Entschädigungen – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Mon, 03 Dec 2018 14:31:06 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Über 3 Jahre nach Dammbruch von „Mariana“: Rechtsstreite, Manöver und noch immer keine Entschädigungen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/ueber-3-jahre-nach-dammbruch-von-mariana-rechtsstreite-manoever-und-noch-immer-keine-entschaedigungen/ Mon, 03 Dec 2018 14:30:35 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1809 Am 5. November jährte sich der Bruch des Rückhaltebeckens Fundão nahe der Kleinstadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien zum mittlerweile dritten Mal. Und noch immer warten die Betroffenen auf eine angemessene Entschädigung. Währenddessen weigert sich die von den drei verantwortlichen Firmen – Samarco, Vale und BHP Billiton – eingesetzte Stiftung Renova, die für die Aufräumarbeiten, Wiederherstellung und Entschädigungszahlungen zuständig ist, eine gerichtlich festgelegte turnusmässig anfallende Zahlung in Höhe von umgerechnet 12 Millionen Euro an die betroffenen Gemeinden auszuzahlen. Laut der Internetseite em.com.br weigert sich die Stiftung Renova mit dem Argument, die Betroffenen könnten die Gelder erst ausgezahlt bekommen, wenn sie von einer von US-amerikanischen und britischen Anwält*innen in Großbritannien eingereichten Sammelklage Abstand nähmen. Die Stiftung selbst leugnet, diese Forderung als Gegenleistung erhoben zu haben, aber mehrere Anwält*innen, die die Bürgermeisterämter und Betroffenen vertreten, bestätigten dem Pressebericht zufolge das Vorgehen Renovas. Laut dem Pressebereicht hätten sich infolge des von Renova aufgebauten Drucks bereits die Hälfte der Bürgermeisterämter dafür entschieden, auf die Sammelklage zu verzichten, um stattdessen an die Gelder der Stiftung Renova zu kommen. Die zuständige Staatsanwaltschaft ihrerseits hat erklärt, diejenigen Bürgermeister*innen, die auf Renovas Vorschlag eingingen, auf Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemässer Amtsführung zu verklagen.

Die anglo-amerikanische Anwaltskanzlei SPG Law hatte zum Stichtag der nach 3 Jahren drohenden Verjährung Anfang November dieses Jahres eine Sammelklage im Namen von derzeit geschätzt 240.000 durch den Dammbruch Geschädigten, darunter 21 Bürgermeisterämter und tausenden Kleinunternehmen und Firmen gegen die anglo-australische BHP Billiton, die ihren Sitz in Großbritannien hat, eingereicht. Bei der Sammelklage geht es um den von den Anwält*innen eingeforderten Streitwert in Höhe von bis zu fünf Milliarden britische Pfund. Ob die Klage in Großbritannien Aussicht auf juristischen Erfolg haben wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Neben den juristischen Aspekten stellt eine der großen Herausforderungen solcher Sammelklagen auch immer die Frage dar, inwieweit das Ganze ein Prozess ist, der von und mit den direkt Betroffenen gesteuert und geplant und durchgeführt wird.

Zum Hintergrund: Der Bruch des Rückhaltebeckens Fundão
Am 5. November 2015 brach der Damm des Rückhaltebeckens Fundão nahe der Kleinstadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Insgesamt starben 19 Menschen. Samarco ist eine Aktiengesellschaft, die zu gleichen Teilen im Besitz der australisch-britischen BHP Billiton Brasil Ltda. und der brasilianischen Vale S.A. steht.

Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellt die Katastrophe von „Mariana“ einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD. Bis heute warten die betroffenen Menschen auf den Wiederaufbau ihrer Häuser und Dörfer und auch auf Entschädigung.

//christian russau

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Staudamm Tucuruí: Nach über 40 Jahren erste Schadenbestandsaufnahme bei indigenem Volk der Assurini https://www.gegenstroemung.org/web/blog/staudamm-tucurui-nach-ueber-40-jahren-erste-schadenbestandsaufnahme-bei-indigenem-volk-der-assurini/ Sun, 06 May 2018 14:54:30 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1725 Von Christian Russau

Es hat 40 Jahre gedauert, bis überhaupt zum ersten Mal jemand Offizielles sich in Brasilien für die Folgen des in den späten 1970er Jahren gebauten Stauwerks Tucuruí für das indigene Volk der Assurini interessierte und dazu in das indigene Dorf der Betroffenen selbst reiste: Am 4. Mai fand in der Terra Indigena Trocará in Tucuruí, im Bundesstaat Pará, eine Anhörung statt, die die Bundesstaatsanwaltschaft anberaumt hat, um endlich die Folgen des Staudammbaus Tucuruí für die Indigenen vor Ort zu untersuchen. Der entsprechende Untersuchungsprozess läuft in Brasilien seit acht Jahren, aber die Bundesstaatsanwälte haben es schwer, gegen die langsamen Mühlen von Brasiliens Justiz anzugehen.

In dem Klageprozess beantragt die Bundesstaatsanwaltschaft in Pará Entschädigungszahlungen und Wiedergutmachung für die Schäden, die den indigenen Assurini durch den Bau des Wasserkraftwerkes von Tucuruí entstanden sind. Als eine der Entschädigungsmaßnahmen fordert die Bundesstaatsanwaltschaft die Errichtung sanitärer Einrichtungen in den betroffenen Gemeinden sowie eine Entschädigung in bar, berichtet das staatliche Nachrichtenportal EBC auf ihrer Seite.

In der mündlichen Verhandlung unter Vorsitz eines Richters berichtete der Anführer der Assurini, Pirá Assurini, dass sie damals aus der Ferne die Explosionen hörten, die zu der Bautätigkeit gehörten. Später kam es zu Überflutungen, die die Indigenen vorher nie in solchem Maße gekannt hatten, und sie verloren ihre landwirtschaftlichen und die aus der Sammelwirtschaft gewonnenen Früchte wie Kastanien, Maniok, Mais und viele von den am Ufer befindlichen Gummibäumen. Pira wies auch darauf hin, dass sein Volk sich nie wieder von den erlittenen Schäden wirtschaftlich erholt habe.

Ein Vertreter der staatlichen Energiefirma Eletronorte, die für den Bau und Betrieb des Dammes verantwortlich war und es noch heute ist, war auf der Anhörung zugegen. Laut Angaben ihres Rechtsanwalts setze sich die Firma für einen Dialog mit den betroffenen Indigenen ein, gab aber zu verstehen, dass im Moment die Situation der Firma wegen der anstehenden Privatisierung der Mutterfirma, Eletrobras, sowie wegen der gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens etwas ungünstig sei, um es der Firma zu ermöglichen, angemessene Entschädigungsangebote zu unterbreiten. Der anwesende Richter entschied daraufhin, eine Kommission aller Beteiligten sowie von Wissenschaftlern und Gutachter einzurufen, um die Frage der anfälligen Entschädigungszahlungen voranzutreiben.

Das Wasserkraftwerk Tucuruí machte Ende der 1970er Jahre den großen Anfang der Wasserkrafterschließung in der Region am Fluss Tocantins. Die erste Bauphase für 4.000 Megawatt (MW) erstreckte sich von 1975 bis 1984, die zweite Bauphase (Erweiterung auf 8.000 MW) dauerte bis 2002. 2.430 km2 wurden überflutet – knapp fünf Mal die Fläche des Bodensees. Das Ergebnis: Zerrüttete Sozialstrukturen, Massenarbeitslosigkeit nach Bauende und Malariaplage durch „totes Gewässer“ machen Tucuruí zu einem Sinnbild für fehlgeleitete „Entwicklung“ in der Amazonasregion.

Die Zahl der Umzusiedelnden, die Anspruch auf Entschädigung haben würden, wurde damals viel zu niedrig angesetzt und belief sich auf rund 30.000 Menschen. Die Beschränkung auf diejenigen, die über eingetragenes Privateigentum verfügten, war ein für die Region verfehlter Ansatz. So wurde ein viel zu geringer Teil der Betroffenen erfasst. Denn ein Großteil der traditionell im entsprechenden Gebiet Lebenden verfügte nicht über formale Grundstückstitel.

Ferner gab es Ungleichbehandlung bei der Entschädigung und Bevorteilung von Großgrundbesitzer/-innen. Insgesamt waren die Entschädigungssummen zu gering, die Bewertung von Grundstücken erfolgte deutlich unter dem Wiederbeschaffungswert. Fehlende Beteiligung, mangelnde Transparenz und fehlende Planung der Umsiedlung charakterisierten die Umsetzung dieses Großprojekts.

Die Unkenntnis und Fehleinschätzung informeller und kollektiver Formen der Landwirtschaft und des lokalen Tauschhandels (gemeinsame Nutzung der Wälder, Weidegebiete, etc.) führte beispielsweise zur Umsiedlung von Fischerfamilien fernab des Wassers. Die Bewohner/-innen von Tucuruí wurden erst 1997, 13 Jahre nach Fertigstellung des Staudamms, an das Stromnetz angeschlossen. Zahlreiche Gemeinden in der Umgebung des Kraftwerks, die von dessen Überlandleitungen betroff en sind, haben bis heute keinen Strom.

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Dammbruch Mariana: Staatsanwaltlicher Mahnbrief an die Stiftung Fundação Renova der Firmen Samarco, Vale und BHP Billiton https://www.gegenstroemung.org/web/blog/dammbruch-mariana-staatsanwaltlicher-mahnbrief-an-die-stiftung-fundacao-renova-der-firmen-samarco-vale-und-bhp-billiton/ Fri, 06 Apr 2018 11:24:00 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1714 Sieben Staatsanwaltschaften sprechen deutliche Warnung an die Stiftung Fundação Renova der Firmen Samarco, Vale und BHP Billiton wegen Mißachtung der Rechte der Betroffenen aus.

Von Christian Russau

Über zwei Jahre nach dem Samarco-Dammbruch bei Mariana haben in einer nie dagewesenen gemeinsamen Aktion sieben Staatsanwaltschaften einen offiziellen Mahnbrief an die Stiftung Fundação Renova geschickt, in dem sie der Stiftung vorwerfen, bei ihren Wiederaufräum- und Kompensationsmaßnahmen die Rechte der vom Bruch des Fundão-Damms des Rückhaltebeckens der Bergbaufirma Samarco Betroffenen zu mißachten. Unterzeichnet haben den Brief die Bundesstaatsanwaltschaft MPF, die Bundesstaatsanwaltschaft für Arbeitsrecht MPT, die Landesstaatsanwaltschaften von Minas Gerais, MP-MG, und von Espírito Santo, MP-ES, sowie die Verteidigungsstaatsanwaltschaften Defensoria Pública des Bundes DPU sowie der Bundesstaaten Minas Gerais DP-MG und der von Espírito Santo DP-ES.

Die sieben Staatsanwaltschaften werfen der Stiftung Fundação Renova vor, den Tausenden von Betroffen nicht hinreichend Zugang zu Informationen zu gewähren und dabei der gerichtlich verordneten kostenlosen Zurverfügungstellung angemessenen Rechtsbeistands nicht nachzukommen. Zudem erfolge die Kadastrierung der Betroffenen, die die Grundlage für Wiedergutmachung und Entschädigung der erlittenen Verluste und Schäden ist, nicht in hinreichendem Maße, da zu viele Hürden und Hindernisse im Ablauf der eigentlich vorgeschriebenen Kadastrierungsprozesse zu verzeichnen seien und die erklärte Absicht der Stiftung, die Kadastrierung bis Mitte dieses Jahres per Stichtagsregelung abzuschließen, berge die Gefahr, dass zu viele der Betroffenen eventuell nie zu einer Kadastrierung ihrer berechtigten Anliegen gelangen könnten. Hinzu kommt der schwerwiegendste aller Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaften der Stiftung Fundação Renova sowie den Firmen Samarco, Vale und BHP Billiton gegenüber erheben: die bisherigen Maßnahmen zu Wiedergutmachung und zu Entschädigung der erlittenen Verluste und Schäden der Betroffenen seien bei weitem nicht ausreichend. Dies beträfe sowohl die Anwohner, deren Häuser und Grundstücke direkt zerstört wurden, die Angehörigen, deren Familienmitglieder durch die Schlammwelle aus dem Tailing-Bruch getötet wurden, die Fischer, die ihr Auskommen verloren haben und von denen die Fundação Renova nur diejenigen wohnend in einem Radius von einem Kilometer entlang der Flussläufe als betroffen kadastrieren und anerkennen mag, sowie die unbekannte Zahl der Anrainer (Schätzungen der Rückversicherungsgesellschaft Terra Brasis gehen von 3,5 Millionen betroffenen Menschen aus), deren Wasserversorgung monatelang, in etlichen Fälle bis heute in Mitleidenschaft beziehungsweise ganz unterbrochen wurde. Von den Millionen Kubikmetern Klärschlamms der Eisenbergbaureste, die noch immer entlang der Ufer und in den Flussläufen sowie in der Meeresmündung des Rio Doce noch immer abgelagert liegen, und den daraus resultieren gravierenden Umweltschäden, gar nicht erst zu sprechen.

Die sieben Staatsanwaltschaften haben sich daher entschlossen, in einem gemeinsamen Brief an die Stiftung Fundação Renova diese Mißstände anzuprangern und haben der Stiftung eine Frist von 20 Tagen gesetzt, in der sie auf diese Vorwürfe reagieren müsse.

Die Stiftung Fundação Renova war infolge einer Übereinkunft zwischen den Regierungen von Bund und der zwei betroffenen Bundesstaaten, der beteiligten Staatsanwaltschaften sowie der Firmen Samarco, Vale und BHP Billiton gegründet worden, um die immensen Umweltschäden des Dammbruchs zu reparieren. Kritiker werfen den Firmen und den verschiedenen beteiligten Regierungen vor, bei der Einsetzung der Stiftung Renova ausgerechnet den Wolf im Schafspelz oder besser den Bock des Gärtners als Oberaufseher für die Kompensationsmaßnahmen und Verhandlungen mit den Betroffenen gemacht zu haben. Statt die Betroffenen und die engagierte Zivilgesellschaft sowie unabhängige Wissenschaftler in die Stiftungsgremien aufzunehmen und dergestalt zu garantieren, dass die Stimmen der Betroffenen gehört und respektiert werden, entsched man sich für die Lösung aus Firmen- und Beamtenvertretern in den Organen der Stiftung.

Bei Mariana im Bundesstaat Minas Gerais war am 5. November 2015 der Damm des Erzbergwerk-Tailings von Samarco gebrochen. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Insgesamt starben 19 Menschen. Samarco ist eine Aktiengesellschaft, die zu gleichen Teilen im Besitz der australisch-britischen BHP Billiton Brasil Ltda. und der brasilianischen Vale S.A. steht. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellt die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar:

Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter.
Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf
Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Bis heute warten die betroffenen Menschen auf den Wiederaufbau ihrer Häuser und Dörfer und auch auf angemessene Entschädigung.

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