicht. Da es nun aber 2019 insgesaamt 156 kritische Dämme gibt, folgt daraus, dass in diesem Jahr 132 Staudämme und Bergwerksdämme neu als hochgefährlich eingestuft wurden.

Von den 156 in diesem Zustand katalogisierten als kritisch eingestuften Dammstrukturen befinden sich 81 im Bundesstaat Minas Gerais. 52% aller als Risiko behaftet kategorisierten Dämme des Landes befinden sich in diesem Bundesstaat.

Laut dem Bericht der staatlichen Agentur habe zwischen 2018 und 2019 die Anzahl der staatlich vorgeschriebenen Inspektionsmaßnahmen zur Sicherheit von Staudämmen um 135% zugenommen hat. Der Erhebung zufolge stieg die Zahl der Vor-Ort-Inspektionen von 920 auf 2.168, von denen 1.287 von landesstaatlichen Stellen und 881 von drei Bundesbehörden ANA, ANM und der Nationale Agentur für elektrische Energie (ANEEL) übernommen wurden. Laut RSB 2019 gibt es derzeit 33 Inspektionsbehörden für die Sicherheit von Staudämmen in Brasilien, die die von ANA in der Publikation zusammengestellten Informationen übermittelt haben. Der Bericht umfasst 19.388 Staudämme, die beim Nationalen Informationssystem für Staudammsicherheit (SNISB) registriert sind. Im Jahresbericht 2018 wurden 17.604 Strukturen registriert. Von diesen 19.388 ist laut dem ANA-Bericht über die Staudammsicherheit bei 41 Prozent der Dämme der Eigentümer nicht bekannt, bei 61 Prozent fehlten die entsprechenden Daten, um festzustellen, ob der Damm den staatlichen Dammsicherheitskriterien überhaupt unterliegt oder nicht, Punkte, den der Bericht selbst als noch verbesserungsbedürftig bezeichnet.

In der Statistik der Bruchgefahren unterscheiden sich Wasserkraftstaudämme deutlich von den der Bergwerksdämme. Tailings brechen statistisch zehn Mal häufiger. Brasilien hatte in den vergangenen Jahren zwei der größten dieser Brüche erleben müssen. Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar 2019 in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao gebrochen. 272 Menschen starben, aber so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, erreichte der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter:innen zu Mittag aßen. Busse, in denen Arbeiter:innen saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot.

Das Alles erinnert an den Dammbruch von Mariana des Rückhaltebeckens Fundão, als dort 2015 bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton) der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörten mehrere Dörfer, Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischer:innen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar:
(1) Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter,
(2) Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometer Flusslauf,
(3) Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Im Jahr 2019 exportierte Brasilien mineralische Rohstoffe im Wert von etwa 25,8 Milliarden US-Dollar, allein etwa 22,7 Milliarden US-Dollar davon entfielen auf Eisenerz. Eisenerz dominierte demnach mit 87,79% den Export mineralischer Rohstoffe. Der Anteil des Eisenerzes lag bei 10,06% der Gesamtexporte (etwa 225 Milliarden US-Dollar) und lag somit – nach dem Sojakomplex an zweiter Stelle der brasilianischen Exporte. Das aus Brasilien nach Deutschland exportierte Eisenerz stellt derzeit satte 43 Prozent der deutschen Gesamteinfuhren von Eisenerz dar.

Es gibt in Brasilien zwei große Eisenerzlagerstätten. Das Quadrilátero Ferríferro („Eisernes Viereck“) liegt im Bundesstaat Minas Gerais zwischen den Städten Belo Horizonte, Congonhas, Ouro Preto und Santa Barbara. In dem rund 7.000 Quadratkilometer großen Gebiet lagern in der Erde Erzvorräte von rund zehn Milliarden Tonnen. Die zweite große Eisenerzregion Brasiliens befindet sich im Südosten des amazonischen Bundesstaats Pará. Dort in der Carajás-Mine sollen sich sogar rund 18 Milliarden Tonnen Eisenerz im Boden befinden. Von den Minen in Carajás oder in Minas Gerais wird das Erz per Bahn zu den Häfen transportiert. In Minas Gerais gibt es zudem die weltweit längste Erzpipeline, durch die das Erz unter enormen Wasserzusatz und Druck nach Ponta Ubu im Bundesstaat Espírito Santo gepumpt wird, wo es zu Pellets verarbeitet und mit Schüttguttankern in alle Welt geliefert wird.

Wegen der ausländischen Deviseneinnahmen wurde der Eisenerzbergbau und -export durch alle vergangenen brasilianischen Regierungen von Lula, Rousseff und Temer durch Steuererleichterungen und generell durch eine Politik der vereinfachten Explorationsgenehmigungen und laxerer staatlicher Kontrollen gefördert.

Der Unterschied zwischen der Extraktivismus-Politik der rechten Regierungen und dem Neo-Extraktivismus der linken Regierungen lag weniger in der unternehmensfreundlichen Deregulierung des Bergbausektors als eher in der Frage, wie die an den Staat geflossenen Royalties gesellschaftlich verteilt werden.

Denn der sogenannte Neo-Extraktivismus bedeutet oft nicht viel anderes als im Namen eines vermeintlich höheren Ziels – sozialer Inklusion – Exklusion und erhebliche Diskriminierungen an anderer Stelle in Kauf zu nehmen – und die Praxis der zerstörten Territorien vor Ort bleibt die gleiche. Der brasilianische Sozialwissenschaftler Henri Acselrad hat in diesem Zusammenhang den in Brasilien vielbenutzten Begriff „área de sacrifício“ geprägt, ein „Opfergebiet“, dessen Bewohner:innen nach Eindringen von Rohstoffan- und abbau meist in einer „área de poluição“ („Verschmutzungsgebiet“) leben. Die Folge in den „Opfergebieten“: Die oft stark gesundheitsgefährdenden Verschmutzungen durch Bergbau betreffen meist Wasserverschmutzungen, Freisetzung von Schwermetallen, Staub- und Schwebstoffbelastungen aller Art, Kontamination von Böden oder Rückgang von lokaler Biodiversität. Leidtragende sind Menschen und Tiere, die im betroffenen Einzugsgebiet leben. Oft werden lokale comunidades, deren Territorien in den Blick der extraktiven Industrien und damit zusammenhängender, staatlich geduldeter wie beförderter Landnahme geraten sind, bedroht und eingeschüchtert. Der Protest und Widerstand der von extraktiven Projekten betroffenen Bevölkerung wird oft kriminalisiert und die dort lebenden Menschen vertrieben, soziale und Umweltaktivist:innen ermordet.

Zudem setzten alle brasilianischen Regierungen weiter auf den Ausbau von Infrastruktur und Logistik, um einen reibungslosen und schnellen Abtransport der Bodenschätze via Straße, Schiene oder Fluss zu gewährleisten. Doch mit Jair Bolsonaro im Regierungssitz Planalto in Brasília haben sich die Bedrohungen der Territorien durch Bergbau-Extraktivismus massiv verschärft: Denn er hat ein Gesetz zur Freigabe von Bergbau auch in (bisher davon geschützten) Indigenen Territorien unterzeichnet, was eine neue Dimension des Angriffs auf Territorien durch Bergbau darstellt. Wer dabei auf der Strecke bleibt, sind die lokal betroffenen Anwohner:innen solcher Bergbaugroßprojekte, im Fall der Indigenen Territorien die Indigenen.

// christian russau

]]>
Brasilien schließt 47 bruchgefährdete Rückhaltebecken https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brasilien-schliesst-47-bruchgefaehrdete-rueckhaltebecken/ Fri, 17 Apr 2020 10:18:20 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2039 [Beitragsphoto: Fluss Rio Doce nach Dammbruch von Mariana. Photo: christian russau]

Brasilien hat per Verfügung 47 Rückhaltebecken von Bergbaubetrieben mit sofortiger Wirkung geschlossen. Diese sogenannten Tailings hatten den Stichtag 31. März dieses Jahres zur Einreichung die Sicherheit und Stabilität der Dämme garantierender Audits nicht eingehalten.

31 der Dämme konnten die hinreichenden Belege zur Dammsicherheit nicht vollständig beibringen, bei 16 Dämmen waren gar keine Unterlagen eingereicht worden. Laut der Gewerkschaft IndustriAll befinden sich unter den nun geschlossenen 47 Dämmen über die Hälfte im Besitz des brasilianischen Bergbaugiganten Vale.

Bei keinem der 47 Dämme darf von nun an mehr Material abgelagert werden, die Betreiber und Inhaber der 16 Dämme, die keine Unterlagen eingereicht hatten, müssen nun zudem mit einer behördlichen Strafzahlung rechnen. 37 der bruchgefährdeten Dämme befinden sich im Bundesstaat Minas Gerais.

Minas Gerais war 2015 und 2019 Schauplatz der zwei größten Bergwerksbrüche aller Zeiten: Mariana und Brumadinho.

Am 5. November 2015 brach bei der Kleinstadt Mariana das Rückhaltebecken Fundao, in der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton). Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht – Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von KleinfischerInnen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Am 25. Januar 2019 brach in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao. 370 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlammtsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot.

// christian russau

]]>
Im Fadenkreuz von Bolsonaro https://www.gegenstroemung.org/web/blog/im-fadenkreuz-von-bolsonaro/ Fri, 28 Feb 2020 15:29:29 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2023 Bolsonaro-Regierung droht mit dem Ausstieg aus der ILO-Konvention 169, um industrielle Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkraftnutzung in indigenen Territorien Brasiliens durchzusetzen.

Von Camila de Abreu und Christian Russau

Die deutsche Bundesregierung hat in ihrem aktuellen Koalitionsvertrag festgehalten, dass es in dieser Legislaturperiode zu einer Unterzeichnung und Ratifizierung seitens Deutschlands der ILO-Konvention 169 zum Schutze der Rechte Indigener geben würde. Dies wäre ein starkes Zeichen, an andere Länder, wie beispielsweise Brasilien, das einer von Deutschlands sogenannten strategischen Partnern ist, deren aktueller Präsident, der rechtsextreme Hauptmann a.D., Jair Bolsonaro, unverhohlen damit droht, dass Brasilien aus der Konvention 169 austrete.

Weitere Infos zur Dringlichkeit, dass Deutschland die ILO-Konvention 169 unterzeichnen und ratifizieren muss, finden sich auf der Webseite: https://www.ilo169.de/

Nicht einen Zentimeter wird mehr als indigenes Reservat demarkiert werden“

„Nicht einen Zentimeter wird mehr als indigenes Reservat demarkiert werden“, sollte er zum Präsidenten Brasiliens gewählt werden, tönte der damalige Abgeordnete und rechtsextreme Hauptmann a.D., Jair Bolsonaro, im April 2017. „2019 werden wir das indigene Reservat Raposa Serra do Sol zerlegen. Wir werden allen Ranchern Waffen geben“, kündigte er bereits 2016 an. Drei Jahre später wurde er Präsident von Südamerikas größtem Staat. Entsprechend fallen nun seine Angriffe auf indigene Rechte aus. Die Indigenenbehörde FUNAI wird gezielt finanziell ausgedünnt und institutionell geschwächt, die Entscheidung über Demarkationen indigenen Landes entzog er als eine seiner ersten Amtshandlungen bereits im Januar 2019 per Präsidialdekret der FUNAI und übertrug es dem von eingefleischten ruralistas („Großfarmer*innen)“ dominierten Landwirtschaftsministerium, eine Entscheidung, der erst der brasilianische Nationalkongress eine Absage erteilte, indem er die Entscheidungskompetenz wieder der FUNAI zuteilte, woraufhin Bolsonaro sein Dekret im Juni noch einmal überarbeitete und so die Kongressentscheidung umgehen wollte, bevor letztlich im Juni 2019 der Oberste Gerichtshof STF endgültig entschied, dass die Frage der Demarkationen bei der FUNAI, angegliedert dem Justizministerium, zu verbleiben habe. Augenscheinlich eine Niederlage für Bolsonaro, die er aber in der Praxis durch Nichtstun wieder wettmachte – sehr zum Schaden indigener Rechte.1

Denn: Die von der Verfassung von 1988 vorgeschriebenen Ausweisungen der indigenen Gebiete als rechtlich geschützte Territorien („Terra Indígena“) sind unter der Bolsonaro-Regierung im Gesamtjahr 2019 entsprechend auf Null zurückgegangen.

Bolsonaro will indigene Territorien für industrielle Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkrafterzeugung freigeben

Doch nicht nur die gezielte Verschleppung der anstehenden Demarkationsprozesse indigener Territorien ist Bolsonaro ein Anliegen. Brasiliens seit Januar 2019 amtierender Präsident will obendrein die bereits rechtlich sanktionierten und somit eigentlich geschützten indigenen Territorien für wirtschaftliche Ausbeutung mittels Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkrafterzeugung freigeben. Dazu hat er im Februar 2020 einen (der Presse zunächst nicht freigegebenen) Gesetzesvorschlag dem Nationalkongress in Brasília zur Abstimmung überreicht.

Der Gesetzentwurf sieht laut Mitteilung des Präsidialamts vor, dass die indigenen Völker bei einer künftigen wirtschaftlichen Nutzung indigener Territorien durch Dritte eine finanzielle Entschädigung erhalten. Diese ist jedoch geringer angesetzt als vergleichbare Lizenzgebühren, wie zum Beispiel bei der Ölexploration: Bei der Nutzung von Wasserkraft sollen die Gemeinden 0,7 Prozent des Wertes der erzeugten Energie erhalten, im Falle von Erdöl, Erdgas und deren Derivaten würde dieser Wert bei zwischen 0,5 bis zu 1 Prozent des produzierten Wertes liegen. Im Fall von Bergbauaktivitäten soll die Ausgleichszahlung an die indigenen Gemeinden die Hälfte des üblicherweise entrichteten Wertes finanzieller Entschädigung für die Ausbeutung von Mineralressourcen betragen. Auch eine Kompensation, um die indigenen Völker für den Nutzungsausfall eines Teils ihres Landes zu entschädigen, ist vorgesehen, klare Berechnungsgrundlagen wurden aber bisher nicht bekannt gegeben.

Die Reaktion einer der Sprecher*innen des Zusammenschlusses der indigenen Völker Brasiliens APIB, Sonia Guajajara, war eindeutig: „Ihr Traum, werter Herr Präsident, ist unser Alptraum, unsere Vernichtung, weil der Bergbau Tod, Krankheiten und Elend hervorruft und unsere Zukunft zerstören wird. Wir wissen, dass Ihr Traum in Wirklichkeit unser institutionalisierter Genozid ist, aber wir werden weder Bergbau, noch Wasserkraftwerke in unseren Territorien erlauben.“

Konsultation oder Zustimmung bei FPIC? Auch in Brasilien das zentrale Streitthema

Obwohl Brasilien die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte der indigenen Völker unterzeichnet hat, gibt der von Bolsonaro eingereichte Gesetzesentwurf den indigenen Völkern keine grundlegende Autonomie, um selbst zu entscheiden, ob sie ihr Land ausbeuten lassen wollen oder nicht. Die Gemeinschaften sollen zwar angehört werden, aber bei Projekten der Wasserkraft- oder Erdölexploration geht es nur um Konsultationen – ohne ein Vetorecht. Letztlich könnte so die Exekutive des Landes über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheiden. Das Vetorecht der indigenen Völker gilt bei Bolsonaros aktuellem Gesetzesentwurf nur mit einer Ausnahme: bei Schürfrechten (der sogenannte „garimpo“). Denn der Gesetzesvorschlag sieht vor, dass die Indigenen selbst (zum Beispiel Gold) schürfen können oder auch Dritte damit beauftragen. Unklar ist, wie die Entscheidungen darüber ablaufen sollen, wenn es in den indigenen Völkern unterschiedliche Ansichten und Absichten darüber gibt. Der nun vorgeschlagene Gesetzestext sieht laut Medienberichten vor, dass die Entscheidungen über Aktivitäten in den Gemeinden von einem Beirat getroffen werden, die von den betroffenen indigenen Völkern gebildet werden und deren Vertreter*innen von den Gemeinschaften „gemäß ihrer normalen Art und Weise“, Anführer*innen und Delegierte zu wählen, ernannt werden. Angesichts unterschiedlicher Interessenslagen auch bei indigenen Völkern sind Streit und Zwist über Schürfrechte vorprogrammiert, ein Umstand, den ein Jair Bolsonaro sehr wohl zu nutzen weiß.

Erst Ende Januar dieses Jahres hatte Bolsonaro erneut dargelegt, was er über Indigene denkt. „Der Indio ist dabei sich zu ändern, sich zu entwickeln. Der Indio wird uns immer ähnlicher. Also werden wir alles tun, damit er in die Gesellschaft integriert und wirklich Besitzer seiner Ländereien wird. Das ist es, was wir wollen.“ Zuvor hatte Bolsonaro Indigene mit „Tieren in einem Zoo“ verglichen, was zurecht heftigste Proteste der indigenen Völker Brasiliens hervorrief: „Die Rede von Bolsonaro und seinem Team über indigene Völker ist rückwärtsgewandt und behandelt uns respektlos, unsere Geschichte, unsere Abstammung, und mißachtet unser politisches-bürgerliches Handeln in Bezug auf den brasilianischen Staat. Der Präsident verglich uns mit Tieren im Zoo, die in einem Käfig gefangen seien, wenn er es mit dem Leben in unseren traditionellen Territorien vergleicht. Er macht absurde Aussagen über unsere Lebensweise und über unsere Wünsche als brasilianische Bürgerinnen. Ja, wir sind Brasilianerinnen! Wir sind Indigene! Wir wissen, was wir wollen, und wir verlangen das Recht, vom Staat zur Ausarbeitung und Umsetzung öffentlicher Richtlinien konsultiert zu werden!“2

Die ILO-Konvention 169 wurde von Brasilien 2002 ratifiziert3 und durch ein Präsidialdekret4 in nationales Recht umgesetzt. Laut Lesart des Obersten Gerichtshofs Brasiliens STF stehen internationale, von Brasilien unterschriebene Rechtsverträge unterhalb der Rechtsgültigkeit der Verfassung Brasiliens, aber oberhalb jedweden Gesetzes. Dies würde im Falle der Gesetzesinitiative von Jair Bolsonaro zur wirtschaftlichen Inwertsetzung der indigenen Territorien bedeuten, dass das in Art. 6 und 7 der ILO-Konvention 169 festgelegte Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation dem Präsidenten Jair Bolsonaro einen Strich durch die Rechnung machen könnte. In Artikel 6, Satz 2 der ILO-Konvention 169 heißt es: „Die in Anwendung dieses Übereinkommens vorgenommenen Konsultationen sind in gutem Glauben und in einer den Umständen entsprechenden Form mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen.“ Wenn also ein künftig vom Brasilianischen Nationalkongress auf Betreiben Bolsonaros beschlossenes Gesetz zur Inwertsetzung indigener Territorien durch industrielle Landwirtschaft, Bergbau und Staudämme in Konflikt mit der ILO-Konvention 169 zu kommen droht, wäre es für die Bolsonaros und Konsorten wichtig, dass Brasilien vorher aus der Konvention austrete.

Dreh- und Angelpunkt im Streit zwischen den wirtschaftlichen Inwertsetzungsinteressen einer Bolsonaro-Regierung und den Schutzinteressen der indigenen Völker Brasiliens im Kampf um ihre Territorien ist die Frage der in Artikel 6 erwähnten zu erreichenden „Zustimmung“ der betroffenen Indigenen und wie die „Konsultation“ im Einzelnen auszusehen habe. Und genau in diesem Spannungsbogen zwischen „Konsultation“ und „Zustimmung“ bewegt sich seit Jahren auch die Auseinandersetzung um die Auslegung der ILO-Konvention 169 in Brasilien.

Projektbetreiber und die Regierungen unterschiedlicher politischer Couleur in Brasília meinen meist, dass es reicht, Konsultationen in Form von abzuhaltenden Anhörungen durchzuführen. So ist es bei allen bisherigen Großinfrastrukturprojekten wie Überlandstraßen, Wasserkraftwerken und Staudämmen sowie Bergbaugenehmigungen geschehen. Es wurden Anhörungen durchgeführt, die oftmals nicht den Charakter einer freien, vorherigen und informierten Befragung hatten, die nicht „in gutem Glauben“ abliefen und die schon gar nicht eine Abstimmung, womöglich gar mit einem Vetorecht der betroffenen Indigenen vorsahen.5

Indigene Völker wie auch die zuständigen UN-Gremien und die ILO jedoch stehen klar auf dem Standpunkt, dass die ILO-Konvention die freie, vorherige und informierte Zustimmung (Free, Prior and Informed Consent, FPIC) vorschreibt, im Einklang mit der UN-Erklärung der Rechte der Indigenen Völker (UNDRIP), die ebenfalls in mehreren Fällen FPIC verbindlich vorschreibt, insbesondere, wenn Territorien und Lebensgrundlagen indigener Völker betroffen sind oder ein Projekt ihre Umsiedlung vorsieht. Dabei setzt freie und informierte Zustimmung voraus, dass zuvor echte Konsultationen in gutem Glauben („good faith consultations“) stattgefunden haben. Nach Meinung von Indigenen, internationalen Rechtsexpert*innen und Menschenrechtsorganisationen sind Konsultation, Partizipation und Zustimmung alle drei gleichermaßen Grundbedingung des Rechtsschutzes für indigene Völker. Und wenn die „Zustimmung“ erforderlich ist, muss dies im Umkehrschluss heißen, dass ein Projekt nicht durchgeführt werden kann, wenn die betroffenen Gemeinschaften ihre Zustimmung nicht geben. Brasiliens Rechtssprechung hat dies aber bislang noch nicht entsprechend anerkannt.

FPIC in Brasiliens Rechtspraxis der vergangenen Jahre: Zwei eklatante Beispiele

Es war nicht alles gut, allein dadurch dass Brasilien die ILO-Konvention 169 unterzeichnet und ratifiziert hat. Denn bei der Rechtsauslegung des Wesensgehaltres von Gesetzen und Normen geht es immer auch um den Widerstreit verschiedener Interessen – und wie mächtig jemandes Interessen im Lande sind.

Eklatantestes Beispiel dafür waren die Anhörungen, die in der Xingu-Region anlässlich des Baus des Staudamms Belo Monte zur Zeit der Regierung Dilma Rousseffs von der brasilianischen Arbeiterpartei PT durchgeführt wurden. Die Informationen über die anberaumten Treffen in den Kreisorten erreichten nicht alle Betroffenen, die obendrein oft keine finanziellen Möglichkeiten zur Teilnahme hatten; Anwesenheit von Militärpolizisten sowie eine technische Sprache von Fachleuten, die auf die Bevölkerung einschüchternd wirkten sowie eine begrenzte Zahl von Treffen, die eher den Charakter einer Aussprache hatten; eine Abstimmung und somit die Möglichkeit eines Vetos war nicht vorgesehen. Hinzu kam das perfide Argument, dass indigene Völker vom Bau von Belo Monte ja nicht im Sinne der Brasilianischen Verfassung betroffen sein würden, da die Verfassung von 1988 Indigene nur dann als von Wasserkraftprojekten „Betroffene“ ansieht, wenn deren Ländereien geflutet werden. Im Fall Belo Monte gehe es aber „nur“ um eine Reduzierung der Wassermenge des Xingu-Flusses in der Volta Grande („Große Flussschleife“) um 80 Prozent.6

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (Inter-American Commission on Human Rights – IACHR) als Teil der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit Sitz in Washington, D.C, hatte im April 2011 die brasilianische Regierung offiziell aufgefordert, den Bau des Belo Monte Damm-Komplexes zu stoppen, solange die erforderlichen Konsultationen indigener Völker nicht erfolgt seien. Der Staudammbau würde negative Auswirkungen auf indigene und andere traditionelle Gemeinschaften des Xingu-Beckens haben, besonders auf diejenigen, die an dem hundert Kilometer langen Abschnitt der Volta Grande (Große Flussschleife) leben. Die IACHR-Empfehlungen stimmten mit den Klagen seitens des Ministério Público (in etwa: Bundesstaatsanwaltschaft) von Pará darin überein, dass sie die brasilianische Regierung auffordern, Anhörungen durchzuführen, so wie es die Verfassung vorsieht, und die Zustimmung zum Projekt zu erreichen. Die Rousseff-Regierung war empört über die Empfehlungen, wies diese als absurd7 zurück, stellte zwischenzeitlich die Geldzahlungen an die Organisation Amerikanischer Staaten ein, berief seinen entsandten Botschafter zurück und drohte unverhohlen mir einem potenziellen Austritt aus der OAS.8 Letztlich geschah: Nichts. Belo Monte wurde fertiggestellt, erst vor wenigen Monaten wurde die letzte Turbine in Gang gesetzt.

Auch beim Staudamm Teles Pires am gleichnamigen Fluss an der Grenze von Pará zu Mato Grosso entschied zunächst ein Gericht einen Betriebsstopp, da die betroffenen Indigenen nicht angemessen gehört wurden. Anfang Dezember 2015 wurde in einem von der Bundesstaatsanwaltschaft angestrengten Prozess in zweiter Instanz entschieden, dass das seit Ende 2015 in Betrieb befindliche Wasserkraftwerk Teles Pires die Rechte der vom Staudamm betroffenen Indigenen Kayabi, Munduruku und Apiaká verletzt. Das Gericht der 5ª Turma do Tribunal Regional Federal da 1ª Região (TRF1) ordnete an, dass die Indigenen gemäß der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (Free Prior and Informed Consent, FPIC) nach der Definition der ILO Konvention Nr.169 befragt und um Zustimmung gebeten werden müssten. Eine solche Befragung und das Einholen der erforderlichen Zustimmung sei weder durch die brasilianische Regierung noch durch den Betreiber des Wasserkraftwerks eingeholt worden, so das Gericht in zweiter Instanz, nachdem zuvor Brasiliens Bundesregierung und die Staudamm-Betreiberin gegen die gleichausgefallene, erstinstanzliche Verurteilung Widerspruch bei Gericht eingelegt hatten. Das Gericht erklärte zudem die durch die Umweltbehörde Ibama erteilte Baugenehmigung für rechtswidrig und folgte darin der Staatsanwältin Eliana Torelly, die in ihrem Plädoyer in der Gerichtsverhandlung der zweiten Instanz erklärt hatte, dass das Wasserkraftwerk Teles Pires „die Verringerung der Fischarten, die Verseuchung des Flusswassers, Abholzung [von Regenwald zur Folge gehabt] und die natürlichen Ressourcen in Mitleidenschaft gezogen“ habe. Das Gericht führte in seiner Urteilsbegründung zudem an, dass durch den Staudammbau und die Flutung von 150 Quadratkilometer Landschaft die Stromschnellen Sete Quedas zerstört wurden. Diese Stromschnellen von Sete Quedas am Fluss Teles Pires9 aber, so das Gericht, seien für die indigenen Munduruku, die Kayabi und Apiaká heilige Orte. Dort lagerten bis zur Flutung für den Bau des Staudamms Teles Pires im Jahr 2013 die heiligen Urnen der Ahnen der Munduruku, Kayabi und Apiaká.10 Nur zwölf der Urnen wurden gerrettet und im Museum der Kleinstadt Alta Florsta gelagert. Wegen der Unantastbarkeit heiliger, sakraler Stätten sei eine Befragung und Zustimmung nach den Regeln der ILO-Konvention 169 zur freien, vorherigen und informierten Zuistimmung (FPIC) unablässlich, so das Gericht in seiner Entscheidung vom Dezember 2015.

Das Urteil zum Betriebsstopp war zwar ab Dezember 2015 rechtskräftig, gleichwohl konnte der Betriebsstopp nie vollstreckt werden. Dies hängt mit der sogenannten „suspensão de segurança“ zusammen. Diese steht für den Verweis auf vermeintlich höherwertige, nationale Interessen. Die „suspensão de segurança“ basiert auf einem Gesetz noch aus der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur. Das Gesetz aus dem Jahre 1964 definiert, dass das Außerkraftsetzen eigentlich verfassungsrechtlich vorgesehener Prinzipien mit dem Verweis auf höherwertige nationale Interessen durch die Regierung durchgesetzt werden kann. Dazu muss nur ein Mitglied des Obersten Gerichtshof eine diesbezügliche Eingabe machen, so dass der Bau oder laufende Betrieb des betreffenden Projekts vorerst durch keine Gerichtsurteile behindert werden darf. Dennoch muss auch diese Rechtseingabe seitens des Obersten Gerichtshofs irgendwann rechtskräftig und abschließend entschieden werden. Doch wann, das regelt das Gesetz nicht. So wies der Bundesstaatsanwalt Felício Pontes Jr. in seinem Plädoyer im Dezember 2015 vor Gericht darauf hin, dass „wir in allen Instanzen gewonnen haben, dass der Staudamm nicht ohne die vorherige Konsultation der Indigenen gebaut werden darf. Aber das Bauvorhaben wurde dennoch zum Abschluss gebracht. Die Indigenen leiden unter Krankheiten, die sie zuvor nicht hatten. Und das alles infolge einer politischen Entscheidung im Sinne der suspensão de segurança, einem Rechtskonstrukt aus der Militärdiktatur, einem Rechtskonstrukt, das es in einem demokratischen Land nicht geben dürfte.“

Die Indigenen Munduruku, Kayabi und Apiaká protestieren weiter gegen die Staudammbauten am Teles Pires-Fluss, wo ihre heiligen Stätten durch die Wasserkraftwerke zerstört wurden. Es gab mehrere Baustellenbesetzungen des Wasserkraftwerks São Manoel, das in Nähe des Wasserkraftwerks Teles Pires liegt.11 Im Dezember 2019 besetzten 70 Munduruku das Museum der Kleinstadt Alta Floresta und entnahmen die dort lagernden zwölf heiligen Urnen ihrer Vorfahren, die letzten erhaltenen Urnen aus dem überschwemmten heiligen Ort der Stromschnellen von Sete Quedas und verbrachten die Urnen in ihr Territorium.12

Den Bau dieses umstrittenen Staudamms Teles Pires hatte übrigens die deutsche Münchener Rückversicherungsgesellschaft gegen Schäden rückversichert. Eine Vertreterin der brasilianischen Widerstandsbewegung Movimento Xingu Vivo para Sempre war deshalb 2015 eigens zur Hauptversammlung der Münchener Rück nach München gereist, um die Konzernvorstände auf die Verstrickung der Firma beim Staudamm Teles Pires am gleichnamigen Fluss anzusprechen. Ihr war es vorbehalten, die entscheidende Frage zu stellen: „Am Teles Pires haben die Baufirmen einen riesigen Wasserfall gesprengt: Dieser Wasserfall heißt Sete Quedas. Für die Indigenen Kayabi, Apyaka und Munduruku ist Sete Quedas ihr heiligster Ort. Wie würden Sie reagieren, wenn eine Baufirma daherkommt und die Münchener Frauenkirche mit Bulldozern einreißt?“13 Der damalige Vorstandsvorsitzende Nikolaus von Bomhard hatte darauf keine Antwort. Manchmal spricht Sprachlosigkeit dann doch Bände.

Wehrhafte indigene Gemeinden vor Ort: Selbst-Erarbeitung eigener Konsultationsprotokolle

Um dem rechtlich noch ungeklärten Graubereich einer ILO-Konvention-169-konformen Rechtssprechung Nachdruck zu verleihen, haben in Brasilien ab dem Jahre 2014 mehr und mehr indigene Völker eigenständig erarbeitete Verfahrensprotokolle erstellt, um dergestalt ein rechtsgültiges Dokument in der Hand zu haben, mittels dessen sie fordern, dass ihre Konsultation nach ihren Regeln ablaufen soll. Wichtige Elemente sind dabei oft die indigene Sprache, der Ort (in den Gemeinden selbst), die Zeit (wichtig wegen jahreszeitlichen Arbeiten wie Ernte oder religiösen Riten), die Zeitdauer (jede/r kann solange reden, wie er/sie will), die Entscheidung, wer überhaupt von den Nicht-Indigenen teilnehmen darf, die Notwendigkeit der Rückkoppelung mit dem Gemeinden, so nicht alle anreisen können sowie natürlich die Frage nach dem Veto-Recht.

Mittlerweile gibt es an ein Dutzend solcher niedergelegter Verfahrensprotokolle in Brasilien, sowohl von indigenen Gemeinden und Völkern, als auch von anderen traditionellen Völkern und Gemeinschaften (Quilombolas, Ribeirinhos, etc).14 Am Ende dieses Textes findet sich beispielhaft das von den indigenen Munduruku erarbeitete Verfahrensprotokoll zur Konsultation in deutschsprachiger Übersetzung.

Die Bedeutung dieser autonom von den indigenen Gemeinschaften und Völkern erstellten Verfahrensprotokolle zur Konsultation sollte nicht unterschätzt werden. 2017 hatte erstmals ein Gericht eine Baugenehmigung für ein Bergbauunternehmen in Brasilien auf Basis des Rechtsarguments entzogen, dass das von der betroffenen indigenen Gemeinschaft erstellte Dokument zum Protokollverfahren der Konsultation von der Firma nicht befolgt worden war.15 Als das bekannt wurde, begannen sich mehr und mehr indigene und andere traditionelle Völker und Gemeinschaften der Erstellung solcher Protokolle zu widmen, ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.16

Bolsonaros Androhung der Kündigung der ILO-Konvention 169

Die Bolsonaro-Regierung jedenfalls gibt derzeit deutliche Anzeichen, dass sie die ILO-Konvention 169 – und auf deren Basis die eigenständige Erstellung von niedergelegten Protokollverfahren zur Konsultation indigener und anderen traditioneller Völker und Gemeinschaften – als Gefahr für ihre Anti-Indigenen-Rechte-Strategie ansieht und von daher einen Ausstieg Brasiliens aus der ILO-Konvention 169 androht. Als erste schickte die Bolsonaro-Regierung im März 2019 Brasiliens Botschafterin bei der UNO in Genf, Maria Nazareth Farani Azevêdo, vor, die öffentlich auf die Möglichkeit verwies, dass Brasilien die ILO-Konvention 169 verlassen könnte.17 Dann folgte im Oktober 2019 das direkt dem Präsidenten Brasiliens unterstellte Sicherheitskabinett GSI, das laut einem Pressebericht vom 4. Oktober 2019 die Bundesanwaltschaft AGU aufforderte, ein wegweisendes Urteil des Obersten Gerichtshofs STF aus dem Jahre 2006, das die Rechtsgültigkeit der von Brasilien 2002 ratifizierten ILO-Konvention 169 auch auf Quilombolas (Nachkommen der Sklaverei entflohener Schwarzer) bestätigte, auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Laut dem Pressebericht18 erinnert das GSI-Dokument auch an den nächstmöglichen Kündigungszeitraum, sollte Brasilien sich entscheiden, aus der ILO-Konvention 169 auszutreten: Dies könne, so das GSI-Dokument, zwischen dem 5.9.2021 und 5.9.2022 geschehen. Als Begründung für einen möglichen Austritt Brasiliens erwähnt das GSI-Dokument die „Auswirkungen der ILO-Konvention 169 auf die Entwicklung des Landes“. Das GSI-Dokument schlägt die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vor, die einen neuen Vorschlag für ein Präsidaldekret erarbeiten solle, das den Modus Operandi der „vorherigen Konsultation indigener Völker und Stämme“ neu regeln soll. Auch hier liefert das mittlerweile mehrheitlich von Militärs dominierte GSI gleich eine Begründung: die bisherige Anwendung der ILO 169 beeinträchtige „Projekte mit nationalem Interesse“.

Diese Ankündigung sollten bei allen die Alarmglocken schrillen lassen.

Anhang:

Wie die Munduruku das Protokollverfahren zur Konsultation wollen

14.05.2017 | Übersetzung von Christian Russau

Die indigenen Munduruku vom Oberen, Mittleren und Unteren Tapajós haben ein Grundlagendokument erstellt, in dem sie erklären, wie eine rechtlich korrekte Konsultation der Munduruku im Falle von Großprojekten wie Staudämmen auszusehen habe.

Quelle: Movimento Munduruku Ipereg Ayu, Associações: Da’uk, Pusuru, Wixaximã, Kerepo und Pahyhyp: Protocolo de Consulta Munduruku, Jan. 2016, unter: http://fase.org.br/pt/acervo/biblioteca/protocolo-de-consulta-munduruku/

Im Entstehensprozess des Dokuments, das in den indigenen Dörfern mit allen Munduruku 2015 gemeinsam debattiert und im Konsens verabschiedet wurde, war den Munduruku immer wichtig zu betonen, dass sie für sich selbst selbst reden und dass niemand Einzelnes ohne Weiteres für die Gruppe sprechen darf. Daher hier die Erklärung der Munduruku zum Protokollverfahren der Konsultation im Wortlaut:

Wir, das Volk der Munduruku,

wir wollen hören, was die Regierung uns zu sagen hat. Aber wir wollen keine Ausreden. Damit das Volk der Munduruku entscheiden kann, müssen wir wissen, was tatsächlich geschehen wird. Und die Regierung muss uns anhören. Zuallererst fordern wir die Demarkation des Indigenen Territoriums Sawré Muybu. Auf gar keinen Fall akzeptieren wir eine Umsiedlung. Wir fordern von der Regierung zudem, dass unsere isoliert in unserem Land lebenden Verwandten geschützt werden und dass das Recht auf Konsultation der anderen Völker, wie der Apiaká und der Kayabi, die auch durch diese Projekte bedroht sind, garantiert werde. Außerdem fordern wir, dass den durch die Staudämme im Tapajós betroffenen Gemeinden der Flussanwohner von Montanha-Mangabal, Pimental und São Luiz ihr Recht auf Konsultation angemessen und ihrer besonderen Realität angepasst gewahrt werde. Genauso wie wir haben die Flussanwohner das Recht auf eigene Konsultation.

Wer soll konsultiert werden?

Die Munduruku aller Dörfer – des Oberen, Mittleren und Unteren Tapajós – müssen konsultiert werden, auch diejenigen aus indigenen Gebieten, die noch nicht demarkiert wurden.

Soll die Regierung nicht denken, wir seien gespalten:

Es gibt nur ein Volk der Munduruku“

Es sollen konsultiert werden:

  • die weisen Alten, die pajés, die Geschichtenerzähler, die Kenner traditioneller Medizin, die Kenner der Wurzeln und der Blätter, diejenigen, die die heiligen Orte kennen.
  • die Kaziken und Anführer, die Krieger und Kriegerinnen. Die Kaziken sind miteinander vernetzt und teilen die Informationen mit allen Dörfern. Es sind sie, die alle zusammenrufen, damit wir debattieren, was wir machen werden. Die Krieger und Kriegerinnen unterstützen den Kaziken, gehen mit ihm und schützen unser Territorium.
  • die Anführer, die Lehrer sind, und die, die für die Gesundheit zuständig sind, die also, die mit der ganzen Gemeinschaft arbeiten.
  • die Frauen, damit sie ihre Erfahrungen und Informationen weitergeben. Es gibt Frauen, die sind pajés, Hebammen und Kunsthandwerkerinnen. Sie bearbeiten das Feld, geben Ideen und Rat, bereiten das Essen zu, stellen medizinische Produkte her und verfügen über ein großes und breites traditionelles Wissen.
  • die Universitätsstudenten, die Erzieher der Munduruku, die Ibaorebu-Studenten, die Jugendlichen und Kinder müssen auch konsultiert werden, weil sie die zukünftige Generation sind. Viele Jugendliche haben Zugang zu Kommunikationsmedien, lesen Zeitungen, gehen ins Internet, sprechen portugiesisch und kennen unsere Realität und haben aktiven Anteil an dem Kampf unseres Volkes.
  • unsere Organisationen (Conselho Indígena Munduruku Pusuru Kat Alto Tapajós – Cimpukat, Da’uk, Ipereg Ayu, Kerepo, Pahyhy, Pusuru und Wixaximã) müssen auch konsultiert werden, aber sie dürfen niemals alleine konsultiert werden. Die Stadtverordneten Munduruku sprechen nicht für unser Volk. Die Entscheidungen des Volks der Munduruku werden kollektiv getroffen.

Wie soll der Prozess der Konsultation ablaufen?

  • Die Regierung darf uns nicht erst dann konsultieren, wenn alle Entscheidungen schon getroffen sind. Die Konsultation muss vor allem anderen stattfinden. Alle Treffen müssen in unserem Territorium stattfinden – in dem Dorf, das wir auswählen –, und nicht in der Stadt, nicht einmal in Jacareacanga oder Itaituba.
  • Die Treffen dürfen nicht zu Zeiten stattfinden, die die Aktivitäten unserer Gemeinschaft stören (also zum Beispiel nicht während der Feldarbeits-Saison des Feldfurchens oder des Pflanzens; nicht während der Zeit des Kastanien-Sammelns, nicht während der Zeit des Mehls, nicht während unserer Festtage; nicht am Tag des Indigenen). Wenn die Regierung in unser Dorf zur Konsultation kommt, dürfen sie nicht nur kurz einfliegen und am nächsten Tag wieder weggehen. Sie müssen in Ruhe mit uns Zeit verbringen.
  • Die Treffen müssen in der Sprache Munduruku abgehalten werden und wir entscheiden, wer übersetzen wird. In diesen Treffen muss unser Wissen genauso anerkannt werden wie dies der pariwat (nicht-indigener). Weil es sind wir, die wir die Flüsse kennen, den Wald, die Fische und das Land. Es sind wir, die wir die Treffen koordinieren, nicht die Regierung.
  • An den Treffen sollen die Partner unseres Volkes teilnehmen: Die Bundesstaatsanwaltschaft, die von uns ausgewählten Partnerorganisationen sowie Fachleute unseres Vertrauens, die wir auswählen. Die Unkosten unserer Anwesenheit und die unserer Partner während aller Treffen gehen auf Kosten der Regierung.
  • Damit die Konsultation wirklich frei sein wird, werden wir auf den Treffen unter keinen Umständen bewaffnete pariwat (Militärpolizei, Bundespolizei, Bundesstraßenpolizei, Heer, Nationaler Sicherheitskräfte, Brasilianischen Geheimdienst oder jedwede anderen staatlichen oder privaten Sicherheitskräfte) akzeptieren.
  • Wenn die Regierung mit Kameras ankommt, darf sie ohne unsere Autorisierung keine Aufnahmen machen. Zu unserer Sicherheit sollen die Treffen gefilmt werden und die Regierung muss uns die vollständigen Kopien der Aufnahmen übergeben.

Die von uns bisher angesprochenen Treffen teilen sich in folgende auf:

  • Treffen zum Beschluss über den Plan für die Konsultation: Die Regierung muss sich mit dem Volk der Munduruku treffen, damit wir eine Übereinkunft treffen, welchen Plan wir für die Konsultation festlegen. Dieser Plan für die Konsultation muss dieses Dokument hier in Gänze respektieren, da es erklärt, wie wir uns organisieren und wie wir unsere Entscheidungen treffen.
  • Informationstreffen: Die Regierung muss sich mit unserem Volk treffen, in jedem Dorf einzeln, um uns über ihre Vorhaben zu informieren und unsere Zweifel und Nachfragen zu beantworten. Neben uns sollen die Partner unseres Volkes an diesem Treffen jeweils teilnehmen.
  • Interne Treffen: Nach diesen Informationstreffen brauchen wir Zeit zum Diskutieren unter uns über die Vorschläge der Regierung. Wir werden Zeit brauchen, um den Vorschlag den Verwandten, die nicht an den Informationstreffen teilnehmen konnten, zu erläutern. Des Weiteren wollen wir uns mit den Flussanwohnern (beispielsweise mit denen von Montanha-Mangabal) treffen und beratschlagen. Wir werden unsere Partner zu unseren internen Treffen hinzuladen. Aber die Regierung darf dabei nicht anwesend sein. Sollten Unklarheiten oder neue Informationen aufkommen, dann muss die Regierung weitere Informationstreffen mit uns und unseren Partnern abhalten. Danach dann würden wir weitere Treffen mit unseren Partner, ohne die Regierung, machen, um die Unklarheiten zu klären und um zu debattieren. Egal wie viele Treffen dafür notwendig wären, damit das Volk der Munduruku sich vollständig informiert
  • Verhandlungstreffen: Wenn wir hinreichende Informationen haben und mit unserem ganzen Volk debattiert haben, wenn wir also eine Antwort an die Regierung haben, dann muss die Regierung sich mit uns, in unserem Territorium treffen. An diesem Treffen sollen auch unsere Partner teilnehmen. Die Regierung muss zuhören und auf unseren Vorschlag antworten, selbst wenn unser Vorschlag anders als der von der Regierung sei. Und wir mahnen: Wir akzeptieren nicht, dass die Regierung Rechte so einsetzt, wie die, die uns eigentlich zustehen, aber nie respektiert werden, um uns letztlich reinzulegen.

Wie treffen wir Munduruku unsere Entscheidungen?

  • Wenn ein Vorhaben uns alle betrifft, dann ist unsere Entscheidung eine kollektive. Die Regierung darf nicht nur einen Teil des Volks der Munduruku konsultieren (sie darf zum Beispiel nicht nur die Munduruku des Mittleren Tapajós oder nur die des Oberen Tapajós konsultieren).
  • Keine Vereinigung der Munduruku entscheidet für das Volk der Munduruku, keine Organisation redet für unser Volk. Die Entscheidungen unseres Volks werden auf der Vollversammlung getroffen, die durch unsere Kaziken einberufen wird. Es sind unsere Kaziken, die gemeinsam und zusammen Zeit und Ort der Generalversammlung festlegen und die Munduruku zur Teilnahme einladen. Auf diesen Versammlungen werden die Entscheidungen im Anschluss an die Debatte getroffen: Wir diskutieren und kommen zu einem Kosens. Wenn es nötig ist, diskutieren wir viel. Wir stimmen nicht ab. Wenn es keinen Konsens gibt, entscheidet die Mehrheit.

Was erwartet das Volk der Munduruku von dieser Konsultation?

Wir erwarten, dass die Regierung unsere Entscheidung respektiert. Wir haben Veto-Recht.

Sawe!!“

1Siehe hierzu ausführlich die Chronologie unter https://www1.folha.uol.com.br/poder/2019/08/bolsonaro-diz-que-errou-ao-insistir-em-demarcacao-de-terras-indigenas-pela-agricultura.shtml

2Siehe „Wir werden Widerstand leisten! SURARA! SAWÊ!“, unter: https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wir-werden-widerstand-leisten-surara-sawe/

3Ratifiziert durch den Kongress durch das DECRETO LEGISLATIVO Nº 143, DE 2002, siehe https://www2.camara.leg.br/legin/fed/decleg/2002/decretolegislativo-143-20-junho-2002-458771-convencao-1-pl.html

4DECRETO Nº 5.051, DE 19 DE ABRIL DE 2004: Promulga a Convenção nº 169 da Organização Internacional do Trabalho – OIT sobre Povos Indígenas e Tribais, siehe http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_ato2004-2006/2004/decreto/d5051.htm

5Siehe hierzu ausführlich „Os protocolos de consulta“, in: „Protocolos de consulta prévia e o direito à livre determinação“. Hrsg. von Verena Glass et al, Rosa-Luxemburg-Stiftung São Paulo, 2019

6Siehe „Der Belo-Monte-Staudamm und die Rolle europäischer Konzerne.“ Von Tina Kleiber und Christian Russau unter Mitwirkung von Heike Drillisch und Herbert Wasserbauer. GegenStrömung, Juli 2014. Unter: https://www.gegenstroemung.org/web/wp-content/uploads/2014/07/GegenStr%C3%B6mung_Belo-Monte-und-Europ-Konzerne_2014.pdf

7Siehe https://www.conjur.com.br/2011-abr-05/oea-brasil-suspenda-obras-belo-monte-proteger-indigenas

8Siehe http://global.org.br/programas/brasil-endossa-frente-de-enfraquecimento-do-sistema-interamericano-de-direitos-humanos/

9Nicht zu verwechseln mit den Wasserfällen Sete Quedas, die durch den Bau des Staudamms Itaipu an der Grenze zu Paraguay in den 1970er Jahren geflutet wurden.

10Siehe https://amazoniareal.com.br/o-valor-da-ancestralidade-para-os-munduruku-impresso-em-sete-quedas/

11Siehe hierzu https://www.kooperation-brasilien.org/de/themen/landkonflikte-umwelt/erklaerung-anklage-des-volkes-munduruku und https://www.gegenstroemung.org/web/blog/indigene-kayabi-munduruku-und-apiaka-protestieren-weiter-gegen-das-wasserkraftwerk-sao-manoel-am-fluss-teles-pires-in-amazonien/ und https://www.gegenstroemung.org/web/blog/besetzung-der-baustelle-des-wasserkraftwerks-sao-manoel-am-fluss-teles-pires/

12Siehe https://amazoniareal.com.br/povo-munduruku-resgata-12-urnas-funerarias-de-museu-no-mato-grosso/

13Siehe https://www.kritischeaktionaere.de/munich_re/1754/

14Siehe hierzu http://www.mpf.mp.br/atuacao-tematica/ccr6/documentos-e-publicacoes/protocolos-de-consulta-dos-povos-indigenas und „Os protocolos de consulta“, in: „Protocolos de consulta prévia e o direito à livre determinação“. Hrsg. von Verena Glass et al, Rosa-Luxemburg-Stiftung São Paulo, 2019, S. 109ff.

15Siehe Felício Pontes Jr, in: „Protocolos de consulta prévia e o direito à livre determinação“. Hrsg. von Verena Glass et al, Rosa-Luxemburg-Stiftung São Paulo, 2019, S. 15

16Siehe zusammenfassend „Protocolos de consulta prévia e o direito à livre determinação“. Hrsg. von Verena Glass et al, Rosa-Luxemburg-Stiftung São Paulo, 2019

17Siehe https://valor.globo.com/brasil/coluna/brasil-e-voto-isolado-na-oit-e-ameaca-deixar-convencao-sobre-povos-indigenas.ghtml

18Siehe https://www1.folha.uol.com.br/poder/2019/10/grupo-do-governo-articula-revisao-de-consulta-a-indios-sobre-grandes-obras.shtml

]]>
Neues Berggeschrey in indigenem Land https://www.gegenstroemung.org/web/blog/neues-berggeschrey-in-indigenem-land/ Fri, 14 Feb 2020 13:39:02 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2014 Bolsonaro macht ernst mit künftigem Bergbau in indigenen Territorien. Es war eines seiner großen Wahlversprechen, eines, das Panik bei indigenen Völkern Brasiliens und bei den sie unterstützenden Menschenrechtsverteidiger*innen auslöste, eines, das Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nun in Angriff nimmt und damit indigenes Land für die wirtschaftliche Ausbeutung freigeben will: Bergbau und andere wirtschaftliche Aktivitäten, wie großflächige, industrielle Landwirtschaft sollen nach Wunsch des Präsidenten Bolsonaro künftig in indigenen Territorien in Brasilien erlaubt sein.

Der von Jair Bolsonaro vorgelegte Gesetzesvorschlag liegt derzeit noch unter Verschluss, wurde der Presse selbst nicht übergeben, sondern nur an den brasilianischen Nationalkongress weitergeleitet. Die Bolsonaro-Gesetzesvorlage sieht laut Medienberichten im Falle der künftigen Ausbeutung des Bodens indigener Territorien durch Dritte die Zahlung einer finanziellen Entschädigung an die indigenen Völker vor, dies jedoch in einer Höhe, die unter den Werten liegen, die z.B. an Lizenzgebühren bezahlt werden (wie bspw. bisher üblich bei der Ölexploration). Dem Vorschlag zufolge würden bei künftiger Wasserkraftnutzung die Gemeinden 0,7% des Wertes der erzeugten Energie erhalten, im Falle von Erdöl, Erdgas und deren Derivaten würde dieser Wert bei 0,5% bis 1% des produzierten Wertes liegen. Im Falle von Bergbauaktivitäten soll die Ausgleichszahlung an die indigenen Gemeinden 50% des Wertes der finanziellen Entschädigung für die Ausbeutung von Mineralressourcen betragen. Es ist laut Medienberichten auch eine Entschädigung für die dann künftig durch diese neue Nutzung eingeschränkte Landnutzung durch die Indigenen vorgesehen, um die indigenen Völker für den Nutzungsausfall eines Teils des Landes zu entschädigen. Dieser Entschädigungssatz für die Fläche des Landes, die von der Nutzung durch den neuen Betrieb verhindert bzw. verändert werde, soll von der brasilianischen Bundesregierung auf der Grundlage des Umfangs der Beschränkung berechnet werden, wobei klare Berechnungsgrundlagen bisher nicht bekannt gemacht wurden.

Klar ist: Das Projekt gibt den indigenen Völkern wenig Autonomie, um selbst zu entscheiden, ob sie ihr Land ausbeuten lassen wollen oder nicht. Denn: Die Gemeinschaften werden zwar angehört, aber im Falle der Wasserkraft- oder Erdölexploration wird es nur eine Konsultation sein, ohne Vetorecht. Letztich kann der Präsident der Republik den jweiligen konkreten Explorationsantrag auf eine Lizenz zur Unterzeichnung weiterleiten. Die endgültige Genehmigung der Gesetzesvorlage werden die beiden Kammern des Kongress, Abgeordnetenkammer und Senat, treffen.

Das Vetorecht der indigenen Völker gilt also nicht, mit einer Ausnahme. Bolsonaros Gesetzesvorschlag sieht im Falle von Garimpos (Bergbauschürfen) ein Vetorecht vor. In solchen Fällen könnten die Indigenen die Ausbeutung des Landes (theoretisch) verhindern. Denn der Gesetzesvorschlag sieht im Falle der Ausbeutung durch Garimpo vor, dass die Indigenen selbst den Garimpo durchführen können oder Dritte beauftragen könnten, dies zu tun. Unklar ist, wie die Entscheidungen darüber ablaufen sollen, wenn es in den indigenen Völkern unterschiedliche Ansichten und Absichten darüber gibt. Der nun vorgeschlagene Gesetzestext sieht laut Medienberichten vor, dass die Entscheidungen über Aktivitäten in den Gemeinden von einem Beirat getroffen werden, deren Mitglieder von den betroffenen indigenen Völkern gebildet werden und deren Vertreter*innen von den Gemeinschaften „gemäß ihrer normalen Art und Weise, Anführer*innen und Delegierte zu wählen“ (so der Pressetext), ernannt werden. Angesichts unterschiedlicher Interessenslagen auch bei indigenen Völkern steht Streit und Zwist ins Haus, ein Umstand, den ein Jair Bolsonaro sehr wohl zu nutzen weiß… Es droht Übles in Brasilien.

// Christian Russau

]]>
Strahlende Uranabfälle in Mine drohen durch Dammbruch weiter in die Umwelt zu gelangen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/strahlende-uranabfaelle-in-mine-drohen-durch-dammbruch-weiter-in-die-umwelt-zu-gelangen/ Wed, 13 Nov 2019 15:48:36 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1979 Nach jahrelanger Untätigkeit der staatlichen Minenbetreiberin soll die stillgelegte Uranmine in Caldas nun wegen massiver Umweltbedrohungen schärfer überwacht werden. Bundesstaatsanwaltschaft hat mit der staatlichen Atomfirma INB eine diesbezügliche Einigung getroffen.

Die Bundesanwaltschaft hat mit der Leitung der staatlichen Atomfirma INB eine Vereinbarung über neue Durchführungsbestimmungen (hier der Link zum Dokument) für den Umgang mit der leckbedrohten Uranmine von Caldas im Bundesstaat Minas Gerais getroffen. Die Vereinbarung sieht vor, dass Sofortmaßnahmen wie Inspektions- und Sicherheitsmaßnahmen am Damm der Mine Caldas im Süden von Minas Gerais in die Wege geleitet werden.

In der Mine von Caldas fand von 1982 bis 1995 die Uranexploration statt, als die Produktion eingestellt wurde, da die Mine erschöpft war und Brasilien auf seine zweite Mine, die mittlerweile ebenfalls stillgelegte Mine Caetité im Bundesstaat Bahia setzte. Trotz Stillegung wurden in der Urangrube von Caldas nie die notwendigen Sicherungsarbeiten, geschweige denn Kontaminierungsarbeiten in Angriff genommen. In der Mine im offenen Tagebau lagern rund zwei Millionen Kubikmeter Schlammes mit Rest-Uran, Thorium und weiteren radioaktiven Rückständen. Die in Bürgerinitiativen organisierten Anwohner*innen protestieren seit Jahren gegen den skandalösen Umgang der zuständigen Atombehörden mit dem gefährlichen radioaktiven Müll, so auch auf dem brasilienweiten Treffen von Atomkraftgegner*innen in Caldas im September dieses Jahres. Im Zentrum der Kritik stand dabei neben dem offensichtlichen Desinteresse seitens des Staates, sich um die Dekontamination und den Schutz der Umwelt und den der Gesundheit der Menschen zu kümmern, stets auch die skandalöse Doppelrolle der für die Atombetrieb und -kontrolle zuständige staatlichen Institutionen. Denn da alle radioaktiven Anlagen wie Atomkraftwerke und Uranminen in Brasilien einem Staatsmonopol unterliegen, kommt es zu der skurilen Situation, dass die staatliche Betreiberin der Minen sich selbst kontrollieren soll.

Im September 2018 sah sich die INB gezwungen, über ein „ungewöhnliches“ Ereignis zu informieren: es kam zu Sedimentbewegungen im Dammbereich. Damals wiesen Experten auf die Gefahr hin, dass das System durch Infiltrationen, die zu hydraulischen Bruchprozessen führen können, stark beeinträchtigt würde. Dies beunruhigt natürlich um so mehr, als es in Brasilien in den vergangenen vier Jahren bereits zwei Großbrüche bei Dämmen – Mariana im November 2015 und Brumadinho im Januar 2019 – gegeben hatte. Die daraufhin sich in die Vorgänge einschaltende Bundesstaatsanwaltschaft stellte fest, dass der Notfall-Aktionsplan für den Uranbergbaudamm nicht wirksam umgesetzt worden war. In diesem Zusammenhang wurde empfohlen, dass INB und die Nationale Kommission für Kernenergie (CNEN) alle diesbezüglichen notwendigen Maßnahmen für die vollständige Umsetzung bis zum 30. März dieses Jahres ergreifen solle. Dies war aber seitens INB und CNEN nicht geschehen. Nach Ablauf der Frist behaupteten INB und CNEN, der Empfehlung nachgekommen zu sein, aber die Bundesanwaltschaft bestätigte, dass mehrere Maßnahmen entgegen der Aussagen von INB und CNEN gar nicht durchgeführt wurden. Auch die von der INB in Aussicht gestellte Durchführung von Notfallübungen – unter Einbeziehung der Präfektur, des Zivilschutzes, einem Staudammsicherheitsteam sowie mit Mitarbeitern des Unternehmens und der Bevölkerung hat nie stattgefunden.

Bei den daraufhin auf Druck der Bundesstaatsanwlatschaft veranlassten Untersuchung stellte sich heraus, dass es am Damm Unstimmigkeiten und konkrete Risikolagen im zur notwendigen Entwässerung vorgesehenen Drainagenetz der Dammkonstruktion gibt. An mehreren Stellen der Überlaufsystemleitungen wurden dem Bericht zufolge „starke Infiltrationen“ identifiziert, die auf eine große Bruchanfälligkeit des Dammes hinweisen. Die nun zwischen Bundesstaatsanwlatschaft und der INB vereinbarten Sofortmaßnahmen sehen neben der vertieften Überwachung und Kontrolle der Dammanlage die Entfernung von wurzelbildender und somit die Dammstruktur gefährdender Vegetationen sowie eine verschärfte Vorortanalyse der Stabilität und Sicherheit der Anlage vor. Dazu sollen laut vertraglicher Einigung erstmals auch externe und von der Atombehörde unabhängige Gutachter zu Rate gezogen werden. Über die langfristige Lösung der sicheren Lagerung der zwei Millionen Kubikmeter Rest-Uran, Thorium und weiterer radioaktiver Rückstände wurde in dem nun getroffenen Abkommen nicht verhandelt.

// christianrussau

]]>
Offener Brief: Keine Equipment-Lieferung für Bergbauaktivitäten in Indigenen Territorien in Brasilien https://www.gegenstroemung.org/web/blog/offener-brief-keine-equipment-lieferung-fuer-bergbauaktivitaeten-in-indigenen-territorien-in-brasilien/ Thu, 29 Aug 2019 13:15:44 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1949 Heute haben wir uns mit einem offenen Brief an Siemens und Thyssen-Krupp gewandt, mit der Aufforderung sich nicht an Bergbauaktivitäten in Indigenen Territorien in Brasilien durch Equipment-Lieferungen zu beteiligen.

„Wir wenden uns an Sie vor dem Hintergrund, dass uns die neuesten Entwicklungen in Brasilien äußerst beunruhigen. „Die Lunge der Welt“ in Amazonien brennt in nie gekanntem Ausmaß. Die illegale Brandrodung ist größtenteils menschengemacht. Großgrundbesitzer, Bergbau-Konzerne und Rinderzüchter reißen die Territorien indigener Gruppen gewaltsam an sich. Gleichzeitig wird massiv Regenwald gerodet. Um 278% stieg die Fläche des gerodeten Waldes im Juli 2019 im Vergleich zum Vorjahr. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro trägt eine große Mitverantwortung für diese Zerstörung von Umwelt und Weltklima.

Bolsonaro kündigt an, die indigenen Territorien des Landes für industrielle Landwirtschaft und Bergbau freizugeben

Bolsonaro hat angekündigt, dass Land der Indigenen dem Agrobusiness und Bergbau zur Verfügung zu stellen. Er verkauft das als Wohltat, die den Indigenen zugutekomme. Doch in Wahrheit reißen bewaffnete Banden das Land gewaltsam an sich. Die indigenen Gemeinschaften leben in ständiger Angst vor dem nächsten brutalen Angriff auf ihr Land.

„Dieses Gerede über indigene Völker ist rückwärtsgewandt und behandelt uns respektlos, unsere Geschichte, unsere Abstammung!“, protestierten 200 indigene Frauen vom Unteren Tapajós-Fluss in Amazonien in einer gemeinsamen Erklärung bereits im Januar 2019. Ihr Urteil fällt harsch aus: „Der Präsident vergleicht uns mit Tieren im Zoo, die in einem Käfig gefangen sind. Er macht absurde Aussagen über unsere Lebensweise und über unsere Wünsche als Bürgerinnen.“ Auch die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, forderte die Regierung Bolsonaro explizit auf, die von Brasilien unterzeichneten internationalen Abkommen einzuhalten, die den Schutz indigener Völker und ihrer Territorien gewährleisten.

Angesichts der massiven Bedrohung der Integrität der indigenen Territorien durch die gezielte Öffnung für den Bergbausektor und das Agrobusiness fordern wir Sie als international tätiges Unternehmen auf:

  • Erklären Sie öffentlich, dass Ihr Unternehmen keine Zulieferungen von Maschinen oder Dienstleistungen für den in Brasilien drohenden Bergbau in indigenen Territorien zur Verfügung stellen wird!
  • Stellen Sie sicher, keine Produkte zu importieren, die aus Landraub in indigenen Territorien stammen!
  • Bekennen Sie sich zu Menschenrechten und insbesondere zu den Rechten der Indigenen in Amazonien!

Die indigenen Gemeinden in Brasilien gehören zu den besten Verwaltern und Bewahrern großer Wälder und biologischer Vielfalt. Wenn ihre Rechte mit Füßen getreten werden, geht es allzu oft darum, weitere Inwertsetzungsspiralen durch klimaschädliche Abholzung in Gang zu setzen. Der Schutz indigener Landrechtsverteidiger ist daher nicht nur eine menschenrechtliche Notwendigkeit, sondern auch dringend erforderlich, um die Klimakrise zu mildern.

Hochachtungsvoll

Christian Russau,
Vorstand Dachverband
Kritische Aktionäre

Michael Reckordt,
Koordinator AK Rohstoffe

Ernst-Christoph Stolper,
stellvertretender Vorsitzender BUND
(Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.)“

Weitere unterstützende Organisationen: siehe Brief.

Die Briefe finden Sie hier:

http://ak-rohstoffe.de/wp-content/uploads/2019/08/2019-08-29-Kein-Equipment-Bergbau-Brasilien_Siemens.pdf

http://ak-rohstoffe.de/wp-content/uploads/2019/08/2019-08-29-Kein-Equipment-Bergbau-Brasilien_ThyssenKrupp.pdf

// christian russau

]]>
Rücktritt vom Rücktritt: Doch kein Ende der Großstaudämme in Amazonien? https://www.gegenstroemung.org/web/blog/ruecktritt-vom-ruecktritt-doch-kein-ende-der-grossstaudaemme-in-amazonien/ Wed, 16 May 2018 15:00:13 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1734 Der Wissenschaftler Philip Fearnside weist in einem Beitrag auf die neuesten Entwicklungen in Brasiliens Politlandschaft hin, die das im Januar von hohen Ministerialbeamten verkündete Ende der Großstaudämme wieder rückgängig machen.

Es war eine große Nachricht, die auch in GegenStrömungs Berichterstattung Widerhall fand:

Anfang Januar kursierten in den Medien relativ zeitgleich drei Zitate von hohen brasilianischen Politikern, Beamten und Wirtschaftsvertretern, die das historische Ende der Phase von großen Wasserkraftwerken in Brasilien andeuteten. Der frühere Direktor der staatlichen Energieagentur Aneel und Präsident  der brasilianischen Wirtschaftsvereinigung der Energieverbraucher, Edvaldo Santana, deutete gegenüber Medien an, dass wohl von nun an keine großen Wasserkraftwerke mehr neu gebaut werden würden. Als Begründung führte er die Privatisierung der Eletrobras an, mittels derer die Regierung zuvor starken Einfluss auf Baugenehmigungen und Lizenzen habe nehmen könne und mit einer nun privatisierten Eletrobras sei „dies sehr viel schwerer“.

Der Präsident der staatlichen Energieforschungsagentur EPE, Luiz Augusto Barroso, erklärte nahezu zeitgleich, seine für die Ausarbeitung der Ausbaupläne bei Energieinfrastrukturprojekten verantwortliche Staatsagentur werde von an vermehrt prüfen, ob sich ein großes Wasserkraftprojekt überhaupt lohne. „Wir von der EPE haben uns entschlossen, einen Schritt zurückzutreten, um den gesamten Prozess dieser Großwasserkraftwerke neu zu strukturieren. Da gibt es eine Grundhaltung, dass jede Wasserkraft gut und billig sei. Und wir überprüfen jetzt, ob diese Projekte richtig sind. Es geht nicht darum, ein Wasserkraftwerk um jeden Preis zu errichten“, so Barroso. Barroso schätzte, dass von den in Brasilien bis 2050 bisher neu angedachten Wasserkraftwerken in einer Größenordnung von 50 Gigawatt „nur 23 Prozent Projekte sind, die nicht in indigene, Quilombola- und Naturschutzgebiete interferieren“ würden. Diese Argumentation war zwar nicht neu, da dies genau die Argumentation der Umweltschützer, Indigenen, Flussanwohnern und weiteren Betroffenen ist, die seit Jahrzehnten durch Großstaudämme zur Zwangsumsiedlung, unter oft katastrophalen sozialen Umständen, gezwungen wurden. Neu aber war, dass dieses Argument nun, leicht gewandelt, aus regierungsnahen Kreisen hoher Beamter kam. Gleichwohl war die Argumentation leicht abgewandelt, denn die Motivation, die in erster Linie aus dem EPE-Präsidenten heraus spricht, ist die Kostenfrage. Und diese erläuterte, ebenfalls im gleichen Medienbericht, der dritte hochrangige Politiker, der am selben Tag sekundierte: „Wir haben keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen Großprojekte. Aber man muss die Sichtweise der Gesellschaft akzeptieren, die Vorbehalte gegen solche Projekte hat. Wir sind nicht bereit, die Kosten und Risiken zu verschleiern“, sagte der Generalsekretär des Ministeriums für Bergbau und Energie, Paulo Pedrosa.

Doch bereits wenige Tage später erklärte die Nationale Energieagentur Aneel die Machbarkeitsstudien für das Wasserkraftwerk Jatobá am Tapajós-Fluss, zwischen Itaituba and Jacareacanga gelegen, für rechtens. Wußte da die eine Behörde nicht, was die andere gerade entschieden hatte?

Nun gibt es dazu eine neue These. Der US-amerikanische Wissenschaftler Philip Fearnside, der seit vielen Jahren in Amazonien lebt und forscht, weist in einem Beitrag auf die neuesten Entwicklungen in Brasiliens Politlandschaft hin, die das im Januar von hohen Ministerialbeamten verkündete Ende der Großstaudämme wieder rückgängig machen würden. Denn die oben zitierten hohen Beamten, Paulo Pedrosa und Luiz Augusto Barroso, wurden nach Amtsantritt des neuen Ministers für Bergbau und Energie, Moreira Franco, mittlerweile durch andere auf ihren Posten ersetzt. Und seit Januar habe es, so Fearnside, keine weiteren Meldungen von Seiten der Regierung in Bezug auf weitere eingestellte Staudammpläne gegeben. Daher geht Fearnside davon aus, dass die Politik der Großstaudämme in Amazonien doch weitergehe. Ein Rücktritt vom erklärten Rücktritt.

Da hat sich dann wohl doch die stärkere Lobby durchgesetzt.

// Christian Russau

]]>
Der Dammbruch von Mariana und seine noch immer ungelösten Folgen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/der-dammbruch-von-mariana-und-seine-noch-immer-ungeloesten-folgen/ Sun, 22 Apr 2018 13:31:34 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1720 Am 5. November 2015 brach der Damm eines Rückhaltebeckens bei Mariana im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Millionen Kubikmeter Eisenerzschlammreste zerstörten ein Dorf, 19 Menschen kamen ums Leben. Tausende Fischer im Einzugsbereich des Rio Doce wurden arbeitslos, 3,5 Millionen Menschen waren monatelang von der regulären Wasserversorgung abgeschnitten. Der Rio Doce, der „süße Fluss“, wird noch auf Jahrzehnte zerstört sein. Bis heute haben die Verantwortlichen die Millionenstrafzahlungen wegen großer Fahrlässigkeit nicht gezahlt.

Christian Russau von GegenStrömung wird im April und im Mai auf zwei Veranstaltungen über das größte Bergwerksunglück aller Zeiten und dessen Folgen hinweisen.

26. April 2018, Osnabrück: Das größte Bergwerksunglück aller Zeiten – Was hat Brasilien mit uns zu tun?

Am 5. November 2015 brach der Damm eines Rückhaltebeckens bei Mariana im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Millionen Kubikmeter Eisenerzschlammreste zerstörten ein Dorf, 19 Menschen kamen ums Leben. Tausende Fischer im Einzugsbereich des Rio Doce wurden arbeitslos, 3,5 Millionen Menschen waren monatelang von der regulären Wasserversorgung abgeschnitten. Der Rio Doce, der „süße Fluss“, wird noch auf Jahrzehnte zerstört sein. Bis heute haben die Verantwortlichen die Millionenstrafzahlungen wegen großer Fahrlässigkeit nicht gezahlt.

Der Referent Christian Russau ist Autor und Umwelt- und Menschenrechtsaktivist aus Berlin. Er arbeitet u.a. beim Netzwerk der Brasilienkoordinationsgruppen (KoBra) mit und ist Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Die Folgen unseres auf imperialer Lebensweise basierenden Konsums sollen im Mittelpunkt des Vortrages und der Diskussion mit dem Publikum stehen.

Termin: 26. April, 20.00 Uhr
Veranstalter: Lateinamerika-Arbeitskreis im A3W

Ort: Lagerhalle
Rolandsmauer 26
49074 Osnabrück

17. Mai 2018 in Berlin: Schmutzige Profite. Deutsche Banken und ihre menschenrechtliche Verantwortung: Der Fall des Dammbruchs von Mariana in Brasilien
Lesley Burdock wird die aktuelle Studie von Facing Finance, „Dirty Profits“ vorstellen, in der die Zusammenhänge zwischen einzelnen Bergbauunternehmen und den Europäischen Banken kritisch beleuchtet werden. Anschließend diskutieren unsere brasilianischen Gäste María José Horta Carneiro Silva (eine direkt Betroffene) und Joceli Andrioli von der brasilianischen Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB) mit Susanne Friess von Misereor und Christian Russau vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika und GegenStrömung über diese Fragen. Maike Drebes von der Friedrich-Ebert-Stiftung wird die Veranstaltung moderieren.

Anmeldungen bitte bis zum 7. Mai 2018 über unsere FES Webseite: www.fes.de/gpol oder unter Lena.Schill(ät)fes.de.

Zeit: 17. Mai 2018 von 17:30-20:00 Uhr
Ort: in der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., Hiroshimastraße 28, 10785 Berlin, Haus 2, 6. Etage – Raum 6.01

]]>
Die Röhre, die niemand in der Firma kannte https://www.gegenstroemung.org/web/blog/die-roehre-die-niemand-in-der-firma-kannte/ Mon, 26 Feb 2018 12:33:17 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1686 Aus den Klärschlammbecken der weltgrößten Aluminiumschmelze Alunorte ist toxisches Material ausgetreten. Zuerst wies die der norwegischen Norsk Hydro gehördende Alunorte den Vorwurf weit von sich, musste dann aber eingestehen, dass es vom Klärbecken eine Röhre gab, durch die der Rotschlamm entweichen konnte. Alunorte erklärte, sie habe von der Existenz dieser Röhre nichts gewußt.

Von Thomas Bauer und Christian Russau

Aus der weltgrößten Aluminiumschmelze Alunorte in Barcarena, im brasilianischen Bundesstaat Pará, traten in den vergangenen Tagen große Mengen an rotgefärbten Abwässern aus, diese erreichten einen kleinen Bach und verbreiteten sich von dort in den umliegenden Dörfern aus. Die AnwohnerInnen brachen in Panik aus, fürchteten, dass es sich dabei um giftige Abwässer des Rotschlammbeckens aus der Aluminiumproduktion handeln könnte. Die verantwortliche Firma verwies auf den Starkregen der letzten Tage, erklärte die rote Färbung mit dem dort natürlich vorkommenden rotgefärbten Erdboden und versicherte, die Aluminiumschmelze sei sicher und erfülle voll und ganz alle Umweltvorgaben. Dann fanden die AnwohnerInnen tote Fische in den Flüssen, den AnwohnerInnen starben ihre Hühner, und die Kinder, die in Kontakt mit dem Wasser geraten waren, bekamen Hautausschlag. Alles ganz ungefährlich? Leider nein.

Eine Vorort-Inspektion eines unabhängigen Forschungsinstituts brachte dann den Skandal in seiner ganzen Dimension zutage: In dem rotgefärbten Wasser fand sich Blei in hohen Konzentrationen, auch bei Natrium, Nitrat und Aluminium lagen die gemessenen Werte über den Grenzwerten, bei Aluminium lag der Wert 25 Mal höher, als es die gesetzlichen Grenzwerte erlauben. Das rotgefärbte Wasser wies den Untersuchungen zufolge auch deutlich erhöhte ph-Werte auf. Und: Vom dem Klärbecken des Rotschlamm-Tailings gab es eine Überlaufröhre, durch die die Klärschlämme in die Umgebung entwichen. Alles mit Absicht, um sich billig per illegaler Verklappung aufwändiger Aufbereitung- und Lagerungskosten zu entledigen, wie das Forschungsinstitut Evandro Chagas (IEC) mutmaßte? Oder hatte jemand in der Firma einfach vergessen, dass es dort diese Röhre gab?

Im Jahresbericht über die Sicherheit von Staudämmen, ein obligatorisches offizielles Dokument, das jährlich vom Staatlichen Umweltsekretariat der Nationalen Wasserbehörde und der Nationalen Bergbauagentur vorgelegt werden muss, gibt es übrigens keine Aufzeichnungen von der Existenz dieses Abwasserbecken, aus dem nun der Klärschlamm austrat. Operiert dann also dieses Klärbecken komplett ohne behördliche Genehmigung, wie die Staatsanwaltschaft den Fall sieht?

Sandra ist Mutter von fünf Kindern und wohnt in São João. Das kleine Dorf wurde 2016 von den Bundesbehörden als Quilombo offiziell anerkannt. Quilombolas sind die Nachfahren entflohener Sklaven. Sandra berichtet, dass sich das rotschlammfarbige Wasser des Flusses Muripi seit Tagen seinen Weg durch die Gemeinde bahnt. Sie ist erzürnt und erzählt mit bedrückter Stimme am Telephon: „Dies ist nur ein Unfall mehr, der hier passiert ist. Es gibt Studien, die belegen, dass sich seit der Inbetriebnahme des Bergbauwerkes bereits 35 solcher Unfälle ereignet haben. Das ist nun der 36igste.”

Der Widerstand der AnwohnerInnen aus Barcarena, entlang des Flusses Muripi und seinen Wasserquellen, gegen die Wasserverschmutzung durch den Bergbaukonzern Alunorte geht schon seit Jahren. Alunorte gehört der norwegischen Norsk Hydro, weltweit führender Aluminiumproduzent mit Sitz in Oslo, dessen Hauptaktionär ist mit einem Anteil von 43,8% der norwegische Staat. Nicht nur Brasilienkenner fragen sich, wie das zusammengeht, dass die norwegische Regierung einerseits den Amazonas Fonds Fundo Amazônia mit großzügigen finanziellen Mitteln unterstützt, um die immer noch dramatische Entwaldung in Amazonien zu bekämpfen sowie die Erhaltung und nachhaltige Nutzung des Amazonasgebietes zu fördern, und gleichzeitig aber bei Konzernen dividendenbringende Anteile an Konzernen hält, die mit ihrer Aluminiumproduktion dem Ökosystem und den AnwohnerInnen in der Region derart zusetzen. Schon im Jahr 2009 kam es zum Austritt von Rotschlamm, den giftigen Rückständen aus Ätznatron und Schwermetallen, die bei der Aluminiumproduktion anfallen. Damals lief der Rotschlamm aus, die umliegenden Gewässer, Brunnen und Bäche wurden vergiftet, doch bis heute wurde nichts Substantielles dagegen unternommen. Die damalige auferlegte Strafe des brasilianischen Umweltamtes von 17 Millionen Reais (heute umgerechnet 4,3 Millionen Euro) an Bußgeldern für die Verschmutzung der Flüsse der Region hat das Unternehmen bis heute nicht bezahlt. Die Situation ist verheerend, dies zeigt auch eine Studie der staatlichen Universtiät Pará – UFPA, die im Jahre 2015 feststellte, dass mehr als 90% des Wassers der Gemeinde kontaminiert war.

Von dem gegenwärtigen Austritt an mutmaßlichem Rotschlamm sind in den weiter umliegenden Dörfern und Stadtviertel insgesamt mehr als 400 Familien direkt von dieser Situation betroffen. Niemand weiß, inwieweit die AnrainerInnen im weiteren Umfeld der Aluminiumschmelze nicht auch betroffen sind.

Alunorte wich den unangenehmen Fragen und Klagen der AnwohnerInnen lange aus, wiegelte ab. Mit saloppen Worten wie „nichts ist ausgelaufen. Die Sturzbäche in den Dörfern wurden vom Starkregen hervorgerufen und die Rotfärbung kommt von dem dort natürlich vorkommenden rotgefärbten Erdboden”. Auch der Governeur Simão Jatene von der Partei PSDB erklärte während eines Interviews, der Starkregen sei Schuld und verteidigte den Bergbaukonzern. Dies ist allerdings kaum verwunderlich, wenn man sich daran erinnert, dass Jatene selbst nicht nur die Umsetzung des Abbauprojekts der Alunorte in Barcarena mit Worten unterstützte, sondern dem Unternehmen Steuervorteile in Höhe von Schätzungsweise 7,5 Mrd. R$ (heute umgerechnet 1,88 Mrd. Euro) über einen Zeitraum von 15 Jahren gewähren ließ.

Erst nach der Veröffentlichung der Studienergebnisse durch das Forschungsinstitut IEC gestehen die Verantwortlichen der Alunorte nun ein, dass es diese laut eigenen Angaben ihnen nicht bekannte Röhre gibt. Die Firma sagte zu, den Vorfall aufzuklären und die Röhre umgehend zu verschließen.

Insgesamt sind es mindestens vier Dörfer und Stadtviertel, die direkt vom Austritt der toxischen Rückstände betroffen sind. Die Rückhaltebecken der Alunorte sind durch erhöhte Deiche geschützt, deren Höhe bis zu 30 Meter beträgt. Die Dörfer der AnwohnerInnen liegen nur drei Meter hoch. Die kleinen Holzhäuser bieten nicht viel Schutz, sollte eines Tages einer der Dämme brechen. „Wir hier aus der Quilombola-Gemeinde leben nur 1.000 Meter weg von Alunorte und wir wären die ersten, die sterben, weil wenn da die Dämme brechen, dann wird die Geschwindigkeit der Flutwelle so schnell sein, dass es keine Zeit für eine Evakuierung geben wird”, fürchtete angesichts des zunehmenden Starkregens die Anwohnerin Socoroo bereits am 12. Februar gegenüber dem investigativen Blog Ver o fato.

Am 17. Februar gelangte dann für alle offensichtlich diese rote Farbe in das Flusswasser, dessen Pegel anstieg und die Gärten der AnwohnerInnen überflutete. Seit diesem Tag können die Betroffenen das Wasser nicht mehr nutzen. Erst seit dem 24. Februar, eine Woche später, und erst als alles Leugnen der Firma nicht mehr half und die stichhaltigen Beweisen der veröffentlichten Studie des IEC vorlagen, erst dann stellte der Bergbaukonzern den Familien sauberes Trinkwasser zur Verfügung. Doch das reicht nicht vorne und nicht hinten, betont Sandra: „Wir wohnen hier zu sechst, und sie haben uns für vier Tage drei Wasserkanister mit jeweils 20 Liter Wasser gebracht. Das ist das einzige saubere Wasser, das wir haben im ganzen Haushalt.” Schwer vorstellbar wie eine Person mit nur 10 Liter Wasser für vier Tage auszukommen hat. „Viel schlimmer“, so berichtet Sandra weiter, „trifft es die Familien, die nicht um ihre Rechte wissen, die haben noch viel weniger Wasser zu Verfügung, denn bei mir weiß der Bergbaukonzern, dass ich mir als Mitglied der Bewegung der Bergbaubetroffenen, kurz MAM, nicht alles gefallen lasse”.

Nachdem die Minenverantwortlichen ihre Schuld eingestanden haben, haben nun auch der Governeur Simão Jatene und sein Regierungsteam Maßnahmen angekündigt, um die betroffenen BewohnerInnen zu schützen und den Schaden wiedergutzumachen. Wahrscheinlich nicht viel mehr wie leere Worte, denn es bleibt zu befürchten, dass es im Falle der Alunorte ähnlich ablaufen wird wie im Falle „Mariana“, wo im November 2015 das Rückhaltebecken des Bergbaukonzerns SAMARCO (deren Anteilseigner die brasilianische Firma Vale und die anglo-australische BHP Billiton je zur Hälfte sind) brach und das Rio Doce-Flusstal mit giftigem Schlamm flutete und bis heute niemand der Verantwortlichen dafür juristisch zur Verantwortung gezogen wurde.

Der Mutterkonzern der Alunorte, Norsk Hydro, extrahiert Bauxit in Paragominas und Trombetas, allein bei Mineração Rio do Norte (MRN) in Trombetas sind es 23 Tailings. Der Bruttoumsatz des Bergbaukonzerns Norsk Hydro lag im Jahr 2017 bei umgerechnet 11 Mrd Euro, der Gewinn nach Steuern lag bei umgerechnet 918 Millionen Euro. Alunorte produziert aus dem in den Hydro-eigenen Minen gewonnen Bauxit im Werk in Barcarena jedes Jahr 5,8 Millionen Tonnen Aluminium, das zu 86% ins Ausland (Naher Osten, Nordamerika und Europa) exportiert wird. Die Jahresmenge von 5,8 Millionen Tonnen raffinerierten Aluminiums allein bei Alunorte in Barcarena entspricht ganzen zehn Prozent der weltweiten Aluminiumproduktion.

Deutschland hat mit 31,6 kg pro Person und Jahr den höchsten Aluminiumverbrauch pro Kopf, gefolgt von den USA (30 kg/per annum) und Japan (26,4 kg/per annum). Dieser hohe Wert für Deutschland ergibt sich aus dem hohen Anteil der Automobilproduktion im Lande: 44 Prozent des Gesamtverbrauchs von Aluminium in Deutschland geht auf den Automobilbau zurück, gefolgt von 16 Prozent im Bausektor sowie 9 Prozent für Verpackungen. Deutschland importiert das meiste Aluminium aus Guinea.

Ob Guinea oder Brasilien: Grundsätzlich gilt, dass Aluminium nicht der saubere Stoff für Umwelt und Mensch ist, für den er gerne gehalten wird. Aus vier bis fünf Tonnen Bauxit entstehen zwei Tonnen Aluminiumoxid. Dessen Herstellung macht mehr als 2 Prozent des Weltstromverbrauchs aus, und pro Tonne hergestellten Aluminiums entstehen zwischen einer und sechs Tonnen des gefährlichen Abfallprodukts Rotschlamm.

Für Brasilien gilt: Es wird mehr und mehr ein Paradies für Bergbaukonzerne! Denn die Politik ist massiv an einer Ausweitung der Bergbauaktivitäten im Lande interessiert. Im brasilianischen Nationalkongress nimmt die Verabschiedung von Gesetzen und Dekreten zur “Flexibilisierung” des Umweltgenehmigungsverfahrens Fahrt auf. Dieser Prozess zur Aufweichung und Lockerung von Auflagen war bereits vor Jahren mit den sogenannten erleichterten Durchführungsbestimmungen, den ominösen TACs, in die Wege geleitet worden. Seit Jahren wurde zudem versucht, in den Kammern des Nationalkongresses einen neuen, ebenfalls auf Flexibilisierung abzielenden Bergbaukodex zu verabschieden. Da diese Gesetzesreform bislang noch keine Mehrheiten in den Kammern erzielen konnte, hat sich die Regierung für den einfacheren Weg über Gesetzesdurchführungsbestimmungen sowie der Schaffung einer nationalen Regulierungsbehörde für Bergbau (Agência Nacional Reguladora da Mineração) entschieden. Diese Bestrebungen zielen darauf ab, Kontrollen und Sicherheitsvorschriften abzubauen. All dies ist im Vorschlag für ein breites Allgemeines Lizenzierungsgesetz (Lei Geral de Licenciamento) enthalten und würde eine ganze Welle von „Lizenzierung light“ mit sich bringen. Mehr als 250 zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren diese Behördengenehmigungspolitik und befürchten die Gefahr von „vielen weiteren Dammbrüchen à la Mariana“ in der Zukunft.

Diese Gefahr ist nicht unbegründet. Die nationale Wasserbehörde ANA veröffentlichte bereits 2014 einen Bericht zur Sicherheit von Dämmen in Brasilien. Laut diesem Bericht wurden lediglich 15 % der Dämme klassifiziert und erfasst. Bei 14.966 existierenden Dämmen ist dies eine sehr niedrige Zahl. In den vergangenen vier Jahren wurde jeder Damm im Durchschnitt nur einmal durch Fachleute der Bundesbehörde inspiziert. Selbst Brasiliens Bundesrechnungshof TCU konstatierte dementsprechend, dass die Kontrolle der Dämme im Land „schwach und unzureichend“ sei. Seit der Jahrtausendwende gab es in Brasilien insgesamt 17 Dammbrüche. Es steht zu befürchten, dass „Mariana“ kein Einzelfall war und bleibt.

]]>