Prozess – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Fri, 30 Nov 2018 12:28:27 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 „Verurteilte, aber noch keine Gerechtigkeit“. Urteil im Mordfall Berta Cáceres https://www.gegenstroemung.org/web/blog/verurteilte-aber-noch-keine-gerechtigkeit-urteil-im-mordfall-berta-caceres/ Fri, 30 Nov 2018 12:28:27 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1807 Pressemitteilung von: Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit, Christliche Initiative Romero, Honduras Forum Schweiz, HondurasDelegation, 30. November 2018

Gericht stellt Verantwortung des Unternehmens DESA für den Mord fest – Opfer fordern: Staatsanwaltschaft muss nun endlich gegen die Auftraggeber vorgehen

Tegucigalpa – Am gestrigen Donnerstag, 29. November 2018, fällte der erste Strafsenat sein Urteil im Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder und Mittelsmänner im Mordfall Berta Cáceres. Die international bekannte honduranische Menschenrechtsverteidigerin und Trägerin des renommierten Goldman-Umweltschutzpreises war in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 in ihrem Haus in der Kleinstadt La Esperanza-Intibucá erschossen worden. Der mexikanische Umweltaktivist Gustavo Castro überlebte das Attentat verletzt.

Auf der Anklagebank saßen professionelle Auftragsmörder, teils mit militärischer Ausbildung, ein Major der honduranischen Streitkräfte sowie ein ehemaliger Sicherheitschef und der Manager für Soziales und Umwelt des Wasserkraftunternehmens Desarrollos Energéticos S.A. (DESA).

Das Gericht verurteilte sieben der acht Angeklagten wegen des Mordes an Berta Cáceres, vier von ihnen zusätzlich wegen versuchten Mordes an Gustavo Castro. Ein Angeklagter, in dessen Haus die Tatwaffe gefunden wurde, dem aber keine Beteiligung nachzuweisen war, wurde freigesprochen. Das Strafmaß wird am 10. Januar 2019 verkündet. In Honduras stehen auf Mord üblicherweise 30 Jahre Gefängnis.

Bertha Zúniga Cáceres, Bertas Tochter und ihre Nachfolgerin als Koordinatorin des „Rat der Volks- und indigenen Organisationen von Honduras“ (COPINH), betonte „Das Urteil richtet sich gegen die Auftragsmörder und Mittelsmänner, die direkt mit dem Unternehmen DESA verbunden sind. Es bedeutet aber nicht, dass nun Gerechtigkeit eingekehrt ist. Die Strukturen und die Personen, die diese Kriminellen bezahlt haben, um Berta Cáceres zu ermorden befinden sich in Freiheit und sie haben die Möglichkeit weiter straflos Verbrechen zu begehen.“

Anwalt Victor Fernández hob die Bedeutung der Urteilsbegründung hervor. Das Gericht habe klar zum Ausdruck gebracht, dass erwiesen sei, dass die Leitung des Unternehmens DESA den Mord in Auftrag gegeben und bezahlt habe, um den Widerstand gegen das Wasserkraftwerk „Agua Zarca“ zu brechen. Dies sei der Staatsanwaltschaft seit Mai 2016 bekannt. Sie müsse nun endlich handeln.
Hintergrund:

Der vierwöchige Prozess war von mannigfaltigen Unregelmäßigkeiten geprägt gewesen. Vor Beginn hatte die Nebenklage mehrere Rechtsmittel gegen den Strafsenat wegen Amtsmissbrauch, Verzögerung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und Pflichtverletzung eingelegt. Das Gericht schloss daraufhin sämtliche Anwälte der Nebenklage aus dem Verfahren aus. Cáceres Organisation COPINH wurde erst gar nicht als Nebenkläger zugelassen.

Die Anwälte der Nebenklage hatten in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr als 30 Anträge auf Akteneinsicht gestellt. Zumeist vergeblich. Bei der Beweisaufnahme im August 2018 stellte sich heraus, dass wichtige Beweismittel aus Haus- und Bürodurchsuchungen noch nicht ausgewertet worden waren. Obwohl erdrückend viele Indizien (u.a. über die Bestechung von Justizangehörigen und Veruntreuung von staatlichen Geldern) dies nahelegen, lehnte die Staatsanwaltschaft es bisher ab, auch wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen das Unternehmen DESA zu ermitteln.

Der Bericht der internationalen Expertenkommission GAIPE hatte bereits Ende 2017 aufgezeigt, dass Berta Cáceres mit dem Ziel ermordet wurde, ihre Organisation COPINH zu zerstören und dass die Tat von langer Hand vorbereitet wurde. Der Widerstand der in COPINH organisierten Gemeinden gegen das geplante Wasserkraftwerk „Agua Zarca“ gilt als emblematisch für ganz Honduras.

Im jetzigen Verfahren wurden trotz der Versuche der Staatsanwaltschaft diese Vorgeschichte auszublenden, die Namen derjenigen bekannt, die im GAIPE-Bericht nur anonymisiert vorkommen: DESA-Finanzvorstand Daniel Atala Midence sowie die drei Verwaltungsratsmitglieder José Eduardo, Pedro und Jacobo Atala Zablah. Sie gehören alle zu einer der mächtigsten Unternehmer- und Bankiersfamilien des Landes. Es liegt nun an der Staatsanwaltschaft Haftbefehle auszustellen und die potentiellen Auftraggeber des Mordes und weitere möglicherweise Beteiligte aus Militär und Politik vor Gericht zu bringen. Bisher muss sich in absehbarer Zeit nur der am 2. März 2018 verhaftete ehemalige Geschäftsführer der DESA, David Castillo, vor Gericht verantworten.

Pressekontakt

HondurasDelegation Deutschland-Österreich/ Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V.
Andrea Lammers | elsal[ätt]oeku-buero.de | 089 – 448 59 45
Christliche Initiative Romero e.V.
Kirsten Clodius | clodius[ätt]ci-romero.de | 0251 – 67 44 13-18

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Brasilien: Strafprozess gegen 22 Angeklagte wegen des Dammbruchs der Samarco von Justiz gestoppt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brasilien-strafprozess-gegen-22-angeklagte-wegen-des-dammbruchs-der-samarco-von-justiz-gestoppt/ Wed, 09 Aug 2017 12:52:51 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1543 Opfergruppen zeigen sich empört über die Justizentscheidung.

Von Christian Russau

Der am 8. November 2016 angestrengte Strafprozeß um die Vorgänge und für die Verantwortung für den Dammbruch des Rückhaltebeckens der brasilianischen Firma Samarco vom 5. November 2015 bei Mariana im Bundessstaat Minas Gerais wurde am 4. Juli dieses Jahres, wie vor Kurzem erst bekannt wurde, vom zuständigen Bundesrichter gestoppt. Dieser folgte laut Presseberichten damit dem Antrag der Verteidigung der vier angeklagten Firmen – Samarco, Vale, BHP Billiton e VogBR – sowie der 22 angeklagten Personen, die eine Einstellung des Prozesses gefordert hatte.

Der Richter Jacques de Queiroz Ferreira sah es als erwiesen an, dass die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Belege nicht konform der Gesetzes- und Verfahrensvorschriften erhoben worden seien. So sei die vorherige richterliche Erlaubnis zur Auswertung abgehörter Telephonverbindungsdaten der Angeklagten nicht konform dem Zeitraum der von der Bundespolizei und der Staatsanwaltschaft tatsächlich ermittelten Abhördaten gewesen. Die Bundespolizei und Staatsanwaltsvhaft bestreiten dies, legten ihrerseits die entsprechenden Daten erneut vor, doch der Bundesrichter wies ihr Argument zurück. Des Weiteren, so der Richter, habe sich die richterliche Abhörerlaubnis und Aufhebung der geschützten Privatsphäre der Angeklagten in den Fragen von Chat- und Emailprotokollen eigentlich nur auf Daten aus dem Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 2015 und dem 30. November 2015 bezogen. Die Firma Samarco habe aber Daten auch aus den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2014 vorgelegt, so dass diese Daten im Prozess keine Verwendung hätten finden dürfen. Der Richter Jacques de Queiroz Ferreira stellte daraufhin den Strafprozeß ein, die Berufung gegen diese Entscheidung ist aber weiterhin möglich.

Die Bewegung der Staudammbetroffenen (Movimento dos Atingidos por Barragem -MAB) im Bundesstaat Minas Gerais erklärte, diese gerichtliche Entscheidung sei „eine Schande. Diese Entscheidung ist die einzige Art von Antwort, die die Justiz in der Lage ist, den Betroffenen und der ganzen brasilianischen Gesellschaft 21 Monate nach dem Verbrechen zu geben. Sie bestärkt uns Betroffene einmal mehr in dem kompletten Unglauben an ein Justizwesen, das im Interesse der Bergbaukonzerne agiert“, so die Erklärung von MAB.

Am 5. November 2015 war der Damm des Rückhaltebeckens Fundão, im Munizip von Mariana im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien, gebrochen. Millionen Kubikmeter von Restschlamm aus Eisenbergbau der Firma Samarco, einer Aktiengesellschaft zu gleichen Teilen im Besitz der anglo-australischen BHP Billiton und der brasilianischen Vale S.A., formten einen Tsunami aus Schlamm, der mehrere Dörfer zerstörte, 349 Häuser, Schulen und Kirchen dem Erdboden gleichmachte und die Flüsse Rios Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce verseuchte. Insgesamt starben 19 Menschen.

Laut Erhebung der US-amerikanischen Consulting Bowker Associates stellen der Dammbruch und das Auslaufen von Millionen von Kubikmetern Klärschlamms
(die Schätzungen schwanken zwischen 32 und 62 Millionen Kubikmetern), die Länge der Zerstörung entlang 680 Kilometern sowie die Schäden – 
Schätzungen belaufen sich auf zwischen umgerechnet 5 und 55 Milliarden US-Dollar – den Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar.

In Bezug auf Wiederaufbau und Entschädigung – da warten die betroffenen Menschen noch heute auf Gerechtigkeit.

 

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