Indigene Territorien – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Thu, 25 Mar 2021 18:11:22 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Munduruku-Frauenzentrum Wakoborun in Jacareacanga von Goldsuchern angegriffen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/munduruku-frauenzentrum-wakoborun-in-jacareacanga-von-goldsuchern-angegriffen/ Thu, 25 Mar 2021 18:11:20 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2192 Das Zentrum Wakoborun der Munduruku-Frauen in der Kleinstadt Jacareancanga im Südwesten des amazonischen Bundesstaates Pará wurde am heutigen Donnerstag von einer Menschenmenge angegriffen. Die indigene Frauenorganisation Wakoborun kämpft seit Jahren gegen Staudämme, illegalen Bergbau und für den natürlichen Erhalt der Flüsse und Wälder im Südwesten von Pará.

Das Zentrum Wakoborun der Munduruku-Frauen in der Kleinstadt Jacareancanga im Südwesten des amazonischen Bundesstaates Pará wurde am heutigen Donnerstag von einer Menschenmenge angegriffen. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen auf vor Ort Anwesende. Die Angreifer gaben sich als indigene Munduruku, die als Goldsucher:innen im illegalen Goldbergbau in indigenen Gebieten arbeiten, zu erkennen, die gegen die Arbeit der Frauen des gemeinnützigen Frauenvereins Wakoborun vorgingen, das Zentrum angriffen, die Fassade des Gebäudes beschmierten und in das Haus illegal eindrangen und drinnen das Mobiliar des Gebäudes und Dokumente und andere Vereinsmaterialien in Brand steckten, so die Munduruku-Frauen, die den Vorfall bei der Bundesstaatsanwaltschaft MPF in Pará meldeten, die heute sofort eine Untersuchung des Falles einleitete, wie diese auf ihrer Internetseite bekannt gab.

Laut der Mitteilung der Bundesstaatsanwaltschaft steigt seit dem 14. März dieses Jahres die Spannungen in der Region durch das weitere Eindringen des illegalen Bergbaus mit der Ankunft einer großen Anzahl von Radladern und Schaufelbaggern in der Region des Flusslaufes Baunilha Igarapé (übersetzt: Vanille-Bächchen), in der Nähe der Gebiete, in denen Munduruku arbeiten. Ein Hubschrauber, der in der Gegend gefilmt wurde, steht im Verdacht, den Kriminellen Geleitschutz zu geben, und eine bewaffnete Gruppe hinderte die Einheimischen daran, sich in die entsprechende Gegend zu begeben, so die Bundesstaatsanwaltschaft.

Letzte Woche wiederholte die Bundesstaatsanwaltschaft ihre bereits im Jahr 2020 an den Bundesgerichtshof gerichtete Forderung nach einem dringenden Einsatz von Bundeskräften, um gewaltsame Übergriffe illegaler Bergleute auf die indigene Bevölkerung zu verhindern. Seit 2017 warnt die Bundesstaatsanwaltschaft die Behörden vor dem zunehmenden Eindringen von Goldsucher:innen in das Munduruku-Gebiet, aber bis jetzt gab es keine hinreichende Bekämpfung des Verbrechens seitens der zuständigen Behörden, so die Bundesstaatsanwaltschaft.

Im August 2020 wurde sogar eine Inspektion durch das brasilianische Umweltinstitut Ibama eingeleitet, die aber nach einem Besuch des Umweltministers Ricardo Salles und der Intervention des Verteidigungsministeriums abgebrochen wurde. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und sein ihm politisch gleichgesinnter Umweltminister Ricardo Salles hatten nie einen Hehl aus ihrer Sympathie für Goldschürferei jeder Art, ob legal oder illegal, gemacht und bereits im ersten Regierungsjahr mehrmals öffentlich das eigentlich gesetzeskonforme Vorgehen der Umweltbehörde Ibama gegen illegale Brandrodungen und Goldschürferei aufs Schärfste kritisiert. Bolsonaro und Salles erließen Anordnungen, damit das Privateigentum der (illegal und kriminell operierenden) Goldschürfer:innen nicht länger von den Beamte:innen des Ibama zerstört werden dürfe. Umweltminister Salles traf sich während seiner nun knapp anderthalb Jahre währenden Amtszeit zudem wiederholt mit erklärt illegal operierenden Goldschürfer:innen und illegal Tropenholz rodenden Akteur:innen, ließ sich bereitwillig händeschüttelnd und in die Kameras grinsend mit diesen ablichten und versprach ihnen eine „neue“ Umweltpolitik im Land. Im Visier der Goldsucher:innen stehen vor allem Indigene Territorien.

Die Folge zeigt sich nun in zunehmender Brutalität in Jacareancanga und im Gebiet der Munduruku.

// Christian Russau

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Schwerer Schlag für Sojaeisenbahnpläne Ferrogrão in der Tapajós-Region https://www.gegenstroemung.org/web/blog/schwerer-schlag-fuer-sojaeisenbahnplaene-ferrograo-in-der-tapajos-region/ Tue, 16 Mar 2021 08:22:34 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2189 Die Reduzierung des Gebietes des Jamanxim-Nationalparks in Pará, um den Bau der Eisenbahnlinie Ferrogrão zum Transport von Soja aus vor allem Mato Grosso an die Überseehäfen am Amazonas zu ermöglichen, per einfacher Präsidialverordnung war nicht gesetzmässig. Oberster Richter Alexandre de Moraes argumentiert dabei mit „Wirksamkeit des Grundrechts auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt“. Oberster Procurador der Republik, Augusto Aras, widerspricht und sieht „Ökologie und Ökonomie in Harmonie“ bei dem Monsterprojekt, das schwere Auswirkungen auf indigene Völker in der Tapajós-Region hätte.

Von Christian Russau

Es ist ein schwerer Schlag für alle Befürworter:innen des Ferrogrão-Eisenbahntrassenprojektes in der Tapajós-Region. Der Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) setzte die Wirksamkeit des Gesetzes 13.452/2017 vorläufig aus, das aus der Provisorischen Maßnahme (MP) 758/2016, einer Präsidialverodrnung des damaligen Präsidenten Michel Temer aus dem Jahre 2016, hervorgegangen war und das die Grenzen des 2006 eingerichteten Nationalparkes Jamanxim in Pará um 862 Hektar einfach reduzierte. Diese geographische Reduzierung erfolgte, um im Nationalpark eine diesen durchschneidene Trasse zu ermöglichen, entlang derer dann die neue Eisenbahnlinie Ferrogrão gebaut werden sollte. Der Richter de Moraes wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Gebietsänderung in einem Naturschutzgebiet höchster Kategorie nicht durch eine einfache vorläufige Maßnahme hätte vorgenommen werden können. Dazu hätte es, laut de Moraes, eines Gesetzes bedurft, eine einfache Präsidialverordnung im Form einer Medida Provisória reiche dazu nicht aus. Damit folgte der Oberste Richter einer Beschwerde der Partei für Sozialismus und Frieden, PSOL.

Richter de Moraes argumentierte in seiner Urteilsverkündung mit den irreversiblen Schäden an der Natur, die sich unwiderbringlich einstellen würden, sollte die Reduzierung des Naturschutzgebietes Jamanxim weiterhin Gültigkeit haben und die Planungen für die Baumaßnahmen für die Eisenbahntrasse Ferrogrão vor Ort beginnen. Richter Alexandre de Moraes erklärte zudem, dass nach der Bundesverfassung die Umwelt ein gemeinsames Gut des Volkes sei und alle legislativen, administrativen und gerichtlichen Mittel, die für deren effektiven Schutz notwendig seien, eingesetzt werden müssten. Richter Alexandre de Moraes erklärte wörtlich: „Bekanntlich wurde der Umwelt in ihrer Gesamtheit vom Gesetzgeber besondere Aufmerksamkeit geschenkt, der der öffentlichen Gewalt und der Gemeinschaft die Pflicht auferlegt, die Umwelt für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu schützen und zu erhalten (Art. 225, caput der Bundesverfassung). In der Tat hat die Bundesverfassung von 1988 der öffentlichen Hand als Verpflichtung auferlegt, die Verteidigung, den Erhalt und die Gewährleistung der Wirksamkeit des Grundrechts auf eine ökologisch ausgewogene Umwelt [zu garantieren, da die Umwelt und Natur] ein Gut zur gemeinsamen Nutzung durch das Volk und wesentlich für eine gesunde Lebensqualität“ seien, so Richter de Moraes. Die Umwelt solle daher, so Richter de Moraes, als gemeinsames Erbe der gesamten Menschheit betrachtet werden, um deren vollen Schutz zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf die zukünftigen Generationen.

Damit hat der Richter Alexandre de Moraes vom Obersten Gerichtshof (STF) ein in der Tat starkes Signal für den Erhalt der Umwelt in Brasilien gesetzt, auch wenn der Fall nun an das Plenum des Obersten Gerichtshofes geht, wo noch unklar ist, wie sich die Mehrheit der Richter:innen entscheiden wird. Brasiliens Oberster Procurador da República, der Chefankläger der Republik, Augusto Aras, jedenfalls forderte den Obersten Gerichtshof umgehend auf, der Entscheidung von Richter de Moraes nicht zu folgen. „Die Verkleinerung von 0,054% des Jamanxim-Nationalparks, um Studien für die Installation einer Eisenbahnlinie zum Transport von Getreide (Ferrogrão – EF 170) zu ermöglichen, entspricht dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung als Faktor des Gleichgewichts zwischen Ökonomie und Ökologie“, so Aras in Bezug auf die Ende 2016 von Präsident Temer erlassene Präsidialverordnung zur Reduzierung des Gebietes des Jamanxim-Nationalparkes. Der Kampf um Ferrogrão geht also weiter, aber er ist auch Teil eines größeren gesellschaftlichen Disputs in Brasilien um Narrative, welchen Stellenwert nehmen Umwelt und Natur und Rechte ein im Gegensatz zu Ökonomie und Entwicklung.

Nicht Teil von Richter Alexandre de Morais juristischer Argumentation waren die Fragen nach der Verletzung indigener Rechte durch den geplanten Bau von Ferrogrão. Die indigenen Munduruku beispielsweise setzen sich vehement gegen die Eisanbahntrassenpläne von Ferrogrão zur Wehr. Auch die Bundesstaatsanwaltschaft hat im Oktober 2020 den Stopp des Ausschreibungsverfahrens für die geplante Bahnlinie Ferrogrão gefordert. Die zum Transport von vor allem Soja aus der Boomregion Sinop im Bundesstaat Mato Grosso an die Flusshäfen im Bundesstaat Pará vorgesehene Bahnlinie würde nach Erkenntnissen der Bundesstaatsanwaltschaft 48 von der Verfassung geschützte indigene Territorien durchschneiden und somit die verbrieften Rechte der Indigenen verletzen. Gemäß der bei der Bundesstaatsanwaltschaft eingereichten Anzeige gegen die das Projekt vorantreibende Bundesregierung, weigere sich die Regierung und die Behörden, Konsultationen mit den betroffenen Völkern durchzuführen, selbst nachdem sie sich verpflichtet habe, das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation gemäß dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu respektieren. Die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft war eingereicht worden im Namen des Instituto Socioambiental (ISA), der Iakiô-Vereinigung, des Volkes der Panará, der Xingu-Vereinigung für indigenes Land (Atix), des Raoni-Instituts, des Volkes der Kayapó, und des Kabu-Instituts sowie im Namen des indigenen Volkes der Kayapó Mekragnotireo. Über diese von der Bundesstaatsanwaltschaft beim brasilianischen Bundesrechnungshof TCU eingereichte Klage wurde bisher noch nicht verhandelt.

Das Ferrogrão-Bahnlinienprojekt ist seit Jahren eines der Lieblingsinfrastrukturprojekte von Brasília als auch der Soja-Farmer:innen in Mato Grosso. Für die derzeitige Boomregion beim Soja – dem zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso – gibt es seit der Regierung von Dilma Rousseff Pläne für weitere Straßen-, Wasserstraßen- und Bahnbauprojekte. In der Vergangenheit wurde das Soja meist per LKW an die Verladeterminals der Häfen im Südosten des Landes, Santos und Paranaguá, geliefert. Als die Autobahn BR-163 auch gen Norden, Richtung Miritituba und Santarém, asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke, im Durchschnitt eine Ersparnis von zwei Tagen. Als dritten LKW-Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren.

Für die Soja-Farmer:innen sind die Logistikkosten die entscheidende Stellschraube zur verstärkten Eroberung des Weltmarkts für brasilianisches Soja. 2014 betrug der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos 150 US-Dollar pro Tonne, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer:innen des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen läge, so ein damaliger Bericht bei „Bloomberg“.

Doch diese Straßen erhöhen erwiesenermaßen den Druck auf die Waldflächen in Amazonien. Márcio Santilli vom Instituto Socioambiental (ISA) sprach bereits 2017 angesichts dieses Amazonien durchziehenden Straßennetzes von dem „zerhackten Amazonien“: Diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80 Prozent aller Rodungen in Amazonien erfolgen Erhebungen zufolge entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen.

Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer:innen die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten auf der BR-163 gen Südosten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand bei LKW und Fahrer:in verursache. Die BR-163 gen Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg nach Westen über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Nach Vorstellungen von Politik und Soja-Farmer:innen sollen es Wasserstraßen und Bahntrassen richten.

Infolge der Asphaltierung der Bundesstraße BR-163 gen Norden sind die Frachtkosten bereits um 34 Prozent je Tonne Soja gesunken. Bei den geplanten schiffbaren Wasserstraßen an den Flüssen Tapajós, Teles Pires und Juruena — Wasserstraßen benötigen Schleusen zur Überwindung der Stromschnellen, dazu werden Staudämme errichtet und der Flusslauf und dessen Höhe nivelliert, was zu stehenden Gewässer führt, in den Fischpopulationen in Gefahr geraten, etc…) werden zukünftig gar Kostenersparnisse von weiteren 41 Prozent je Tonne Soja erhofft, was den Druck auf Landflächen in der Region noch weiter erhöhen wird. Auch gegen diese Laufen die Flussanwohner:innen, indigene Völker und andere traditionelle Gemeinschaften Sturm gegen diesen geplanten Bau von „Wasserautobahnen“, die „Entwicklung“ bringen sollen, aber meist Zerstörung von Umwelt und Lebenswelt der betroffenen lokalen Anwohner:innen der amazonischen Flüsse bedeutet.

Weitere Pläne sehen also den Bau von Bahntrassen vor. Und hier kommt Ferrogrão ins Spiel. „Ferrogrão“ heißt einer der geplanten Süd-Nord-Bahnkorridore von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planer:innen zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein.

Egal, ob Straße, Wasserstraße oder Bahn: Im Zuge solches Infrastrukturausbaus würden dann auch die Soja-Terminals massiv ausgebaut werden, so Politik und Farmer:innenlobby unisono: So sollen die Soja-Terminals von Santarém von 1,8 auf 8 Millionen Tonnen im Jahr, die von Porto Velho von 4 auf 7 Millionen Tonnen im Jahr und Miritituba von 3,5 auf 32 Millionen Tonnen bis Mitte der 2020er Jahre fast verzehnfacht werden. Ein Alptraum für die Savannenlandschaft des Cerrado und Amazonien sowie dessen Bewohner:innen.

All dieser Ausbau der Infrastruktur „zerhackt“ Amazonien, erhöht den Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen.
// christian russau

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Brasiliens Indigene informieren UN-Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brasiliens-indigene-informieren-un-sonderberichterstatterin-ueber-die-situation-von-menschenrechtsverteidigerinnen-in-brasilien/ Mon, 08 Mar 2021 08:34:01 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2183 Die gefährliche Situation der Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien wird heute Thema der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen sein.

Derzeit tagt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, wegen der Pandemie größtenteils virtuell. Dennoch sind die Treffen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen von enormer Bedeutung, um auf die brenzlige Situation der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Nachdem bereits vergangene Woche der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakri, über die verheerenden Verletzungen der Ernährungssouveränität und -sicherheit in Brasilien wegen der Pandemie und der gezielten Untätigkeit der rechtsextremen Regierung von Jair Bolsonaro von zivilgesellschaftlichen Organisationen Brasiliens in Kenntnis gesetzt wurde, steht für diesen Montag, 8. März, die Teilnahme der jungen Indigenen Sthefany Tupinambá am Interaktiven Dialog mit der Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Mary Lawlor, an. Die Veranstaltung begann am Freitag, dem 5. März, und wird heute als Teil des Terminkalenders der indigenen und indigenistischen Organisationen in der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen fortgesetzt. Dies berichtet der Indigenenmissionrat CIMI auf seiner Webseite.

Bei dieser Gelegenheit wird Sthefany Tupinambá, die aus dem Dorf Serra do Padeiro der Terra Indígena Tupinambá de Olivença im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia stammt, der Sonderberichterstatterin die Schwächen des brasilianischen Programms zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen darlegen. Diese von der Regierung Bolsonaro umgesetzte Politik gefährde das Leben und den Kampf der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften in Brasilien, so CIMI in einer Voraberklärung. Zu den am meisten gefährdeten Personen gehören demnach Menschenrechtsverteidiger:innen, die sich für die Umwelt, die Verteidigung von Land und traditionellen Territorien einsetzen. Zudem gebe es noch immer sehr viele Fälle, in denen die Behörden und Regierungen von Bundes-, Landes- und Kommunalebenen den indigenen Gemeinden Geschäftsprojekte ohne deren freie, vorherige und informierte Zustimmung aufzwängen. Die konkrete Bedrohungslage für Menschenrechtsverteidiger:innen, die von bewaffneten Milizen, privaten Sicherheitsdiensten und von angeheuerten Killern mit dem Tode bedroht werden, nehme zu, so CIMI. Viele der Täter:innen seien, so CIMI, Angehörige der repressiven Staatsorgane wie Militär- und Zivilpolizei.

Für den Indigenenmissionsrat CIMI ist der Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen eng mit der Verteidigung und dem Schutz traditioneller Territorien, ihrer Menschen und Lebensweisen verbunden. Die Bolsonaro-Regierung weist die seit den 1990er geringsten Ausweisungen (Demarkationen) indigener Territorien auf. Ganze 0 („Null“) indigene Territorien hat Bolsonaro ausgewiesen. Damit setzt er seine Ankündigung um, die er vor seiner Wahl getätigt hatte, nämlich den Indigenen „keinen Zentimeter Landes mehr“ zu geben. Düster steht es auch um die Agrarreform. Im Rückblick der vergangenen 25 Jahre war es vor allem die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, die die Agrarreform in Brasilien zahlenmäßig am meisten voranbrachte. Zwar erreichte auch die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) in den Jahren 1997 und 1998 Höchstwerte mit 81.944 bzw. 101.094 angesiedelten Familien, denen im Rahmen des staatlichen Agrarreformprogramms Land zugesprochen wurde, doch die historischen Spitzenwerte bei der Agrarreform erreichte die Lula-Regierung (2003-2010) in den Jahren 2005 (127.506 Familien) und 2006 (136.358 Familien). Während der Regierung von Dilma Rousseff oszillierten die Zahlen der Ansiedlungen im Rahmen der Agrarreform zwischen vergleichsweise bescheidenen 22.012 Familien (2011) und 32.019 Familien (2014). Während der Temer-Regierung reduzierte sich die Agrarreformzahlen weiter drastisch, bevor sie gegenwärtig unter Bolsonaro zum Stillstand gekommen sind.

Unter Bolsonaro spitzen sich auch die Landkonflikte zu. Oft äußern sich die illegal goldschürfenden und holzschlagenden Täter:innen unverhohlen, nun sei doch „ihr Hauptmann“ Bolsonaro Präsident und er habe zugesagt, er werde ihnen – den Gold suchenden garimpeiros, den Tropenholz illegal schlagenden madeireiros, den mit bewaffneten Killern ausgerüsteten Großfarmer:innen – zu „ihrem Recht“ verhelfen. Gepaart mit einer fortschreitenden Liberalisierung des Waffen- und Munitionsbesitzes im Lande entwickelt sich eine zunehmend explosive Mischung. Bolsonaros präsidiale Narrative schaffen Gewalt.

Derweil betreibt die Bolsonaro-Regierung gezielt eine schleichende Entmachtung der Indigenenbehörde Funai und der Umweltbehörde Ibama, indem sie fähige Mitarbeiter:innen durch Bolsonaro-freundliche Militärs oder Evangelikale austauscht. Außerdem kürzt sie diesen Behörden Gelder und verlagert deren Kompetenzen auf andere, ihm und seinem Machtapparat willfährigere Staatsorgane. Hinzu kommt Bolsonaros Plan, die indigenen Territorien künftig für Bergbau, Landwirtschaft und Energie- und Staudammprojekte freizugeben. Die Bilder von großflächiger Zerstörung in Amazonien – sei es durch gezielt gelegte Brände, sei es durch Holzfäller:innen, sei es durch die Goldsuche, sei es durch Infrastrukturbauten, sei es durch Staudämme – geben beredtes Zeugnis darüber, dass es bei Bolsonaro nicht mehr wie bei Lula und Dilma um einen in Kauf genommenen Gegensatz von „Entwicklung“ und „Umwelt“ geht, sondern vielmehr um eine gezielte Zerstörung und rücksichtlose Ausbeutung der „Umwelt“.

// christian russau

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Vales Rückzug vom Ausstieg? Bergbau in Indigenen Territorien doch weiterhin auf der Konzernagenda? https://www.gegenstroemung.org/web/blog/vales-rueckzug-vom-ausstieg-bergbau-in-indigenen-territorien-doch-weiterhin-auf-der-konzernagenda/ Fri, 17 Jul 2020 09:27:38 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2082 Entgegen vorherigen Aussagen scheint Vale am Bergbau in Indigenen Territorien doch weiter festhalten zu wollen.

Recherchen der brasilianischen Seite von „The Intercept“ legen nahe, dass der brasilianische Bergbaukonzern Vale entgegen Aussagen auf der Aktionärsversammlung vom 30. April dieses Jahres doch weiterhin auf künftigen Bergbau in indgenen Territorien in Brasilien setzen würde.

Am Donnerstag, dem 30. April 2020 (GegenStrömung berichtete), hatte in Brasilien die alljährliche Hauptversammlung des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale stattgefunden. Dort haben, wie seit 2010 jedes Jahr, Menschenrechtsaktivist:innen des internationalen Netzwerks der von Vale Betroffenen (Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale – AIAAV) durch den Kauf einer Aktie das dortige Rede- und Stimmrecht erlangt, das sie nutzen, um den Konzernvorstand direkte Fragen zu stellen und die allfällige Kritik am Konzerngebaren direkt ins „Herz der Bestie“ zu tragen. Eines der vielen heiklen Themen, das die Aktivist:innen ansprachen, betraf die Fragen der von der rechtsextremen Regierung Bolsonaro angestrebten wirtschaftlichen Öffnung der indigenen Territorien für Bergbau und welche Position Vale diesbezüglich einzunehmen gedenke. Schließlich hält allein Vale hunderte an Schürf- und Förderanträgen und -lizenzen auf künftigen Bergbau in den eigentlich geschützten Gebieten.

Die damalige Antwort des Firmendirektors von Vale, Luciano Siani, auf die Fragen des Rechtsanwalts Danilo Chammas, Menschenrechtsverteidiger Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale, der seit 2010 mit einer Aktie auf die Jahreshauptversammlung der Vale geht und dort den Konzernvorstand kritischen Fragen aussetzt, war diesmal aber unmißverständlich: „Wir haben nicht die geringste Absicht, Bergbau in indigenen Territorien zu betreiben.“ Doch was ist mit den hunderten Anträgen auf Förderlizenzen, die die Vale innehält allein für indigenen Territorien? „Wir werden diese Anträge zurückziehen“, so der Vale-Chef laut einem Medienbericht beim Internetportal Terra über den auch GegenStrömung berichtete. Und auf der eigenen Webseite ließ Vale erklären, „dass es keine Mineralienforschung oder Bergbautätigkeiten irgendwelcher Art in indigenen Ländern in Brasilien durchführt, unabhängig davon, ob es sich um Bergbautitel oder Erwartungen des Gesetzes handelt, und dass es die geltende Gesetzgebung strikt einhält. Vale gibt auch an, dass in seinem Produktionsplan Mineralressourcen oder Mineralreserven in indigenen Ländern in Brasilien nicht berücksichtigt werden, und aus diesem Grund hat der neue Gesetzesentwurf keine Auswirkungen auf unser Geschäft.“ Mit dem neuen Gesetzesentwurf meint Vale das von der Bolsonaroregierung in den Kongress eingebrachte Gesetzesvorhaben Lei 191/2020 zur künftigen Ausbeutung indigener Territorien in Brasilien durch Bergbau. Das klang, zum ersten Mal, als ein klares „Nein“ von Vale nicht nur zu Bergbau in indigenen Territorien, nicht nur in Amazonien, sondern in indigenen Territorien in ganz Brasilien. In der Tat ein Fortschritt, ein kleiner zwar, vergegenwärtigt man sich die ganze Palette an Umweltschäden und sozialen Konsequenzen des Megabergbaus, den eine Firma wie Vale in Brasilien und weltweit verursacht, aber immerhin ein Schritt, ein Schritt, der dazu beitragen könnte, indigene Territorien, die in Brasilien unter Bolsonaro mehr denn je unter Druck stehen, zu schützen.

Mit dieser damaligen öffentlichen Erklärung hatte der zweite international agierende Großkonzern ein verbales „Nein“ zu künftigen Bergbauaktivitäten in indigenen Territorien in Brasilien abgegeben. Das erste verbale „Nein“ war als Twitter-Antwort von Siemens gekommen, auf den im August 2019 vom Dachverband der Kritischen Aktionär:innen und 21 weiteren deutschen Nichtregierungsorganisationen gesandten offenen Brief, der neben Siemens auch an Thyssenkrupp gerichtet worden war, in dem die Organisationen von Thyssenkrupp und Siemens forderten: „Erklären Sie öffentlich, dass Ihr Unternehmen keine Zulieferungen von Maschinen oder Dienstleistungen für den in Brasilien drohenden Bergbau in indigenen Territorien zur Verfügung stellen wird!“

Thyssenkrupp berief sich in ihrer Antwort im August 2019 reichlich nichtssagend auf allgemeine Bekenntnisse zu Menschenrechten: „Thyssenkrupp bekennt sich eindeutig zu Nachhaltigkeit und verantwortlichem Wirtschaften. Klima- und Umweltschutz sowie die Achtung der Menschenrechte sind integraler Bestandteil unserer Unternehmenswerte, wie wir in unserem Verhaltenskodex und durch unser Bekenntnis zum Global Compact der Vereinten Nationen dargestellt haben.“ Siemens, zuerst über den Twitter-Account der Siemens-Presseabteilung, dann auch in schriftlicher Antwort an die Initiator:innen des Briefs und dann auch dokumentiert anlässlich der diesbezüglichen Nachfrage des Business and Human Rights Center in Großbritannien, war da schon ein wenig deutlicher: „Wir haben aktuell & planen auch künftig keine Geschäftsaktivitäten in indigenen Gebieten, in denen die brasilianische Regierung plant, Bergbauaktivitäten zu erlauben. Die Achtung der Menschenrechte ist zentraler Grundsatz bei Siemens, weltweit.“

Nun aber, so berichtet Hyury Potter in seiner Recherche für den brasilianischen Ableger der Investigativrechercheseite „The Intercept“, dass das „Nein“ von Vale offensichtlich nicht so gemeint war oder eben nur anders interpretiert wird. Denn Vale habe zum einen – nicht wie auf der Aktionärsversammlung angegeben 71 Lizenzanträge auf Bergbau-Exploration in indigenen Territorien – laut Auskünften über das brasilianische Informationsfreiheitsgesetz 236 solcher Explorations- und Förderanträge auf Bergbau in indigenen Territorien in Brasilien. Und die Recherchen von „The Intercept“ ergaben, dass noch immer kein einziger der Anräge von der Firma, wie auf der Aktionärsversammlung eigentlich versprochen, zurückgezogen wurde. Aber mehr noch: In Brasilien verbietet die Verfassung den Bergbau in Indigenen Territorien. Deshalb hat die Bundesstaatsanwaltschaft bereits Ende 2019 acht Klagen gegen die Nationale Bergbaubehörde eingereicht, um den Schutz von 48 Indigenen Territorien zu erreichen, für die bislang Anträge auf Bergbauexploration und -förderung vorliegen. Und was macht Vale laut „The Intercept“? Vale bat die Bundesjustiz , in den acht Klagen als „Assistenz der Angeklagten“ am Prozess mitwirken zu dürfen, da sie selbst von dem Antrag der Bundesstaatsanwaltschaft betroffen sei, habe sie doch in einigen der entsprechenden Gebiete Projektanträge auf Bergbau am Laufen. Die Bundesjustiz lehnte diesen Antrag Vales ab, gleichwohl beibt die Frage, verfolgt Vale nun weiter die Politik der geplanten Schürfungen und Exploration in Indigenen Territorien oder nicht?

Hyury Potter von „The Intercept“ richtete zwei Anfragen an Vale. Die erste wurde am 18. Mai von Vale beantwortet, die Firma befände sich im Prozess der Neubewertung des Bergbauaktivitätenportfolios, dies beträfe auch in Teilen indigene Terrirtorien, einige der Anträge bezögen sich gar auf komplette Territorien. Im Juni, so berichtet „The Intercept“, habe Vale dann ihren Diskurs geändert. Vale habe ihm geantwortet, die Firma besässe 76 Anträge auf Explorationslizenzen in Indigenen Territorien, beantwortete nicht die Frage, warum Vale versicht habe, als „Assistenz der angeklagten“ Bergbauagentur im Bundesprozess beteiligt zu werden und liess zudem die grundsätzliche Frage offen, ob die Firma Vale in Zukunft an Berbprojekten in Indigenen Territorien festhalten werde oder wie auf der Aktionärsversammlung zugesagt, sich aus solchem zurückziehen werde. Die Firma habe, so „The Intercept“ geantwortet, „es liegt am brasilianischen Nationalkongress, diese Aktivitäten zu regelmentieren“. „The Intercept“ wies auch darauf hin, dass die auf der Aktionärsversammlung getätigte Aussage über den Rückzug Vales von allen Berbauanträgen in Indigenen Territorien zwar dort mündlich getroffen und von der Presse konform berichtet wurde, aber merkwürdigerweise nicht im offiziellen Sitzungsprotokoll der Aktionärsversammlung auftauchte.

// christian russau

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Nach Siemens erklärt sich nun auch Vale gegen Bergbau in indigenen Territorien. Erfolg für Kritische Aktionärinnen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/nach-siemens-erklaert-sich-nun-auch-vale-gegen-bergbau-in-indigenen-territorien-erfolg-fuer-kritische-aktionaerinnen/ Sat, 02 May 2020 17:13:21 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2048 Es ist der zweite multinational agierende Großkonzern, der auf kritische Nachfrage von Menschenrechtsaktivist:innen und Kritischen Aktionär:innen erklärt, in indigenen Territorien in Brasilien keinen Bergbau zu betreiben bzw. solchen zu unterstützen.

Am Donnerstag, dem 30. April 2020, fand in Brasilien die alljährliche Hauptversammlung des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale statt, wegen des grassierenden Corona-Virus fand die Versammlung online statt. Dennoch haben, wie seit 2010 jedes Jahr, Menschenrechtsaktivist:innen des internationalen Netzwerks der von Vale Betroffenen (Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale – AIAAV) durch den Kauf einer Aktie das dortige Rede- und Stimmrecht erlangt, das sie nutzen, um den Konzernvorstand direkte Fragen zu stellen und die allfällige Kritik am Konzerngebaren direkt ins „Herz der Bestie“ zu tragen.

Eines der vielen heiklen Themen, das die Aktivist:innen ansprachen, betraf die Fragen der von der rechtsextremen Regierung Bolsonaro angestrebten wirtschaftlichen Öffnung der indigenen Territorien für Bergbau und welche Position Vale diesbezüglich einzunehmen gedenkt. Schließlich hält allein Vale hunderte an Schürf- und Förderanträgen und -lizenezen auf künftigen Bergbau in den eigentlich geschützten Gebieten.

Die Antwort des Firmendirektors von Vale, Luciano Siani, auf die Fragen des Rechtsanwalts Danilo Chammas, Menschenrechtsverteidiger Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale, der seit 2010 mit einer Aktie auf die Jahreshauptversammlung der Vale geht und dort den Konzernvorstand kritischen Fragen aussetzt, war diesmal aber unmißverständlich: „Wir haben nicht die geringste Absicht, Bergbau in indigenen Territorien zu betreiben.“ Doch was ist mit den hunderten Anträgen auf Förderlizenzen, die die Vale innehält allein für indigenen Territorien? „Wir werden diese Anträge zurückziehen“, so der Vale-Chef laut einem Medienbericht beim Internetportal Terra. Und auf der eigenen Webseite ließ Vale erklären, „dass es keine Mineralienforschung oder Bergbautätigkeiten irgendwelcher Art in indigenen Ländern in Brasilien durchführt, unabhängig davon, ob es sich um Bergbautitel oder Erwartungen des Gesetzes handelt, und dass es die geltende Gesetzgebung strikt einhält. Vale gibt auch an, dass in seinem Produktionsplan Mineralressourcen oder Mineralreserven in indigenen Ländern in Brasilien nicht berücksichtigt werden, und aus diesem Grund hat der neue Gesetzesentwurf keine Auswirkungen auf unser Geschäft.“ Mit dem neuen Gesetzesentwurf meint Vale das von der Bolsonaroregierung in den Kongress eingebrachte Gesetzesvorhaben Lei 191/2020 zur künftigen Ausbeutung indigener Territorien in Brasilien durch Bergbau. Das war, zum ersten Mal, ein klares „Nein“ von Vale nicht nur zu Bergbau in indigenen Territorien, nicht nur in Amazonien, sondern in ganz Brasilien. In der Tat ein Fortschritt, ein kleiner zwar, vergegenwärtigt man sich die ganze Palette an Umweltschäden und sozialen Konsequenzen des Megabergbaus, den eine Firma wie Vale in Brasilien und weltweit verursacht, aber immerhin ein Schritt, ein Schritt, der dazu beitragen könnte, indigene Territorien, die in Brasilien unter Bolsonaro mehr denn je unter Druck stehen, zu schützen.

Mit dieser nun öffentlichen Erklärung hat der zweite international agierende Großkonzern ein verbales „Nein“ zu künftigen Bergbauaktivitäten in indigenen Territorien in Brasilien abgegeben. Das erste verbale „Nein“ war als Twitter-Antwort von Siemens gekommen, das im August 2019 vom Dachverband der Kritischen Aktionär:innen und 21 weiteren deutschen Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief, der neben Siemens auch an Thyssenkrupp gerichtet worden war, in dem die Organisationen von Thyssenkrupp und Siemens forderten: „Erklären Sie öffentlich, dass Ihr Unternehmen keine Zulieferungen von Maschinen oder Dienstleistungen für den in Brasilien drohenden Bergbau in indigenen Territorien zur Verfügung stellen wird!“

Thyssenkrupp berief sich in ihrer Antwort reichlich nichtssagend auf allgemeine Bekenntnisse zu Menschenrechten: „Thyssenkrupp bekennt sich eindeutig zu Nachhaltigkeit und verantwortlichem Wirtschaften. Klima- und Umweltschutz sowie die Achtung der Menschenrechte sind integraler Bestandteil unserer Unternehmenswerte, wie wir in unserem Verhaltenskodex und durch unser Bekenntnis zum Global Compact der Vereinten Nationen dargestellt haben.“ Siemens, zuerst über den TwitterAccount der Siemens-Presseabteilung, dann auch in schriftlicher Antwort an die Initiator:innen des Briefs und dann auch dokumentiert anlässlich der diesbezüglichen Nachfrage des Business and Human Rights Center in Großbritannien, war da schon ein wenig deutlicher: „Wir haben aktuell & planen auch künftig keine Geschäftsaktivitäten in indigenen Gebieten, in denen die brasilianische Regierung plant, Bergbauaktivitäten zu erlauben. Die Achtung der Menschenrechte ist zentraler Grundsatz bei Siemens, weltweit.“

Diese klare Aussage von Siemens wurde daraufhin auch in Brasilien verbreitet, auch wenn es Beobachter:innen bei Siemens eher so aus sah, als wollten sie das nicht so an die große Glocke hängen, bei einem Bolsonaro weiß man ja nie, wie der mit Social-Media-Verbalinjurien so umgeht.

Nun hat aber nach Siemens auch Vale erklärt, keinen Bergbau in indigenen Territorien zu betreiben bzw. solchen zu unterstützen. Das heisst natürlich nicht, dass die Menschenrechtsaktivist:innen nun mit allem zufrieden sind, was diese Konzerne so treiben, ganz im Gegenteil. Genauso offensichtlich ist, dass es andere Konzerne und Firmen geben wird, die das üble Spiel eines Bolsonaro, indigene Territorien mit Bergbaugerät zu verwüsten, um Gewinn über Gewinn auf Kosten von Natur und Mensch aus den Böden rauszuholen, gerne mittreiben werden. Und das „Nein“ der beiden Firmen sagt ja auch nichts über diejenigen Gebiete aus, die noch im Prozeß des Kampfes um Anerkennung als indigene Territorien stehen – und dies sind in Brasilien viele. Es ist aber ein erster Schritt. Und vielleicht einer, der einem Bolsonaro die Wut ins Gesicht treiben wird. Es wäre ihm zu gönnen, in der Tat.

// christian russau

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Neues Berggeschrey in indigenem Land https://www.gegenstroemung.org/web/blog/neues-berggeschrey-in-indigenem-land/ Fri, 14 Feb 2020 13:39:02 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2014 Bolsonaro macht ernst mit künftigem Bergbau in indigenen Territorien. Es war eines seiner großen Wahlversprechen, eines, das Panik bei indigenen Völkern Brasiliens und bei den sie unterstützenden Menschenrechtsverteidiger*innen auslöste, eines, das Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nun in Angriff nimmt und damit indigenes Land für die wirtschaftliche Ausbeutung freigeben will: Bergbau und andere wirtschaftliche Aktivitäten, wie großflächige, industrielle Landwirtschaft sollen nach Wunsch des Präsidenten Bolsonaro künftig in indigenen Territorien in Brasilien erlaubt sein.

Der von Jair Bolsonaro vorgelegte Gesetzesvorschlag liegt derzeit noch unter Verschluss, wurde der Presse selbst nicht übergeben, sondern nur an den brasilianischen Nationalkongress weitergeleitet. Die Bolsonaro-Gesetzesvorlage sieht laut Medienberichten im Falle der künftigen Ausbeutung des Bodens indigener Territorien durch Dritte die Zahlung einer finanziellen Entschädigung an die indigenen Völker vor, dies jedoch in einer Höhe, die unter den Werten liegen, die z.B. an Lizenzgebühren bezahlt werden (wie bspw. bisher üblich bei der Ölexploration). Dem Vorschlag zufolge würden bei künftiger Wasserkraftnutzung die Gemeinden 0,7% des Wertes der erzeugten Energie erhalten, im Falle von Erdöl, Erdgas und deren Derivaten würde dieser Wert bei 0,5% bis 1% des produzierten Wertes liegen. Im Falle von Bergbauaktivitäten soll die Ausgleichszahlung an die indigenen Gemeinden 50% des Wertes der finanziellen Entschädigung für die Ausbeutung von Mineralressourcen betragen. Es ist laut Medienberichten auch eine Entschädigung für die dann künftig durch diese neue Nutzung eingeschränkte Landnutzung durch die Indigenen vorgesehen, um die indigenen Völker für den Nutzungsausfall eines Teils des Landes zu entschädigen. Dieser Entschädigungssatz für die Fläche des Landes, die von der Nutzung durch den neuen Betrieb verhindert bzw. verändert werde, soll von der brasilianischen Bundesregierung auf der Grundlage des Umfangs der Beschränkung berechnet werden, wobei klare Berechnungsgrundlagen bisher nicht bekannt gemacht wurden.

Klar ist: Das Projekt gibt den indigenen Völkern wenig Autonomie, um selbst zu entscheiden, ob sie ihr Land ausbeuten lassen wollen oder nicht. Denn: Die Gemeinschaften werden zwar angehört, aber im Falle der Wasserkraft- oder Erdölexploration wird es nur eine Konsultation sein, ohne Vetorecht. Letztich kann der Präsident der Republik den jweiligen konkreten Explorationsantrag auf eine Lizenz zur Unterzeichnung weiterleiten. Die endgültige Genehmigung der Gesetzesvorlage werden die beiden Kammern des Kongress, Abgeordnetenkammer und Senat, treffen.

Das Vetorecht der indigenen Völker gilt also nicht, mit einer Ausnahme. Bolsonaros Gesetzesvorschlag sieht im Falle von Garimpos (Bergbauschürfen) ein Vetorecht vor. In solchen Fällen könnten die Indigenen die Ausbeutung des Landes (theoretisch) verhindern. Denn der Gesetzesvorschlag sieht im Falle der Ausbeutung durch Garimpo vor, dass die Indigenen selbst den Garimpo durchführen können oder Dritte beauftragen könnten, dies zu tun. Unklar ist, wie die Entscheidungen darüber ablaufen sollen, wenn es in den indigenen Völkern unterschiedliche Ansichten und Absichten darüber gibt. Der nun vorgeschlagene Gesetzestext sieht laut Medienberichten vor, dass die Entscheidungen über Aktivitäten in den Gemeinden von einem Beirat getroffen werden, deren Mitglieder von den betroffenen indigenen Völkern gebildet werden und deren Vertreter*innen von den Gemeinschaften „gemäß ihrer normalen Art und Weise, Anführer*innen und Delegierte zu wählen“ (so der Pressetext), ernannt werden. Angesichts unterschiedlicher Interessenslagen auch bei indigenen Völkern steht Streit und Zwist ins Haus, ein Umstand, den ein Jair Bolsonaro sehr wohl zu nutzen weiß… Es droht Übles in Brasilien.

// Christian Russau

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Morddrohungen und Einschüchterungsversuche gegen indigene Menschenrechtsaktivistin in Santarém https://www.gegenstroemung.org/web/blog/morddrohungen-und-einschuechterungsversuche-gegen-indigene-menschenrechtsaktivistin-in-santarem/ Wed, 04 Dec 2019 15:11:11 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1982 Nach Morddrohungen und einem gezielten Einbruch in ihre Wohnung hat die indigene Menschenrechtsaktivistin Alessandra Korap Munduruku Santarém vorerst verlassen müssen.

Alessandra Korap Munduruku musste wegen Morddrohungen und einem offensichtlich der Einschüchterung ihrer Person geltenden Einbruch in ihre Wohnung mit ihrer Familie Santarém verlassen. Dies nur wenige Tage, nachdem sie die illegalen Aktivitäten von garimpeiros und Holzfäller öffentlich und auch die nach wie vor aktuellen Staudammpläne Brasílias für die Tapajós-Region angeprangert hatte. Alessandra Korap Munduruku war zusammen mit 50 anderen Indigenen am 20. November nach Brasília gefahren, um dort öffentlich das illegale Vorgehen der garimpeiros und Holzfäller in den indigenen Territorien anzuprangern. Dabei war sie gefilmt worden, dieses Video wurde in sozialen Medien geteilt, woraufhin Frau Korap Morddrohungen erhalten hat. Am vergangenen Samstag war die Familie außer Haus, nach ihrer Rückkehr stellten sie fest, dass in ihr Haus in Samtarém, Bundesstaat Pará, eingebrochen worden war. Die Einbrecher hatten Dokumente, ein Tablet, ein Handy und eine Speicherkarte einer Kamera mitgenommen, die Kamera aber selbst liegen gelassen. Der Fernseher wurde ebenfalls gestohlen, aber die Gasflasche, eines der am häufigsten gestohlenen Gegenstände in der Region, wurde zurückgelassen. Laut Frau Korap ereignete sich der Einbruch zwischen dem späten Nachmittag und dem frühen Abend dieses Samstags (30.11.).

Wegen des mutmaßlichen Zusammenhangs mit den Drohungen gegen ihre Person, hat Alessandra Korap Munduku zusammen mit ihrer Familie Santarém verlassen und bleibt zunächst bei Freundinnen. Am Sonntag hatte Frau Korap noch versucht, eine polizeiliche Anzeige auf der zuständigen Wache zu erstatten, wurde aber aufgefordert, am Montag zurückzukehren und es erneut zu versuchen während der regulären Dienstzeiten, die Wochenenddienstzeiten seien nur für Taten, bei den die Täterinnen in flagranti erwischt wurden.

Alessandra Korap Munduruku gibt der Regierung in Brasília seit langem eine Mitverantwortung für die Menschenrechtsverletzungen gegen Indigene, da der Hassdiskurs des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro die Gesellschaft vergifte, so Alessandra Korap Munduruku im Gespräch mit KoBra anlässlich ihres Besuchs in Berlin Ende September 2019. Dort sprach sie unter anderem vor 270.000 Menschen auf der Fridays for Future-Demo-Kundudgebung vor dem Brandenburger Tor.

// christianrussau

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Offener Brief: Keine Equipment-Lieferung für Bergbauaktivitäten in Indigenen Territorien in Brasilien https://www.gegenstroemung.org/web/blog/offener-brief-keine-equipment-lieferung-fuer-bergbauaktivitaeten-in-indigenen-territorien-in-brasilien/ Thu, 29 Aug 2019 13:15:44 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1949 Heute haben wir uns mit einem offenen Brief an Siemens und Thyssen-Krupp gewandt, mit der Aufforderung sich nicht an Bergbauaktivitäten in Indigenen Territorien in Brasilien durch Equipment-Lieferungen zu beteiligen.

„Wir wenden uns an Sie vor dem Hintergrund, dass uns die neuesten Entwicklungen in Brasilien äußerst beunruhigen. „Die Lunge der Welt“ in Amazonien brennt in nie gekanntem Ausmaß. Die illegale Brandrodung ist größtenteils menschengemacht. Großgrundbesitzer, Bergbau-Konzerne und Rinderzüchter reißen die Territorien indigener Gruppen gewaltsam an sich. Gleichzeitig wird massiv Regenwald gerodet. Um 278% stieg die Fläche des gerodeten Waldes im Juli 2019 im Vergleich zum Vorjahr. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro trägt eine große Mitverantwortung für diese Zerstörung von Umwelt und Weltklima.

Bolsonaro kündigt an, die indigenen Territorien des Landes für industrielle Landwirtschaft und Bergbau freizugeben

Bolsonaro hat angekündigt, dass Land der Indigenen dem Agrobusiness und Bergbau zur Verfügung zu stellen. Er verkauft das als Wohltat, die den Indigenen zugutekomme. Doch in Wahrheit reißen bewaffnete Banden das Land gewaltsam an sich. Die indigenen Gemeinschaften leben in ständiger Angst vor dem nächsten brutalen Angriff auf ihr Land.

„Dieses Gerede über indigene Völker ist rückwärtsgewandt und behandelt uns respektlos, unsere Geschichte, unsere Abstammung!“, protestierten 200 indigene Frauen vom Unteren Tapajós-Fluss in Amazonien in einer gemeinsamen Erklärung bereits im Januar 2019. Ihr Urteil fällt harsch aus: „Der Präsident vergleicht uns mit Tieren im Zoo, die in einem Käfig gefangen sind. Er macht absurde Aussagen über unsere Lebensweise und über unsere Wünsche als Bürgerinnen.“ Auch die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, forderte die Regierung Bolsonaro explizit auf, die von Brasilien unterzeichneten internationalen Abkommen einzuhalten, die den Schutz indigener Völker und ihrer Territorien gewährleisten.

Angesichts der massiven Bedrohung der Integrität der indigenen Territorien durch die gezielte Öffnung für den Bergbausektor und das Agrobusiness fordern wir Sie als international tätiges Unternehmen auf:

  • Erklären Sie öffentlich, dass Ihr Unternehmen keine Zulieferungen von Maschinen oder Dienstleistungen für den in Brasilien drohenden Bergbau in indigenen Territorien zur Verfügung stellen wird!
  • Stellen Sie sicher, keine Produkte zu importieren, die aus Landraub in indigenen Territorien stammen!
  • Bekennen Sie sich zu Menschenrechten und insbesondere zu den Rechten der Indigenen in Amazonien!

Die indigenen Gemeinden in Brasilien gehören zu den besten Verwaltern und Bewahrern großer Wälder und biologischer Vielfalt. Wenn ihre Rechte mit Füßen getreten werden, geht es allzu oft darum, weitere Inwertsetzungsspiralen durch klimaschädliche Abholzung in Gang zu setzen. Der Schutz indigener Landrechtsverteidiger ist daher nicht nur eine menschenrechtliche Notwendigkeit, sondern auch dringend erforderlich, um die Klimakrise zu mildern.

Hochachtungsvoll

Christian Russau,
Vorstand Dachverband
Kritische Aktionäre

Michael Reckordt,
Koordinator AK Rohstoffe

Ernst-Christoph Stolper,
stellvertretender Vorsitzender BUND
(Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.)“

Weitere unterstützende Organisationen: siehe Brief.

Die Briefe finden Sie hier:

http://ak-rohstoffe.de/wp-content/uploads/2019/08/2019-08-29-Kein-Equipment-Bergbau-Brasilien_Siemens.pdf

http://ak-rohstoffe.de/wp-content/uploads/2019/08/2019-08-29-Kein-Equipment-Bergbau-Brasilien_ThyssenKrupp.pdf

// christian russau

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