Menschenrechte – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Mon, 08 Mar 2021 10:08:10 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Brasiliens Indigene informieren UN-Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brasiliens-indigene-informieren-un-sonderberichterstatterin-ueber-die-situation-von-menschenrechtsverteidigerinnen-in-brasilien/ Mon, 08 Mar 2021 08:34:01 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2183 Die gefährliche Situation der Menschenrechtsverteidiger:innen in Brasilien wird heute Thema der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen sein.

Derzeit tagt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, wegen der Pandemie größtenteils virtuell. Dennoch sind die Treffen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen von enormer Bedeutung, um auf die brenzlige Situation der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Nachdem bereits vergangene Woche der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakri, über die verheerenden Verletzungen der Ernährungssouveränität und -sicherheit in Brasilien wegen der Pandemie und der gezielten Untätigkeit der rechtsextremen Regierung von Jair Bolsonaro von zivilgesellschaftlichen Organisationen Brasiliens in Kenntnis gesetzt wurde, steht für diesen Montag, 8. März, die Teilnahme der jungen Indigenen Sthefany Tupinambá am Interaktiven Dialog mit der Sonderberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Mary Lawlor, an. Die Veranstaltung begann am Freitag, dem 5. März, und wird heute als Teil des Terminkalenders der indigenen und indigenistischen Organisationen in der 46. ordentlichen Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen fortgesetzt. Dies berichtet der Indigenenmissionrat CIMI auf seiner Webseite.

Bei dieser Gelegenheit wird Sthefany Tupinambá, die aus dem Dorf Serra do Padeiro der Terra Indígena Tupinambá de Olivença im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia stammt, der Sonderberichterstatterin die Schwächen des brasilianischen Programms zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen darlegen. Diese von der Regierung Bolsonaro umgesetzte Politik gefährde das Leben und den Kampf der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften in Brasilien, so CIMI in einer Voraberklärung. Zu den am meisten gefährdeten Personen gehören demnach Menschenrechtsverteidiger:innen, die sich für die Umwelt, die Verteidigung von Land und traditionellen Territorien einsetzen. Zudem gebe es noch immer sehr viele Fälle, in denen die Behörden und Regierungen von Bundes-, Landes- und Kommunalebenen den indigenen Gemeinden Geschäftsprojekte ohne deren freie, vorherige und informierte Zustimmung aufzwängen. Die konkrete Bedrohungslage für Menschenrechtsverteidiger:innen, die von bewaffneten Milizen, privaten Sicherheitsdiensten und von angeheuerten Killern mit dem Tode bedroht werden, nehme zu, so CIMI. Viele der Täter:innen seien, so CIMI, Angehörige der repressiven Staatsorgane wie Militär- und Zivilpolizei.

Für den Indigenenmissionsrat CIMI ist der Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen eng mit der Verteidigung und dem Schutz traditioneller Territorien, ihrer Menschen und Lebensweisen verbunden. Die Bolsonaro-Regierung weist die seit den 1990er geringsten Ausweisungen (Demarkationen) indigener Territorien auf. Ganze 0 („Null“) indigene Territorien hat Bolsonaro ausgewiesen. Damit setzt er seine Ankündigung um, die er vor seiner Wahl getätigt hatte, nämlich den Indigenen „keinen Zentimeter Landes mehr“ zu geben. Düster steht es auch um die Agrarreform. Im Rückblick der vergangenen 25 Jahre war es vor allem die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, die die Agrarreform in Brasilien zahlenmäßig am meisten voranbrachte. Zwar erreichte auch die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) in den Jahren 1997 und 1998 Höchstwerte mit 81.944 bzw. 101.094 angesiedelten Familien, denen im Rahmen des staatlichen Agrarreformprogramms Land zugesprochen wurde, doch die historischen Spitzenwerte bei der Agrarreform erreichte die Lula-Regierung (2003-2010) in den Jahren 2005 (127.506 Familien) und 2006 (136.358 Familien). Während der Regierung von Dilma Rousseff oszillierten die Zahlen der Ansiedlungen im Rahmen der Agrarreform zwischen vergleichsweise bescheidenen 22.012 Familien (2011) und 32.019 Familien (2014). Während der Temer-Regierung reduzierte sich die Agrarreformzahlen weiter drastisch, bevor sie gegenwärtig unter Bolsonaro zum Stillstand gekommen sind.

Unter Bolsonaro spitzen sich auch die Landkonflikte zu. Oft äußern sich die illegal goldschürfenden und holzschlagenden Täter:innen unverhohlen, nun sei doch „ihr Hauptmann“ Bolsonaro Präsident und er habe zugesagt, er werde ihnen – den Gold suchenden garimpeiros, den Tropenholz illegal schlagenden madeireiros, den mit bewaffneten Killern ausgerüsteten Großfarmer:innen – zu „ihrem Recht“ verhelfen. Gepaart mit einer fortschreitenden Liberalisierung des Waffen- und Munitionsbesitzes im Lande entwickelt sich eine zunehmend explosive Mischung. Bolsonaros präsidiale Narrative schaffen Gewalt.

Derweil betreibt die Bolsonaro-Regierung gezielt eine schleichende Entmachtung der Indigenenbehörde Funai und der Umweltbehörde Ibama, indem sie fähige Mitarbeiter:innen durch Bolsonaro-freundliche Militärs oder Evangelikale austauscht. Außerdem kürzt sie diesen Behörden Gelder und verlagert deren Kompetenzen auf andere, ihm und seinem Machtapparat willfährigere Staatsorgane. Hinzu kommt Bolsonaros Plan, die indigenen Territorien künftig für Bergbau, Landwirtschaft und Energie- und Staudammprojekte freizugeben. Die Bilder von großflächiger Zerstörung in Amazonien – sei es durch gezielt gelegte Brände, sei es durch Holzfäller:innen, sei es durch die Goldsuche, sei es durch Infrastrukturbauten, sei es durch Staudämme – geben beredtes Zeugnis darüber, dass es bei Bolsonaro nicht mehr wie bei Lula und Dilma um einen in Kauf genommenen Gegensatz von „Entwicklung“ und „Umwelt“ geht, sondern vielmehr um eine gezielte Zerstörung und rücksichtlose Ausbeutung der „Umwelt“.

// christian russau

]]>
Nach erneuten Morddrohungen von Goldgräbern: Flucht von zwei Munduruku-Frauen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/nach-erneuten-morddrohungen-von-goldgraebern-flucht-von-zwei-munduruku-frauen/ Sat, 06 Feb 2021 13:24:19 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2176 Bolsonaro-Regierung ermuntert illegale Goldgräber und schafft so ein Narrativ der Gewalt. Flüsse verseucht und Indigene erhalten Morddrohungen.

Die Morddrohung kam per Whatsapp-Nachricht und auch über die lokalen Radiowellensender, mit denen die Bewohner:innen der abgelegenen Region am Tapajós, in Amazonien, miteinander kommunizieren. Die Botschaft war dabei eindeutig: Die Geduld sei erschöpft und man werde diejenigen nicht länger tolerieren, die sich der Goldsucherei entgegenstellten. Man werde sie töten.

Die Empfängerin der Morddrohung: Kabaiwun Munduruku, 33 Jahre alt, früher bekannt unter dem Namen Leusa Munduruku, heute bekannt unter dem Namen Kabaiwun Munduruku, Mutter von fünf Kindern. Die Täter: Goldsucher, die illegal in der Terra Indigena Munduruku und der Terra Indígena Sai Cinza nach Gold suchen, mit schwerem Gerät, mit Quecksilber, zum Trennen des Goldes, was die Flüsse derart verschmutzt, dass es mittlerweile kaum noch Flussanwohnende Indigene gibt, deren Quecksilberwerte im Körper nicht alarmierend hohe Werte aufweisen würde, mit Millionenschwerer Ausrüstung, bezahlt durch die wohlhabenden Hintermänner in den Städten. Und die, die die Maschinen vor Ort bedienen, die Bäume illegal roden, den Boden aufwühlen, Boden und Gewässer vergiften und Mondlandschaften hinterlassen, stets mit Gewehr oder Pistole zur Hand, die die Morddrohungen aussprechen und von denen alle wissen, sie würden ebenfalls nicht zögern, ihre Waffen einzusetzen, die sind auch Indigene Munduruku. Die Taktik der Spaltung hat funktioniert.

Ähnlicher Bedrohungslage ist auch Alessandra Munduruku ausgesetzt. Alessandra war im September 2019 als Gast der ASW und des FDCL in Berlin, nahm an der Berliner Klimastreik-Demo von „Fridays for Future“ am 20.9.2019 Teil, sprach vor zigtausenden Schüler:innen am Brandenburger Tor. Nun musste auch sie, genauso wie Kabaiwun fliehen, mit Familie an geheimen Ort, denn die Morddrohungen haben überhand genommen, Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgten sie, sie wurde ostentativ gefilmt, wie Partnerorganisationen berichten.

Es ist zu gefährlich für die beiden Frauen dort zu bleiben, wo sie leben. Nur in der indigenen Dorfgemeinschaft der Aldeia können sie nicht bleiben, denn der Weg raus und rein wäre zu gefährlich, in der Stadt zu bleiben ist auch kein Thema, ebenfalls zu gefährlich. So blieb für beide Frauen nur die Möglichkeit, mit Hilfe befreundeter Organisationen für eine Weile samt Familie in eine andere Gegend zu ziehen. An geheimen Ort vorrangig nur Eines: überleben.

Beide Frauen befinden sich in akuter Lebensgefahr, wegen ihrer Rolle als Anführerinnen der Indigenen im Widerstand gegen die zahllosen Angriffe auf das Gebiet ihres Volkes. Der mächtige und gefährliche Gegner: Garimpo, die Goldgräberei. Die Munduruku sind eine der größten ethnischen Gruppen des Landes, mit Territorien entlang des Tapajós, dem Becken, das den Amazonaswald mit dem Cerrado verbindet. Das Großgebiet umfasst drei Bundesstaaten, Pará, Amazonas und Mato Grosso. Die Region leidet nicht nur unter illegaler Holzgewinnung und großen Regierungsprojekten wie Staudämmen, Soja, Monokulturen jeder Art und den damit zusammenhängenden Pestiziden, sondern ist heute auch eines der Hauptziele der Goldgewinnung im Land. Kabaiwuns und Alessandras in Medien und vor Gericht und Parlament vorgebrachten Klagen zur Verhinderung all dieser die Munduruku-Gemeinschaft in ihrer Existenz bedrohenden Projekte provozierten die Empörung einer Munduruku-Gruppe, die Garimpo auf indigenem Gebiet befürwortet. Es geht ums Geld, wie so oft.

„Jetzt zeigen diejenigen, die den Garimpo verteidigen, ihr wahres Gesicht“, erklärt Kabaiwun gestern gegenüber dem Hintergrundportal von Repórter Brasil. „Zuvor versteckten sie sich noch, um so zu tun, als würden sie dem Volk keinen Schaden zufügen. Nun aber haben sie keine Angst mehr“, klagt Kabaiwun. „Einige Angehörige sind bereits getäuscht worden, verseucht von der pariwat-[weißen]-Ideologie, dass man das Territorium zusammen mit ihnen ausbeuten muss, um einen Anteil zu bekommen.“ Für Kabaiwun jedoch ist klar, dass es sich um eine Minderheit handelt, die hauptsächlich von Männern gebildet wird: „Es ist eine kleine Gruppe von Indigenen, die von den Unternehmern angelockt werden, die unser Gebiet ausbeuten. Wir Frauen sind hier, um zu sagen, dass das nicht passieren darf, denn es ist das Leben unserer Kinder, das auf dem Spiel steht“. Und sie bekräftigt: „Ich denke, wenn die Frauen nicht im Kampf wären, würden alle Männer da sein und das Gebiet verscherbeln, leider“.

Obwohl sie als Minderheit betrachtet wird, hat die pro-garimpo indigene Gruppe offene Unterstützung von der Bundesregierung erhalten. Im August 2020 empfing Umweltminister Ricardo Salles in Brasilia eine Gruppe von sieben Munduruku-Bergleuten, die mit einem Flugzeug der brasilianischen Luftwaffe aus Jacareacanga (PA) in die Hauptstadt gebracht wurden. Nach einem Gespräch hinter verschlossenen Türen setzte das Verteidigungsministerium sogar Operationen zur Bekämpfung des illegalen Garimpo in der Region aus. Die Bundesstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará (MPF/PA) leitete eine Untersuchung über den Einsatz der Militärflieger des FAB zum Transport der Gruppe ein, bisher ist niemand dafür zur Verantwortung gezogen worden. Von den Goldsuchern ganz zu schweigen. „Es war ihre Strategie, die Munduruku [nach Brasília] zu bringen, die über das Territorium verhandeln wollten. Sie sind wirklich gekommen, um unser Volk zu spalten“, sagt Kabaiwun.

Heute gehören diese beiden Frauen, Kabaiwun und Alessandra, zu den wichtigsten Wortführerinen bei der Verteidigung des Munduruku-Territoriums. Vor Jahren gründeten sie die Frauen-Widerstandsorganisation Wakoborun, die die Frauen organisiert, bildet und so enorme Empowermentprozesse unter den Frauen in Gang gebracht hat. Das schürt natürlich Hass, Hass bei einigen der Männer. Die internen Konflikte zwischen den mehr als 14.000 Indigenen Munduruku – aufgeteilt in mehr als hundert Dörfer – um das Garimpo im Gebiet sind alt. Die aktuelle politische Situation unter einer Bolsonaro-Regierung, der Umweltzerstörung egal ist und die den illegalen Bergbau in Amazonien voranbringen möchte, hat jedoch der Gruppe der Indigenen, die sich von der Goldgräberei Reibach erhoffen, Auftrieb gegeben. Während auf den Weltmärkten der Goldpreis historische Rekorde erreicht, treibt die Bolsonaro-Bundesregierung weiterhin den Bergbau auf indigenem Land voran. Im Februar letzten Jahres schickte Präsident Jair Bolsonaro den Gesetzentwurf 191/2020 in den Kongress, der diese Tätigkeit legalisieren soll.

Kabaiwun ist in Alto Tapajós geboren und aufgewachsen, wo sie das Fieber nach Gold bei einigen Männern aufflammen sah. „Junge Leute wollen heute nur noch Gold. Es ist sehr traurig, und es wird jeden Tag mehr.“ Sie sagt, dass die Gier immer mehr Menschen in den Gemeinden ergreift und sie bedauert, dass die Kultur ihres Volkes verloren geht. Deshalb widmet sie sich der Aufklärung über die Auswirkungen von Garimpo. Nun aber musste Kabaiwun Munduruku ebenso wie Alessandra Munduruku sich erstmal in Sicherheit bringen. Zu gefährlich wäre es für die zwei Frauen im Moment, vor Ort den Kampf fortzuführen, ohne hinreichend Schutz, für den der Staat eigentlich zuständig wäre.

// christian russau

]]>
Tagung: Wasserkraft, der Klimawandel und die Ziele für Nachhaltige Entwicklung https://www.gegenstroemung.org/web/blog/tagung-wasserkraft-der-klimawandel-und-die-ziele-fuer-nachhaltige-entwicklung/ Mon, 29 Apr 2019 09:13:21 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1890  Gibt es Kriterien für eine nachhaltige Wasserkraftnutzung und wie kann eine zukunftsfähige, nachhaltige Energieversorgung für alle aussehen?


TAGUNG:
Berlin //  9. Mai // 9:30-16:45 // Refugio, Lenaustraße 3-4, 12047 Berlin 

Angesichts des menschengemachten Klimawandels sehen immer mehr Menschen die Notwendigkeit, aus der Energieversorgung mit fossilen Brenn­ stoffen auszusteigen; dies begrüßen wir sehr. Es stellt sich nun aber die Frage, mit welchen alternativen Energiequellen der projizierte Energiebedarf der Welt gestillt werden kann, um die UN­Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals – SDG) zu erreichen und gleichzeitig Kohlendioxyd­ emissionen einzusparen, so dass die Pariser Übereinkunft zum Klimaschutz erfüllt wird.Die Interessenvertretung der Wasserkraftindustrie, die International Hydropower Association (IHA), stellt derzeit Wasserkraft als geeignete Alternative zur Stromgewinnung dar. Vom 14. bis 16. Mai veranstaltet die IHA den World Hydropower Congress in Paris, um zu diskutieren, wie Wasserkraft dazu beitragen kann, die SDG und das Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz zu erreichen. Doch Staudämme und andere Wasser­ kraftwerke haben zahlreiche negative Auswirkungen, die im Gegensatz zu den SDG stehen: Menschen müssen umgesiedelt werden, wichtige Öko­ systeme werden zerstört. Die Aufstauung begünstigt Faulungsprozesse in Flüssen, bei denen stark wirkende Treibhausgase wie Methan entstehen und das Klima weiter aufheizen. Gleichzeitig sind Wasserkraftwerke vom Klimawandel betroffen: Aufgrund veränderter Niederschlagsmuster kommt es häufger zu längeren Dürren, die von seltenen, aber heftigen Regenfällen unterbrochen werden – so werden Wasserkraftwerke entweder weniger effzient als geplant, oder katastrophale Unfälle drohen.Auf der Tagung „Wasserkraft, der Klimawandel und die Ziele für Nachhaltige Entwicklung“ wollen wir Befürworter*innen und Kriti­ ker*innen der Wasserkraftnutzung zusammenbringen, um die Vor­ und Nachteile der Wasserkraftnutzung für die SDG und das Pariser Abkommen zu diskutieren. Dabei wollen wir einen Fokus auf menschenrechtliche, soziale und ökologische Fragen legen. Ziel soll es sein, Kriterien für eine nachhaltige Wasserkraftnutzung zu entwickeln und zu diskutieren, wie eine zukunftsfähige, nachhaltige Energieversorgung für alle aussehen kann

mit unter anderem:

Andreia Fanzeres / Operação Amazônia Nativa – OPAN, Brasilien – Aktivistin für die Rechte Indigener in Brasilien.
Carmen Dienst / Wuppertal Institut – Leiterin des Forschungsbereichs Energiewende International und Zukünftige Energie­ und Industriesysteme

Prof. Dr. Florian Wittmann / Universität Karlsruhe – Professor für Auenökologie der mehrere Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen von Wasserkraftwerken auf den amazonischen Regenwald publiziert hat.

Dr. Jürgen Schuol / Head of Sustainability Voith Hydro – Nachhaltigkeitsbeauftragter der Voith Hydro GmbH, einem der größten Ausstatter von Wasserkraftwerken der Welt.

Myint Zaw / Journalist und Aktivist, Myanmar – Goldman Umweltpreisträger / Asien 2015 für seine Arbeit zu den Sozial­ und Umweltfolgen des inzwischen suspendierten Myitsone Staudamms am Irrawaddy, Myanmar.

Dr. Sebastian Helgenberger / Institute For Advanced Sustainability Studies – Forscht zur internationalen Dimension der Energiewende und den sozialen und wirtschaftlichen Chancen eines ambitionierten Klimaschutzes mit erneuerbaren Energien

Tatiana Roa Avendaño / Censat Agua Viva, Kolumbien – Aktivistin gegen Staudämme in Kolumbien.
Martha Tipuici / Rede Juruena Vivo, Brasilien – Vertreterin der indigenen Manoki und Aktivistin gegen Wasserkraftwerke in der brasilianischen Amazonasregion.

Zur Anmeldung schreiben sie bitte  eine Mail an Marlene Ecker (marlene@infoe.de). Bitte geben Sie bei Ihrer Anmeldung an, ob wir Ihre Kontaktdaten in der Teilnehmerliste aufnehmen dürfen.

Kontakt:GegenStrömung, c/o Institut für Ökologie und Aktions­Ethnologie e. V. (INFOE), Luisenstr. 20 d, 14542 Werder (Havel). Dr. Thilo F. Papacek, Tel. 015141214519, thilo.papacek@gegenstroemung.org

Bischöfiches Hilfswerk MISEREOR e. V., Mozartstr. 9, 52064 Aachen. Antje Kathrin Schroeder, Tel. 049 241 442 577 , kathrin.schroeder@misereor.de

]]>
Antônia Melo von Xingu Vivo para Sempre mit Menschenrechtspreis geehrt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/antonia-melo-von-xingu-vivo-para-sempre-mit-menschenrechtspreis-geehrt/ Thu, 12 Oct 2017 10:44:22 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1582 Die langjährige Streiterin gegen den Staudamm Belo Monte wurde von der Alexander Soros Foundation geehrt.

Von Christian Russau

Antônia Melo hat schon viel Unrecht gesehen, viele Kämpfe dagegen gefochten, musste Niederlagen einstecken, aber hat dennoch nie aufgegeben. Und hat auch nicht vor, dies in Zukunft zu tun. Der Widerstand gegen zerstörerische Großprojekte in Amazonien, die gegen den Willen der lokal betroffenen Menschen von Regierung und Firmen durchgedrückt werden, muss weitergehen. Diesen Einsatz für Menschenrechte und den Erhalt der Umwelt hat am 10. Oktober die US-amerikanische Alexander Soros Foundation mit der Auszeichnung Antonia Melos mit dem jährlich vergebenen Menschenrechtspreis gewürdigt.

Antônia Melos Eltern, Elisa und Gentil, zogen mit der damals vierjährigen Antônia und ihren zwölf Geschwistern aus dem trockenen Bundesstaat Piauí nach Amazonien, nach Altamira, im Bundesstaat Pará. Es war Mitte der 1950er Jahre, Amazonien galt vielen damals als noch unerschlossenes, zukunftsträchtiges Land, das es zu besiedeln gelte. Ab Ende 1955, mit dem Präsidenten Juscelino Kubitschek, sollte das „neue Brasilien“, das Brasilien der „fünfzig Jahre Fortschritt in fünf Jahren“ kommen – und Amazoniens Erschliessung sollte Teil davon werden. So sah Antônia Melo im Lauf der Jahrzehnte den Bau der Transamazônica, die ersten Plänen für das Vorläufermodell von Belo Monte, Kararaô, das das erste von bis zu sechs Staustufen am Fluss Xingu sein sollte.

Antônia ahnte die Umwälzungen und sozialen Verwerfungen, die solch ein Monsterprojekt in Amazonien bewirken würde, Antônia sah den Widerstand, den die Kayapó-Indigenen gegen Kararaô auf die Beine stellten, der sogar internationale Rockgrößen wie Sting dazu bewog, sich öffentlichkeitswirksam gegen den Staudammbau zu wenden, Antônia sah, wie Tuíra Caiapó von den Kayapó sich 1989 in Altamira alleine vor den Ingenieur und späteren Eletrobras-Chef José Antônio Muniz Lopes stellte und ihm zuerst unmißverständlich ihren Widerstand gegen Kararaô klarmachte und dies dann mit einem geschickten Schnitt mit ihrer Machete als deutliches Fanal indigener Entschlossenheit auf des Ingenieurs Wange hinterließ.

Antônia sah, wie solch entschlossener Widerstand auch Erfolge erzielen kann, oder zumindest: Etappensiege. Das wußten die Gegner Kararaôs Anfang der 1990er Jahre noch nicht, dass ihr Widerstand gegen Kararaô zwar die Weltbank davon Abstand nehmen ließ, sich an der Finanzierung Kararaôs zu beteiligen, so galt das Projekt am Fluss Xingu als tot, aber sie ahnten nicht, dass das Projekt zwei Jahrzehnte später doch Realität werden würde. So ließ die Regierung Lula das Projekt unter neuem Namen, „Belo Monte“, „Schöner Berg“, wieder aufleben. 2011 wurde unter rechtlich zweifelhaften Eingriffen seitens der Regierung die Baugenehmigung für Belo Monte erteilt.

Der Bau schritt voran, immer wieder durch die Rechtseingaben der Bundesstaatsanwälte unterbrochen, hielten sich doch Regierung, Baufirmen und die verantwortliche Staudammbetreiberfirma NorteEnergia nicht an die vielfältigen sozialen und Umweltauflagen, die eigentlich längst vor Baubeginn hätten erledigt werden soll und die zu einem großen Teil bis heute, wo derzeit mehr als Hälfte aller Turbinen von Belo Monte installiert sind, und der Bau zu mehr als 90 Prozent fertiggestellt ist, noch immer nicht erfüllt wurden.

Der Bau schritt voran, aber es gab Widerstand. Und der kam aus einer überaschenden Ecke. Waren es 1989 noch die Kayapó, die sich an die Spitze des Widerstands gegen Kararaô stellten, so war es im Falle Belo Montes eine Frau, Antonia Melo, die die Widerstandsbewegung Xingu Vivo para Sempre gründete und die Bewohnerinnen und Bewohner von Altamira zusammenrief, die Flussanwohner und Fischer herbeitrommelte und sich mit den verschiedenen, teilweise historisch schwer zerstrittenen indigenen Gruppen zusammensetzte und beratschlagte, debattierte und zur Aktion schritt: Demos, Mahnwachen, Petitionen, Online- und Printkampagnen, Baustellenbesetzungen, die Antonia Melo das mehrmalige gerichtliche Verbot, sich unter keinen Umständen dem Baugelände des Staudamms je wieder nähern zu dürfen, zuteil werden ließ, zerbrochene Freundschaften zu Leuten, denen Geld dann doch wichtiger war, Bespitzelungen durch gekaufte Bekannte, Rufmordkampganen, ja, auch Morddrohungen gegen Antonia Melo gab es.

Antonia Melo hat weiter gekämpft. Reist zu Veranstaltungen und Kongressen, zu Demos und gab Interviews, sei es in Amazonien, in ganz Brasilien, in Nordamerika oder Europa. Dabei behält sie immer die Bodenhaftung, bescheiden stellt sie ihre Rolle und Person immer in den Hintergrund. Zum Jahrestreffen des Runden Tisch Brasiliens in Weimar im Dezember 2010 reiste sie aus über 40 Grad in Amazonien an und mußte im tiefsten Schneegestöber zunächst ohne Winterkleidung auskommen, da die Fluggesellschaft ihr Gepäck verbummelt hatte. Die Sache, der Kampf und Widerstand gegen die zerstörerischen Großprojekte wie Belo Monte und infolge dessen gegen den Goldabbau in der Volta Grande am Xingu-Fluss durch den kanadischen Minenbetreiber Belo Sun, das hat immer Priorität. Antônia Melo ist in ihren Reden oft emotional, zornig, ja wütend angesichts all der Rechtsbrüche und gebrochenen Versprechen, all der miesen Tricks, die die Regierung, die Baufirmen und Norte Energia anwandten. Aber Antônia Melo ist immer bestimmt in der Sache, detalliert und immer korrekt in ihren Ausführungen, ließ sich nie beugen.

Schwer getroffen hat sie der Abriß ihres geliebten Hauses, mit dem kleinen Garten und den selbst gepflanzten Bäumen, dem Buriti und dem Mango-Baum, deren Samen sie aus der Heimat ihrer Mutter, aus dem nordöstlichen Bundesstaat Ceará, besorgt hatte. Erschüttert stand sie da, nachdem die Bulldozer ihr Haus, den Garten und die Bäume plattgemacht hatten. Tragische Ironie der Geschichte: Antônia Melos Haus fiel nicht wie die anderen Häusern den infolge des Staudammbaus künftig vermehrt auftretenden Flutungen der niedriger gelegenen Stadtgebiet von Altamira zum Opfer, nein, Antônia Melos Haus stand dem Bau einer neuen Umgehungsstraße im Wege, die infolge der künftigen Hochwassermarken neu verlegt werden mußte.

Der Kampf gegen den Bau des weltweit drittgrößten Wasserkraftwerks im Herzen des brasilianischen Amazonas, der Kampf gegen Belo Monte ist verloren. Der Damm wurde trotz allen Widerstands gebaut, ein Wald geflutet und die Stromproduktion beginnt. Die Anwohner am Fluss und in der Stadt Altamira, die Kleinbauern und Indigenen stehen nun vor den Scherben zerstörter Umwelt und erodierender Sozialstruktur.

Aber der Widerstand lebt. Denn Antônia Melo und ihre Mitstreiterinnen und -streiter bei Xingu Vivo para Sempre haben aus der niederschmetternden Erfahrung von Belo Monte gelernt und unterstützen anderen Gruppen, denen ähnliches Schicksal droht: So zum Beispiel am Tapajós, am Teles Pires und am Juruena, wo die Flussanwohner, die Fischer, die Kleinbäuerinnen und -bauern gemeinsam mit Munduruku, Kayabi, Apiaká und anderen indigene Völker sich gegen die Pläne von derzeit 43 Großstaudämmen und über 100 sogenannten „kleinen“ Staudämmen (die der brasilianischen Definition zufolge bis zu 30 MW haben dürfen, was in Europa ein Großstaudamm wäre) zur Wehr setzen. Dort will die Regierung zusätzlich zu den Staudämmen, die auch den Wasserlauf regulieren sollen, Wasserstraßen bauen, damit das Soja und die Bodenschätze aus Mato Grosso und dem Süden von Pará leichter an den Weltmarkt Anschluss finden können. Antônia Melo kämpft weiter. Sie ist eine der wenigen, die das volle Vertrauen der Munduruku, Kayabi, Apiaká, der Kleinbauern und Fischer und Flussanwohner genießt. Denn nie hat sie etwas für sich genommen, immer nur anderen gegeben, Empathie und Sympathie, Kraft, Überzeugung und den festen Glauben an die Kraft des Widerstands an der Basis. Antônia Melo ist eine würdige Preisträgerin.

]]>
„Munich Re muss Verantwortung zeigen“ – Gegenreden auf der Aktionärsversammlung der Munich Re https://www.gegenstroemung.org/web/blog/munich-re-muss-verantwortung-zeigen-gegenreden-auf-der-aktionaersversammlung-der-munich-re/ Sun, 26 Apr 2015 14:42:21 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=840 In der Münchener Messe versammelten sich am Donnerstag, den 23. April 2015 AktionärInnen zur Hauptversammlung der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG, kurz Munich Re. Auch in diesem Jahr hatten GegenStrömung sowie der Dachverband der Kritischen Aktionäre und urgewald e.V. Gegenreden vorbereitet, um den AktionärInnen von Munich Re zu verdeutlichen, dass die Nachhaltigkeitsagenda des weltweit größten Rückversicherers bisher nicht viel mehr als leere Worte beinhaltet.

So erklärte der Vorstandsvorsitzende der Munich Re, Nikolaus von Bomhard, in seiner Auftaktrede den ca. 4000 anwesenden AktionärInnen, dass die Maßnahmen gegen den Klimawandel von „herausragender Bedeutung“ seien. Nur ein paar Sätze später bilanzierte Bomhard dann stolz , dass sein Unternehmen in den letzten fünf Jahren „hohe zweistellige Millionenbeträge“ in die klimaschädliche Kohleindustrie investiert habe. Barbara Happe von urgewald e.V. konstatierte in ihrer Rede folgerichtig:  „Wer glaubwürdig und nachhaltig sein will, muss bereit sein, klar und deutlich zu sagen, was mit ihm geht und was nicht. Ein paar grüne Tupfer und ansonsten „business as usual“ – das genügt nicht.“

Verena-Glass_Christian_Russau_MuRe_23.4.15_2
Verena Glass (mit Christian Russau) hält ihre Rede auf der Munich Re Hauptversammlung.

Für die Hauptversammlung war auch Verena Glass aus Brasilien angereist. Die Vertreterin der Basisbewegung Xingu vivo para sempre berichtete in ihrer Rede von den aktuellen Ereignissen im brasilianischen Altamira. Dort wird der Mega-Staudamm Belo Monte gebaut, mit verheerenden sozialen und ökologischen Folgen: „Das alles ist so schlimm, dass vom Pflichtverteidiger des Bundes (von der Defensoria Pública da União) eine Notfallgruppe von Anwälten nach Altamira entsandt wurde. Diese Notfallgruppe von Anwälten sah sich binnen kürzester Zeit mehr als 1.000 Einzelklagen der ärmsten Bevölkerungsschicht vor Ort gegenüber“, schilderte Verena Glass. Munich Re hat 25 Prozent der Rückversicherungssumme von Belo Monte übernommen und erhält dafür 15,5 Millionen Euro Prämie. Obwohl es seit Beginn des Projektes schwere Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltgesetze gibt, wegen denen Munich Re auch 2012 aus dem Nachhaltigkeitsindex GCX entfernt wurde, bestreitet der Konzern-vorstand nach wie vor die negativen Folgen von Belo Monte. Überhaupt zeigen sich die Verantwortlichen bei Munich Re erstaunlich ahnungslos. Als Verena Glass den aktuellen und größten Korruptionsskandal in Brasilien seit Jahrzehnten anspricht, der weltweit durch die Medien geht und an dem auch Baufirmen beteiligt sind, die den Belo-Monte-Staudamm bauen, erklärte der Vorstand, dass er von dem Skandal erst durch die anwesenden NGOs GegenStrömung und urgewald erfahren hätte. Auf die Frage von Verena Glass, ob die Munich Re aus Fehlern lernen und zukünftig auf die Beteiligung an menschenrechtlich und ökologisch problematischen Staudammprojekten im Amazonasgebiet verzichten wird, erklärte Bomhard lapidar, dass er dafür keine Notwendigkeit sehe.

Während sich die Munich Re in München für die Renaturierung der Isar einsetzt, beteiligt sich der Konzern mit der Rückversicherung von großen Staudammprojekten in Amazonien an der Zerstörung der Umwelt. Neben Belo Monte ist die Munich Re auch an den Staudämmen Teles Pires und Santo Antonio im brasilianischen Amazonas beteiligt. Auch beiden beiden Projekten kam es zur Verletzung von Menschen- und Umweltrechten. Die Doppelmoral der Nachhaltigkeitsagenda von Munich Re brachte Christian Russau vom Dachverband der Kritischen Aktionäre in seiner Rede auf den Punkt. „Angesichts des Engagements der Munich RE bei Staudämmen und Flusszerstörung in Brasilien, fragt man sich doch: Stecken da nur Profitstreben und Ignoranz gepaart mit Unwissenheit dahinter? In München, wo man ja selbst die schöne Isar genießen will, da setzt man sich für Renaturierung ein – in Brasilien, in Amazonien allemal, ja, das ist weit weg, da helfen wir kräftig mit, die Flüsse plattzumachen.“

Bischof-Erwin-Kräutler_MuRe_23.4.15
Bischof Erwin Kräutler setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte indigener Gruppen in Brasilien ein. (Foto: Verena Glass)

Die letzte Rede hielt David Vollrath von GegenStrömung. Er las stellvertretend einen Brief von Bischof Erwin Kräuter vor, den dieser anlässlich der Munich Re Hauptversammlung geschickt hatte. Kräutler ist Bischof der größten brasilianischen Diözese Xingu, der Region in der der Belo-Monte-Staudamm gebaut wird. Er setzt sich seit Jahren für die Rechte der indigenen Bevölkerung ein. „Mit dem Bau von Belo Monte hat die brasilianische Regierung die Bundesverfassung verletzt und gegen internationale Abkommen verstoßen. Sie hat die volle Verantwortung für den kulturellen und sogar physischen Tod dieser Völker zu tragen“, lässt sich Bischof Kräuter zitieren und schließt seine Rede mit warnenden Worten: „Jede Firma, die sich an Belo Monte beteiligt, zeichnet sich mitverantwortlich für diese Menschenrechts- und Umweltkatastrophe.“

Weitere Links:

Das Belo-Monte-Dossier: Der Belo-Monte-Staudamm und die Rolle europäischer Konzerne

Pressemitteilung zur Hauptversammlung der Munich Re

]]>
PM: Nachhaltigkeit ganz klein geschrieben – Aussitzen statt Einmischen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/pm-nachhaltigkeit-ganz-klein-geschrieben-aussitzen-statt-einmischen/ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/pm-nachhaltigkeit-ganz-klein-geschrieben-aussitzen-statt-einmischen/#comments Thu, 23 Apr 2015 14:52:32 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=842 Munich RE: Nachhaltigkeit ganz klein geschrieben – Aussitzen statt Einmischen

  • (Zwangs-)Umsiedlungen beim Großstaudamm Belo Monte; fundamentale Rechte von Betroffenen werden missachtet

  • Nationaler Korruptionsskandal greift auf Belo Monte über

  • Bischof klagt über „Umwelt- und Menschenrechtskatastrophe“

São Paulo/München/Köln/Berlin, 21. April 2015 Anlässlich der Hauptversammlung der Munich RE am kommenden Donnerstag in München kritisieren Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen die Rückversicherung verschiedener Großstaudammprojekte durch die Munich RE, darunter Belo Monte in Brasilien, sowie für sportliche Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft und Olympia.

Im brasilianischen Altamira läuft aktuell der Count-Down zur Flutung des Stausees für das Kraftwerk Belo Monte. Unter chaotischen Bedingungen und mit fragwürdigen Mitteln versucht das Betreiberkonsortium Norte Energia die betroffenen 9.000 Familien, darunter 600 indigene Familien, schnellstmöglich umzusiedeln. Die Staatsanwaltschaft musste inzwischen eingeschaltet und ein Notfallteam in die Region entsandt werden, um die Rechte der Betroffenen auf Entschädigung und/oder Umsiedlung zu garantieren. Über 1.000 Beschwerden wegen Regelverstößen sind dabei in den letzten Wochen registriert worden.

Der katholische Bischof der Diözese Altamira und Träger des „Alternativen Nobelpreises“, Erwin Kräutler, informiert die Munich RE in einem Brief, der auf der Hauptversammlung verlesen wird, über die Situation vor Ort. „Ich bin Bischof am Xingu-Fluss im brasilianischen Amazonas und das Wahnsinnsprojekt Belo Monte wird vor meiner Haustüre gebaut. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich erkläre, dass (…) Belo Monte nichts mit ’sauberer‘ Energie zu tun hat“, so der aus Österreich stammende Bischof. An die 40.000 Menschen verlören in Altamira und Umgebung Haus und Hof und die meisten wüssten nicht einmal, wohin sie dann gehen sollen. „In den Monaten Februar und März dieses Jahres begann nun die Zerstörung der Häuser in der Region, die geflutet werden soll“, so Bischof Kräutler. Zahlreiche von Fischern und Indigenen bewohnte Inseln und Uferlandschaften würden abgeholzt und die Leute abtransportiert. Sie bevölkern heute die Straßen von Altamira. „Jede Firma, die sich an Belo Monte beteiligt, zeichnet sich mitverantwortlich für diese Menschenrechts- und Umweltkatastrophe“, mahnt Erwin Kräutler. Die Munich RE hat 2011 25% der Rückversicherungssumme für den Bau des Staudamms übernommen.

Verena Glass von der Widerstandsbewegung Xingu Vivo para Sempre ist extra aus Brasilien angereist, um über die aktuelle Situation vor Ort zu berichten. Gegen sechs der zehn Firmen, die das Belo-Monte-Baukonsortium bilden, wird aktuell wegen der Verstrickung in einen landesweiten Korruptionsskandal ermittelt. Dabei geht es um Geldwäsche, Untreue, Kartellbildung und Korruption in Milliardenhöhe. Mittlerweile hat sich der Skandal auch auf das Staudammprojekt ausgeweitet. Neuesten Ermittlungen zufolge wurden Schmiergelder in Höhe von mindestens 30 Mio. Euro an Regierungsparteien gezahlt, um an die lukrativen Bauaufträge für Belo Monte zu gelangen. „Doch das kümmert die Munich RE anscheinend nicht – der Konzern vertraut weiter darauf, dass die Firmen bei Belo Monte schon alles richtig machen. Das ist ein Skandal. Die Munich RE darf sich nicht länger hinter dem Argument verstecken, dass jedes Einmischen und jede Kontaktaufnahme mit staatlichen Behörden oder Betroffenen über das Vertragsverhältnis hinausgehen. Kein Aktionär will Dividende auf Kosten von Menschenrechten in Brasilien“, fordert Verena Glass.

Umweltorganisationen wie GegenStrömung und urgewald hatten bereits in den beiden vergangenen Jahren den Vorstand der Munich RE auf die Menschenrechtsverletzungen beim Staudammbau Belo Monte hingewiesen. „Obwohl Vorstandschef Dr. Nikolaus von Bomhard schon vor zwei Jahren eingeräumt hat, dass dieses Projekt auch zahlreiche Risiken in sich birgt, scheint der Konzern die Probleme jetzt einfach aussitzen zu wollen“, kritisiert David Vollrath von GegenStrömung.

Belo Monte ist dabei nicht der einzige Großstaudamm, den die Munich RE in den letzten Jahren in Brasilien rückversichert hat. Auch bei anderen Staudämmen in Brasilien wie Teles Pires oder Santo Antonio kam es wiederholt zu Baustopps, zuletzt im November 2014, weil betroffene indigene Gemeinschaften auch hier nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, angemessen konsultiert und Umweltauflagen nicht angemessen umgesetzt worden sind. „Dies zeigt, dass es sich bei Belo Monte nicht um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, sondern dass die Prüfverfahren der Munich RE in Sachen Umwelt- und Menschenrechtsschutz noch immer ein Armutszeugnis sind. Im Spannungsfeld zwischen Ertragsorientierung und ökologisch-sozialer Nachhaltigkeit zieht letztere immer noch den Kürzeren“, resümiert Barbara Happe von urgewald.

Die Munich RE steht zudem wegen der Rückversicherung sportlicher Großereignisse wie der Fußballweltmeisterschaft und Olympia in der Kritik. Christian Russau von den Kritischen Aktionären wirft dem Konzern vor, sich zu sehr mit FIFA und IOC zu verbandeln. „Die Münchener Rück hat die WM in Brasilien mit gut einer halben Milliarde Euro rückversichert und sich nie für das Schicksal der brasilienweit bis zu 250.000 Menschen interessiert, die wegen WM und Olympia von Zwangsräumung bedroht sind oder bereits geräumt wurden“, so Russau. „Allein die Presseberichte zu den bei WM-Bauten in Katar zu Tode gekommenen Bauarbeitern sollten die Munich RE doch endlich wachrütteln und sie sollte ihre Geschäftsbeziehungen zur FIFA aufkündigen.“

Gegenanträge: www.kritischeaktionaere.de

Kontakt und weitere Informationen:

– Verena Glass (Xingu Vivo para Sempre), ab 21.4.2015 mobil erreichbar über Christian Russau: 0171 – 209 5585, christian.russau@FDCL.org

– Barbara Happe (urgewald), mobil: 0172 – 681 4474, barbara@urgewald.de

]]>
https://www.gegenstroemung.org/web/blog/pm-nachhaltigkeit-ganz-klein-geschrieben-aussitzen-statt-einmischen/feed/ 1
Kolumbien: ISAGEN muss Umweltschäden beseitigen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/kolumbien-isagen-muss-umweltschaeden-beseitigen/ Sun, 29 Mar 2015 12:19:26 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=919
Bildschirmfoto 2015-06-23 um 15.01.11
Claudia Ortiz Gerena bei einem Interview des deutschen Senders WDR 5, am 27.11.2014 in Berlin © David Vollrath

Am 27. März ordnete das Verwaltungsgericht der kolumbianischen Region Santander an, dass das Unternehmen ISAGEN die Umweltschäden, die durch die Bauarbeiten am Staudamm Hidrosogamoso verursacht wurden, beseitigen muss. Damit gab das Gericht einer Klage von Claudia Ortiz Gerena statt, die rechtlich gegen die Verschmutzung des Flusses durch Bauschutt und organische Materialien vorgegangen war. In der Klage vom 2. September 2014 (Rad 2014-659) begründete Gerena ihr Vorgehen damit, dass die „Verschmutzung des Flusses Sogamoso die Ufergemeinden negativ betreffe, weil durch die Bauarbeiten am Staudamm Hidrosogamoso das natürliche Gleichgewicht gestört sei. Somit sei das Recht der Gemeinden auf eine gesunde Umwelt, die Nutzung der natürlichen Ressourcen und auf eine nachhaltige Entwicklung nicht mehr garantiert.“

Obwohl die Umweltlizenz für das Hidrosogamoso-Projekt vorschreibt, dass vor der Flutung des Stausees alle Pflanzen aus dem Gebiet entfernt werden müssen, war ISAGEN dem nicht nachgekommen. In den Fluten versanken nicht nur die Grundstücke der umgesiedelten Bevölkerung, sondern auch Bäume, Sträucher und andere Pflanzenreste. Die im Wasser verrottenden Pflanzen setzten üble Gerüche und Methan frei. Die Flussanwohner/innen bemerkten, wie sich die Luft- und Wasserqualität verschlechterte und vermehrt gesundheitliche Probleme wie Übelkeit, Kopfschmerz und Hautausschlag auftraten.

Bildschirmfoto 2015-06-25 um 15.56.25
Baustelle des Hidrosogamoso Staudamms am Fluss Sogamoso in der kolumbianischen Region Santander © Movimiento Rios Vivos

Laut Urteil des Gerichtes hat ISAGEN sechs Monate Zeit, um die Pflanzenreste im Staubecken und die Umweltschäden im Fluss zu beseitigen. Das Urteil bestätigt eine Verletzung der Umweltauflagen durch ISAGEN und gab den vom Staudamm betroffenen Gemeinden Recht. Diese beschweren sich seit Baubeginn des Hidrosogamoso-Staudamms über die Nichteinhaltung der vereinbarten sozialen und ökologischen Standards durch ISAGEN und hoffen nun, dass auch ihren Forderungen nach Entschädigung für den Verlust ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlagen stattgegeben wird. ISAGEN hat bisher nur 286 von 2000 betroffenen Familien entschädigt.

GegenStrömung unterstützt die Forderungen der betroffenen Gemeinden nach Entschädigung und fordert seinerseits vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) neue Untersuchungen zu den sozialen und ökologischen Folgen des Hidrosogamoso-Projektes. Das BMWi hatte eine Hermesbürgschaft über 72 Millionen Euro für die Turbinenlieferung der deutschen Niederlassung des österreichischen Unternehmens Andritz genehmigt.

]]>
„Das erinnert mich an den Bürgerkrieg“ – Interview zum Santa-Rita-Projekt in Guatemala https://www.gegenstroemung.org/web/blog/das-erinnert-mich-an-den-buergerkrieg-interview-zum-santa-rita-projekt-in-guatemala/ Fri, 27 Mar 2015 13:41:19 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=783 Das erinnert mich an den Bürgerkrieg“

Der 28. Februar 2015 war ein guter Tag für die indigenen Gemeinden der Poqomchi-Q’eqchí Maya im guatemaltekischen Departamento Alta Verapaz. Aufgrund des Widerstands der lokalen Bevölkerung stoppte die Regierung das geplante Wasserkraftwerk „Santa Rita“ am Rio Dolores. Obwohl die Regierung und Unternehmen zuvor versuchten das Projekt mit Gewalt durchzusetzen, das auch mit Geldern der deutschen Entwicklungsbank DEG finanziert wird. Doch sie scheiterten an der guten sozialen Organisation der Gemeinden. GegenStrömung sprach mit Maximo Ba Tuil, einem Sprecher der indigenen Gemeinden, über Widerstand und Verantwortung.

Bildschirmfoto 2015-03-27 um 13.32.35
Maximo Ba Tuil © http://www.schoelzel.net

GS: Du bist Anthropologe, lehrst an zwei Universitäten und bist freier Schriftsteller. Seit 2009 arbeitest du mit den sozialen Bewegungen in Alta Verapaz zusammen. Wie kam es zu der Kooperation?

Ende 2009 wurde ich von den lokalen Gemeinden am Rio Dolores eingeladen. Diese befanden sich gerade in der Organisationsphase und fragten mich, ob ich ihnen dabei helfen kann. Ich stamme zwar nicht aus dieser Region. Aber ich bin Maya, ich spreche die regionale Sprache und seit dem Bürgerkrieg kämpften wir für Frieden, damit die indigenen Gemeinden in Guatemala nicht länger leiden müssen. Nun werden sie nach dem Friedensprozess von einer kleinen Elite unterdrückt, die Macht und Geld in Guatemala besitzt. Und es macht uns wütend, dass wir versuchen den Weg des Friedens und der Demokratie zu gehen und dennoch gegen die fortdauernde Unterdrückung der Maya ankämpfen müssen.

GS: In Guatemala gibt es viele politische und soziale Konflikte. Wieso hast du dich dafür entschieden, der Sprecher der Gemeinden zu werden, die sich gegen das geplante Staudammprojekt Santa Rita wehren?

Ich bin kein Sprecher, ich bin einer von ihnen. Wir sind ja nicht nur im Santa-Rita-Fall aktiv, in der Region gibt es viele Staudammprojekte. In der Region liegt das größte Wasserreservoir des Landes. Bei all den geplanten Staudämmen in der Region gibt es zahlreiche ähnliche Probleme. Der Fall Santa Rita ist emblematisch, wegen der Toten, der schweren Menschenrechtsverletzungen und des hohen Grades der Kriminalisierung der sozialen Organisationen. Die Regierung und beteiligten Unternehmen verletzen die fundamentalen Rechte der Bevölkerung, um das Projekt durchzusetzen.

GS: Wieso wehren sich die Gemeinden gegen den Staudammbau? Welche Auswirkungen hat das Projekt für die lokale Bevölkerung?

Das Wasserkraftwerk ist ja noch nicht gebaut. Wir haben den Bau mit unseren Protesten gestoppt. Bisher leidet die Bevölkerung vor allem unter der Repression mit der Unternehmen und Staat versuchen, Santa Rita gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Die Folgen von Staudammprojekten kennen wir aus anderen Regionen. Vor allem wird sich die Wasserversorgung verschlechtern. Sie wollen den einzigen Fluss stauen, der Trinkwasser liefert, dessen Wasser für die Landwirtschaft benötigt wird und der für die Menschen der Region auch eine spirituelle Bedeutung hat. Der Anbau von Mais, Bohnen, Chili, Kakao und Kardamom ist die Lebensgrundlage der Menschen am Fluss. Durch den Staudammbau droht den indigenen Gemeinden der Verlust ihrer Lebensweise, Identität und Kultur.

Bildschirmfoto 2015-03-27 um 13.30.32
Polizei zerstört Häuser der indigenen Gemeinden am Rio Dolores © Consejo de Pueblos de Tezulutlán.

GS: Das Santa-Rita-Projekt wurde als Mechanismus für eine umweltverträgliche Entwicklung (CDM) registriert. Die Gemeinden wurden nicht konsultiert, obwohl dies nach guatemaltekischem Gesetz und nach CDM-Standards vorgeschrieben ist. Stattdessen setzt der Staat und das Betreiberunternehmen Hidroeléctrica Santa Rita S.A. auf eine Strategie der Eskalation und es kam es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei und des Militärs gegen die lokale Bevölkerung. Wie erklärst du dir dieses Vorgehen?

In Guatemala, wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern auch, beschützen Polizei und Militär die Investitionen der Unternehmen und nicht die Bevölkerung. Die Sicherheitskräfte verfolgen nicht die organisierte Kriminalität, sondern sie verbreiten Angst unter der Bevölkerung, die ihr Land verteidigen wollen. Wenn eine Gemeinde den Unternehmen den Zutritt zu ihrem Land verweigert, setzen die Sicherheitskräfte diese Interessen mit Gewalt durch. Die Wirtschaftselite in Guatemala verlangt von der Regierung die Sicherheitskräfte zu stärken, um ausländische Investitionen durchzusetzen und zu schützen.

GS: Seit 2012 will das Unternehmen Tatsachen schaffen und mit den Bauarbeiten beginnen, obwohl die Gemeinden dies vehement ablehnen und ihr Land nicht zur Verfügung stellen wollen. Wie ging das Unternehmen vor, um seine Ziele umzusetzen?

Mit Gewalt. Zwischen dem 14. und 16. August 2014 stürmten 1.500 Polizisten/innen die Dörfer Cobán, Chisec und Raxruhá, um die Bevölkerung zu vertreiben und um den Weg für die Baumaschinen freizuräumen. Sie verschossen Tränengas, nahmen Gemeindeführer/innen fest und gingen brutal gegen die Menschen vor. Ein Teil der Dorfbewohner/innen flüchtete in die Berge. In den Bergen wurden 15 Kinder ohne medizinische Hilfe geboren, weil die Menschen sich nicht getrauten in ihre Dörfer zurückzukehren. Die Situation erinnerte mich an die Zeiten des Bürgerkrieges. Es ist eine Stimmung der permanenten Angst und des Misstrauens.

GS: Wie seid ihr mit der Situation umgegangen?

Ich informierte daraufhin die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und den Beschwerde-Ombudsmann der International Finance Cooperation (IFC) über die Verbrechen. Wir müssen alle zusammenstehen, um Gerechtigkeit einzufordern und der Regierung klar zu machen, dass die Gemeinden nicht mehr wollen, als das ihnen zugehört wird und das ihre Anliegen respektiert und verstanden werden.

Bildschirmfoto 2015-03-27 um 13.31.30
Gasgranaten, die von der Polizei gegen die Dorfbewohner/innen eingesetzt wurden © Consejo de Pueblos de Tezulutlán.

GS: Das Santa-Rita-Projekt wird auch von internationalen Entwicklungsbanken finanziert. Welche Finanzinstitutionen sind am Projekt beteiligt?

Das IFC, die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG, die niederländische Entwicklungsbank FMO, der Schweizer Entwicklungsfonds SIFEM und die spanische Entwicklungsagentur AECID finanzieren dieses und andere Staudammprojekte in Guatemala.

 

GS: Regierung, Unternehmen und die Finanzinstitutionen stellen den geplanten Santa-Rita-Staudamm als Entwicklungsprojekt dar. Wie schätzt du das ein?

Es ist nicht wahr, dass ein Wasserkraftwerk zwingend Entwicklung bringt. In den Projektgebieten bringen Staudammprojekte Armut und Umweltzerstörung. Sie sind nicht mal gut für das Klima, weil die Staubecken große Mengen Methangas freisetzen. Sie mögen wirtschaftliche Vorteile für einige wenige haben, aber in den Regionen erzeugen sie keinen sozialen Mehrwert. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.

GS: Welche Verantwortung tragen die Finanzinstitutionen an der Situation vor Ort?

Es ist verantwortungslos von der Weltbank nicht auf die Bevölkerung zu hören, aber den Unternehmen und der Regierung zu trauen. Ohne diese zu kontrollieren oder selbst klare Standards zu setzen, damit ihre Investitionen keine Menschenrechte verletzen. Verantwortlich sind Unternehmen, Regierungen und Finanzinstitute wie die IFC und die DEG, wenn sie es ignorieren, dass ihre Projekte anstatt das Leben der Bevölkerung zu verbessern, den Tod bringen.

GS: Können die Bürger/innen aus den Industriestaaten, aus denen die Finanzinstitute stammen, die Situation in Guatemala beeinflussen?

Ich denke ja. Denn die Steuern der deutschen Bürger/innen, wie die der spanischen, niederländischen und anderer Nationen auch, werden in diesem Fall von den Entwicklungsbanken nicht zum Wohlergehen der Menschen oder Dörfer in Guatemala eingesetzt, auch nicht für die Entwicklung des Landes, sondern sie bereichern ausschließlich die daran beteiligten Unternehmen. Die deutschen Bürger/innen sollten ihre Stimme erheben, dass es gut ist die Länder des globalen Südens zu unterstützen, aber dass diese Hilfe auch wirklich den Menschen zu Gute kommen soll. Sie sollten ihre Regierungen auffordern nicht in Unternehmen zu investieren, die Menschenrechte verletzen und die Umwelt zerstören.

GS: Was sind die Unterschiede zwischen dem Entwicklungsmodell der Regierung und Unternehmen und den Vorstellungen der indigenen Gemeinden am Rio Dolores?

Das Entwicklungsmodell, das den indigenen Gemeinden von den Unternehmen und der Regierung aufgezwungen wird, ist das Modell des Konsums. Ein Modell der Abhängigkeit und kein Modell des Rechts. Der Konsumismus ist Teil des globalen Entwicklungsmodells und dient als Rechtfertigung seiner selbst, indem den Menschen gesagt wird, ihr braucht diesen Staudamm und den Bergbau, damit die Konsumprodukte hergestellt und mit Strom versorgt werden können. Und zum Modell des Konsumismus gehört es auch, seine Alternativen vergessen zu machen. Die indigenen Gemeinden sollen ihre Identität und ihre Paradigmen der Kosmovision aufgeben und vergessen, um sich dem vorherrschenden Entwicklungsmodell des Konsums anzupassen. Das Entwicklungsmodell der Gemeinden ist jedoch das sogenannte „Gute Leben“, die Kosmovision. Dazu gehört es, die Natur zu respektieren, das Wasser zu schätzen und in der Gemeinschaft zu leben.  Der Mensch ist nicht dazu da, nur zu nehmen und andere auszubeuten. Wie der Mensch vom Leben erfüllt ist, sind es auch die natürlichen Elemente die ihn umgeben. Die Natur ist heilig und deswegen gebe ich Acht auf sie.

Bildschirmfoto 2015-03-27 um 13.34.02
Die indigenen Gemeinden protestieren friedlich gegen das Santa-Rita-Projekt © Consejo de Pueblos de Tezulutlán.

GS: Am 28. Februar 2015 wurde der Bau des Santa-Rita-Staudamms gestoppt. Wie habt ihr das erreicht?

Durch den Widerstandes der Bevölkerung. Sie kennen ihre Rechte und auf die berufen sie sich. Die Gemeinden und Organisationen hatten genug Beweise gesammelt, um das Gericht zu überzeugen, die Baulizenz erst einmal nicht zu erneuern. Der Zusammenhalt der sozialen Bewegung in der Region ist sehr stark. Und wir sind auf internationaler Ebene sehr aktiv und arbeiten mit Organisationen aus den Ländern zusammen, aus denen die Geldgeber für das Staudammprojekt kommen, um auf diese Druck auszuüben. Es gibt uns natürlich keine Sicherheit, dass das Unternehmen nicht eines Tages zurückkommt. Deswegen sind wir auch weiterhin aktiv, um der Regierung deutlich zu machen, dass wir auch in Zukunft keine Staudämme in der Region dulden werden.

GS: Regierung und Unternehmen nutzen gerne die Strategie des Teilen und Herrschen, um den Widerstand von Gemeinden zu brechen. Wieso funktionierte dies nicht im Fall Santa Rita?

Bei uns sind nur wenige für den Bau des Wasserkraftwerkes. Einige sind neutral und haben sich bisher weder dafür noch dagegen positioniert. Aber der Großteil sagt Nein zum Projekt. Und die Wortführer/innen des sozialen Widerstandes, auch wenn sie kriminalisiert werden, sind stark und überzeugt. Zum Beispiel David Chen, der sagt, ich werde nicht verkaufen, auch wenn sie mir Millionen von Dollar anbieten. Dieser Fluss versorgt uns seit Generationen mit Wasser und ich werde ihn beschützen.

Interview vom 17. März 2015: David Vollrath, GegenStrömung

]]>
Weltbank schuld an Vertreibung https://www.gegenstroemung.org/web/blog/weltbank-schuld-an-vertreibung/ Thu, 05 Mar 2015 17:50:12 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=776 Für Entwicklungsprojekte der Weltbank wurden in den letzten zehn Jahren Millionen Menschen gewaltsam zwangsumgesiedelt und von ihrem Land vertrieben. Das musste die Weltbank einräumen, nach dem sie mit den Ergebnissen von umfangreichen Medienrecherchen konfrontiert worden war. Auf Grundlage von Weltbank Dokumenten deckten Journalisten verschiedener deutscher Medien und des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) auf, dass die Weltbank bei zahlreichen Projekten gegen ihre eigenen Menschenrechtsleitlinien verstoßen hat.

Der Weltbank-Chef Jim Jong Kim räumte ein, dass die Weltbank versagte habe, ihre Projekte  ausreichend zu überwachen und die Einhaltung der eigenen Standards zu garantieren. Er versprach Besserung. Wie die allerdings aussehen soll, ist fraglich. Die Weltbank erhebt selbst keine umfassenden Statistiken über die Vertreibungen im Zusammenhang mit ihren Projekten. Obwohl seit Jahren Menschenrechtsorganisationen und Initiativen wie GegenStrömung die negativen sozialen Folgen von sogenannten Entwicklungsprojekten der Weltbank kritisieren. Zudem überarbeitet die Weltbank gerade ihre Sozial- und Umweltrichtlinien („Safeguard Policies“). „Nach unseren Erkenntnissen versucht die Weltbank ihre Richtlinien aufzuweichen und nicht sie zu stärken. Aus menschenrechtlicher Sicht eine sehr problematische Entwicklung.“, so David Vollrath von GegenStrömung.

kenya_elf_0143a
Der Weltbank finanzierte Gibe III Staudamm bedroht das Land der indigenen Turkana. © mongabay.com

Vor allem bei von der Weltbank finanzierten großen Staudammprojekte kommt es immer wieder zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Das hatte die von der Weltbank eingerichtete Weltkommission für Staudämme bereits im Jahr 2000 festgestellt und klare Richtlinien für den Bau von neuen Talsperren aufgestellt. Dennoch finanzierte die Weltbank weiterhin umstrittene Mega-Staudammprojekte wie den Gibe III Damm in Äthiopien oder den Inga 3 Damm in der Demokratischen Republik Kongo, einem Land, in dem die Bevölkerung unter gravierenden Menschenrechtsverletzungen von Milizen und Militär leiden muss.

Nach den neuesten Erkenntnissen über die gewaltsamen Umsiedlungen und Vertreibungen, die durch Weltbankprojekte verursacht werden, muss die Finanzinstitution Konsequenzen ziehen. „Wir fordern, dass die Weltbank die Daten über die sozialen und ökologischen Folgen ihrer Projekte transparent macht, um zivilgesellschaftliche Kontrolle zu ermöglichen. Außerdem muss sie ihre Safeguard Policies stärken und für deren verbindliche Umsetzung sorgen“, schlussfolgert David Vollrath, „sonst verliert sie endgültig an Glaubwürdigkeit.“

]]>
Heikle Hermesbürgschaft für Staudamm in Kolumbien: Neue Fallstudie von GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web/blog/heikle-hermesbuergschaften-fuer-staudaemme-neue-fallstudie-von-gegenstroemung/ Mon, 16 Feb 2015 14:38:24 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=754 Titel ECA-Watch-Broschüre: "ECAs and Human Rights. Failure to Protect"In der neuen Publikation „Export Credit Agencies and Human Rights: Failure to Protect“ des ECA-Watch-Netzwerkes ist GegenStrömung mit einem Artikel über das umstrittene Hidrosogamoso-Staudammprojekt in Kolumbien vertreten.

Klicken Sie hier, um den englischen Artikel von GegenStrömung in der aktuellen Broschüre von ECA-Watch zu lesen.

ECA-Watch ist ein internationales Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, die sich für eine Reform staatlicher Außenwirtschaftsförderung einsetzen und eine Stärkung verbindlicher menschenrechtlicher und ökologischer Standards bei der Vergabe von Exportkrediten fordern.

Der Bau von Hidrosogamoso wird mit einer deutschen Hermesbürgschaft finanziert, obwohl es seit Planungsbeginn fundierte menschenrechtliche und ökologische Kritik an dem Projekt gab. Die Fallstudie von GegenStrömung beschreibt wie der Staudammbau am Sogamoso Fluss die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung gefährdet und verdeutlicht die Notwendigkeit strengerer Standards sowie effizienterer Prüf- und Kontrollmechanismen bei der Vergabe von Hermesbürgschaften.

Mehr Informationen zu Hermesbürgschaften finden Sie hier.

]]>