Brumadinho – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Tue, 20 Oct 2020 12:58:42 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Fundação Renova und die Greenwashing-Propaganga fünf Jahre nach dem Bruch des Samarco-Vale-BHP Billiton-Damms bei Mariana https://www.gegenstroemung.org/web/blog/fundacao-renova-und-die-greenwashing-propaganga-fuenf-jahre-nach-dem-bruch-des-samarco-vale-bhp-billiton-damms-bei-mariana/ Tue, 20 Oct 2020 12:16:06 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2121 Knapp fünf Jahre nach dem Bruch des Rückhaltebeckens Fundão bei Mariana versucht die von Vale zur Beseitigung der Schäden und zur Leistung von Kompensationsmaßnahmen sowie Entschädigungszahungen eingesetzte Stiftung Fundação Renova in großseitigen Anzeigen, die in Form von Presseberichten daherkommen, in Internetportalen des Bundesstaates Minas Gerais die Leistungen der Fundação Renova zur Renaturalisierung und zur Wiederherstellung des Rio Doce in werbetauglichem Greenwashing schönzureden.

Unter dem schön klingenden Titel „Recuperação do rio Doce“ („Die Wiederherstellung des Rio Doce“) veröffentlicht die Fundação Renova in dem Portal „O Tempo“ sponsored content, der als Publieditorial zwar gekennzeichnet ist, ein Umstand, der vielen Leser:innen aber nicht sofort auffallen sollte. In dem Text beschreibt die Fundação Renova den Umfang und die Bedeutung der Wiederaufräum-, der Wiederhestellungsarbeiten sowie der geleisteten Entschädigungen. Am Beispiel der Wasserqualität des Rio Doce versucht die Fundação Renova ihre Arbeit ins strahlende Licht zu rücken: Das Wasser des Rio Doce sei jetzt wieder „so sauber wie vor dem Bruch“, das Wasser sei „nach Aufbereitung trinkbar“, die Wasserqualität stehe unter konstanter Beobachtung, im übrigen sei der „Rio Doce das am meisten kontrollierte Wassereinzugsgebiet“ des ganzen Landes. Das Wasser des Rio Doce könne also für die Viehwirtschaft und alle anderen Tiere verwendet werden, für den Ackerbau, für Freizeitspaß und eigne sich – nachdem es behandelt wurde – auch für den menschlichen Verbrauch als Trinkwasser.

Komisch nur: Warum hatten Wissenschaftler:innen der Universidade Federal do Espírito Santo (Ufes) erst vor Monatsfrist neue Studienergebnisse veröffentlicht, die in den Sedimenten des Rio Doce hohe Belastungen an vor allem Kadmium und Arsen nachwiesen, die auch in Fischproben, in Proben von Untergrundwasser sowie in menschlichen Proben in deren Haar und Fingernägeln gefunden wurde?


Zum Hintergrund:

Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar 2019 in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao gebrochen. 272 Menschen starben, aber so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, erreichte der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter:innen zu Mittag aßen. Busse, in denen Arbeiter:innen saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba bis heute biologisch tot.

Dieses Szenario erinnert an den Dammbruch von Mariana des Rückhaltebeckens Fundão, als dort 2015 bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und dem anglo-australischen Unternehmen BHP Billiton) der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörten mehrere Dörfer, Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischer:innen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar.

Dabei ist klar: Die Dammbrüche von Mariana und Brumadinho si nd nur die sichtbare Spitze des Eisbergs an Skandalen im brasilianischen Bergbau. Grundsätzlich erfolge der Bergbau in Brasilien, so Juliana Malerba von der brasilianischen Nichtregerungsorganisation FASE, „auf Basis der Umweltungerechtigkeit“. Denn genau die Gruppen, die bereits historisch diesen Prozessen der Umweltausbeutung ausgesetzt waren, „die Ärmsten, die Schwarzen, die quilombolas, die traditionellen und indigenen Gemeinschaften, die am Fluss wohnenden ribeirinhos, die Kleinfischer, die Kleinbäuerinnen und -bauern, es sind genau diese Gruppen, auf deren Territorien und Gebieten sich diese Aneignung der Natur nach wie vor ereignet.“ Anstatt dass durch grundlegende Politiken der öffentlichen Hand dafür Sorge getragen werde, dass diese Gruppen in Würde in ihren Gebieten und Territorien leben können, werden die Gebiete durch rücksichtslosen Bergbau zu „Opfergebieten“, so Malerba.

Und dabei gibt es auch eine deutsche Mitverantwortung: Im Jahr 2019 exportierte Brasilien Eisenerz im Wert von 22,7 Milliarden US-Dollar. Eisenerz dominierte demnach mit 87,79 Prozent den Export mineralischer Rohstoffe. Der Anteil des Eisenerzes lag bei 10,06 Prozent der Gesamtexporte (etwa 225 Milliarden US-Dollar) und lag somit nach dem Sojakomplex an zweiter Stelle der brasilianischen Exporte. Das aus Brasilien nach Deutschland exportierte Eisenerz stellt derzeit satte 43 Prozent der deutschen Gesamteinfuhren von Eisenerz dar.

So attestiert auch der Leiter der Deutschen Rohstoffagentur, Peter Buchholz, Brasilien eine bedeutende Rolle bei der Rohstoffsicherung Deutschlands. „Beachtliche 8,5 Prozent der deutschen Gesamtimporte mineralischer Rohstoffe stammen aus Brasilien.“ Hinzu komme, so Buchholz, dass der brasilianische „Bedarf an Explorations-, Abbau-, Förder-, Verlade- und Aufbereitungstechnik und darüber hinaus in der Infrastrukturentwicklung wie dem Hafenausbau und an der Schiffs-, Eisenbahn- und Lkw-Technik sehr hoch“ sei und künftig „noch erheblich steigen“ werde.

So ergänzt sich also die alte und neue internationale Arbeitsteilung zwischen Brasilien und Deutschland: „Im Fokus stehen neue Lieferquellen für strategisch wichtige Rohstoffe und Zwischenprodukte sowie neue Absatzmärkte für Bergbaumaschinen und -ausrüstungen.“ Das Industrieland Deutschland produziert hochwertige Maschinen und Anlagen, das Rohstoffexportland Brasilien bleibt auf den externalisierten Kosten wie Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen im Bergbau sitzen. Den Gewinn machen die transnationalen Konzerne in beiden Ländern, den Preis zahlen die Menschen in den Territorien.

//christian russau www.outro-mundo.org

]]>
„Kein Profit über das Leben!“ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/kein-profit-ueber-das-leben/ Tue, 28 Apr 2020 09:07:56 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2046 Versicherungsgesellschaften müssen dringend aufhören, Policen für Bergbauunternehmen zuzulassen, die systematische Verletzungen von Menschenrechten in ihren Einflussgebieten betreiben. Stellungnahme von Maíra Sertã Mansur von der Internationalen Koordinierung der vom Unternehmen Vale Betroffenen (Articulação Internacional – Atingidos e Atingidas pela Vale) anlässlich der Jahreshauptversammlung von Munich Re, Allianz, Hannover Re und Talanx in diesem Frühjahr 2020.

n Brasilien haben die Brüche der Tailing-Dams von Fundão der Firma Samarco (zu je 50% im Besitz von Vale und BHP Billiton) im Jahr 2015 sowie der Bruch des Tailing-Dams Barragem I der Firma Vale in Brumadinho im Januar 2019 die ganze Perversität der Firmen im Bergbausektor bloßgelegt.

Das Verbrechen von Samarco/Vale/BHP verursachte den Tod von 19 Menschen sowie den Verlust einer Schwangerschaft im dritten Monat. Zudem kam es durch den Bruch vom 5. November 2015 bei Mariana zu einer Umwelt- und sozialen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes, dies auf einer Länge von 586 Kilometern entlang des durch den Bruch verseuchten Flusses Rio Doce, in zwei brasilianischen Bundesstaaten, in Minas Gerais und in Espírito Santo.

In Brumadinho war es erneut die Firma Vale, die verantwortlich zeichnete für einen Bruch, einen, der 270 Menschen das Leben nahm, darunter zwei schwangeren Frauen. Und erneut gab es eine soziale und Umweltkatastrophe, auf hunderten von Kilometern.

Sowohl die Firmen Samarco (Vale/BHP Billiton) im Falle von Mariana als auch Vale im Falle Brumadinhos haben Versicherungen abgeschlossen. Die von den Fällen betroffenen Unternehmen haben eine Versicherung für ihren Betrieb abgeschlossen. Diese Versicherungen betrafen jedoch in erster Linie den Schutz des eigenen Vermögens und den Deckungsschutz vor Verlust von Gewinnen. Die Beträge, die für Umweltfragen und zivilrechtliche Haftung vorgesehen sind, sind minimal oder schlicht nicht vorhanden. So sind selbst bei großen Katastrophen wie der von Samarco und Vale die Unternehmen immer versichert, während die betroffenen Menschen und die Umwelt auf sich allein gestellt sind.

Obwohl es also Versicherungsschutz gab, hat Samarco nach fast fünf Jahren des Bruchs von Fundão viele der Betroffenen immer noch nicht anerkannt, ihnen nicht alle ihre Rechte zugesichert und auch nicht die Wiederherstellung des Rio Doce als wirtschaftlich und natürlich intakte Region geschafft. Vale im Falle des Bruchs von Brumadinho folgt dem gleichen Fahrplan, um den Betroffenen das Leben schwer zu machen und denjenigen, die betroffen sind, eine vollständige Wiedergutmachung möglichst zu erschweren.

So tragen die Versicherungsgesellschaften eine Mitverantwortung für die Verbrechen, indem sie Strukturen wie Erzaufbereitungsdämme versichern, ohne die sozialen und ökologischen Auswirkungen eines katastrophaen Bruchfalls wie der von Mariana und Brumadinho zu berücksichtigen. Es kann nicht sein, dass einzig der Aussage der Versicherungsnehmer (der Unternehmen Samarco, Vale, BHP Billiton) vertraut wird, aber der schon vor den Dammbrüchen lautstarke und fundierte Kritik und Warnung der Zivilgesellschaft vor den katastrophalen Bruchfolgen keine Beachtung geschenkt wird. Dämme brechen nicht ohne vorherige Anzeichen, und aus diesem Grund sind Samarco/Vale/BHP und Vale in Brumadinho für Verbrechen gegen Mensch und Umwelt verantwortlich. Sowohl bei Mariana als auch bei Brumadinho haben Untersuchungen gezeigt, dass den Unternehmen genügend Warnhinweise auf Brüche schon vorher bekannt waren. Im Falle Brumadinhos war es sogar eine deutsche Firma, TÜV SÜD aus München, dessen hundertprozentige Tochterfirma in Brasilien dem Damm von Brumadinho offensichtlich wider besseren Wissens Sicherheit attestierte, zwei Mal, wenige Monate bevor der Damm im Januar 2019 brach. Die Staatsanwaltschaften in Brasilien und Deutschland erheben deshalb Anklage gegen die Verantwortlichen.

Versicherungsgesellschaften müssen dringend aufhören, Policen für Bergbauunternehmen zuzulassen, die systematische Verletzungen von Menschenrechten in ihren Einflussgebieten betreiben. Deshalb fordern wir, dass der Profit nicht mehr über das Leben gestellt wird.

Übersetzung: Christian Russau (outro-mundo.org)

]]>
„Wie oft haben Ihre Spezialisten die Dämme von Mariana und Brumadinho vor den jeweiligen Brüchen geprüft“ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wie-oft-haben-ihre-spezialisten-die-daemme-von-mariana-und-brumadinho-vor-den-jeweiligen-bruechen-geprueft/ Tue, 21 Apr 2020 11:25:49 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2043 Da der weltgrößte Rückversicherer in diesem Jahr seine Hauptversammlung ohne Präsenz der Aktionär:innen rein virtuell abhält, müssen Kritische Aktionär:innen ihre Fragen diesmal vorab schriftlich einreichen. Ob sie allerdings verlesen werden und/oder gar, wie der Gesetzgeber es gerade unternehmensfreundlich bestimmt hat, nur „dem Ermessenspielraum der Konzerne“ nach beantwortet werden, wissen wir noch nicht. Christian Russau von KoBra, GegenStrömung und Kritische Aktionär:innen will auf jeden Fall Antworten auf die Versicherungspolitik der Munich Re in Sachen Bergbautailings, vor allem in Bezug auf Mariana und Brumadinho.

Quelle: Kritische Aktionär:innen

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich bin Kleinaktionär der Munich Re und Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen AktionärInnen.

Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar 2019 in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao gebrochen. 370 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden itgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot.

Das Alles erinnert leider viel zu sehr an den Dammbruch von Mariana des Rückhaltebeckens Fundao, als dort bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton) der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Die Münchener Rück war damals an der (Rück-)Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt, und auch an der (Rück-)Versicherung des bei Brumadinho gebrochenen Dammes.

Ich frage Sie:

1) Die Münchener Rück hat ja gemeinsam mit dem TÜV Süd (neben Vale der derzeit mutmaßliche Hauptverantwortliche für den Dammbruch bei Brumadinho) im Januar 2014 das gemeinsame Projekte Project Risk Rating gestartet. Bitte legen Sie mir daher dar, welche Inhalte dieses Projekt genau hatte und ob es derzeit fortgeführt wird?

2) Wie oft haben Ihre Spezialisten die Dämme von Mariana und Brumadinho vor den jeweiligen Brüchen geprüft? Hatten Ihre Spezialisten dabei irgendwelche nennenswerten Erkenntnisse?

3) Noch eine Frage: Laut unseren Recherchen hielt die Münchener Rück im vergangenen Jahr keine Aktien oder Anleihen des brasilianischen Bergbaukonzern Vale. Ist dies nach wie vor korrekt? Falls nein, in welchen Anlagen sind Münchener Rück und oder Tochterfirmen und oder Fonds direkt oder indirekt an Vale beteiligt? Bitte schlüsseln Sie die Daten je Unternehmenseinheit auf.

4) Sie werden sich erinnern, dass wir Sie auf der Aktionärsversammlung von 2016 wegen des Dammbruchs bei Mariana befragt haben, und Sie werden sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir Ihnen die grundlegenden Risiken von Dämmen bei Bergbau-Rückhaltenbecken, die nach der Upstream-Methode gebaut wurden, dargelegt haben und Sie aufgefordert haben, solche Upstream-Dämme schnellstens auszuphasieren, da sie für Mensch und Umwelt ein untragbares Risiko darstellen. Der bei Brumadinho (2019) gebrochene Damm war wie der bei Mariana (2015) ein sogenannter Upstream-Damm. Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim Upstream-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste entsprechend ausgetrocknet sind. Upstream-Dämme sind deutlich billiger als Center- oder Downstream-Dämme, deswegen sind sie bei den Bergbaufirmen so beliebt. Sie brechen aber auch viel häufiger.
Nach dem Dammbruch von Mariana (5.11.2019) haben wir Sie auf der Hauptversammlung 2016 also aufgefordert, für die Zukunft festzulegen, dass das Upstream-Verfahren bei Tailings (also Bergwerksdeponien) in Zukunft als klares Ausschlusskriterium bewertet werden müsse. Dies ist trotz unserer klaren Warnung, dass weitere Dämme brechen würden, unseres Wissens nach bei Ihnen in der Firma noch nicht geschehen. Es gibt zwar Debatten: Das International Council on Mining and Metals, ein Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen, hatte im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von Abraumschlamm zu überprüfen. Solche Ankündigungen sind wohlfeil, wenn Sie ihren werbetechnischen Hochdruckglanz ausstrahlen, sind aber zynisch, wenn sie hohle Phrasen und somit alles beim Alten bleibt – und dann der nächste, noch größere Dammbruch – wie im vergangenen Jahr bei Brumadinho geschehen, kommt.
In einem Debattenbeitrag aus dem Dezember 2017 erklärt die Münchener Rück auf ihrer Webseite: ‘Auch in der Assekuranz hat ein Umdenken begonnen, nachdem Dammbrüche in den vergangenen Jahren mehrere Großschäden ausgelöst hatten. Ziel ist es, die Risiken besser einschätzen zu können, um auch künftig die Versicherbarkeit von Tailings Dams zu gewährleisten. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang, den Bergbau mit seinen speziellen Risiken aus der gewöhnlichen Sachversicherung herauszutrennen. Munich Re ist in ihrer Einheit Corporate Insurance Partner (CIP) diesen Weg bereits gegangen. Denn anders als etwa für den Öl- und Gassektor ist in der Assekuranz traditionell kein eigener Geschäftsbereich für den Bergbau vorgesehen. Versicherungspolicen werden aus den Policenformularen für ‘gewöhnliche‘ Sachrisiken anderer Branchen abgeleitet, indem man bergbauspezifische Zusätze hinzufügt. Dadurch hat die Produktentwicklung nicht mit den Bedürfnissen und Gefahren der Branche Schritt gehalten.‘

Statt also das Problem an der Wurzel anzugreifen, sprich: die gefährlichen Tailing ganz aus der Welt zu schaffen, setzt die Münchener Rück auf ein graduell verschobenes Geschäftsfeld, mit neuen und höheren Umsätzen, ohne dabei das eigentliche zugrundeliegenden Problem anzugehen.
Die Münchener Rück darf solche Upstream-Dämme explizit nicht mehr versichern. Und die Münchener Rück hätte die Verantwortung, firmenübergreifend in der Industrieversicherungsbranche dafür zu sorgen, dass alle Versicherer Upstream-Dämme ablehnen, um so die Praxis dieser enorm bruchgefährdeten Dämme schnellstmöglich auszuphasieren. Das wäre ein erster Schritt. Weitere Schritte wie grundlegend neue Regeln und Gesetze für den Bergbau vor allem in den Ländern des Globalen Südens müssten schnellstmöglich folgen.

Grundsätzlich müssen Sie als Versicherer endlich anfangen, sich konkrete menschenrechtliche und umweltbezogene Kriterien geben, die es wert sind, als solche bezeichnet zu werden. Ihnen bei der Münchener Rück fehlt noch immer ein umfassender Ansatz zur menschenrechtlichen Sorgfalt.

Ich sehe der Verlesung und Beantwortung meiner Fragen auf Ihrer diesmal virtuellen Hauptversammlung mit Spannung entgegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

// christian russau

]]>
Ein Jahr nach dem Bruch: Von Anzeigen, Klagen und dem Warten auf Gerechtigkeit https://www.gegenstroemung.org/web/blog/ein-jahr-nach-dem-bruch-von-anzeigen-klagen-und-dem-warten-auf-gerechtigkeit/ Wed, 22 Jan 2020 10:35:15 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2003 55 Prozent der deutschen Eisenerzimporte kommen aus Brasilien. Was das für Mensch und Umwelt vor Ort in den Bergbaugebieten bedeutet, zeigt sich exemplarisch in der Kleinstadt Brumadinho, Minas Gerais. Warum wir dringend ein Lieferkettengesetz brauchen.

Kurz vor dem ersten Jahrestag des Dammbruchs von Brumadinho mit 270 Toten hat die Landesstaatsanwaltschaft von Minas Gerais strafrechtliche Anklage erhoben gegen die 16 Verantwortlichen bei den Firmen Vale und TÜV Süd Bureau de Projetos e Consultoria Ltda. Den Beschuldigten wirft die Staatsanwaltschaft Mord in 270 Fällen vor.

259 haben sie gefunden. 259 von 270. 259 sterbliche Überreste der durch den Dammbruch von Brumadinho Getöteten. Oder Ermordeten. Denn – so sagen viele der Angehörigen und so sprechen die vor Ort aktiven Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen – der Dammbruch von Brumadinho war ein Verbrechen. „Vale spricht von einem ‚Unfall‘, sagt die Aktivistin Carolina de Moura aus Brumadinho. „Wir müssen es aber als das bezeichnen, was es war: ein Verbrechen. Der Konzern wusste, dass der Damm brechen könnte und hat wissentlich nachlässig gehandelt.“

Zwei Mal wurde der Damm von Brumadinho im Jahr 2018, wenige Monate vor dem Bruch, auf Stabilität und Bruchsicherheit geprüft. Im Juni und September 2018. Geprüft von Ingenieuren des deutschen TÜV SÜD, aus dem beschaulichen München, dort, wo man weit weg sitzt von den alltäglichen Gefährdungen, denen die direkten Anwohner*innen der Eisenerzgruben im Bundesstaat Minas Gerais ausgesetzt sind. Brasilien ist weit weg. Die Verantwortung auch. Aber die Gewinne aus dem Bergbaugeschäft ließen sich immer schnell und problemlos über Grenzen und Ozeane digital transferieren. Und hinterher, nach dem Bruch und im Angesicht der 270 Toten – getötet oder ermordet – , will sich kaum jemand der direkt oder indirekt daran Beteiligten erinnern, wie das damals war, als die Gewinne sprudelten, da die Gewinnspannen doch so verlockend waren.

Es war in den 1970er Jahren, als die deutsche Thyssen Eigentümerin des brasilianischen Bergbaukonzerns Ferteco Mineração war. Ferteco gehörte die Mine von Brumadinho, Córrego do Feijão, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte. Die Mine Córrego do Feijão samt Rückhaltebecken wurde 1956 von der Companhia de Mineração Ferro e Carvão in Betrieb genommen, 1973 wurde sie in die Thyssen-Tochterfirma Ferteco Mineração integriert. Den nun gebrochenen Damm der Mine Córrego do Feijão gebaut hat im Jahr 1976 die damalige Thyssentochter Ferteco Mineração.

Erzbergbau produziert Abraum. Eine Menge Abraum, der auf Halden gelagert wird. Da der Abraum aber aus Konstengründen noch mit Wasser durchtränkt abgelagert wird, was deutlich kostengünstiger ist, als das Abraummaterial zu behandeln und getrocknet zu lagern, lässt sich der Abraum nicht stapeln. Es muss ein Damm rundherum errichtet werden. Dies haben 1976 die Thyssen-Ingenieur*innen auch so geplant. Errichtet wurde ein sogenannter Upstream-Tailing-Damm. Ein mehrere Meter dicker Damm wird errichtet, durchzogen von einem Netz aus Drainagen. Die sind wichtig, damit das Wasser im dahinter abgelagerten Abraum auch nach unten entweichen kann, im Lauf der Jahre und immer nach stärkeren Regenfälle, die oft in Brasiliens Südosten im Sommer der Südhalbkugel vorkommen. Der flüssige Abraum hinter dem Damm vermehrt sich Jahr für Jahr, je länger die Mine ausgebeutet wird, und – der Theorie nach – sollte der Abraum im Laufe der Jahre austrocknen. Durch Vaporisation nach oben, und durch die Drainagen nach unten. Dann, nach einigen Jahren, wenn der Abraum fast die Dammkrone erreicht und ausgetrocknet sein sollte, dann wird auf die Dammkrone und auf den nahe der Krone befindlichen Teil des mittlerweile ausgetrockneten Abraums eine neue Dammkrone draufgesetzt. Das haben sie bei Thyssen getan, wie geplant. Bis zu zehn Mal können so diese Upstream-Dämme suksessive erhöht werden. Ein auf sich selbst aufbauendes Ungetüm in der Landschaft, höher als ein Hochhaus.

Und diese Struktur bei Córrego do Feijão ist gebrochen, am 25. Januar 2019. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter*innen saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot. Nun dringt der Klärschlamm weiter fort in die Lebensader des trockenen brasilianischen Nordostens, in den Rio São Francisco, so dass mittelfristig die Wasserversorgung von Millionen Menschen in Gefahr gerät.

Der im Januar vor einem Jahr gebrochene Damm bei Brumadinho galt zuvor als ein Damm der Risikoklasse 6, nach brasilianischer Einstufung also ein Damm, der unter besonderer Beobachtung stand und an dem daher alle vom Bergwerksbetreiber vorgesehenen Ausbauarbeiten jeweils dem dreistufigen behördlichem Genehmigungsverfahren unterliegen müssten. Also Einholen der vorläufigen Baugenehmigung, nach deren Bewilligung dann die Baugenehmigung, indem wieder neue Prüfungen und Sicherheitstest hätten durchgeführt werden müssen, bevor dann erst – nach erneuter Sicherheitsprüfung – die endgültige, erneuerte Betriebsgenehmigung erteilt worden wäre. Die Betreiberfirma Vale wollte die Mine und somit auch die Rückfangbecken für die Erzschlammreste bis 2032 um 88 Prozent ausbauen. Auf der entscheidenden Sitzung der zuständigen Umweltbehörde des Landes Minas Gerais, im Dezember 2018, wurde aber behördlich, gleichsam mit einem Kugelschreiberstrich, wie Beobachter*innen der Sitzung monierten, die Risikoklasse des Damms von 6 auf 4 reduziert – damit entfiel das vorgeschriebene dreistufige Genehmigungsverfahren. Alles wurde im Sinne der Firmen vereinfacht – und einen Monat später ist der Damm gebrochen. Die Gerichte untersuchen derzeit, ob da kriminelle Energie am Walten war. Es sieht sehr stark danach aus.

Rückblende ins Jahr 2019, 1. Februar 2019. Jahreshauptversammlung von Thyssenkrupp. Eine Woche nach dem Dammbruch von Brumadinho. „Wir erwarten von Thyssenkrupp eine umfassende Kooperation bei der Klärung der Ursachen für den Dammbruch. Es muss geprüft werden, ob das Unternehmen bei Bau und Wartung damals sauber gearbeitet hat“, sagte Tilman Massa vom Dachverband der Kritischen Aktionär*innen auf der Aktionärsversammlung von Thyssenkrupp in Bochum. Dort hat der Dachverband der Kritischen Aktionär*innen zusammen mit der Menschenrechtsorganisation Urgewald Kritik an Auslandsgeschäften des Konzerns geübt, diesmal unter anderem auch wegen des Dammbruchs von Brumadinho. Ein Damm, der nun gebrochen ist, und der vor über 40 Jahren von Thyssen-Ingenieur*innen gebaut wurde. Ob ThyssenKrupp heute noch Unterlagen über den Bau des Dammes, damals, vor nahezu 50 Jahren habe? „Nein!“, so die lapidare Antwort der Herren und Damen der Vorstandsriege des größten deutschen Stahlkochers. Im übrigen sei die Mine ja bereits im Jahr 2000 an die brasilianische Vale verkauft worden, man habe damit nichts zu tun. Nicht so gerne wurden die Herren und Damen von ThyssenKrupp daran erinnert, dass Vale einer der größten Erzlieferanten von ThyssenKrupp ist, denn dann müsste man ja auch über Mitverantwortung in der Lieferkette reden, und vielleicht gar feststellen, dass es mit den menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette nicht so gut aussieht, wie es die Hochglanzbroschüren der Konzerne selbst darlegen.

Das gleiche gilt im übrigen auch für die Versicherer und Rückversicherer. Die Allianz führt laut Meldungen ein Konsortium an, das den brasilianische Bergbaukonzern Vale gegen Haftpflichtschäden rückversichert. Der Münchner Versicherer ist deshalb an den Schäden bei Brumadinho beteiligt. Über die Höhe der Haftpflichtversicherung gibt es widersprüchliche Angaben. Schätzungen am Versicherungsmarkt oszilieren zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Dollar. Zusätzlich hat Vale eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Dieses Modell hatte auch Samarco, deren Dammbruch 2015 einen mehrere Milliarden teuren Schaden bei Dritten und bei der Umwelt verursachte, einen Schaden, der zum weitaus größten Teil bis heute weder beglichen, noch entschädigt wurde, aber Samarco selbst für entgangene Gewinne selbst bis zu zwei Milliarden Reais (umgerechnet rund 500 Millionen Euro) ausgezahlt bekommen sollte, namentlich unter anderem von Allianz, Münchener Rück und Hannover Rück. Die Antwort der Versicherer damals, über die Art der Versicherungspolice, darüber entscheide jedenfalls der Kunde. Die Sachpolice für den nun gebrochenen Damm bei Brumadinho soll Chubb führen.

In der Kritik steht auch die Deutsche Bank. Denn die hat, wie die Kritischen Aktionäre bereits im vorvergangenen Jahr gemeinsam mit MAB, Misereor und Facing Finance auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank in Frankfurt monierten, der brasilianischen Vale zwischen 2010 und 2017 insgesamt Kredite in Höhe von 701 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Joceli Andrioli von der brasilianische Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB), erklärte bereits damals: „Für uns ist es unfassbar verantwortungslos, dass die Deutsche Bank zwei Jahre nach dem Dammbruch von Mariana noch neue Kredite ohne Entschädigungsauflagen an den Mitbetreiber Vale vergeben hat.“ Und Misereor-Bergbauexpertin Susanne Friess erklärte: „Die Deutsche Bank ignoriert seit Jahren unsere Warnungen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen im Rohstoffsektor.“

Auch beim TÜV SÜD hält man sich zugeknöpft. Ignorieren, scheint immer eine gute Devise zu sein für Konzerne, wenn sie öffentlich in die Kritik geraten. Der Damm wurde zwei Mal vom TÜV SÜD inspiziert und beide Mal für sicher befunden. Offiziell. Nur tauchten später diese Emails auf, in denen die Ingenieur*innen ihre Zweifel äußerten und vor einem möglichen Bruch warnten. Der dann am 25. Januar 2019 auch geschah. Diese Bedenken wurden – laut Aussage der TÜV SÜD Mitarbeiter*innen – vom Tisch gewischt, auf massiven Druck von Vale hin, so die TÜV SÜD-Angestellten. Vale-Mitarbeiter hätten gesagt, wenn TÜV Süd die Stabilität nicht attestieren würde, so stünden andere Firmen bereit, den Prüfauftrag zu übernehmen. Zwei Firmen aber, so wurde später bekannt, weigerten sich, die Stabilität des Dammes zu garantieren. TÜV SÜD trat nicht vom Auftrag zurück.

INFOKASTEN zu den Skandalen des TÜV SÜD
Leider reihen sich bei TÜV Süd die Skandale: 2008 deckte die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation International Rivers auf, dass beim Bau des chinesischen Staudamm Xiaoxi 7.500 Menschen vertrieben wurden und dass der Zertifizierer für die Nachhaltigkeit des Projektes, eben die deutsche TÜV Süd, zuvor attestiert hatte, die umgesiedelten Menschen hätten durch das Projekt keine sozialen Nachteile erlitten. Die Recherchen der NGO vor Ort aber ergaben, dass es vor Ort „gewaltsame Vertreibungen gab, keine Wiederherstellung der Einkommenssituation, willkürliche Entschädigungshöhen, einen Mangel an Rechtsberatung für diejenigen, die Verluste erlitten, und kein unabhängige Umweltfolgenstudienerstellung“.
Bei einem anderen von TÜV SÜD als sozial verträglich eingestuften Staudamm – ebenfalls in China – wollte ein unabhängiger schwedischer Radioreporter wissen, wie TÜV SÜD beim Staudamm Tongwan an die Interviews mit den Betroffenen rangekommen ist, die alle ausgesagt hatten, das Projekt sei gut, und die Entschädigungen angemessen. Denn dem Reporter selbst war es nicht gelungen, bei seinen Recherchen vor Ort selbst mit den Menschen zu reden. Dann kam raus: Der TÜV Süd-Mitarbeiter wurde bei seiner Feldstudie vor Ort von Polizeikräften zu den Menschen begleitet. Wenn Menschen durch anwesende Polizisten eingeschüchtert werden, erklärt dies, warum alle sagten, sie seien rundum zufrieden.
Im Rahmen des Kyoto Clean Development Mechanism (CDM) können Firmen in Projekte in sogenannten Entwicklungsländern investieren, wenn diese Treibhausgase nachweislich einsparen helfen und erhalten dafür im Gegenzug CO2-Gutschriften, die sie weiter handeln könnten. Allein im Jahr 2010 ging es dabei um einen 33 Milliarden US-Dollar-Markt und TÜV Süd war damals an einem Fünftel aller CDM-Zertifizierungen beteiligt. Aber: TÜV Süd musste für mehrere Monate von diesem UN-Mechanismus für CDM-Zertifizierungen ausgeschlossen werden. Denn: TÜV Süd habe offenbar Projekte genehmigt, deren Wirksamkeit nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte und auch an der Qualifikation und Berufserfahrung von TÜV-Mitarbeiter/innen gab es Zweifel. Nach sechs Monaten legte der TÜV Süd neue Arbeitsweisen und überarbeitete Strukturen und auch neue Belege über die Qualifikationen der Mitarbeiter/innen vor, sodass TÜV Süd wieder als Zertifizierer bei dem UN-Gremium zugelassen wurde. D.h. im Umkehrschluss aber auch: zuvor waren die Standards des TÜV SÜD unzureichend für diesen UN-Mechanismus.
Beim Wasserkraftwerk Taijiang Yanzhai in China erledigte TÜV SÜD erst eine Machbarkeitsstudie, ob sich das Projekt denn als klimaschonendes Projekt eignen würde – um dann nach der Bejahung sich gleich das Projekt der Zertifizierung selbst zu schnappen. Dabei hatte der TÜV SÜD dann aber übersehen, dass es bei dem Staudammbau zu Vertreibung der Anwohner kam, was nach den Kriterien der Weltstaudammkommission eigentlich verboten ist. Das Projekt hätte also nie die CDM-Freigabe erhalten dürfen.

Die Verantwortung für den Bruch alleine Vale zuzuschieben, überzeugt die Rechtsanwältin Claudia Müller-Hoff vom in Berlin ansässigen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nicht: Der TÜV Süd habe „die Stabilität des Dammes garantiert“, sagt sie. Und da liege der Kern des Problems für TÜV SÜD. „Die direkte Verbindung nach Deutschland in diesem Fall besteht darin, dass es einen direkt verantwortlichen Ingenieur gab, der den gesamten Prozess von hier aus überwachte. Dieser Herr ist laut mehreren Zeugenaussagen mehrmals nach Brasilien geflogen, um die Arbeit der Tochterfirma zu kontrollieren. Und wir wissen, dass die Ingenieure vor Ort den Damm nur mit seiner Zustimmung für sicher erklären konnten. Letztlich attestierten sie dem Damm Stabilität. Daher gehen wir davon aus, dass der deutsche Ingenieur sein Okay dafür gegeben hat.“

Dies ist wohl einer der Gründe, warum der TÜV SÜD derzeit so wortkarg agiert. Wenn ein Firmensprecher sich äußert, dann meist unisono nur so: Man kommentiere den Fall nicht, da dieser mittlerweile ein juristisches Nachspiel habe, oder besser: mehrere juristische Nachspiele.

In Brasilien gibt es wegen des Dammbruchs von Brumadinho zum einen kollektive Zivilrechtsklagen, die auf Entschädigungen abzielen und die unter Ägide der Staatsanwaltschaften geführt werden. Diese werden gemeinhin über zu erzielende Einigungen gelöst. So gab es im Juli 2019 vor dem sechsten Bezirksgericht in Belo Horizonte von Minas Gerais eine Einigung, die Vale als Eigentümerin und Betreiberin der Mine für den Dammbruch verantwortlich macht. Ein technisches Fachgremium soll die Entschädigungen innerhalb von vier Jahren festlegen. Opfer beklagen, dass dies viel zu lange dauert.

Zum Zweiten gibt es mehrere Individualklagen im Bereich des Zivilrechts. Ein Urteil stellte jüngst jüngst fest, dass Vale verantwortlich für den Tod eines ungeborenen Babys ist. Das Urteil legte auch die Werte fest für Entschädigungen im Falle durch den Bruch getöteter Menschen. Diese Werte liegen bislang deutlich über den Entschädigungen, die Vale zu zahlen bereit ist. Zum Dritten gibt es in Brasilien im Bereich der Arbeitsjustiz eine Kollektivklage. Dort wurde bereits eine Entscheidung gefällt. Diese sieht spezifische Entschädigungszahlungen für direkte Verwandte der Opfer vor, gilt allerdings nur für die Arbeiter*innen von Vale. Das Urteil sieht spezifische Entschädigungszahlungen je nach familiärem Grad vor.

Im Bereich des Strafrechts wurde kurz vor dem Jahrestag des Dammbruchs die Anklage gegen die 16 Firmenmitarbeiter*innen und -verantwortlichen erhoben. Dies sowohl gegen Einzelpersonen (Ingenieure und verantwortliche Manager von Vale und vom deutschen Zertifizierungsunternehmen TÜV SÜD) als auch gegen die Firma Vale und die Firma TÜV Süd Bureau de Projetos e Consultoria Ltda.

In Deutschland haben fünf Familien von Betroffenen gemeinsam mit dem European Center for Constitutional Rights (ECCHR) aus Berlin und dem bischöflichen Hilfswerk Misereor aus Aachen Strafanzeige gegen einen Mitarbeiter bei TÜV SÜD eingereicht. Bislang gibt es aber im Strafbereich noch kein formal eröffnetes Strafverfahren. Dies zu tun liegt nun in der Hand der Staatsanwaltschaft München, die erklärte, dass sie Vorermittlungen aufgenommen habe. Ein Strafverfahren in Deutschland sieht per se keinerlei Entschädigungszahlungen vor. Es ginge hier um die strafrechtliche Verantwortung, was bei einer Verurteilung der verantwortlichen Person zu einer Strafzahlung oder Haft führen könnte.

Sollte TÜV SÜD in einem weiteren Verfahren hierzulande, diesmal im Rahmen des Ordnungswidrigkeitsgesetz, schuldig gesprochen werden, so wären dort Strafzahlungen bis zu maximal zehn Millionen Euro möglich. Deutschland plant seit Jahren für solche Fälle ein Unternehmensstrafrecht einzuführen, was bislang noch nicht geschehen ist.

Ob die Straf- und Zivilprozesse in Brasilien und Deutschland zu Verurteilungen und Strafzahlungen führen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Klar ist aber, dass deutsche Konzerne in der Mitverantwortung stehen, aus welchen Minen sie Rohstoffe beziehen und wie der Abbau dieser Rohstoffe vor Ort aussieht und ob alle menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten eingehalten werden. Dies ist oftmals nicht der Fall. Daher fordern eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland dringend ein Lieferkettengesetz. Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften. Skrupellose Geschäftspraktiken dürfen sich nicht länger lohnen. Weder im Eisenerzbergbau, noch beim Kobaltabbau, noch auf den Soja- und Zuckerplantagen, noch anderswo. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Kein hinreichender, aber immerhin ein Schritt.

// Christian Russau

]]>
10 Monate nach Dammbruch: Anzeige gegen TÜV SÜD https://www.gegenstroemung.org/web/blog/10-monate-nach-dammbruch-anzeige-gegen-tuev-sued/ Thu, 17 Oct 2019 09:20:29 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1965 Betroffene erstatten Anzeige gegen TÜV SÜD wegen des Dammbruch des zur Mine Córrego do Feijão gehörenden Rückhaltebeckens.

Das ECCHR und Misereor erstatten gemeinsam mit Betroffenen Anzeige gegen die deutsche Firma TÜV SÜD, die den Damm bei Brumadinho im Jahr 2018 zwei Mal – offensictlich wider besseren Wissens – für stabil und bruchsicher erachtet hatte. Mehr als 270 Menschen wurden getötet, das Trinkwasser Tausender wurde verseucht und die Umwelt zerstört, als am 25. Januar 2019 der Damm B1 bei Brumadinho in Brasilien brach. Nur vier Monate zuvor hatte TÜV SÜD die Sicherheit des Damms bestätigt. Am 15. Oktober 2019 haben deswegen nun fünf Betroffene aus Brasilien gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und MISEREOR Anzeige gegen das deutsche Zertifizierungsunternehmen und einen seiner Mitarbeiter eingereicht. Die Vorwürfe: fahrlässige Tötung, Privatbestechung, fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung sowie Verletzung der Aufsichtspflichten.

„Der Dammbruch war kein Unfall – er war ein Verbrechen. TÜV SÜD wusste, dass der Damm ein Sicherheitsrisiko barg, trotzdem wurde die Stabilitätserklärung ausgestellt. Für mich ist die Anzeige eine persönliche Angelegenheit: Weil mein Vater beim Dammbruch getötet wurde und weil sich das korrupte Geschäft mit der Sicherheit ändern muss – denn es zerstört unsere Leben und unseren Planeten“, sagte Marcela Nayara Rodrigues, eine der fünf Anzeigeerstatterinnen. Nach Erkenntnissen des ECCHR wiesen Ingenieure des brasilianischen Tochterunternehmens von TÜV SÜD, Bureau de Projetos e Consultoria Ltda, bereits im März 2018 auf Probleme bei der Entwässerung des Dammes B1 hin. Der zu hohe Wasserdruck führte schließlich zum Dammbruch im Januar 2019. „Das Verfahren in Deutschland soll den brasilianischen Minenbetreiber Vale S.A. nicht aus der Verantwortung entlassen. Aber wir wollen klar machen: TÜV SÜD trägt Mitverantwortung für die vielen Toten. Der Fall zeigt: Das System der Zertifizierungen sorgt nicht für Sicherheit, sondern vor allem für eine Verschleierung von Verantwortlichkeiten“, erklärte Claudia Müller-Hoff vom ECCHR. Sie hat die Ordnungswidrigkeitenanzeige gegen TÜV SÜD und die Strafanzeige gegen einen führenden Mitarbeiter des Unternehmens mit vorbereitet, gemeinsam mit den brasilianischen Nichtregierungsorganisationen International Articulation of People Affected by Vale und Associação Comunitária da Jangada. Rechtsanwalt Bernhard Docke und Prof. Dr. Carsten Momsen unterstützen die Betroffenen in der Nebenklage.

Vale S.A., der weltweit größte Eisenerz-Exporteur und Betreiber der Mine, zu der der Damm B1 gehört, weist jede Verantwortung für den Dammbruch von sich und beruft sich auf TÜV SÜD und die Prüfergebnisse seiner brasilianischen Tochter. Die Arbeit von Zertifizierungsunternehmen in der globalen Wirtschaft ist hoch umstritten. Unternehmen, wie in diesem Fall Vale, bezahlen Zertifizierer für Sicherheitsprüfungen – was zwingend zu einem Interessenkonflikt führt. „Es darf nicht sein, dass Unternehmen ihre wirtschaftlichen Interessen über die Achtung der Menschenrechte und Sorgetragen der Natur stellen. Das Vorgehen von TÜV SÜD zeigt, dass wir dringend eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen brauchen, weil viele nicht freiwillig ihrer Verantwortung nachkommen. Wir setzen uns deshalb gemeinsam mit einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis für ein Lieferkettengesetz in Deutschland ein, damit Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden haftbar gemacht werden könnten“, erklärte MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel.

In Brasilien untersuchen die Gerichte derweil die Schuldfrage weiter, im Mai hatte ein brasilianisches Gericht dem TÜV Süd bis auf weiteres sämtliche Dammzertifizierungen bei Tailing-Dämmen untersagt, und 13 Millionen Firmenvermögens des TÜV Süd in Brasilien vorläufig konfisziert. Der TÜV Süd seinerseits hat nach Untersuchung der Arbeitsweisen seiner hundertprozentigen Tochterfirma in Brasilien vorsorglich dringend vor möglichen Brüchen weiterer vom TÜV Süd in der Vergangenheit zertifizierten Dämmen gewarnt und sich aus dem Zertifizierungsgeschäft mit Bergbautailings komplett zurückgezogen. Doch während die brasilianische Vale wegen der möglichen Schadensersatzforderungen für den Dammbruch von Brumadinho umgerechnet 4,2 Milliarden Euro zurückgestellt hat, fehlt seitens TÜV Süd eine öffentliche Aussage zu einer Rückstellung in vergleichbarer Höhe bislang.

// christian russau

]]>
Viel pompöses Getöse nach dem Bruch, dann industriefreundliches Zurückrudern und Aufweichen der angekündigten Maßnahmen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/viel-pompoeses-getoese-nach-dem-bruch-dann-industriefreundliches-zurueckrudern-und-aufweichen-der-angekuendigten-massnahmen/ Wed, 14 Aug 2019 09:25:36 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1945 „Upstream“-Dämme im Bergbau dürfen in Brasilien doch länger in Betrieb sein. Industrie fährt einen weiteren Sieg ein. Natur und Umwelt und Mensch sind dieser Regierung egal.

Groß war der Aufschrei nach dem Bruch des Dammes des Rückhaltebeckens der Vale-Eisenerzmine der Mine Córrego do Feijão in der Nähe des Dorfes Brumadinho im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais am 25. Januar dieses Jahres. So groß, dass selbst industrie-nahe, erzneoliberale Politiker*innen öffentlich erklärten, dass nun nach den zwei Brüchen von Mariana (5. November 2015) und Brumadinho (25. Januar 2019) die bruchanfälligsten unter den Dammkonstruktionen für Tailings (also Rückhaltebecken für meist verflüssigte Bergbauabfälle) — die sogenannten „Upstream“-Dämme künftig nicht mehr zugelassen werden und, mehr noch, die bestehenden bis 2021 zu deaktivieren und zurückzubauen seien. Diese Entscheidung, die unter medialem Druck, aber gleichwohl geschickt öffentlichkeitswirksam von der erzneoliberalen Bolsonaro-Regierung in Form ihres Umweltministers Salles kurz nach dem Brumadinho-Bruch verkündet worden war, ist nun gekippt worden. Ist die mediale Aufmerksamkeit gesunken, einige Zeit verstrichen, dann obsiegt wieder das industriefreundliche Interesse über den Schutz von Natur und Mensch.

Die 41 Dämme, die in Minas Gerais im Upstream-Verfahren gebaut wurden und in Betrieb sind, sollten ursprünglich bis 2021 die Maximallaufzeit erreicht haben und die Dämme stillgelegt werden. Doch nun hat die Bundesagentur für Bergbaufragen ANM den Unternehmen bis zu sechs weitere Jahre Zeit gegeben.

Von den noch im Staat betriebenen Tailing-Speichern dieses Upstream-Typs wurden allein 18 als mit einem hohen Schadenspotenzial behaftet eingestuft, was bedeutet, dass sie im Falle von Unfällen Todesfälle sowie wirtschaftliche, ökologische und soziale Verluste verursachen können. Diese Informationen entstammen dem Nationalkataster für Bergbaudammstrukturen CNBM, berichten Medien.

Bei der neuen Restlaufzeit wird die Größe des Speichers berücksichtigt, so die ANM. Bisher sollten alle „Upstream“-Dämme bis maximal zum 15. August 2021 in Betrieb sein. Nun sollen die Bergbauunternehmen die Arbeiten im September 2022 für Deponien mit bis zu 12 Millionen Kubikmetern Haldenvermögen, im August 2025 für bis zu 30 Millionen Kubikmeter große Anlagen und bis August 2027 für Bauten mit mehr als 30 Millionen Kubikmeter Füllmasse an Bergbauschlämmen abschließen.

Viele Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden nach dem Upstream-Verfahren gebaut, denn dieses ist das bei weitem kostengünstigste, aber eben auch das bruchanfälligste aller Tailingdammsysteme. Dann gibt es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Das letzte, das Downstream-Verfahren, ist das teuerste, aber es ist das sicherste aller Tailing-Dammbau-Verfahren. Zur Erinnerung: die Statistik zu Dammbrüchen sagt, dass Tailingbrüche, also Brüche von Dämmen von Bergwerksdeponien, statistisch um den Faktor 10 häufiger brechen als Wasserkraftstaudämme (weswegen interessanterweise die International Commission on Large Dams (ICOLD) in ihrem 58.000 Staudämme umfassenden Register keine Dämme von Bergwerksdeponien aufnehmen mag, weil die ja dann die Statistik der Dammbrüche so verheerend aussehen lassen würden). Beim „Upstream“-Verfahren wird ein Damm errichtet, hinter diesen der Bergwerksschlamm gelagert, ist dieser dann nach einigen Jahren getrocknet, wird auf den Damm und einen Teil des dann (hoffentlich genügend) ausgetrockneten Materials ein neuer Damm errichtet, der dann wieder eine Schicht Schlamm aufnimmt. Dieser Prozess kann bis zu zehn Mal wiederholt werden, so dass es zu mehreren hundert Meter hohen Dammkonstruktionen kommen kann. Beim Center-Verfahren wird die Aufstockung jeweils auf dem Dammbereich vorgenommen, beim „Down-Stream“-Verfahren wird bergab die Dammerweiterung vorgenommen. „Upstream“-Dämme sind in Lateinamerika beispielsweise in Chile schon längst verboten.

// christian russau

]]>
Brumadinho-Dammbruch: Verformungen am Damm elf Tage vor Bruch festgestellt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brumadinho-dammbruch-verformungen-am-damm-elf-tage-vor-bruch-festgestellt/ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brumadinho-dammbruch-verformungen-am-damm-elf-tage-vor-bruch-festgestellt/#comments Sun, 07 Jul 2019 11:48:01 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1934 Diese Woche hat im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais die Parlamentarische Untersuchungskommission ihre Anhörungen und Untersuchungen zum Dammbruch von Brumadinho vom 25. Januar dieses Jahres fortgesetzt. Der Dammbruch von Brumadinho hatte neuesten Erkenntnissen zufolge mindestens 246 Tote zur Folge, weitere vierundzwanzig Menschen werden immer noch vermisst.

Auf den Anhörungen der parlamentarischen Untersuchungskommission erregte vor allem eine Zeugenaussage große Aufmerksamkeit. Ein für die radargestützte Beobachtung des später gebrochenen Brumadinho-Damms (siehe Brumadinho-Dammbruch) Mitarbeiter von Vale erklärte gegenüber dem Untersuchungsausschuss, seine Geräte hätten bei der Überwachung des Dammes des Bergbauunternehmens Vale elf Tage vor dem Bruch eine fortschreitende Verformung des Staudamms festgestellt, – elf Tage bevor der Damm am 25. Januar brach.
Der Architekt Tércio Andrade Costa, ein Mitarbeiter von Vale, der für den Betrieb interferometrischer Radars zuständig ist, präsentierte Daten, die seine Gerätschaften elf Tage vor dem Bruch feststellten. Seine Geräte registrierten demnach eine Verformung der Dammstruktur auf einer Fläche von ca. 14,8 Tausend Quadratmetern. „Die letzte Lesung, die ich gemacht habe, war am 14. Januar. Bis dahin waren die vom Radar identifizierten Bereiche mit Verformung etwa 200 oder 400 Quadratmeter groß. Im Januar dann identifizierte die Anlage eine Fläche von 14.800 Quadratmetern. Fast 1,5 Hektar“, sagte Tércio Andrade Costa laut Medienberichten. Ihm zufolge wurden alle Informationen an die zuständigen Vorgesetzten weitergegeben. Der zuständige Einsatzleiter aber, Silmar Silva, wurde von der parlamentarischen Kommission ebenfalls zu den Messungen befragt. „Ich hatte nie Kenntnis von den Veränderungen, die vom Radar erfasst wurden. Ich habe erst nach der Unterbrechung von diesen Diskussionen erfahren, die Tércio aufgedeckt hat. Aber ich kann auch nicht sagen, was die Relevanz[dieser Verformungen] war oder ob sie zum Bruch beigetragen haben“, sagte er.
Laut Tércio Andrade Costa begannen die Messungen am Brumadinho-Staudamm im März 2018. Der Bereich von 14,8 Tausend Metern, in dem die Verformung zuletzt erkannt wurde, wurde während des gesamten Überwachungszeitraums analysiert. Als die letzten Daten erhoben wurde, so Andrade Costa, sei eine fortschreitende Verfomung zu erkennen gewesen. „Wenn dies geschieht, bedeutet dies, dass sich der Bereich in kurzer Zeit schneller zu verformen begann. Wir nennen das progressive Verformung“, erklärt Andrade Costa den Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Andrade Costa erläuterte zudem, dass diese interferometrischen Radare seit 2013 in Brasilien zum Einsatz kämen. Offizielle Firmenvertreter von Vale erläuterten der Untersuchungskommission, dass das interferometrische Radar ein ergänzendes Instrument sei, das in Verbindung mit den anderen Überwachungswerkzeugen zur Überprüfung möglicher Anomalien eingesetzt werde. Das Bergbauunternehmen erklärte aber auch, dass die Ausrüstung nur im Testmodus für einen zukünftigen Gebrauch während des Prozesses der Decharakterisierung der Struktur betrieben wurde. „Die Ansage war, dass die von den Monitoring-Tools aufgezeigten Ergebnisse später von der Inspektion des geotechnischen Teams vor Ort analysiert wurden, um die in den Instrumenten beobachteten Anomalien zu bestätigen oder nicht“, so die Vale-Vertreter.
Die Schuld- und Haftungsfragen verkomplizieren sich in dem Brumadinho-Fall somit weiter. Denn der brasilianische Bergbaukonzern und Eigner des gebrochenen Tailing-Damms von Brumadinho, Vale, weist auf die schuldrechtliche Verantwortung des deutschen TÜV SÜD hin. Denn der TÜV Süd aus München, namentlich die brasilianische Tochterfirma TÜV Süd do Brasil, hatte im Auftrag von Vale und – so erklärt TÜV Süd auf der Homepage – „auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben (DNPM 70.389/2017) eine Periodic Review of Dams (Dokument vom 18. Juni 2018) und eine Regular Inspection of Dams Safety (Dokument vom 26. September 2018) durchgeführt.“ Die beiden zuständigen TÜV-Süd-Mitarbeiter, die zwischenzeitlich wie mehrere Vale-Mitarbeiter in Untersuchungshaft wegen des Dammbruchs saßen, hatten Unregelmässigkeiten bei dem Damm entdeckt, und laut ihren Aussagen vor den Gerichten sprachen sie sich zunächst gegen die Sicherheitsfreigabe des Damms aus, haben dies aber später dennoch getan. Die beiden TÜV-Süd-Mitarbeiter sagen aber auch, sie seien von Vale-Mitarbeitern dazu explizit gedrängt worden. Vale ihrerseits bestreitet dies und weist die Schuldfrage dem TÜV Süd zu. Vor wenigen Tagen wurde zudem bekannt, dass es am Morgen des Dammbruchs gezielte Sprengungen auf dem Minengelände von Vale gegeben habe, was Vale zunächst dementierte, dann aber beim Auftauchen von Fotos von Warnhinweisen, dass es am Vormittag des 25. januar Sprengungen auf dem Gelände geben werde, einräumte, aber gleichzeitig keinen Zusammenhang zum Dammbruch sehen wollte. Die Schuldfrage bleibt weiter offen.

Susanne Fries, Bergbau-Expertin des Bischöflichen Hilfswerk Misereor, kritisiert den TÜV Süd scharf: „Es deutet derzeit alles darauf hin, dass der TÜV Süd Brasilien aus Profitgier seine professionelle Rigorosität vernachlässigt und so Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat.“

Die Gerichte untersuchen die Schuldfrage weiter, im Mai hatte eine brasilianisches Gericht dem TÜV Süd bis auf weiteres sämtliche Dammzertifizierungen bei Tailing-Dämmen untersagt, und 13 Millionen Firmenvermögens des TÜV Süd in Brasilien vorläufig konfisziert.

Der TÜV Süd seinerseits hat nach Untersuchung der Arbeitsweisen seiner hundertprozentigen Tochterfirma in Brasilien vorsorglich dringend vor möglichen Brüchen weiterer vom TÜV Süd in der Vergangenheit zertifizierten Dämmen gewarnt. Doch während die brasilianische Vale wegen der möglichen Schadensersatzforderungen für den Dammbruch von Brumadinho 4,2 Milliarden Euro zurückgestellt hat, fehlt seitens TÜV Süd eine öffentliche Aussage zu einer Rückstellung in vergleichbarer Höhe bislang.

// christian russau

]]>
https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brumadinho-dammbruch-verformungen-am-damm-elf-tage-vor-bruch-festgestellt/feed/ 1
„Wie kann es sein, dass Sie nach den Dammbrüchen Vale als Kreditnehmerin sowie deren Aktien halten?“ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wie-kann-es-sein-dass-sie-nach-den-dammbruechen-vale-als-kreditnehmerin-sowie-deren-aktien-halten/ Fri, 24 May 2019 10:11:54 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1916 GegenStrömung dokumentiert die Rede von Christian Russau auf der Deutsche Bank-HV am 23. Mai 2019 in Frankfurt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Wir müssen reden über Ihre moralische Mitverantwortung für verantwortungslose Bergbauprojekte, Bergbauprojekte, die die Natur zerstören und die in nicht wenigen Fällen Menschen töten. Konkret geht es mir heute – wie im vergangenen Jahr übrigens, als ich Sie zusammen mit den brasilianischen Kolleginnen und Kollegen der Bewegung der Staudammbetroffenen MAB bereits ausführlich gewarnt und auf die Bruchrisiken der Tailingdämme des brasilianischen Erzbergkonzerns Vale hingewiesen hatte und Sie dennoch untätig geblieben sind – um Ihre moralische Mitverantwortung. Es geht um die Verbindung der Deutschen Bank mit den Bergbaukonzernen Vale und BHP Billiton. Zwischen 2010 und 2017 stellte die Deutsche Bank der brasilianischen Vale 701 Mio Euro und der anglo-australischen BHP Billiton 622 Mio. Euro an Krediten und Anleihen zur Verfügung. Außerdem hält die Deutsche Bank Aktien an den beiden Unternehmen in Höhe.

Ich frage Sie: zum Stichtag 30. März 2019 hielt die Deutsche Bank, inklusive Töchter, wieviele Bonds, Anteile an (auch multilateralen) Kredittranchen sowie an Assets der Firma Vale?

Bereits im letzten Jahr legte ich Ihnen den Fall Ihrer Geschäftspartnerin Vale vor, Ihre Mitarbeiter sprachen mich hinterher an und baten um genauere Informationen, die habe ich Ihnen noch einmal gegeben. Und trotzdem: Machen Sie einfach so weiter.

Und dass, obwohl bereits am 5. November 2015 der Damm des Rückhaltebeckens der Firma Samarco (je 50% in Eigentum von Vale und BHP Billiton) gebrochen war, 19 Menschen starben und 680 Kilometer Flusslauf des Rio Doce verseucht wurde, so dass zeitweise mehr als zwei Millionen Menschen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten waren und die über 1.500 Kleinfischerinnen und -fische bis heute ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können, weil der Fluss klinisch tot ist.

Infolge des Dammbruchs von Mariana wurde bei Dutzenden von Kindern hohe Arsenrückstände im Körper medizinisch nachgewiesen. Diese Kinder sind über einen langen Zeitraum dem toxischen Schlamm ausgesetzt gewesen. Es gibt seitens der verantwortlichen Firmen keinerlei Ansatz eines Vorgehens, das eine reale Erfassung der Gesundheitssituation und der Kontamination durch das Wasser gewährleistet. Die Familien, die ihre Häuser in den Schlammmassen verloren haben, deren Häuser und Städte sind noch immer nicht wiederaufgebaut worden. Die gesamte soziale und Umwelt-Dimension dieses Desasters ist noch immer nicht vollkommen erfasst worden, so dass eine umfassende und adäquate Wiedergutmachung und Entschädigung verunmöglicht wird. Und dies alles dreieinhalb Jahre nach dem Dammbruch von Mariana.

Und am 25. Januar dieses Jahres ist wieder ein Damm von Vale gebrochen. Der Dammbruch von Brumadinho kostete 300 Menschen das Leben. Etliche der Toten wurde noch immer nicht geborgen, deren sterbliche Überreste sind unter teils meterhohen Erzmuränen begraben.

Wir wissen, dass die Deutsche Bank auf europäischer Ebene der zweitgrößte Finanzier der Bergbauindustrie ist und dass sich darunter Firmen befinden wie u.a. Anglo American und BHP Billiton, die in Verbindung stehen mit Dammbrüchen bei Rückhaltebecken und bei Erz-Pipelines, Dammbrüche infolge von Vernachlässigung von Umweltauflagen, so dass es zu einer Reihe von ungelösten sozialen Problemen vor Ort kommt.

Des Weiteren ist die Deutsche Bank eine der großen Kreditgeberinnen der Firma Vale SA. Leider schlummern in Ihren Büchern eine ganze Reihe solch menschenrechtlich-zombiesker Unternehmen, in aller Kürze sehe ich mich gezwungen, allein kurz noch auf Chevron einzugehen.

Denn die Deutsche Bank ist einer der Großaktionäre bei Chevron. Chevron ist nicht nur ein chronischer climate-crisis-denier und Umweltverschmutzer, sondern stellt auch eine große Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat dar.

Worum geht es?

Im ecuadorianischen Amazonasgebiet leiden nach wie vor Zehntausende von Betroffenen unter schweren gesundheitlichen Folgen verbrecherischer Erdölförderung. Die Krebsrate in den verschmutzten Regionen liegt 8 bis 10 Mal höher als im Vergleich mit dem nationalen Durchschnitt. Im Boden befinden sich mehr als 880 mit Rohöl gefüllte Gruben, die teilweise gar nicht gereinigt wurden, Flüsse im dortigen Amazonasgebiet, eine der an biologischer Vielfalt reichsten Regionen der Welt, sind weiterhin mit Kohlenwasserstoffsedimenten gefüllt und durch Ölverschmutzungen verunreinigt. Seit mehr als 40 Jahren werden diese Auswirkungen nicht behoben. Die vom Konzern verursachte kriminelle Umweltverschmutzung bleibt weiterhin bestehen.

In dem Prozess zwischen Ecuador und Chevron hat das Schiedsgericht von der Ecuadorianischen Regierung verlangt, dass sie in Ecuador und anderen Ländern verhindern, dass das Urteil zugunsten der Einwohner*innen von Amazonien in Ecuador und anderen Ländern vollstreckt wird. Dazu müsste die Ecuadorianische Regierung ihre eigene Verfassung sowie die Rechte ihrer Bürger verletzen! Dies bedeutet einen Eingriff in die richterliche Gewalt und stellt somit einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Ein Schiedsgreicht darf sich nicht über nationale Gerichte stellen. Im Übrigen haben sich mehr als 260 Organisationen, die über 280 Milionen Personen vertreten, unlängst in einer gemeinsamen Erklärung an die Seite der Betroffenen gestellt und sich somit klar gegen Chevron positioniert. Nicht schön, wenn man Millionen Menschen auf sich wütend macht.

Die Deutsche Bank ist Unterzeichnerin der Equator-Principles und versucht die Ansprüche des Global Compact zu erfüllen. Dies würde aber in der Praxis eigentlich eine Überprüfung der Anlage- und Kreditvergabepolitik der Deutschen Bank erfordern. Eine Überprüfung der Geschäftspartner wie Vale oder Chevron z.B., eine Überprüfung deren sozialer und Umweltimpakte, die die Firmen auslösen, dies würde zutage bringen, dass die Firma zum wiederholten Male die Prinzipien der freien, vorherigen und informierten Befragung (FPIC), wie sie von der IFC beispielsweise gefordert werden, missachtet wurden.

Das Hochkommissariat für Menschenrechte fordert, dass Firmen – wie Sie, die Deutsche Bank – ihre Anlage- und Kreditpolitik einer genauen Überprüfung unterziehen, um dergestalt sicherzustellen, dass Menschenrechtsklauseln greifen und dass interne Mechanismen geschaffen werden, die eine Identifizierung von Risiken in diesen Bereichen ermöglichen. Wie kann es sein, dass eine Firma wie Vale einfach den Betrieb wie business as usual weiterführt und Sie, die Deutsche Bank weiterhin Vale als Kreditnehmerin sowie deren Aktien halten, ohne irgendeine Garantie, dass sich so etwas wie der Dammbruch nicht wiederholt und ohne dass zuvor die Betroffenen vollständig entschädigt wurden? Wie kann das sein?

Ich fürchte, Sie und ich und alle hier im Saal kennen die Antwort: Es geht Ihnen um Profit. Um den Umsatz, den Gewinn, die Dividende und Ihre Boni. Es geht Ihnen nicht um Menschenrechte. Die sind Ihnen komplett sekundär.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

]]>
„Offensichtlich unzureichende ESG-Kriterien bei Vale-Dammbrüchen“ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/offensichtlich-unzureichende-esg-kriterien-bei-vale-dammbruechen/ Thu, 09 May 2019 12:21:41 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1900 GegenStrömung dokumentiert die Rede von Christian Russau auf der Allianz-HV 8. Mai 2019 in München.

[Quelle: Kritische Aktionäre]

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Gehen wir gleich in medias res. Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar dieses Jahres in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen. Rund 300 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlammtsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot. Nun dringt der Klärschlamm weiter fort in die Lebensader des trockenen brasilianischen Nordostens, in den Rio São Francisco, so dass mittelfristig die Wasserversorgung von Millionen Menschen in Gefahr gerät.

Die Allianz führt laut Meldungen ein Konsortium an, das den brasilianischen Bergbaukonzern Vale gegen Haftpflichtschäden rückversichert. Der Münchner Versicherer ist deshalb an den Schäden bei Brumadinho beteiligt. Über die Höhe der Haftpflichtversicherung gibt es widersprüchliche Angaben. Schätzungen am Versicherungsmarkt oszillieren zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Dollar.

Und die Allianz? Sie schweigen, wie immer. Wie immer berufen Sie sich gegenüber der Presse auf „Verschwiegenheitsklauseln“ mit ihren Kunden. Ich werde gleich darauf eingehen, warum wir Kritischen Aktionäre das für inakzeptabel erachten.

Zunächst einmal das Risikopanorama, in dem Sie sich mit Ihrer Versicherungspolicy in Brasilien bewegen:

Der im Januar gebrochene Damm bei Brumadinho galt zuvor als ein Damm der Risikoklasse 6, nach brasilianischer Einstufung also ein Damm, der unter besonderer Beobachtung stand und an dem daher alle vom Bergwerksbetreiber vorgesehenen Ausbauarbeiten jeweils dem dreistufigen behördlichem Genehmigungsverfahren unterliegen müssten. Also Einholen der vorläufigen Baugenehmigung, nach deren Bewilligung dann die Baugenehmigung, indem wieder neue Prüfungen und Sicherheitstest hätten durchgeführt werden müssen, bevor dann erst – nach erneuter Sicherheitsprüfung – die endgültige, erneuerte Betriebsgenehmigung erteilt worden wäre. Die Betreiberfirma Vale wollte die Mine und somit auch die Rückfangbecken für die Erzschlammreste bis 2032 um 88 Prozent ausbauen. Auf der entscheidenden Sitzung der zuständigen Umweltbehörde des Landes Minas Gerais, im Dezember 2018, wurde aber behördlich, gleichsam mit einem Kugelschreiberstrich, wie Beobachter der Sitzung monierten, die Risikoklasse des Damms von 6 auf 4 reduziert – damit entfiel das vorgeschriebene dreistufige Genehmigungsverfahren. Alles wurde im Sinne der Firmen vereinfacht – und einen Monat später ist der Damm gebrochen. Die Gerichte untersuchen derzeit, ob da kriminelle Energie am Walten war. Es sieht sehr stark danach aus.

Vale und TÜV SÜD schieben sich derzeit bei den gerichtlichen Anhörungen über die juristische Verantwortung für den Bruch dieselbe gegenseitig in die Schuhe. Vale sagt, TÜV SÜD habe nicht richtig geprüft, TÜV SÜD sagt, Vale habe Druck auf die TÜV SÜD Mitarbeiter ausgeübt, damit die wider besseren Wissens die Sicherheit des Dammes attestieren. TÜV SÜD hat unlängst nach internen Ermittlungen, weitere achte Dämme gefunden, die von den eigenen TÜV SÜD-Mitarbeitern nicht angemessen geprüft wurden und die laut TÜV SÜD nun ein stark erhöhtes Bruchrisiko aufweisen.

Das Alles erinnert leider viel zu sehr an den Dammbruch von Mariana, des Rückhaltebeckens Fundão, als dort bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton) am 5. November 2015 der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht – Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf ist bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Sie werden sich nicht weiter wundern, wenn ich Ihnen sage, dass die Allianz damals auch an der Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt war. Zwei Milliarden Reais (damals umgerechnet rund 500 Millionen Euro) haben laut Erhebung der brasilianischen Rückversicherung Terra Brasis Resseguros die Versicherer und Rückversicherer der Firma Samarco damals gezahlt – oder hätten zahlen müssen, auch hier mangelt es bis heute an Transparenz. Denn die Firma Samarco hatte eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Bestätigt wurde auf meine Nachfragen – sowohl von Allianz, als auch von Münchener Rück und der Hannover Rück –, dass der Versicherungsschutz von Samarco zu 90% auf die entgangenen Gewinne bezieht. Das muss man sich mal vor Augen halten: Hunderte Kilometer Flusslauf tot, zeitweise eine für zwei Millionen Menschen unterbrochene Trinkwasserversorgung, Tausende von darbenden Kleinfischern – und die Versicherer und Rückversicherer zahlen der Firma einen fetten Millionenbetrag für „entgangene Gewinne“, damit deren Aktionäre nicht leer ausgehen. Erkennen Sie das strukturell Ihren Versicherungspolicen inhärente Problem?

Und jetzt haben wir wieder einen Megabruch, mit Hunderten von Toten, – aber in Ihrer Versicherungspolitik bewegt sich immer noch zu wenig.

Ich frage Sie:

In welcher Höhe ist die Allianz an dem Schaden von Brumadinho per Deckung in irgendeiner Form beteiligt? Wenn ja, in welcher Höhe und welche Schäden werden abgedeckt?

Bitte erklären Sie mir Folgendes: Sie bieten Versicherungsdeckungen an den Konzern Vale in Form von Industrieversicherung im Paket an. Vor Kurzem konnten wir in der Financial Times lesen: „Allianz Global Investors, Germany’s second largest asset manager, told the Financial Times that it cut its exposure to Vale after the 2015 dam disaster and had stopped being a Vale shareholder long before January.“ Komisch, wieso lassen Sie dann aber gleichzeitig Ihre bei Vale gezeichneten Anleihen einfach so weiterlaufen? Schließlich hielt die Allianz inklusive Tochterfirmen zum Stichtag 02. April 2019 Anleihen und Papiere von Vale in Höhe von 147.740 US-Dollar. Außerdem würde mich interessieren, ob Sie Vale bei Pimco als Assetverwaltung für Dritte weiter betreiben? Meinen Sie nicht, es wäre langsam an der Zeit, den gleichen radikalen Schritt wie Union Investment zu betreiben, und diesen Konzern Vale endlich komplett rauszukanten? Aus selbstgehaltenen und für Dritte gehaltenen Aktien ebenso wie aus selbstgehaltenen oder für Dritte gehaltenen Anleihen?

Noch eine Frage zurück zur Industrieversicherung bei Bergbaukonzernen: im Hinblick auf den 2015er-Dammbruch von Mariana: Wieviel hat die Allianz wegen der Schäden beim Dammbruch von Mariana nun letztlich gezahlt?

Letzter Punkt in dieser Angelegenheit: Sie werden sich erinnern, dass wir Sie auf der Aktionärsversammlung von 2016 wegen des Dammbruchs von „Mariana“ befragt haben, und Sie werden sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir Ihnen die grundlegenden Risiken von Dämmen bei Bergbau-Rückhaltenbecken, die nach der „Upstream“-Methode gebaut wurden, dargelegt haben und Sie aufgefordert haben, solche „Upstream“-Dämme schnellstens auszuphasieren, da sie für Mensch und Umwelt ein untragbares Risiko darstellen.

Der bei Brumadinho (2019) gebrochene Damm war wie der bei Mariana (2015) ein sogenannter „Upstream“-Damm. Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt es noch das Centerline-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim „Upstream“-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste entsprechend ausgetrocknet sind. „Upstream“-Dämme sind deutlich billiger als „Centerline-“ oder „Downstream“-Dämme, deswegen sind sie bei den Bergbaufirmen so beliebt – sie brechen aber auch viel häufiger. Um den Faktor zehn übrigens, im Vergleich zu Wasserkraftstaudämmen.

Nach dem Dammbruch von Mariana haben wir Sie auf der Hauptversammlung 2016 also aufgefordert, für die Zukunft festzulegen, dass das Upstream-Verfahren bei Tailings (also Bergwerksdeponien) in Zukunft als klares Ausschlusskriterium bewertet werden müsse. Dies ist trotz unserer klaren Warnung, dass weitere Dämme brechen würden, unseres Wissens nach bei Ihnen in der Firma noch nicht geschehen. Es gibt zwar Debatten: Das International Council on Mining and Metals, ein Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen, hatte im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von Abraumschlamm zu überprüfen. Solche Ankündigungen sind wohlfeil, wenn Sie ihren werbetechnischen Hochdruckglanz ausstrahlen, sind aber zynisch, wenn sie hohle Phrasen und somit alles beim Alten bleibt – und dann der nächste, noch größere Dammbruch – wie jetzt bei Brumadinho geschehen, kommt.

Die Allianz darf solche „Upstream“-Dämme explizit nicht mehr versichern! Und die Allianz hätte die Verantwortung, firmenübergreifend in der Industrieversicherungsbranche dafür zu sorgen, dass alle Versicherer „Upstream“-Dämme ablehnen, um so die Praxis dieser enorm bruchgefährdeten Dämme schnellstmöglich auszuphasieren. Das wäre ein erster Schritt. Weitere Schritte wie grundlegend neue Regeln und Gesetze für den Bergbau vor allem in den Ländern des Globalen Südens müssten schnellstmöglich folgen. Ihre Aufgabe als Versicherer aber wäre, endlich anzufangen, sich konkrete menschenrechtliche und umweltbezogene Kriterien zu geben, die es wert sind, als solche bezeichnet zu werden. Robuste Kriterien, die eine Industrieversicherung für Dämme wie der Vale kategorisch ausschließt.

Sie werden vielleicht sagen, aber wir haben doch 2016, 2017 uns grundlegend neue ESG-Kriterien gegeben, in dem wir in dem neuen Allianz ESG Framework 13 sensible Sektoren (einschließlich Wasserkraft und Bergbau) mit Ausschlusskriterien festgelegt haben. Nun, schön!, aber hier haben wir schon wieder einen Bruch mit Hunderten von Toten, und die Allianz bietet munter weiter Industrieversicherungen an Firmen wie Vale an.

Ihnen bei der Allianz fehlt offensichtlich noch immer ein umfassender Ansatz zur menschenrechtlichen Sorgfalt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

// christian russau

]]>
„Die Münchener Rück darf „Upstream“-Dämme explizit nicht mehr versichern!“ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/die-muenchener-rueck-darf-upstream-daemme-explizit-nicht-mehr-versichern/ Fri, 03 May 2019 13:22:23 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1894 Rede von Christian Russau (GegenStrömung/Kritische Aktionäre) auf der Jahreshauptversammlung der Münchener Rück vom 30.4.2019 in München.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich bin von der Initiative GegenStrömung und vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Gehen wir gleich in medias res. Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar dieses Jahres in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen. Rund 300 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlammtsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot.

Das Alles erinnert leider viel zu sehr an den Dammbruch von Mariana, des Rückhaltebeckens Fundão, als dort bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton) der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht – Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf ist bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Die Münchener Rück war damals an der Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt. Zwei Milliarden Reais (damals umgerechnet rund 500 Millionen Euro) haben laut Erhebung der brasilianischen Rückversicherung Terra Brasis Resseguros die Versicherer und Rückversicherer der Firma Samarco damals gezahlt. Denn die hatte eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Das muss man sich mal vor Augen halten: Hunderte Kilometer Flusslauf tot, zeitweise eine für zwei Millionen Menschen unterbrochene Trinkwasserversorgung, tausende von darbenden Kleinfischern – und die Versicherer und Rückversicherer zahlen der Firma einen fetten Millionenbetrag für „entgangene Gewinne“, damit deren Aktionäre nicht leer ausgehen.  Und jetzt haben wir wieder einen Megabruch, mit Hunderten von Toten, – aber in Ihrer Versicherungspolitik bewegt sich immer noch zu wenig.

Ich frage Sie:

Ist die Münchener Rück an dem Schaden von Brumadinho per Deckung in irgendeiner Form beteiligt? Wenn ja, in welcher Höhe und welche Schäden werden abgedeckt?

Die Münchener Rück hat ja gemeinsam mit dem TÜV Süd (neben Vale der derzeit mutmaßliche Hauptverantwortliche für den Dammbruch bei Brumadinho) im Januar 2014 das gemeinsame Projekte „Project Risk Rating“ gestartet. Ich frage Sie: Haben Sie im Rahmen dieses Projektes auch den Brumadinho-Damm überprüft: wenn ja, was waren Ihre Ergebnisse und Erkenntnisse, wenn nein: warum haben sie diesen Damm nicht geprüft?

Noch eine Frage zurück im Hinblick auf den 2015er-Dammbruch von Mariana: Wieviel hat die Münchener Rück wegen der Schäden beim Dammbruch von Mariana gezahlt?

Noch eine Frage: Laut unseren Recherchen hält die Münchener Rück derzeit keine Aktien oder Anleihen des brasilianischen Bergbaukonzern Vale. Ist dies korrekt? Falls nein, in welchen Anlagen sind Münchener Rück und/oder Tochterfirmen und/oder Fonds direkt oder indirekt an Vale beteiligt? Bitte schlüsseln Sie die Daten je Unternehmenseinheit auf.

Die Fragen zu Ihrer unverantwortlichen Versicherung für den Katastrophen-Staudamm Hidroituango in Kolumbien ist mein Kollege Alejandro Pacheco vom Öku-Büro zuständig, bereiten Sie sich darauf schon mal vor, es wird heftig für Sie!

Sie werden sich erinnern, dass wir Sie auf der Aktionärsversammlung von 2016 wegen des Dammbruchs bei Mariana befragt haben, und Sie werden sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir Ihnen die grundlegenden Risiken von Dämmen bei Bergbau-Rückhaltenbecken, die nach der „Upstream“-Methode gebaut wurden, dargelegt haben und Sie aufgefordert haben, solche „Upstream“-Dämme schnellstens auszuphasieren, da sie für Mensch und Umwelt ein untragbares Risiko darstellen.

Der bei Brumadinho (2019) gebrochene Damm war wie der bei Mariana (2015) ein sogenannter „Upstream“-Damm. Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim „Upstream“-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste entsprechend ausgetrocknet sind. „Upstream“-Dämme sind deutlich billiger als „Center“- oder „Downstream“-Dämme, deswegen sind sie bei den Bergbaufirmen so beliebt – sie brechen aber auch viel häufiger.

Nach dem Dammbruch von Mariana (5.11.2019) haben wir Sie auf der Hauptversammlung 2016 also aufgefordert, für die Zukunft festzulegen, dass das Upstream-Verfahren bei Tailings (also Bergwerksdeponien) in Zukunft als klares Ausschlusskriterium bewertet werden müsse. Dies ist trotz unserer klaren Warnung, dass weitere Dämme brechen würden, unseres Wissens nach bei Ihnen in der Firma noch nicht geschehen. Es gibt zwar Debatten: Das International Council on Mining and Metals, ein Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen, hatte im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von Abraumschlamm zu überprüfen. Solche Ankündigungen sind wohlfeil, wenn Sie ihren werbetechnischen Hochdruckglanz ausstrahlen, sind aber zynisch, wenn sie hohle Phrasen und somit alles beim Alten bleibt – und dann der nächste, noch größere Dammbruch – wie jetzt bei Brumadinho geschehen, kommt.

In einem Debattenbeitrag aus dem Dezember 2017 erklärt die Münchener Rück auf ihrer Webseite

„Auch in der Assekuranz hat ein Umdenken begonnen, nachdem Dammbrüche in den vergangenen Jahren mehrere Großschäden ausgelöst hatten. Ziel ist es, die Risiken besser einschätzen zu können, um auch künftig die Versicherbarkeit von Tailings Dams zu gewährleisten. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang, den Bergbau mit seinen speziellen Risiken aus der gewöhnlichen Sachversicherung herauszutrennen. Munich Re ist in ihrer Einheit Corporate Insurance Partner (CIP) diesen Weg bereits gegangen. Denn anders als etwa für den Öl- und Gassektor ist in der Assekuranz traditionell kein eigener Geschäftsbereich für den Bergbau vorgesehen. Versicherungspolicen werden aus den Policenformularen für „gewöhnliche“ Sachrisiken anderer Branchen abgeleitet, indem man bergbauspezifische Zusätze hinzufügt. Dadurch hat die Produktentwicklung nicht mit den Bedürfnissen und Gefahren der Branche Schritt gehalten.“ 

Statt also das Problem an der Wurzel anzugreifen, sprich: die gefährlichen Tailing ganz aus der Welt zu schaffen, setzt die Münchener Rück auf ein graduell verschobenes Geschäftsfeld, mit neuen und höheren Umsätzen, denn Ihre Umsatz- und Profitgier kennt wahrlich kaum Grenzen!, ohne dabei das eigentliche zugrundeliegenden Problem anzugehen.

Die Münchener Rück darf solche „Upstream“-Dämme explizit nicht mehr versichern. Und die Münchener Rück hätte die Verantwortung, firmenübergreifend in der Industrieversicherungsbranche dafür zu sorgen, dass alle Versicherer „Upstream“-Dämme ablehnen, um so die Praxis dieser enorm bruchgefährdeten Dämme schnellstmöglich auszuphasieren. Das wäre ein erster Schritt. Weitere Schritte wie grundlegend neue Regeln und Gesetze für den Bergbau vor allem in den Ländern des Globalen Südens müssten schnellstmöglich folgen. Grundsätzlich müssen Sie als Versicherer endlich anfangen, sich konkrete menschenrechtliche und umweltbezogene Kriterien geben, die es wert sind, als solche bezeichnet zu werden. Ihnen bei der Münchener Rück fehlt noch immer ein umfassender Ansatz zur menschenrechtlichen Sorgfalt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

]]>