Erdbeben – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Tue, 12 Dec 2017 11:24:55 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Stauseen lösen Erdbeben aus – oder doch nicht? https://www.gegenstroemung.org/web/blog/stauseen-loesen-erdbeben-aus-oder-doch-nicht/ Mon, 11 Dec 2017 15:29:59 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1630 Neue Tiefbohrung unter Reservoir Shivaji Sagar des Staudamms Koyna, Indien, soll endlich abschließend Aufschluss geben, ob Stauseen Erdbeben auslösen können.

Von Christian Russau

Heute auf den Tag vor 50 Jahren, am 11. Dezember um 4:21 Uhr Ortszeit, erbebte die Erde im westlichen Indien, in der Nähe der Kleinstadt Koynanagar, im Bundesstaat Maharashtra, rund 200 km südlich dessen Hauptstadt Mumbai. Das Beben erreichte die Stärke von 6,3 auf der nach oben offenen Richterskala, andere Erhebungen schätzten die Bebenstärke gar zwischen 6,5 und 7,5. Bis zu 200 Menschen starben, Tausende wurden obdachlos. Was das Beben allerdings in die Geschichtsbücher eingehen ließ: Es war das erste Beben in der Geschichte, das eine mit harschen Argumenten ausgetragene wissenschaftliche Debatte über die Frage lostrat, ob das Erdbeben wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge eindeutig von einem Stausee ausgelöst worden war oder nicht.

Der Stausee heißt Shivaji Sagar. Der Staudamm heißt Koyna. Das ab 1961 geflutete künstliche Staureservori Shivaji Sagar umfasst eine Fläche von 891.78 Quadratkilometer, ist rund 50 Kilometer lang, an seiner tiefsten Stelle ist der See 80 Meter tief. Er hat ein Fassungsvermögen von 2,8 Milliarden Kubikmeter.

Die Gegner der These, der Stausee, dessen Wasser und Gewicht hätten das Erdbeben ausgelöst, argumentierten, tief in den Gesteinsspalten unterhalb des Stausees sei kein eingedrungenes Wasser, so dass eine Wasser induzierte seismische Aktivität ausgeschlossen werden könne. Die Gegner der sogenannten RIS-These (Reservoir Induced Seismicity) legten Berechnungen vor, nach denen die Gesamtlast des Shivaji-Sagar-Reservoirs je square foot (0,092903 Quadratmeter) rechnerisch nur bei 3,5 bis 4,0 Kilogramm liege, im Vergleich sei das Verhältnis von Stausee zum darunter gelegenem Fels in ähnlicher Beziehung wie eine auf einem Elephanten sitzende Fliege.

Die Befürworter der RIS-These wiederum wiesen daraufhin, dass sehr wahrscheinlich doch Wasser in die Poren des Gesteins eingedrungen sei. Zudem sei in der Region des vor dem Anfang der 1960er Jahre errichteten Bau des Stauwerks kein Erdbeben gemessen worden. Vor allem die Tatsache, dass in den Jahren zwischen 1973 und 1980 regelmässig Erdbeben erfolgten, wenn im vorausgegangenen Monat die Maximalstauhöhe jeweils neue Rekordmarken erreichte, ließ die Forschergemeinde einen direkten Zusammenhang zwischen dem Stauseegewicht und den Erdbeben annehmen. Die vom Beben betroffene Region erstreckte sich im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern des Stausees, im Umkreis von 100 Kilometern war keine andere Erschütterung zu spüren und eigentlich gelte ja das unter dem Stausee gelegene Gebiet als nicht sonderlich erdbebenanfällig.

Nun aber soll dem alten Streit ein wissenschaftlich begründetes Ende gesetzt werden. Der Geologe und Seismologe Harsh K. Gupta, einer der führenden Befürworter der RIS-These, plant mit Kollegen eine insgesamt sieben Kilometer lange Bohrung unter dem Stausee, wobei er drei bis vier Kilometer in die Tiefe und rund drei bis vier Kilometer im Halbbogen bohren will, um die Gesteinsschicht zu untersuchen und um abschliessend zu verstehen, wie das Erdbeben auftreten konnte. Diese Erkenntnisse wären nicht nur hilfreich, um den alten Streit um die Erdbeben induzierende Wirkung von Stauseen zu belegen, sondern auch um in die Zukunft der Region um den Stausee Shivaji Sagar zu schauen als auch generell zu Bewertungen u kommen, welche potentiellen Gefahren von Stauseen ausgehen – oder eben doch nicht. Seit dem Erdbeben von 1967 hat es unter dem Stauseegebiet bisher mehr als 200 Erdbeben mit einer Stärke über 4 auf der Richterskala gegeben und 22 Vorfälle, bei dem der Wert auf über 5 sprang. Der Seismologe Seismologe Harsh K. Gupta geht davon aus, dass die Beben noch während der nächsten rund dreißig bis vierzig Jahre stattfinden werden, bevor der Spannungsausgleich erreicht sei. Um dies zu beweisen, wird er jetzt im Auftrag des Forschungsministerium bohren, und zwar sehr tief. 2014 waren bei früheren Bohrungen die Tiefen von 1.500 Meter bzw. im Jahr 2016 ein Bohrloch mit einer Tiefe von drei Kilometern gebohrt worden. Nun soll es ebenfalls drei bis gar vier Kilometer in die Tiefe gehen sowie durch die sich in der Tiefe anschliessende Wendung im Halbbogen sollen dann die weiteren vier Kilometer entscheidenden Aufschluss über die seismischen Spannung im Untergrund geben – und was das mit Stauseen zu tun haben könnte – oder eben doch nicht. Wir sind gespannt.

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Upper Tamakoshi in schwer Erdbeben gefährdetem Gebiet: Nepals künftig größtes Wasserkraftwerk wenige Monate vor Fertigstellung https://www.gegenstroemung.org/web/blog/upper-tamakoshi-in-schwer-erdbeben-gefaehrdetem-gebiet-nepals-kuenftig-groesstes-wasserkraftwerk-wenige-monate-vor-fertigstellung/ Mon, 20 Nov 2017 16:02:05 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1608 Laut Presseberichten nähert sich Nepals mit 456 MW künftig größter Staudamm Upper Tamakoshi seiner Fertigstellung, nachdem das Projekt zuvor nahezu zwei Jahre nicht weitergebaut werden konnte, da die Gegend schwer durch die zwei aufeinanderfolgenden Erdbeben von April und Mai 2015 geschädigt worden war.

Von Christian Russau

Rund fünf Jahre nach dem ersten Spatenschicht melden die Bauherren des Wasserkraftwerks Upper Tamakoshi die Fertigstellung des bis zu acht Kilometer langen Tunnels, der die für die 456 MW-Stromerzeugung nötigen Wassermengen des Tamakoshi-Flusses abzweigen soll. Die mit dem Bau beauftragte Firma Sino Hydro erklärte, nun sei das Projekt insgesamt zu 92 Prozent fertig und das Projekt bräuchte nur noch weitere 10 Monate, bevor die Stromerzeugung mit der ersten Turbine beginne könne. Das Projekt wurde 2011 entschieden, 2012 war Baubeginn und laut ursprünglichen Planungen hätte es bis Juli 2016 fertiggestellt werden. Doch dann kam das Erdbeben.

Es war mit 7,9 auf der Richterskala das schlimmste Erdbeben in der jüngeren Geschichte Nepals. Knapp 8.800 Menschen verloren infolge des Erdbeben vom 25. April 2915 und des Folgebebens mit 7,3 auf der Richterskala vom 12. Mai 2015 ihr Leben, mehr als 22.000 wurden verletzt, zehntausende sind seither obdachlos und leben in Zelten oder notdürftig zusammengeflickten Behausungen. Laut Daten der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA hat sich in Nepal aufgrund des Erdbebens eine Landfläche von 120 mal 50 Kilometer um rund einen Meter gehoben.

Das Beben traf Nepals Energieversorgung ins Herz. Schäden gab es bei Überlandleitungen ebenso wie bei sehr vielen Staudämmen, die den Großteil der nepalesischen Stromproduktion zur Verfügung stellen. Allein 14 Staudämme meldeten nach dem Erdbeben Medienberichten zufolge Schäden. Nepals Energiebehörde Nepal Electric Authority teilte den Ausfall von rund 150 MW Nominalkapazität mit. Bei einer landesweiten Kapazität von rund 500 Megawatt (93 Prozent Nepals Strom stammt aus Wasserkraft – andere Quellen sprechen von 600 MW  – ist dies ein so beträchtlicher Ausfall, so dass Indien kurzfristig 210 MW-Nominalkapazität zur Verfügung stellte, um das Defizit auszugleichen.

Auch betroffen war Nepals mit 456 MW künftig größter Staudamm1: Das Upper Tamakoshi Hydroelectric Project wird am Tamakoshi-Fluss in Lamabagar im Dolakha-Distrikt im Oberen Himalaya, rund 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Kathmandu und nur wenige Kilometer von der Grenze zu China (Tibet) gebaut. Upper Tamakoshi senkte sich den Presseberichten zufolge, ohne dass zunächst die Zahl spezifiziert wurde, später wurde die Zahl von 17 Zentimeter, um die sich die Staumauer gesenkt habe, kommuniziert. Die Ingenieursconsulting erfolgt durch ein Jointventure aus Norconsult und Lahmeyer International GmbH seit Januar 2011.

Um Staudämme gegen Erdbeben abzusichern, bedarf es guter Ingenieursleistung – doch genauso stellt sich die Frage, welche Grenzen ihr gesetzt in einem stark Erdbeben gefährdeten Gebiet sind und ob der Bau in solch seismisch aktiven Zonen nicht zu sehr einem letztlich unkalkulierbarem Risiko ausgesetzt ist. Zumal es erste Untersuchungen gibt, die zeigen, dass Erdbeben – auch teils beträchtlicher Intensität – durch eben menschengebaute Staudämme erst ausgelöst werden: Es sei hier erinnert an den Konya-Staudamm in Maharashtra, Indien, und an den Zipingpu-Damm in China. Ersterer löste laut wissenschaftlichen Analysen 1967 ein Erdbeben von der Stärke von 6,3 auf der Richterskala hervor. 180 Menschen starben, tausende wurden obdachlos. Beim 760 MW-Zipingpu-Damm in China gab es am 12. Mai 2008 ein Erdbeben ganz in der Nähe des 2004 fertiggestellten Stauwerks ein Erdbeben, erreichte nach den Angaben des United States Geological Survey eine Magnitude der Stärke 7,9. Auch hier wird von Wissenschaftler/innen vermutet, dass es sich um ein menschlich induziertes Erdbeben handeln könnte. 70.000 Menschen starben.

1Weitere, noch größere Staudammprojekte sind in Planung. Chinas Three Gorges Corporation hat Mitte 2015 die Verträge zum Bau eines 750 MW-Staudamms am West Seti-Fluss in Nordwest Nepal unterzeichnet.

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