Vale – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Wed, 14 Apr 2021 12:16:14 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Wie Vale sich entschädigen lässt für Ausfälle, für die sie selbst juristisch haftbar ist https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wie-vale-sich-entschaedigen-laesst-fuer-ausfaelle-fuer-die-sie-selbst-juristisch-haftbar-ist/ Wed, 14 Apr 2021 12:16:11 +0000 https://www.gegenstroemung.org/web/?p=2195 Vales Wasserkraftwerk Risoleta Neves steht seit dem Dammbruch der Vale-Tochter Samarco im November 2015 still, erhält aber dennoch millionenschwere Kompensationszahlungen aus dem Ausgleichmechanismus MRE. Dagegen wird nun geklagt.

Oberster Justizgerichtshof entscheidet in Kürze über möglichen Ausschluss des Wasserkraftwerks Risoleta Neves, auch Candonga genannt, im Bundesstaat Minas Gerais, aus dem Energieumverteilungssystem MRE, dem alle Wasserkraftwerke Brasiliens zugehören und das dazu dienen soll, im Fall von verminderter Stromgeneration infolge von Dürre und Niedrigwasser dem notleidenden Kraftwerk einen virtuellen Anteil aller im Lande generierten Stromleistungen Dritter entsprechend seiner vorherigen prozentuellen Anteilsgröße zur Verfügung zu stellen. Das Kraftwerk Risoleta Neves hat aus diesem Kompensationsmechanismus in der Vergangenheit neuesten Daten der staatlichen Stromagentur Aneel zufolge 430 Millionen Reais erhalten. Der Grund: seit 2015 produziert Candonga keinen Strom. So argumentiert die Besitzerin, die Bergbaufirma Vale, da Candonga Teil des gemeinschaftlichen Kompensationsmechanismus ist, stehe ihr dieser Anteil zu.
Brisant ist aber: Candonga steht seit 2015 still, weil damals der Damm der Bergbaufirma Samarco gebrochen war und sich damals deutlich über eine Million Kubikmeter Erzschlamms im Reservoir vor der Staumauer von Risoleta Neves angesammelt hatte, so dass der Betrieb seit damals -zuerst aus Sicherheitsgründen, dann aus technischen Gründen, weil der Erzschlamm die Turbinen des Wasserkraftwerks bedroht und obendrein durch die Schlammsedimente die Wasserkraftleistung ohnehin geringer ausfalen würde – nicht mehr möglich war. Und verantwortlich für den Bruch war die Firma Samarco, eine 50%-Tochter der Bergbaufirma: Vale.

2017 dekretierte die Stromagentur Aneel die formale Schliessung Candongas und mithin den Ausschluss des Wasserkraftwerkes aus dem Kompensationsmechanismus MRE, wogegen die Staudammbesitzerin, Vale, aber Klage einreichte und erstmal die Zahlungen für den Ausfall, für den sie selbst als Miteigentümerin von Samarco juristisch haftbar wäre, weiter kassierte. Dagegen hat die Aneel Klage eingereicht und in den kommenden Tagen wird eine Entscheidung der Sonderkammer des Obersten Justizgerichtshof in der Sache erwartet.

Am 5. November 2015 war der Damm Fundão des Erzgrubentailings der Firma Samarco gebrochen und Schätzungen zufolge ergossen sich 62 Millionen Kubikmeter Klärschlamms ins Tal. Der Schlammtsunami zerstörte zunächst das Dorf Bento Rodrigues sowie die Dörfer Paracatu de Baixo und Barra Longa, bevor der Schlamm sich 680 Kilometer flussabwärts durch die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio Carmo und Rio Doce bis hin zur Mündung desselben in den Atlantischen Ozean bei Linhares und Regência im Bundesstaat Espírito Santo bewegte. 19 Menschen starben, tausende Fischerinnen und Fischer wurden arbeitslos und Berechnungen der Rückversicherungsgesellschaft Terra Brasis Resseguros zufolge wurden dadurch rund 3,5 Millionen Menschen in ihrer Trinkwasserversorgung beeinträchtigt. Viele der von dem Dammbruch Betroffenen wurden bis heute nicht entschädigt, die Umweltzerstörung am Rio Doce ist noch immer anhaltend und die Reparationsarbeiten und -leistungen, für die die von Samarco, Vale und BHP Billiton eingesetzte Stiftung Renova zuständig ist, werden von den Betroffenen noch immer als unzureichend, mißachtend, diskriminierend und als Greenwashing tituliert.

// christian russau

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Fünf Jahre nach dem Bruch des Damms des Rückhaltebeckens von Mariana https://www.gegenstroemung.org/web/blog/fuenf-jahre-nach-dem-bruch-des-damms-des-rueckhaltebeckens-von-mariana/ Tue, 03 Nov 2020 11:07:42 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2140 Triste Schlaglichter auf eines der größten Umweltverbrechen der jüngeren brasilianischen Geschichte, den Dammbruch bei Mariana, der am 5. November 2015 eine ganze Region ins Unglück stieß.

Im November 2015 brach nahe Mariana in Brasilien ein Rückhaltedamm des Bergbau-Unternehmens Samarco. Seither kämpft eine ganze Region mit den massiven sozialen und ökologischen Folgen dieser Katastrophe.

Am 5. November 2015 brach der Damm des Rückhaltebeckens Fundão nahe der Kleinstadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen… Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Insgesamt starben 19 Menschen. Samarco ist eine Aktiengesellschaft, die zu gleichen Teilen im Besitz der australisch-britischen BHP Billiton Brasil Ltda. und der brasilianischen Vale S.A. steht.

Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellt die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Fünf Jahre nach dem Bruch bei Mariana warten noch immer 334 Familien aus den damals komplett zerstörten Kleinstädten Bento Rodrigues, Paracatu de Baixo und Gesteira auf ihre Häuser als Entschädigungsleistung. Nach Angaben der Renova-Stiftung seien die Arbeiten der neuen Ersatz-Gemeinden im Gange, wie z.B. die Erdbewegung der Zufahrtsstraßen und der Grundstücksflächen, Arbeiten der Regenwasserkanäle, Wasser- und Abwassernetze. Das „neue“ Bento Rodrigues sei weiter vorangeschritten, so Renova, aber auch hier wurde 2019 der Eröffnungstermin auf 2021 verschoben. Die betroffenen Anwohner:innen trauen dem aber nicht, sie beobachten die Arbeiten, haben Angst, dass dort wieder schlampig gearbeitet wird, dass beispielsweise der korrekte Wasseranschluss vergessen wird, so eine Bewohnerin gegenüber der Zeitschrift Brasil de fato. Bei den Wiederaufbauplänen für Gesteira sieht die Situation deutlich schlechter aus: Hier wurde wegen Rechtsstreitigkeiten der Zuständigkeit vor einem Bundesgericht der bisherige Prozess gestoppt, unklar ist, wann dort weitergebaut wird.

Für Letícia Faria von der Bewegung der Betroffenen von Staudämmen (MAB) hat das System. Sie sieht die Verzögerungen als Ausdruck des Wiedergutmachungsmodells der Renova-Stiftung, das „das Image der Unternehmen schützt, eine gute Propaganda für das, was getan wird, was [die Stiftung] macht und so einen Präzedenzfall schafft, so dass alle zukünftigen Reparaturen, sei es durch Bruch oder Dammbau, von einer solch privaten Stiftung durchgeführt werden. Es handelt sich um eine Strategie zur Stärkung der Macht der Unternehmen in den Territorien“, so Faria gegenüber Brasil de fato Ende Oktober dieses Jahres. „Die Wiedergutmachung wird nicht umgesetzt, weil das Ziel darin besteht, die Gemeinden den Unternehmen gegenüber dauerhaft unterwürfig zu halten“, fügt sie hinzu.

Auch die Staatsanwaltschaft kritisiert, dass fünf Jahre nach dem Bruch noch immer nicht alle Entschädigungen geleistet wurden. „Die Katastrophe, die nicht nur Mariana, sondern das gesamte Einzugsgebiet des Rio Doce, ein Gebiet, das [von der Größe her] Portugal entspricht, verwüstet hat, hält weiter an. Fünf Jahre später ist nichts fertig“, sagt Silmara Goulart, Generalstaatsanwältin und Koordinatorin der Rio Doce Task Force. „Keine, absolut keine der betroffenen Gruppen, seien es Bauern, Wäscherinnen, Handwerker, Fischer, Kleinhändler, wurde vollständig entschädigt. Auch die Umwelt hat sich nicht vollständig erholt. Selbst die Gemeinde Bento Rodrigues, Symbol der Katastrophe, ist nicht wieder aufgebaut worden“, fügte die Staatsanwältin Silmara auf einer Pressekonferenz am 29. Oktober hinzu, berichtet das Internetportal Ecodebate.

Um die entstandenen Schäden zu beheben, hatten die Bundesbehörden, die Staaten Minas Gerais und Espírito Santo 2016 ein Transaktions- und Anpassungsabkommen (TTAC) mit den für den Staudamm verantwortlichen Unternehmen Samarco, BHP Billiton und Vale unterzeichnet. Zusätzlich zur Gründung der Renova-Stiftung, einer Organisation, die die Aufräumarbeiten, die Kompensationen und die Entschädigungen umsetzen sollte, legt das TTAC 42 Programme fest, die in dem 670 Kilometer langen Gebiet entlang des Rio Doce und seiner Nebenflüsse umgesetzt werden müssten. Später, im Jahr 2018, unterzeichneten die Justizbehörden mit den Unternehmen ein weiteres Abkommen, um die wirksame Beteiligung der betroffenen Personen am Prozess der vollständigen Entschädigung für die von ihnen erlittenen Schäden zu gewährleisten.

Jedoch, laut der neuesten Analyse der Bundesstaatsanwaltschaften, ist bei weitem nicht genug passiert. Fünf Jahre nach der Katastrophe sind demnach noch immer 29.039 Einwohner:innen von der Wasserversorgung per Tankwagen abhängig, da die Nutzung der verseuchten Wasserläufe und Grundwasserleiter noch immer unsicher ist, was durch die neue Coronavirus-Pandemie noch gravierender wird. Bis August dieses Jahres waren nur 153 von 374, das entspricht 41 Prozent der Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserversorgungssysteme, abgeschlossen. Die im damaligen TTAC festgelegte Frist war bereits 2018 ausgelaufen. „Dies betrifft das grundlegendste Recht, nämlich den Zugang zu Wasser und den Zugang zu ihrer eigenen Gesundheit. Wenn man nicht sicher ist, dass das Wasser, aus dem die Nahrung für seine Kinder besteht, konsumiert werden kann, hat man keinen Seelenfrieden, und dann hat man ein weiteres psychisches Problem“, sagt Carolina Morishita, eine staatliche Pflichtverteidigerin in Minas Gerais.

Erst im September dieses Jahres hatten Wissenschaftler:innen der Universidade Federal do Espírito Santo (Ufes) neue Studienergebnisse veröffentlicht, die in den Sedimenten des Rio Doce hohe Belastungen an vor allem Kadmium und Arsen nachwiesen, die auch in Fischproben, in Proben von Untergrundwasser sowie in menschlichen Proben in deren Haar und Fingernägeln gefunden wurden.

Außerdem erhielten laut der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft von den 31.755 registrierten Familien bis August 2020 nur 10.885, das entspricht 34 Prozent, eine Art Entschädigung. André Sperling, Staatsanwalt in Minas Gerais, verglich die Situation mit Brumadinho, wo 2019 ebenfalls ein Damm in Vale brach und der 259 Tote hinterließ. Dort erhalten laut Sperling mehr als 100.000 Menschen eine gewisse Unterstützung. „Dies ist im Rio-Doce-Becken nie auch nur annähernd geschehen. Es hat nie eine Gelegenheit gegeben, den Betroffenen ein wenig mehr Sicherheit für diesen Verhandlungsprozess zu geben. Was es gibt, ist, dass die betroffenen Menschen hilflos sind“, sagte er, so berichtet es das Internetportal Ecodebate.

Beim Prozess um Entschädigungszahlungen zeigt sich zudem eine strukturelle Benachteiligung von Frauen. So hat die Bundesstaatsanwaltschaft anhand einer Untersuchung der Verwaltungsakten der Betroffenen jüngst festgestellt, dass bislang nur 39 Prozent der vom Dammbruch bei Mariana betroffenen Frauen überhaupt erst in den Betroffenenbefragungen angehört wurden. Laut Maíra Almeida Carvalho, Psychologin des Teams für psychische Gesundheit von Mariana, in dem sich die meisten der durch den Dammbruch Vertriebenen befinden, wurden seit Beginn der Reparationsverhandlungen seitens der zuständigen Stiftung Renova meist nur die beruflichen Aktivitäten der Männer berücksichtigt. „Es war sehr klar, dass nur die formalen Aktivitäten von Männern berücksichtigt wurden, um beispielsweise finanzielle Nothilfe zu erhalten. Dies verschärfte die Konflikte, da die Frauen noch stärker der Tatsache ausgesetzt waren, dass sie keine anerkannten Aktivitäten hatten und noch abhängiger waren. Neben ihrer Arbeit haben sie immer auch die Rolle des Betreuers für die Familie, die älteren Menschen und die Kinder übernommen“, sagte die Psychologin der Tageszeitung Estado de Minas, die eine mehrteilige Serie zu den Folgen von Mariana anlässlich des nun anstehenden fünften Jahrestages herausgegeben hat.

Bereits in den ersten Jahren nach dem Dammbruch, als offiziell die ersten Wiedergutmachungsprozesse von der von Samarco, Vale und BHP Billiton eingesetzten Stiftung Renova begannen, wiesen Betroffene darauf hin, dass es zu einer systematischen Diskriminierung von Frauen in diesem „Wiedergutmachungsprozess“ käme: Männlich-chauvinistische Standards herrschten bei der Freigabe von Entschädigungszahlungen. Diese Kritik wurde Ausgangspunkt dafür, dass die Bundesstaatsanwaltschaften von Minas Gerais und Espírito Santo eine Studie zur Situation der vom Dammbruch bei Mariana betroffenen Frauen im Einzugsgebiet des Rio Doce in Auftrag gab. Für die Durchführung der Analyse nutzte die beauftragte Beratungsfirma Ramboll Daten aus den Registern, aus den Ombudsmann-Büros und den Verwaltungsakten der Renova-Stiftung. Die Studie kam zu dem Schluss, dass es eine Reihe von Verstößen gegen Frauen in der Entschädigungsarbeit gab, wie z.B. sexuelle Belästigungsprobleme, Betrug, Probleme mit der Anerkennung, weil die nicht-formalisierte Arbeit der Frauen nicht berücksichtigt wurde. Laut der Zeitschrift Brasil de fato ging es bei 37 Prozent der Beschwerden von Frauen um sexuelle Belästigung, bei 38 Prozent um Betrug und bei 20 um Korruption. Dem Bericht von 2019 zufolge sind nach wie vor etwa 43 Prozent der Frauen arbeitslos. Von denjenigen, die nach dem Dammbruch irgendeine Art von Krankheit zeigten, hatten 80 Prozent Tuberkulose und 50 Prozent ein Atemwegsproblem.
Exemplarisch spricht die betroffene Bewohnerin Simone Silva, die zu der Gruppe organisierter Frauen gehört, die seit mehr als drei Jahren auf eine Antwort des Bergbauunternehmens warten und noch nicht als betroffen anerkannt sind. 2019 erklärte sie gegenüber Brasil de fato: „Renova hat die Frauen auf dem Territorium nicht anerkannt. Dies war ein Grund für viele Ehekriege und sogar für Trennungen zwischen Paaren, denn im Allgemeinen erkennt sie [die Stiftung Renova] den Mann an, aber sie erkennt die Frau nicht an“, sagte sie.

Die Bewohner:innen leiden noch immer unter Krankheiten. Um 15 Prozent hat die Einnahme von Psychopharmaka der überlebenden Betroffen in den 39 vom Dammbruch in Mitliedenschaft gezogenen Munizipien in den Bundesstaaten Minas Gerais und Espírito Santo entlang der Flutwelle aus Bergwerksabraum, der den Lauf des Rio Doce hinunterraste, zugenommen, so Medienberichte. Um 75 Prozent haben die schweren Fälle von anhaltenden Atemwegserkrankungen zugenommen, berichten laut dem Pressebericht die Mediziner:innen in den betroffenen Munizipien. Und die von der Stiftung Renova, die für die Wiederinstandsetzung, die Renaturierung, die Entschädigungen und die Maßnahmen zur medizinischen Betreuung der Betroffenen zuständig ist, angekündigte Medizinbetreuung wurde noch immer nicht umgesetzt. Laut der von der Bundesstaatsanwaltschaft zur unabhängigen Beobachtung der von Renova in die Wege geleiteten Maßnahmen eingesetzten Consulting Ramboll wurde bisher nur in den beiden Bezirken Mariana und Barra Longa medizinisches Personal durch Renova aufgestockt, wobei man in Mariana damit aber durchaus weiter ist als in Barra Longa, wo grad noch immer erst der Masterplan diskutiert wird, so die Tageszeitung Estado de Minas Gerais Anfang November.

Auch die Aufräumarbeiten gehen nach wie vor nur schleppend voran. Die Consulting Ramboll nahm Auswertungen der Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten Renovas unter die Lupe. Die Analyse zeigt, dass Renovas Aktionen zur Sanierung der Umwelt zu den am meisten verzögerten oder nicht umgesetzten Maßnahmen gehören. Bisher wurden von den 44 Millionen Kubikmetern Bergematerial, die aus dem Damm ausgetreten sind, nur 1.161.591 (2,6 Prozent) aus den Flussbetten der Flüsse Gualaxo do Norte, Rio Carmo und Rio Doce entfernt. Von den 17 durch Bergbauabfälle in Mitleidenschaft gezogenen Gewässerabschnitten verfügen nur fünf überhaupt über einen Entsorgungsplan, wohin das Material verbracht werden soll. Am krassesten zeige sich, so Ramboll, die Verschleppung der Aufräumarbeiten am Staudamm Candonga. Dort waren 26 Prozent allen Abraums aus dem Bergwerk von Samarco im Stauseereservoir hängen geblieben, und die Stiftung Renova hatte sich verpflichtet, das Material aus dem Stausee zu entfernen, auf dafür extra vorbereiteten Flächen zu lagern und hinterter so aufzubereiten, dass es – gereinigt um Schadstoffe – wiederverwendet werden könne, beispielsweise im Straßenbau oder bei Häuserbauprojekten. Am Stausee Candonga hatte Renova dafür das Gelände der angrenzenden Fazenda Floresta gemietet, doch die dortigen Arbeiten ruhen seit 2018, so die Tageszeitung Estado de Minas Gerais Anfang November. Denn Renova bevorzugt mittlerweile die Variante, das Material aus dem Bergbauschlammtsunami im Stausee zu belassen, die Bundesstaatsanwaltschaft verlangt die Entfernung aus dem Reservoir, – der Rechtsstreit darüber kann sich noch Jahre hinziehen.

Währenddessen steht die zum Stausee Candonga gehörende Wasserkraftanlage Usina Hidrelétrica de Risoleta Neve still, da die Turbinen durch das Eisenschlamm haltige Wasser beschädigt werden würden, ginge das Kraftwerk in Betrieb, ohne zuvor den Abraum aus dem Kraftwerksee entfernt zu haben. „Das Wasserkraftwerk Risoleta Neves in Candonga ist seit fünf Jahren stillgelegt, und in der Zwischenzeit erfolgt [der Ausgleich des Ausfalls] des Stromnetzes durch andere Einheiten. Der Verbraucher wird durch den Ausgleichsmechanismus des nationalen Elektrizitätssektors [zusätzlich mit erhöhten] Kosten belastet, dieser wurde bisher von der National Energieagentur Aneel auf 416 Millionen R$ geschätzt“, sagt Staatsanwalt Paulo Henrique Camargos Trazzi gegenüber Tageszeitung Estado de Minas Gerais.

Indessen wurden eine Reihe von Rechtsprozessen gegen die für den Dammbruch Verantwortlichen eingestellt, einige wenige laufen noch weiter. Bis wann mit einem diesbezüglichen Abschluss zu rechnen ist, ist offen. Im September dieses Jahres jedenfalls haben die Bundesstaatsanwaltschaften von Minas Gerais und Espírito Santo jedenfalls ihre 2018 vorläufig eingestellte Zivilentschädigungsklage gegen Samarco wieder aus den Schubladen geholt, weil die Entschädigungsprozesse seitens der Stiftung Renova zu langsam laufen und die Staatsanwaltschaften gezielte Verschleppung und Übervorteilung der Betroffenen mutmaßen. Die nun wieder aufgenommene Klage sieht eine Gesamtentschädigung von 155 Milliarden Reais vor (derzeit umgerechnet 23 Milliarden Euro).

// christian russau

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Fundação Renova und die Greenwashing-Propaganga fünf Jahre nach dem Bruch des Samarco-Vale-BHP Billiton-Damms bei Mariana https://www.gegenstroemung.org/web/blog/fundacao-renova-und-die-greenwashing-propaganga-fuenf-jahre-nach-dem-bruch-des-samarco-vale-bhp-billiton-damms-bei-mariana/ Tue, 20 Oct 2020 12:16:06 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2121 Knapp fünf Jahre nach dem Bruch des Rückhaltebeckens Fundão bei Mariana versucht die von Vale zur Beseitigung der Schäden und zur Leistung von Kompensationsmaßnahmen sowie Entschädigungszahungen eingesetzte Stiftung Fundação Renova in großseitigen Anzeigen, die in Form von Presseberichten daherkommen, in Internetportalen des Bundesstaates Minas Gerais die Leistungen der Fundação Renova zur Renaturalisierung und zur Wiederherstellung des Rio Doce in werbetauglichem Greenwashing schönzureden.

Unter dem schön klingenden Titel „Recuperação do rio Doce“ („Die Wiederherstellung des Rio Doce“) veröffentlicht die Fundação Renova in dem Portal „O Tempo“ sponsored content, der als Publieditorial zwar gekennzeichnet ist, ein Umstand, der vielen Leser:innen aber nicht sofort auffallen sollte. In dem Text beschreibt die Fundação Renova den Umfang und die Bedeutung der Wiederaufräum-, der Wiederhestellungsarbeiten sowie der geleisteten Entschädigungen. Am Beispiel der Wasserqualität des Rio Doce versucht die Fundação Renova ihre Arbeit ins strahlende Licht zu rücken: Das Wasser des Rio Doce sei jetzt wieder „so sauber wie vor dem Bruch“, das Wasser sei „nach Aufbereitung trinkbar“, die Wasserqualität stehe unter konstanter Beobachtung, im übrigen sei der „Rio Doce das am meisten kontrollierte Wassereinzugsgebiet“ des ganzen Landes. Das Wasser des Rio Doce könne also für die Viehwirtschaft und alle anderen Tiere verwendet werden, für den Ackerbau, für Freizeitspaß und eigne sich – nachdem es behandelt wurde – auch für den menschlichen Verbrauch als Trinkwasser.

Komisch nur: Warum hatten Wissenschaftler:innen der Universidade Federal do Espírito Santo (Ufes) erst vor Monatsfrist neue Studienergebnisse veröffentlicht, die in den Sedimenten des Rio Doce hohe Belastungen an vor allem Kadmium und Arsen nachwiesen, die auch in Fischproben, in Proben von Untergrundwasser sowie in menschlichen Proben in deren Haar und Fingernägeln gefunden wurde?


Zum Hintergrund:

Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar 2019 in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao gebrochen. 272 Menschen starben, aber so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, erreichte der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter:innen zu Mittag aßen. Busse, in denen Arbeiter:innen saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba bis heute biologisch tot.

Dieses Szenario erinnert an den Dammbruch von Mariana des Rückhaltebeckens Fundão, als dort 2015 bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und dem anglo-australischen Unternehmen BHP Billiton) der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörten mehrere Dörfer, Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischer:innen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar.

Dabei ist klar: Die Dammbrüche von Mariana und Brumadinho si nd nur die sichtbare Spitze des Eisbergs an Skandalen im brasilianischen Bergbau. Grundsätzlich erfolge der Bergbau in Brasilien, so Juliana Malerba von der brasilianischen Nichtregerungsorganisation FASE, „auf Basis der Umweltungerechtigkeit“. Denn genau die Gruppen, die bereits historisch diesen Prozessen der Umweltausbeutung ausgesetzt waren, „die Ärmsten, die Schwarzen, die quilombolas, die traditionellen und indigenen Gemeinschaften, die am Fluss wohnenden ribeirinhos, die Kleinfischer, die Kleinbäuerinnen und -bauern, es sind genau diese Gruppen, auf deren Territorien und Gebieten sich diese Aneignung der Natur nach wie vor ereignet.“ Anstatt dass durch grundlegende Politiken der öffentlichen Hand dafür Sorge getragen werde, dass diese Gruppen in Würde in ihren Gebieten und Territorien leben können, werden die Gebiete durch rücksichtslosen Bergbau zu „Opfergebieten“, so Malerba.

Und dabei gibt es auch eine deutsche Mitverantwortung: Im Jahr 2019 exportierte Brasilien Eisenerz im Wert von 22,7 Milliarden US-Dollar. Eisenerz dominierte demnach mit 87,79 Prozent den Export mineralischer Rohstoffe. Der Anteil des Eisenerzes lag bei 10,06 Prozent der Gesamtexporte (etwa 225 Milliarden US-Dollar) und lag somit nach dem Sojakomplex an zweiter Stelle der brasilianischen Exporte. Das aus Brasilien nach Deutschland exportierte Eisenerz stellt derzeit satte 43 Prozent der deutschen Gesamteinfuhren von Eisenerz dar.

So attestiert auch der Leiter der Deutschen Rohstoffagentur, Peter Buchholz, Brasilien eine bedeutende Rolle bei der Rohstoffsicherung Deutschlands. „Beachtliche 8,5 Prozent der deutschen Gesamtimporte mineralischer Rohstoffe stammen aus Brasilien.“ Hinzu komme, so Buchholz, dass der brasilianische „Bedarf an Explorations-, Abbau-, Förder-, Verlade- und Aufbereitungstechnik und darüber hinaus in der Infrastrukturentwicklung wie dem Hafenausbau und an der Schiffs-, Eisenbahn- und Lkw-Technik sehr hoch“ sei und künftig „noch erheblich steigen“ werde.

So ergänzt sich also die alte und neue internationale Arbeitsteilung zwischen Brasilien und Deutschland: „Im Fokus stehen neue Lieferquellen für strategisch wichtige Rohstoffe und Zwischenprodukte sowie neue Absatzmärkte für Bergbaumaschinen und -ausrüstungen.“ Das Industrieland Deutschland produziert hochwertige Maschinen und Anlagen, das Rohstoffexportland Brasilien bleibt auf den externalisierten Kosten wie Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen im Bergbau sitzen. Den Gewinn machen die transnationalen Konzerne in beiden Ländern, den Preis zahlen die Menschen in den Territorien.

//christian russau www.outro-mundo.org

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Vales Rückzug vom Ausstieg? Bergbau in Indigenen Territorien doch weiterhin auf der Konzernagenda? https://www.gegenstroemung.org/web/blog/vales-rueckzug-vom-ausstieg-bergbau-in-indigenen-territorien-doch-weiterhin-auf-der-konzernagenda/ Fri, 17 Jul 2020 09:27:38 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2082 Entgegen vorherigen Aussagen scheint Vale am Bergbau in Indigenen Territorien doch weiter festhalten zu wollen.

Recherchen der brasilianischen Seite von „The Intercept“ legen nahe, dass der brasilianische Bergbaukonzern Vale entgegen Aussagen auf der Aktionärsversammlung vom 30. April dieses Jahres doch weiterhin auf künftigen Bergbau in indgenen Territorien in Brasilien setzen würde.

Am Donnerstag, dem 30. April 2020 (GegenStrömung berichtete), hatte in Brasilien die alljährliche Hauptversammlung des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale stattgefunden. Dort haben, wie seit 2010 jedes Jahr, Menschenrechtsaktivist:innen des internationalen Netzwerks der von Vale Betroffenen (Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale – AIAAV) durch den Kauf einer Aktie das dortige Rede- und Stimmrecht erlangt, das sie nutzen, um den Konzernvorstand direkte Fragen zu stellen und die allfällige Kritik am Konzerngebaren direkt ins „Herz der Bestie“ zu tragen. Eines der vielen heiklen Themen, das die Aktivist:innen ansprachen, betraf die Fragen der von der rechtsextremen Regierung Bolsonaro angestrebten wirtschaftlichen Öffnung der indigenen Territorien für Bergbau und welche Position Vale diesbezüglich einzunehmen gedenke. Schließlich hält allein Vale hunderte an Schürf- und Förderanträgen und -lizenzen auf künftigen Bergbau in den eigentlich geschützten Gebieten.

Die damalige Antwort des Firmendirektors von Vale, Luciano Siani, auf die Fragen des Rechtsanwalts Danilo Chammas, Menschenrechtsverteidiger Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale, der seit 2010 mit einer Aktie auf die Jahreshauptversammlung der Vale geht und dort den Konzernvorstand kritischen Fragen aussetzt, war diesmal aber unmißverständlich: „Wir haben nicht die geringste Absicht, Bergbau in indigenen Territorien zu betreiben.“ Doch was ist mit den hunderten Anträgen auf Förderlizenzen, die die Vale innehält allein für indigenen Territorien? „Wir werden diese Anträge zurückziehen“, so der Vale-Chef laut einem Medienbericht beim Internetportal Terra über den auch GegenStrömung berichtete. Und auf der eigenen Webseite ließ Vale erklären, „dass es keine Mineralienforschung oder Bergbautätigkeiten irgendwelcher Art in indigenen Ländern in Brasilien durchführt, unabhängig davon, ob es sich um Bergbautitel oder Erwartungen des Gesetzes handelt, und dass es die geltende Gesetzgebung strikt einhält. Vale gibt auch an, dass in seinem Produktionsplan Mineralressourcen oder Mineralreserven in indigenen Ländern in Brasilien nicht berücksichtigt werden, und aus diesem Grund hat der neue Gesetzesentwurf keine Auswirkungen auf unser Geschäft.“ Mit dem neuen Gesetzesentwurf meint Vale das von der Bolsonaroregierung in den Kongress eingebrachte Gesetzesvorhaben Lei 191/2020 zur künftigen Ausbeutung indigener Territorien in Brasilien durch Bergbau. Das klang, zum ersten Mal, als ein klares „Nein“ von Vale nicht nur zu Bergbau in indigenen Territorien, nicht nur in Amazonien, sondern in indigenen Territorien in ganz Brasilien. In der Tat ein Fortschritt, ein kleiner zwar, vergegenwärtigt man sich die ganze Palette an Umweltschäden und sozialen Konsequenzen des Megabergbaus, den eine Firma wie Vale in Brasilien und weltweit verursacht, aber immerhin ein Schritt, ein Schritt, der dazu beitragen könnte, indigene Territorien, die in Brasilien unter Bolsonaro mehr denn je unter Druck stehen, zu schützen.

Mit dieser damaligen öffentlichen Erklärung hatte der zweite international agierende Großkonzern ein verbales „Nein“ zu künftigen Bergbauaktivitäten in indigenen Territorien in Brasilien abgegeben. Das erste verbale „Nein“ war als Twitter-Antwort von Siemens gekommen, auf den im August 2019 vom Dachverband der Kritischen Aktionär:innen und 21 weiteren deutschen Nichtregierungsorganisationen gesandten offenen Brief, der neben Siemens auch an Thyssenkrupp gerichtet worden war, in dem die Organisationen von Thyssenkrupp und Siemens forderten: „Erklären Sie öffentlich, dass Ihr Unternehmen keine Zulieferungen von Maschinen oder Dienstleistungen für den in Brasilien drohenden Bergbau in indigenen Territorien zur Verfügung stellen wird!“

Thyssenkrupp berief sich in ihrer Antwort im August 2019 reichlich nichtssagend auf allgemeine Bekenntnisse zu Menschenrechten: „Thyssenkrupp bekennt sich eindeutig zu Nachhaltigkeit und verantwortlichem Wirtschaften. Klima- und Umweltschutz sowie die Achtung der Menschenrechte sind integraler Bestandteil unserer Unternehmenswerte, wie wir in unserem Verhaltenskodex und durch unser Bekenntnis zum Global Compact der Vereinten Nationen dargestellt haben.“ Siemens, zuerst über den Twitter-Account der Siemens-Presseabteilung, dann auch in schriftlicher Antwort an die Initiator:innen des Briefs und dann auch dokumentiert anlässlich der diesbezüglichen Nachfrage des Business and Human Rights Center in Großbritannien, war da schon ein wenig deutlicher: „Wir haben aktuell & planen auch künftig keine Geschäftsaktivitäten in indigenen Gebieten, in denen die brasilianische Regierung plant, Bergbauaktivitäten zu erlauben. Die Achtung der Menschenrechte ist zentraler Grundsatz bei Siemens, weltweit.“

Nun aber, so berichtet Hyury Potter in seiner Recherche für den brasilianischen Ableger der Investigativrechercheseite „The Intercept“, dass das „Nein“ von Vale offensichtlich nicht so gemeint war oder eben nur anders interpretiert wird. Denn Vale habe zum einen – nicht wie auf der Aktionärsversammlung angegeben 71 Lizenzanträge auf Bergbau-Exploration in indigenen Territorien – laut Auskünften über das brasilianische Informationsfreiheitsgesetz 236 solcher Explorations- und Förderanträge auf Bergbau in indigenen Territorien in Brasilien. Und die Recherchen von „The Intercept“ ergaben, dass noch immer kein einziger der Anräge von der Firma, wie auf der Aktionärsversammlung eigentlich versprochen, zurückgezogen wurde. Aber mehr noch: In Brasilien verbietet die Verfassung den Bergbau in Indigenen Territorien. Deshalb hat die Bundesstaatsanwaltschaft bereits Ende 2019 acht Klagen gegen die Nationale Bergbaubehörde eingereicht, um den Schutz von 48 Indigenen Territorien zu erreichen, für die bislang Anträge auf Bergbauexploration und -förderung vorliegen. Und was macht Vale laut „The Intercept“? Vale bat die Bundesjustiz , in den acht Klagen als „Assistenz der Angeklagten“ am Prozess mitwirken zu dürfen, da sie selbst von dem Antrag der Bundesstaatsanwaltschaft betroffen sei, habe sie doch in einigen der entsprechenden Gebiete Projektanträge auf Bergbau am Laufen. Die Bundesjustiz lehnte diesen Antrag Vales ab, gleichwohl beibt die Frage, verfolgt Vale nun weiter die Politik der geplanten Schürfungen und Exploration in Indigenen Territorien oder nicht?

Hyury Potter von „The Intercept“ richtete zwei Anfragen an Vale. Die erste wurde am 18. Mai von Vale beantwortet, die Firma befände sich im Prozess der Neubewertung des Bergbauaktivitätenportfolios, dies beträfe auch in Teilen indigene Terrirtorien, einige der Anträge bezögen sich gar auf komplette Territorien. Im Juni, so berichtet „The Intercept“, habe Vale dann ihren Diskurs geändert. Vale habe ihm geantwortet, die Firma besässe 76 Anträge auf Explorationslizenzen in Indigenen Territorien, beantwortete nicht die Frage, warum Vale versicht habe, als „Assistenz der angeklagten“ Bergbauagentur im Bundesprozess beteiligt zu werden und liess zudem die grundsätzliche Frage offen, ob die Firma Vale in Zukunft an Berbprojekten in Indigenen Territorien festhalten werde oder wie auf der Aktionärsversammlung zugesagt, sich aus solchem zurückziehen werde. Die Firma habe, so „The Intercept“ geantwortet, „es liegt am brasilianischen Nationalkongress, diese Aktivitäten zu regelmentieren“. „The Intercept“ wies auch darauf hin, dass die auf der Aktionärsversammlung getätigte Aussage über den Rückzug Vales von allen Berbauanträgen in Indigenen Territorien zwar dort mündlich getroffen und von der Presse konform berichtet wurde, aber merkwürdigerweise nicht im offiziellen Sitzungsprotokoll der Aktionärsversammlung auftauchte.

// christian russau

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Bergbau-Tailings, Zerstörung Amazoniens: Fragen an die Deutsche Bank https://www.gegenstroemung.org/web/blog/bergbau-tailings-zerstoerung-amazoniens-fragen-an-die-deutsche-bank/ Thu, 21 May 2020 07:53:45 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2059 Die Deutsche Bank hielt am 20. Mai ihre alljährliche Hauptversammlung ab. Diesmal rein virtuell per Internet, aber wir mussten wiederum kritisch nachfragen und haben die Fragen vorab online eingereicht.

Vorab von Christian Russau (Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre) zur virtuellen Jahreshauptversammlung der Deutsche Bank AG am 20. Mai 2020 eingereichte Fragen zu TOP 2 und TOP 3:

Ein paar Blicke in Ihre Konzernbilanzen offenbart – leider wie jedes Jahr – in der Tat Erschreckendes. Seien es verantwortungslose Bergbauprojekte, die die Natur zerstören und die in nicht wenigen Fällen Menschen töten, seien es Anteile an oder Kredite für Fleischverarbeiter, die belegtermaßen an der illegalen Rodung und Landnahme in Amazonien ihren Anteil haben. Im Konkreten geht es mir heute um vor allem zwei Firmen: den brasilianischen Bergbaukonzern Vale und den brasilianischen Fleischverarbeiter JBS sowie um deren Connection zur Deutschen Bank.

Zu Vale: Bereits im vorvergangenen und im vergangenen Jahr haben wir Sie zusammen mit den brasilianischen Kolleg*innen bereits ausführlich gewarnt und auf die Bruchrisiken der Tailingdämme des brasilianischen Erzbergkonzerns Vale hingewiesen. Die Brüche von Mariana und Brumadinho sprechen hier Bände.

Fall 1: Der Bruch von Mariana. 19 Tote. Der Damm des Rückhaltebeckens der Firma Samarco (je 50% in Eigentum von Vale und BHP Billiton) brach, 19 Menschen starben und 680 Kilometer Flusslauf des Rio Doce wurden verseucht, so dass zeitweise mehr als zwei Millionen Menschen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten waren und die über 1.500 Kleinfischerinnen und -fischer bis heute ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können, weil der Fluss klinisch tot ist. Infolge des Dammbruchs von Mariana wurde bei Dutzenden von Kindern hohe Arsenrückstände im Körper medizinisch nachgewiesen. Diese Kinder sind über einen langen Zeitraum dem toxischen Schlamm ausgesetzt gewesen. Es gibt seitens der verantwortlichen Firmen keinerlei Ansatz eines Vorgehens, das eine reale Erfassung der Gesundheitssituation und der Kontamination durch das Wasser gewährleistet. Die Familien, die ihre Häuser in den Schlammmassen verloren haben, deren Häuser und Städte sind noch immer nicht wiederaufgebaut worden. Die gesamte soziale und Umwelt-Dimension dieses Desasters ist noch immer nicht vollkommen erfasst worden, so dass eine umfassende und adäquate Wiedergutmachung und Entschädigung verunmöglicht wird. Und dies alles viereinhalb Jahre nach dem Dammbruch von Mariana.

Fall 2: Der Bruch von Brumadinho. 270 Tote. Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais brach 25. Januar 2019 in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão. Vale erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Mio. Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Der Erzschlamm flutete ein ganzes Tal.

Obwohl ich Sie bereits im vor- wie auch im vergangenen Jahr darauf hingewiesen habe, steht die Deutsche Bank noch immer in Geschäftsverbindungen zu den verantwortlichen Firmen. Zwischen 2010 und 2017 stellte die Deutsche Bank der brasilianischen Vale 701 Mio. Euro und der anglo-australischen BHP Billiton 622 Mio. Euro an Krediten und Anleihen zur Verfügung. Außerdem hält die Deutsche Bank Aktien an den beiden Unternehmen in Höhe.

Ich frage Sie: zum Stichtag 30. März 2020 hielt die Deutsche Bank, inklusive Töchter, wieviele Bonds, Anteile an (auch multilateralen) Kredittranchen sowie an Assets der Firma Vale sowie der Firma BHP Billiton?

Zu JBS: JBS S.A. ist der weltgrößte Fleischproduzent der Welt. JBS steht für eine lange Kette von Umweltzerstörungen – direkt und indirekt, konkret wie symbolisch. Dazu kommen gravierende Verstöße beim Arbeitsrecht. Das Arbeitsministerium hat wiederholt Fälle von sklavenarbeitsähnlichen Zwangsverhältnissen der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Produktionskette von JBS aufgedeckt. Erinnern muss ich auch an den immensen Anteil, den die weltweite Viehwirtschaft am CO2-Ausstoß hat, nach Angaben der Vereinten Nationen nämlich derzeit rund 15 Prozent.

2017 haben die Besitzer von JBS eingestanden, mehr als 1.800 brasilianische Politiker*innen mit mehr als 150 Mio. US-Dollar bestochen zu haben.

Im August vergangenen Jahres wurde in so ziemlich allen Medien darüber berichtet, wie es in Amazonien zu einer massiven Zunahme der Brände kam. Die gezielt gelegten Brände haben sich allein Amazonien im Vergleich zum Vorjahr ersten Berechnungen zufolge verdoppelt. Sie müssen sich diesen Vorgang so vorstellen: Die Tropenholzmafia, die Fleisch- und Sojabarone, die illegalen Goldsucher, die bewaffneten Pistoleiros und die Auftragskiller sehen nun ihre Untaten als legitimiert an. Ihr Hauptmann, Jair Bolsonaro, sei já nun schließlich Präsident Brasiliens. Ein Präsident, der sich für jede verbale Ungeheuerlichkeit sofort hergibt und mit ur-reaktionären Verbalinjurien nur so um sich schlägt. Die genannten Gruppen wähnen sich im Auftrag ihres Präsidenten, den Indigenen, den Quilombolas (afrobrasilianischer Bewohnerinnen von Quilombo-Siedlungen, die damals von entflohenen Sklavinnen gegründet wurden), den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihr Land und deren Ressourcen zu stehlen. In Amazonien werden die Brände gezielt gelegt, auch in indigenen Territorien, und zwar von diesem Mafia-Triumvirat des Tropenholzes, des Agrobusiness‘ und der Goldgräber. Der Vorgang läuft meist so ab: Erst verbale Morddrohungen durch gedungene Pistoleiros, dann fällt die Holzmafia in die Gebiete ein und macht die lukrativen Objekte ihrer Begierde aus. Diese werden mit schwerem Gerät und unter bewaffnetem Einsatz illegal herausgeholt, dann werden zwei große Caterpillar mit mehrfach gehärtetem Stahlseil im Abstand von 50 Meter aufgestellt, und die Caterpillar ziehen das gewundene Stahlseil, den Correntão. Dieser reißt alles, aber auch jeden noch so dicken Stamm mit allem Wurzelwerk aus. Das lässt man drei, vier Monate liegen und austrocknen, dann wird alles gezielt in Brand gesetzt. Nach nur einigen kurzen Wochen danach wird Saatgut für capim, also Gras, ausgebracht, und ein paar Wochen drauf stehen auf diesen illegal gebrandrodeten Flächen Rinder. 80 Prozent der in Amazonien illegal gebrandrodeten Flächen erfolgen für die Rindviehhaltung.

Hier die Zahlen, was die Viehhaltung in Amazonien bedeutet: 1970 galt ein Prozent Amazoniens als gerodet, heute liegt dieser Wert bei 20 Prozent. Gab es in Amazonien im Jahr 2000 noch 47 Millionen Rinder, so sind es heute 85 Millionen Rinder. Dies entspricht 40 Prozent aller 219 Millionen Rinder Brasiliens. Es gibt in Brasilien also mehr Rinder als Einwohner*innen.

Noch einmal ausführlicher zur Frage, was hat die JBS-Fleischproduktion mit Amazoniens Wäldern zu tun? JBS rühmt sich, (auf Druck großer Umwelt-NGOs hin) ein Abkommen unterzeichnet zu haben. Darin verpflichtet sich der Konzern JBS, ab Oktober 2009 kein Fleisch aus illegal gebrandrodeten Flächen zu beziehen. Doch JBS wurde erwischt. Rinderherden aus illegal gerodeten Flächen waren umdeklariert worden, wie die Investigativjournalist*innen von Repórter Brasil wiederholt herausgefunden haben. Für das Jahr 2016 hat die NGO Global Witness aufgedeckt, dass dies in 20 Prozent der Produktion von JBS der Fall war.

Solche Verbrechen galten den brasilianischen Umweltbehörden bereits in der Vergangenheit allenfalls als Vergehen, die mit lächerlichen Umweltstrafen belegt wurden. JBS hat diese aus der Portokasse beglichen. Unter einer Bolsonaro-Regierung wird dergleichen noch ungleich weniger verfolgt, meist geschieht sogar das Gegenteil. Es ist dieses Geschäftsmodell von JBS, das zu einem Großteil der illegalen Brandrodungen in Amazonien mitverantwortlich ist. Schon seit Jahren fordern Indigene einen Boykott des tödlichen brasilianischen Agrobusiness‘, weil es indigenes Blut an den Händen habe.

Und was hat das mit der DEUTSCHEN BANK zu tun?

JBS wird durch international agierende Banken mit großzügigen Krediten finanziert. Die gleichen Banken halten auch noch Aktienpakete an JBS. Stand April 2019 hatte die Deutsche Bank Anteile an JBS in Höhe von 11 Mio. US-Dollar gehalten und Kredittranchen in Höhe von 56,7 Mio. US-Dollar vergeben. Ich frage Sie: zum Stichtag 30. März 2020 hielt die Deutsche Bank, inklusive Töchter, wieviele Bonds, Anteile an (auch multilateralen) Kredittranchen sowie an Assets der Firma JBS?

Ein weiteres schwerwiegendes Argument, warum Sie als Deutsche Bank Firmen wie JBS weder Kredite geben sollten, noch Anteile dieser Firma kaufen sollten: JBS ist direkt und indirekt mitverantwortlich für den Skandal, die in Brasilien so dringend nötige Agrarreform gezielt zu verhindern. Das geschieht in einem Land, in dem eine extrem ungleiche Landverteilung herrscht, wo etwa 10% der Bevölkerung rund 80% des Landes besitzen und gleichzeitig 4,8 Mio. Familien dringend auf Land warten. In solch einem Land wie Brasilien wirkt sich weniges so fatal auf die Agrarreform aus wie ein übermächtiges System kapitalistischer Aufkäufer von Fleisch. Deren Fleischfabriken kontrollieren den Markt und diktieren den Preis , um die Kleinbäuerinnen und -bauern und Kleinproduzent*innen gezielt schlechter zu stellen und sie aus dem Markt zu drängen. Dies geschieht über Verträge mit den Großproduzenten, die sich oft das Land historisch schon lange angeeignet haben – sei es durch gezielte Drohungen, Landtitelfälschungen oder durch schlichte Marktmacht. Ein Konzern wie JBS zementiert in solch einem auf Latifundien beruhenden Aufkaufsystem den Status Quo der ungerechten Landverteilung. Wenn es ein Symbol der gegen jedwede Agrarreform gerichteten reaktionären Wirtschaftselite in Brasilien gibt, dann ist dies JBS.

Die Deutsche Bank sollte ihre Policy endlich an grundlegenden menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten ausrichten. Solange dies nicht geschieht, verweigern wir Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung.

Antworten der Deutschen Bank:
Die Deutsche Bank erwiderte, die Bank bekenne sich „voll und ganz, unsere Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte zu achten, wir arbeiten aber auch kontinuierlich daran, uns zu verbessern.“ Menschenrechtsregeln würden explizit in Investitionsentscheidungen integriert. Bei Tailings im Besonderen: Seit 2011 verfüge die Deutsche Bank über „umfassende Regeln, die die Zuständigkeiten und Verfahren zum Erkennen, Bewertung und Entscheidung in Bezug auf Umwelt- und soziale Risiken festlegen“, diese gelte auch für industrielle Großprojekte.

Zu Geschäftsbeziehungen (Anteile, Kredite, Bonds, Anleihen etc) zu Vale, zu AngloAmerican, zu BHP Billiton: Unsere gesetzlichen Verpflichtungen erlauben uns nicht, zu Geschäftsbeziehungen Stellung im Einzelnen zu beziehen. Mit Erlaubnis unseres Kunden (Vale) hatten wir auf der Jahreshauptversammlung 2019 zu unseren Geschäftsbeziehung damals Auskunft gegeben. (Fragen Russau 2019). Am neuen „Global Tailing Review“ sei die Deutsche Bank nicht direkt beteiligt, würde sich aber regelmäßig darüber informieren.

Zu JBS: „Ja, wir sind uns der Risiken einer fortschreitenden Entwaldung sehr bewusst. Deshalb finanziert die Deutsche Bank keine Geschäfte, bei denen Primär-Wälder, Gebiete mit erhöhtem Schutzstatus oder Moorgebiete umgewandelt werden. Außerdem finanzieren wir keine Geschäfte, die nachweislich mit illegaler Abholzung oder dem unkontrollierten oder illegalen Einsatz von Feuer in Verbindung stehen. Wir haben Leitlinien für Unternehmen eingeführt, die eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion fördern sollen. Wir überprüfen regelmäßig, ob sich unsere Kunden an unsere Vorgaben halten. Wenn wir dabei auf Probleme stoßen, sprechen wir unsere Kunden darauf an.“

// christian russau

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Nach Siemens erklärt sich nun auch Vale gegen Bergbau in indigenen Territorien. Erfolg für Kritische Aktionärinnen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/nach-siemens-erklaert-sich-nun-auch-vale-gegen-bergbau-in-indigenen-territorien-erfolg-fuer-kritische-aktionaerinnen/ Sat, 02 May 2020 17:13:21 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2048 Es ist der zweite multinational agierende Großkonzern, der auf kritische Nachfrage von Menschenrechtsaktivist:innen und Kritischen Aktionär:innen erklärt, in indigenen Territorien in Brasilien keinen Bergbau zu betreiben bzw. solchen zu unterstützen.

Am Donnerstag, dem 30. April 2020, fand in Brasilien die alljährliche Hauptversammlung des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale statt, wegen des grassierenden Corona-Virus fand die Versammlung online statt. Dennoch haben, wie seit 2010 jedes Jahr, Menschenrechtsaktivist:innen des internationalen Netzwerks der von Vale Betroffenen (Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale – AIAAV) durch den Kauf einer Aktie das dortige Rede- und Stimmrecht erlangt, das sie nutzen, um den Konzernvorstand direkte Fragen zu stellen und die allfällige Kritik am Konzerngebaren direkt ins „Herz der Bestie“ zu tragen.

Eines der vielen heiklen Themen, das die Aktivist:innen ansprachen, betraf die Fragen der von der rechtsextremen Regierung Bolsonaro angestrebten wirtschaftlichen Öffnung der indigenen Territorien für Bergbau und welche Position Vale diesbezüglich einzunehmen gedenkt. Schließlich hält allein Vale hunderte an Schürf- und Förderanträgen und -lizenezen auf künftigen Bergbau in den eigentlich geschützten Gebieten.

Die Antwort des Firmendirektors von Vale, Luciano Siani, auf die Fragen des Rechtsanwalts Danilo Chammas, Menschenrechtsverteidiger Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale, der seit 2010 mit einer Aktie auf die Jahreshauptversammlung der Vale geht und dort den Konzernvorstand kritischen Fragen aussetzt, war diesmal aber unmißverständlich: „Wir haben nicht die geringste Absicht, Bergbau in indigenen Territorien zu betreiben.“ Doch was ist mit den hunderten Anträgen auf Förderlizenzen, die die Vale innehält allein für indigenen Territorien? „Wir werden diese Anträge zurückziehen“, so der Vale-Chef laut einem Medienbericht beim Internetportal Terra. Und auf der eigenen Webseite ließ Vale erklären, „dass es keine Mineralienforschung oder Bergbautätigkeiten irgendwelcher Art in indigenen Ländern in Brasilien durchführt, unabhängig davon, ob es sich um Bergbautitel oder Erwartungen des Gesetzes handelt, und dass es die geltende Gesetzgebung strikt einhält. Vale gibt auch an, dass in seinem Produktionsplan Mineralressourcen oder Mineralreserven in indigenen Ländern in Brasilien nicht berücksichtigt werden, und aus diesem Grund hat der neue Gesetzesentwurf keine Auswirkungen auf unser Geschäft.“ Mit dem neuen Gesetzesentwurf meint Vale das von der Bolsonaroregierung in den Kongress eingebrachte Gesetzesvorhaben Lei 191/2020 zur künftigen Ausbeutung indigener Territorien in Brasilien durch Bergbau. Das war, zum ersten Mal, ein klares „Nein“ von Vale nicht nur zu Bergbau in indigenen Territorien, nicht nur in Amazonien, sondern in ganz Brasilien. In der Tat ein Fortschritt, ein kleiner zwar, vergegenwärtigt man sich die ganze Palette an Umweltschäden und sozialen Konsequenzen des Megabergbaus, den eine Firma wie Vale in Brasilien und weltweit verursacht, aber immerhin ein Schritt, ein Schritt, der dazu beitragen könnte, indigene Territorien, die in Brasilien unter Bolsonaro mehr denn je unter Druck stehen, zu schützen.

Mit dieser nun öffentlichen Erklärung hat der zweite international agierende Großkonzern ein verbales „Nein“ zu künftigen Bergbauaktivitäten in indigenen Territorien in Brasilien abgegeben. Das erste verbale „Nein“ war als Twitter-Antwort von Siemens gekommen, das im August 2019 vom Dachverband der Kritischen Aktionär:innen und 21 weiteren deutschen Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief, der neben Siemens auch an Thyssenkrupp gerichtet worden war, in dem die Organisationen von Thyssenkrupp und Siemens forderten: „Erklären Sie öffentlich, dass Ihr Unternehmen keine Zulieferungen von Maschinen oder Dienstleistungen für den in Brasilien drohenden Bergbau in indigenen Territorien zur Verfügung stellen wird!“

Thyssenkrupp berief sich in ihrer Antwort reichlich nichtssagend auf allgemeine Bekenntnisse zu Menschenrechten: „Thyssenkrupp bekennt sich eindeutig zu Nachhaltigkeit und verantwortlichem Wirtschaften. Klima- und Umweltschutz sowie die Achtung der Menschenrechte sind integraler Bestandteil unserer Unternehmenswerte, wie wir in unserem Verhaltenskodex und durch unser Bekenntnis zum Global Compact der Vereinten Nationen dargestellt haben.“ Siemens, zuerst über den TwitterAccount der Siemens-Presseabteilung, dann auch in schriftlicher Antwort an die Initiator:innen des Briefs und dann auch dokumentiert anlässlich der diesbezüglichen Nachfrage des Business and Human Rights Center in Großbritannien, war da schon ein wenig deutlicher: „Wir haben aktuell & planen auch künftig keine Geschäftsaktivitäten in indigenen Gebieten, in denen die brasilianische Regierung plant, Bergbauaktivitäten zu erlauben. Die Achtung der Menschenrechte ist zentraler Grundsatz bei Siemens, weltweit.“

Diese klare Aussage von Siemens wurde daraufhin auch in Brasilien verbreitet, auch wenn es Beobachter:innen bei Siemens eher so aus sah, als wollten sie das nicht so an die große Glocke hängen, bei einem Bolsonaro weiß man ja nie, wie der mit Social-Media-Verbalinjurien so umgeht.

Nun hat aber nach Siemens auch Vale erklärt, keinen Bergbau in indigenen Territorien zu betreiben bzw. solchen zu unterstützen. Das heisst natürlich nicht, dass die Menschenrechtsaktivist:innen nun mit allem zufrieden sind, was diese Konzerne so treiben, ganz im Gegenteil. Genauso offensichtlich ist, dass es andere Konzerne und Firmen geben wird, die das üble Spiel eines Bolsonaro, indigene Territorien mit Bergbaugerät zu verwüsten, um Gewinn über Gewinn auf Kosten von Natur und Mensch aus den Böden rauszuholen, gerne mittreiben werden. Und das „Nein“ der beiden Firmen sagt ja auch nichts über diejenigen Gebiete aus, die noch im Prozeß des Kampfes um Anerkennung als indigene Territorien stehen – und dies sind in Brasilien viele. Es ist aber ein erster Schritt. Und vielleicht einer, der einem Bolsonaro die Wut ins Gesicht treiben wird. Es wäre ihm zu gönnen, in der Tat.

// christian russau

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„Kein Profit über das Leben!“ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/kein-profit-ueber-das-leben/ Tue, 28 Apr 2020 09:07:56 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2046 Versicherungsgesellschaften müssen dringend aufhören, Policen für Bergbauunternehmen zuzulassen, die systematische Verletzungen von Menschenrechten in ihren Einflussgebieten betreiben. Stellungnahme von Maíra Sertã Mansur von der Internationalen Koordinierung der vom Unternehmen Vale Betroffenen (Articulação Internacional – Atingidos e Atingidas pela Vale) anlässlich der Jahreshauptversammlung von Munich Re, Allianz, Hannover Re und Talanx in diesem Frühjahr 2020.

n Brasilien haben die Brüche der Tailing-Dams von Fundão der Firma Samarco (zu je 50% im Besitz von Vale und BHP Billiton) im Jahr 2015 sowie der Bruch des Tailing-Dams Barragem I der Firma Vale in Brumadinho im Januar 2019 die ganze Perversität der Firmen im Bergbausektor bloßgelegt.

Das Verbrechen von Samarco/Vale/BHP verursachte den Tod von 19 Menschen sowie den Verlust einer Schwangerschaft im dritten Monat. Zudem kam es durch den Bruch vom 5. November 2015 bei Mariana zu einer Umwelt- und sozialen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes, dies auf einer Länge von 586 Kilometern entlang des durch den Bruch verseuchten Flusses Rio Doce, in zwei brasilianischen Bundesstaaten, in Minas Gerais und in Espírito Santo.

In Brumadinho war es erneut die Firma Vale, die verantwortlich zeichnete für einen Bruch, einen, der 270 Menschen das Leben nahm, darunter zwei schwangeren Frauen. Und erneut gab es eine soziale und Umweltkatastrophe, auf hunderten von Kilometern.

Sowohl die Firmen Samarco (Vale/BHP Billiton) im Falle von Mariana als auch Vale im Falle Brumadinhos haben Versicherungen abgeschlossen. Die von den Fällen betroffenen Unternehmen haben eine Versicherung für ihren Betrieb abgeschlossen. Diese Versicherungen betrafen jedoch in erster Linie den Schutz des eigenen Vermögens und den Deckungsschutz vor Verlust von Gewinnen. Die Beträge, die für Umweltfragen und zivilrechtliche Haftung vorgesehen sind, sind minimal oder schlicht nicht vorhanden. So sind selbst bei großen Katastrophen wie der von Samarco und Vale die Unternehmen immer versichert, während die betroffenen Menschen und die Umwelt auf sich allein gestellt sind.

Obwohl es also Versicherungsschutz gab, hat Samarco nach fast fünf Jahren des Bruchs von Fundão viele der Betroffenen immer noch nicht anerkannt, ihnen nicht alle ihre Rechte zugesichert und auch nicht die Wiederherstellung des Rio Doce als wirtschaftlich und natürlich intakte Region geschafft. Vale im Falle des Bruchs von Brumadinho folgt dem gleichen Fahrplan, um den Betroffenen das Leben schwer zu machen und denjenigen, die betroffen sind, eine vollständige Wiedergutmachung möglichst zu erschweren.

So tragen die Versicherungsgesellschaften eine Mitverantwortung für die Verbrechen, indem sie Strukturen wie Erzaufbereitungsdämme versichern, ohne die sozialen und ökologischen Auswirkungen eines katastrophaen Bruchfalls wie der von Mariana und Brumadinho zu berücksichtigen. Es kann nicht sein, dass einzig der Aussage der Versicherungsnehmer (der Unternehmen Samarco, Vale, BHP Billiton) vertraut wird, aber der schon vor den Dammbrüchen lautstarke und fundierte Kritik und Warnung der Zivilgesellschaft vor den katastrophalen Bruchfolgen keine Beachtung geschenkt wird. Dämme brechen nicht ohne vorherige Anzeichen, und aus diesem Grund sind Samarco/Vale/BHP und Vale in Brumadinho für Verbrechen gegen Mensch und Umwelt verantwortlich. Sowohl bei Mariana als auch bei Brumadinho haben Untersuchungen gezeigt, dass den Unternehmen genügend Warnhinweise auf Brüche schon vorher bekannt waren. Im Falle Brumadinhos war es sogar eine deutsche Firma, TÜV SÜD aus München, dessen hundertprozentige Tochterfirma in Brasilien dem Damm von Brumadinho offensichtlich wider besseren Wissens Sicherheit attestierte, zwei Mal, wenige Monate bevor der Damm im Januar 2019 brach. Die Staatsanwaltschaften in Brasilien und Deutschland erheben deshalb Anklage gegen die Verantwortlichen.

Versicherungsgesellschaften müssen dringend aufhören, Policen für Bergbauunternehmen zuzulassen, die systematische Verletzungen von Menschenrechten in ihren Einflussgebieten betreiben. Deshalb fordern wir, dass der Profit nicht mehr über das Leben gestellt wird.

Übersetzung: Christian Russau (outro-mundo.org)

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Brasilien schließt 47 bruchgefährdete Rückhaltebecken https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brasilien-schliesst-47-bruchgefaehrdete-rueckhaltebecken/ Fri, 17 Apr 2020 10:18:20 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2039 [Beitragsphoto: Fluss Rio Doce nach Dammbruch von Mariana. Photo: christian russau]

Brasilien hat per Verfügung 47 Rückhaltebecken von Bergbaubetrieben mit sofortiger Wirkung geschlossen. Diese sogenannten Tailings hatten den Stichtag 31. März dieses Jahres zur Einreichung die Sicherheit und Stabilität der Dämme garantierender Audits nicht eingehalten.

31 der Dämme konnten die hinreichenden Belege zur Dammsicherheit nicht vollständig beibringen, bei 16 Dämmen waren gar keine Unterlagen eingereicht worden. Laut der Gewerkschaft IndustriAll befinden sich unter den nun geschlossenen 47 Dämmen über die Hälfte im Besitz des brasilianischen Bergbaugiganten Vale.

Bei keinem der 47 Dämme darf von nun an mehr Material abgelagert werden, die Betreiber und Inhaber der 16 Dämme, die keine Unterlagen eingereicht hatten, müssen nun zudem mit einer behördlichen Strafzahlung rechnen. 37 der bruchgefährdeten Dämme befinden sich im Bundesstaat Minas Gerais.

Minas Gerais war 2015 und 2019 Schauplatz der zwei größten Bergwerksbrüche aller Zeiten: Mariana und Brumadinho.

Am 5. November 2015 brach bei der Kleinstadt Mariana das Rückhaltebecken Fundao, in der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton). Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht – Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von KleinfischerInnen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.

Am 25. Januar 2019 brach in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao. 370 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlammtsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot.

// christian russau

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Ein Jahr nach dem Bruch: Von Anzeigen, Klagen und dem Warten auf Gerechtigkeit https://www.gegenstroemung.org/web/blog/ein-jahr-nach-dem-bruch-von-anzeigen-klagen-und-dem-warten-auf-gerechtigkeit/ Wed, 22 Jan 2020 10:35:15 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2003 55 Prozent der deutschen Eisenerzimporte kommen aus Brasilien. Was das für Mensch und Umwelt vor Ort in den Bergbaugebieten bedeutet, zeigt sich exemplarisch in der Kleinstadt Brumadinho, Minas Gerais. Warum wir dringend ein Lieferkettengesetz brauchen.

Kurz vor dem ersten Jahrestag des Dammbruchs von Brumadinho mit 270 Toten hat die Landesstaatsanwaltschaft von Minas Gerais strafrechtliche Anklage erhoben gegen die 16 Verantwortlichen bei den Firmen Vale und TÜV Süd Bureau de Projetos e Consultoria Ltda. Den Beschuldigten wirft die Staatsanwaltschaft Mord in 270 Fällen vor.

259 haben sie gefunden. 259 von 270. 259 sterbliche Überreste der durch den Dammbruch von Brumadinho Getöteten. Oder Ermordeten. Denn – so sagen viele der Angehörigen und so sprechen die vor Ort aktiven Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen – der Dammbruch von Brumadinho war ein Verbrechen. „Vale spricht von einem ‚Unfall‘, sagt die Aktivistin Carolina de Moura aus Brumadinho. „Wir müssen es aber als das bezeichnen, was es war: ein Verbrechen. Der Konzern wusste, dass der Damm brechen könnte und hat wissentlich nachlässig gehandelt.“

Zwei Mal wurde der Damm von Brumadinho im Jahr 2018, wenige Monate vor dem Bruch, auf Stabilität und Bruchsicherheit geprüft. Im Juni und September 2018. Geprüft von Ingenieuren des deutschen TÜV SÜD, aus dem beschaulichen München, dort, wo man weit weg sitzt von den alltäglichen Gefährdungen, denen die direkten Anwohner*innen der Eisenerzgruben im Bundesstaat Minas Gerais ausgesetzt sind. Brasilien ist weit weg. Die Verantwortung auch. Aber die Gewinne aus dem Bergbaugeschäft ließen sich immer schnell und problemlos über Grenzen und Ozeane digital transferieren. Und hinterher, nach dem Bruch und im Angesicht der 270 Toten – getötet oder ermordet – , will sich kaum jemand der direkt oder indirekt daran Beteiligten erinnern, wie das damals war, als die Gewinne sprudelten, da die Gewinnspannen doch so verlockend waren.

Es war in den 1970er Jahren, als die deutsche Thyssen Eigentümerin des brasilianischen Bergbaukonzerns Ferteco Mineração war. Ferteco gehörte die Mine von Brumadinho, Córrego do Feijão, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte. Die Mine Córrego do Feijão samt Rückhaltebecken wurde 1956 von der Companhia de Mineração Ferro e Carvão in Betrieb genommen, 1973 wurde sie in die Thyssen-Tochterfirma Ferteco Mineração integriert. Den nun gebrochenen Damm der Mine Córrego do Feijão gebaut hat im Jahr 1976 die damalige Thyssentochter Ferteco Mineração.

Erzbergbau produziert Abraum. Eine Menge Abraum, der auf Halden gelagert wird. Da der Abraum aber aus Konstengründen noch mit Wasser durchtränkt abgelagert wird, was deutlich kostengünstiger ist, als das Abraummaterial zu behandeln und getrocknet zu lagern, lässt sich der Abraum nicht stapeln. Es muss ein Damm rundherum errichtet werden. Dies haben 1976 die Thyssen-Ingenieur*innen auch so geplant. Errichtet wurde ein sogenannter Upstream-Tailing-Damm. Ein mehrere Meter dicker Damm wird errichtet, durchzogen von einem Netz aus Drainagen. Die sind wichtig, damit das Wasser im dahinter abgelagerten Abraum auch nach unten entweichen kann, im Lauf der Jahre und immer nach stärkeren Regenfälle, die oft in Brasiliens Südosten im Sommer der Südhalbkugel vorkommen. Der flüssige Abraum hinter dem Damm vermehrt sich Jahr für Jahr, je länger die Mine ausgebeutet wird, und – der Theorie nach – sollte der Abraum im Laufe der Jahre austrocknen. Durch Vaporisation nach oben, und durch die Drainagen nach unten. Dann, nach einigen Jahren, wenn der Abraum fast die Dammkrone erreicht und ausgetrocknet sein sollte, dann wird auf die Dammkrone und auf den nahe der Krone befindlichen Teil des mittlerweile ausgetrockneten Abraums eine neue Dammkrone draufgesetzt. Das haben sie bei Thyssen getan, wie geplant. Bis zu zehn Mal können so diese Upstream-Dämme suksessive erhöht werden. Ein auf sich selbst aufbauendes Ungetüm in der Landschaft, höher als ein Hochhaus.

Und diese Struktur bei Córrego do Feijão ist gebrochen, am 25. Januar 2019. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter*innen saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot. Nun dringt der Klärschlamm weiter fort in die Lebensader des trockenen brasilianischen Nordostens, in den Rio São Francisco, so dass mittelfristig die Wasserversorgung von Millionen Menschen in Gefahr gerät.

Der im Januar vor einem Jahr gebrochene Damm bei Brumadinho galt zuvor als ein Damm der Risikoklasse 6, nach brasilianischer Einstufung also ein Damm, der unter besonderer Beobachtung stand und an dem daher alle vom Bergwerksbetreiber vorgesehenen Ausbauarbeiten jeweils dem dreistufigen behördlichem Genehmigungsverfahren unterliegen müssten. Also Einholen der vorläufigen Baugenehmigung, nach deren Bewilligung dann die Baugenehmigung, indem wieder neue Prüfungen und Sicherheitstest hätten durchgeführt werden müssen, bevor dann erst – nach erneuter Sicherheitsprüfung – die endgültige, erneuerte Betriebsgenehmigung erteilt worden wäre. Die Betreiberfirma Vale wollte die Mine und somit auch die Rückfangbecken für die Erzschlammreste bis 2032 um 88 Prozent ausbauen. Auf der entscheidenden Sitzung der zuständigen Umweltbehörde des Landes Minas Gerais, im Dezember 2018, wurde aber behördlich, gleichsam mit einem Kugelschreiberstrich, wie Beobachter*innen der Sitzung monierten, die Risikoklasse des Damms von 6 auf 4 reduziert – damit entfiel das vorgeschriebene dreistufige Genehmigungsverfahren. Alles wurde im Sinne der Firmen vereinfacht – und einen Monat später ist der Damm gebrochen. Die Gerichte untersuchen derzeit, ob da kriminelle Energie am Walten war. Es sieht sehr stark danach aus.

Rückblende ins Jahr 2019, 1. Februar 2019. Jahreshauptversammlung von Thyssenkrupp. Eine Woche nach dem Dammbruch von Brumadinho. „Wir erwarten von Thyssenkrupp eine umfassende Kooperation bei der Klärung der Ursachen für den Dammbruch. Es muss geprüft werden, ob das Unternehmen bei Bau und Wartung damals sauber gearbeitet hat“, sagte Tilman Massa vom Dachverband der Kritischen Aktionär*innen auf der Aktionärsversammlung von Thyssenkrupp in Bochum. Dort hat der Dachverband der Kritischen Aktionär*innen zusammen mit der Menschenrechtsorganisation Urgewald Kritik an Auslandsgeschäften des Konzerns geübt, diesmal unter anderem auch wegen des Dammbruchs von Brumadinho. Ein Damm, der nun gebrochen ist, und der vor über 40 Jahren von Thyssen-Ingenieur*innen gebaut wurde. Ob ThyssenKrupp heute noch Unterlagen über den Bau des Dammes, damals, vor nahezu 50 Jahren habe? „Nein!“, so die lapidare Antwort der Herren und Damen der Vorstandsriege des größten deutschen Stahlkochers. Im übrigen sei die Mine ja bereits im Jahr 2000 an die brasilianische Vale verkauft worden, man habe damit nichts zu tun. Nicht so gerne wurden die Herren und Damen von ThyssenKrupp daran erinnert, dass Vale einer der größten Erzlieferanten von ThyssenKrupp ist, denn dann müsste man ja auch über Mitverantwortung in der Lieferkette reden, und vielleicht gar feststellen, dass es mit den menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette nicht so gut aussieht, wie es die Hochglanzbroschüren der Konzerne selbst darlegen.

Das gleiche gilt im übrigen auch für die Versicherer und Rückversicherer. Die Allianz führt laut Meldungen ein Konsortium an, das den brasilianische Bergbaukonzern Vale gegen Haftpflichtschäden rückversichert. Der Münchner Versicherer ist deshalb an den Schäden bei Brumadinho beteiligt. Über die Höhe der Haftpflichtversicherung gibt es widersprüchliche Angaben. Schätzungen am Versicherungsmarkt oszilieren zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Dollar. Zusätzlich hat Vale eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Dieses Modell hatte auch Samarco, deren Dammbruch 2015 einen mehrere Milliarden teuren Schaden bei Dritten und bei der Umwelt verursachte, einen Schaden, der zum weitaus größten Teil bis heute weder beglichen, noch entschädigt wurde, aber Samarco selbst für entgangene Gewinne selbst bis zu zwei Milliarden Reais (umgerechnet rund 500 Millionen Euro) ausgezahlt bekommen sollte, namentlich unter anderem von Allianz, Münchener Rück und Hannover Rück. Die Antwort der Versicherer damals, über die Art der Versicherungspolice, darüber entscheide jedenfalls der Kunde. Die Sachpolice für den nun gebrochenen Damm bei Brumadinho soll Chubb führen.

In der Kritik steht auch die Deutsche Bank. Denn die hat, wie die Kritischen Aktionäre bereits im vorvergangenen Jahr gemeinsam mit MAB, Misereor und Facing Finance auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank in Frankfurt monierten, der brasilianischen Vale zwischen 2010 und 2017 insgesamt Kredite in Höhe von 701 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Joceli Andrioli von der brasilianische Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB), erklärte bereits damals: „Für uns ist es unfassbar verantwortungslos, dass die Deutsche Bank zwei Jahre nach dem Dammbruch von Mariana noch neue Kredite ohne Entschädigungsauflagen an den Mitbetreiber Vale vergeben hat.“ Und Misereor-Bergbauexpertin Susanne Friess erklärte: „Die Deutsche Bank ignoriert seit Jahren unsere Warnungen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen im Rohstoffsektor.“

Auch beim TÜV SÜD hält man sich zugeknöpft. Ignorieren, scheint immer eine gute Devise zu sein für Konzerne, wenn sie öffentlich in die Kritik geraten. Der Damm wurde zwei Mal vom TÜV SÜD inspiziert und beide Mal für sicher befunden. Offiziell. Nur tauchten später diese Emails auf, in denen die Ingenieur*innen ihre Zweifel äußerten und vor einem möglichen Bruch warnten. Der dann am 25. Januar 2019 auch geschah. Diese Bedenken wurden – laut Aussage der TÜV SÜD Mitarbeiter*innen – vom Tisch gewischt, auf massiven Druck von Vale hin, so die TÜV SÜD-Angestellten. Vale-Mitarbeiter hätten gesagt, wenn TÜV Süd die Stabilität nicht attestieren würde, so stünden andere Firmen bereit, den Prüfauftrag zu übernehmen. Zwei Firmen aber, so wurde später bekannt, weigerten sich, die Stabilität des Dammes zu garantieren. TÜV SÜD trat nicht vom Auftrag zurück.

INFOKASTEN zu den Skandalen des TÜV SÜD
Leider reihen sich bei TÜV Süd die Skandale: 2008 deckte die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation International Rivers auf, dass beim Bau des chinesischen Staudamm Xiaoxi 7.500 Menschen vertrieben wurden und dass der Zertifizierer für die Nachhaltigkeit des Projektes, eben die deutsche TÜV Süd, zuvor attestiert hatte, die umgesiedelten Menschen hätten durch das Projekt keine sozialen Nachteile erlitten. Die Recherchen der NGO vor Ort aber ergaben, dass es vor Ort „gewaltsame Vertreibungen gab, keine Wiederherstellung der Einkommenssituation, willkürliche Entschädigungshöhen, einen Mangel an Rechtsberatung für diejenigen, die Verluste erlitten, und kein unabhängige Umweltfolgenstudienerstellung“.
Bei einem anderen von TÜV SÜD als sozial verträglich eingestuften Staudamm – ebenfalls in China – wollte ein unabhängiger schwedischer Radioreporter wissen, wie TÜV SÜD beim Staudamm Tongwan an die Interviews mit den Betroffenen rangekommen ist, die alle ausgesagt hatten, das Projekt sei gut, und die Entschädigungen angemessen. Denn dem Reporter selbst war es nicht gelungen, bei seinen Recherchen vor Ort selbst mit den Menschen zu reden. Dann kam raus: Der TÜV Süd-Mitarbeiter wurde bei seiner Feldstudie vor Ort von Polizeikräften zu den Menschen begleitet. Wenn Menschen durch anwesende Polizisten eingeschüchtert werden, erklärt dies, warum alle sagten, sie seien rundum zufrieden.
Im Rahmen des Kyoto Clean Development Mechanism (CDM) können Firmen in Projekte in sogenannten Entwicklungsländern investieren, wenn diese Treibhausgase nachweislich einsparen helfen und erhalten dafür im Gegenzug CO2-Gutschriften, die sie weiter handeln könnten. Allein im Jahr 2010 ging es dabei um einen 33 Milliarden US-Dollar-Markt und TÜV Süd war damals an einem Fünftel aller CDM-Zertifizierungen beteiligt. Aber: TÜV Süd musste für mehrere Monate von diesem UN-Mechanismus für CDM-Zertifizierungen ausgeschlossen werden. Denn: TÜV Süd habe offenbar Projekte genehmigt, deren Wirksamkeit nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte und auch an der Qualifikation und Berufserfahrung von TÜV-Mitarbeiter/innen gab es Zweifel. Nach sechs Monaten legte der TÜV Süd neue Arbeitsweisen und überarbeitete Strukturen und auch neue Belege über die Qualifikationen der Mitarbeiter/innen vor, sodass TÜV Süd wieder als Zertifizierer bei dem UN-Gremium zugelassen wurde. D.h. im Umkehrschluss aber auch: zuvor waren die Standards des TÜV SÜD unzureichend für diesen UN-Mechanismus.
Beim Wasserkraftwerk Taijiang Yanzhai in China erledigte TÜV SÜD erst eine Machbarkeitsstudie, ob sich das Projekt denn als klimaschonendes Projekt eignen würde – um dann nach der Bejahung sich gleich das Projekt der Zertifizierung selbst zu schnappen. Dabei hatte der TÜV SÜD dann aber übersehen, dass es bei dem Staudammbau zu Vertreibung der Anwohner kam, was nach den Kriterien der Weltstaudammkommission eigentlich verboten ist. Das Projekt hätte also nie die CDM-Freigabe erhalten dürfen.

Die Verantwortung für den Bruch alleine Vale zuzuschieben, überzeugt die Rechtsanwältin Claudia Müller-Hoff vom in Berlin ansässigen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nicht: Der TÜV Süd habe „die Stabilität des Dammes garantiert“, sagt sie. Und da liege der Kern des Problems für TÜV SÜD. „Die direkte Verbindung nach Deutschland in diesem Fall besteht darin, dass es einen direkt verantwortlichen Ingenieur gab, der den gesamten Prozess von hier aus überwachte. Dieser Herr ist laut mehreren Zeugenaussagen mehrmals nach Brasilien geflogen, um die Arbeit der Tochterfirma zu kontrollieren. Und wir wissen, dass die Ingenieure vor Ort den Damm nur mit seiner Zustimmung für sicher erklären konnten. Letztlich attestierten sie dem Damm Stabilität. Daher gehen wir davon aus, dass der deutsche Ingenieur sein Okay dafür gegeben hat.“

Dies ist wohl einer der Gründe, warum der TÜV SÜD derzeit so wortkarg agiert. Wenn ein Firmensprecher sich äußert, dann meist unisono nur so: Man kommentiere den Fall nicht, da dieser mittlerweile ein juristisches Nachspiel habe, oder besser: mehrere juristische Nachspiele.

In Brasilien gibt es wegen des Dammbruchs von Brumadinho zum einen kollektive Zivilrechtsklagen, die auf Entschädigungen abzielen und die unter Ägide der Staatsanwaltschaften geführt werden. Diese werden gemeinhin über zu erzielende Einigungen gelöst. So gab es im Juli 2019 vor dem sechsten Bezirksgericht in Belo Horizonte von Minas Gerais eine Einigung, die Vale als Eigentümerin und Betreiberin der Mine für den Dammbruch verantwortlich macht. Ein technisches Fachgremium soll die Entschädigungen innerhalb von vier Jahren festlegen. Opfer beklagen, dass dies viel zu lange dauert.

Zum Zweiten gibt es mehrere Individualklagen im Bereich des Zivilrechts. Ein Urteil stellte jüngst jüngst fest, dass Vale verantwortlich für den Tod eines ungeborenen Babys ist. Das Urteil legte auch die Werte fest für Entschädigungen im Falle durch den Bruch getöteter Menschen. Diese Werte liegen bislang deutlich über den Entschädigungen, die Vale zu zahlen bereit ist. Zum Dritten gibt es in Brasilien im Bereich der Arbeitsjustiz eine Kollektivklage. Dort wurde bereits eine Entscheidung gefällt. Diese sieht spezifische Entschädigungszahlungen für direkte Verwandte der Opfer vor, gilt allerdings nur für die Arbeiter*innen von Vale. Das Urteil sieht spezifische Entschädigungszahlungen je nach familiärem Grad vor.

Im Bereich des Strafrechts wurde kurz vor dem Jahrestag des Dammbruchs die Anklage gegen die 16 Firmenmitarbeiter*innen und -verantwortlichen erhoben. Dies sowohl gegen Einzelpersonen (Ingenieure und verantwortliche Manager von Vale und vom deutschen Zertifizierungsunternehmen TÜV SÜD) als auch gegen die Firma Vale und die Firma TÜV Süd Bureau de Projetos e Consultoria Ltda.

In Deutschland haben fünf Familien von Betroffenen gemeinsam mit dem European Center for Constitutional Rights (ECCHR) aus Berlin und dem bischöflichen Hilfswerk Misereor aus Aachen Strafanzeige gegen einen Mitarbeiter bei TÜV SÜD eingereicht. Bislang gibt es aber im Strafbereich noch kein formal eröffnetes Strafverfahren. Dies zu tun liegt nun in der Hand der Staatsanwaltschaft München, die erklärte, dass sie Vorermittlungen aufgenommen habe. Ein Strafverfahren in Deutschland sieht per se keinerlei Entschädigungszahlungen vor. Es ginge hier um die strafrechtliche Verantwortung, was bei einer Verurteilung der verantwortlichen Person zu einer Strafzahlung oder Haft führen könnte.

Sollte TÜV SÜD in einem weiteren Verfahren hierzulande, diesmal im Rahmen des Ordnungswidrigkeitsgesetz, schuldig gesprochen werden, so wären dort Strafzahlungen bis zu maximal zehn Millionen Euro möglich. Deutschland plant seit Jahren für solche Fälle ein Unternehmensstrafrecht einzuführen, was bislang noch nicht geschehen ist.

Ob die Straf- und Zivilprozesse in Brasilien und Deutschland zu Verurteilungen und Strafzahlungen führen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Klar ist aber, dass deutsche Konzerne in der Mitverantwortung stehen, aus welchen Minen sie Rohstoffe beziehen und wie der Abbau dieser Rohstoffe vor Ort aussieht und ob alle menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten eingehalten werden. Dies ist oftmals nicht der Fall. Daher fordern eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland dringend ein Lieferkettengesetz. Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften. Skrupellose Geschäftspraktiken dürfen sich nicht länger lohnen. Weder im Eisenerzbergbau, noch beim Kobaltabbau, noch auf den Soja- und Zuckerplantagen, noch anderswo. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Kein hinreichender, aber immerhin ein Schritt.

// Christian Russau

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Brumadinho-Dammbruch: Verformungen am Damm elf Tage vor Bruch festgestellt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brumadinho-dammbruch-verformungen-am-damm-elf-tage-vor-bruch-festgestellt/ https://www.gegenstroemung.org/web/blog/brumadinho-dammbruch-verformungen-am-damm-elf-tage-vor-bruch-festgestellt/#comments Sun, 07 Jul 2019 11:48:01 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=1934 Diese Woche hat im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais die Parlamentarische Untersuchungskommission ihre Anhörungen und Untersuchungen zum Dammbruch von Brumadinho vom 25. Januar dieses Jahres fortgesetzt. Der Dammbruch von Brumadinho hatte neuesten Erkenntnissen zufolge mindestens 246 Tote zur Folge, weitere vierundzwanzig Menschen werden immer noch vermisst.

Auf den Anhörungen der parlamentarischen Untersuchungskommission erregte vor allem eine Zeugenaussage große Aufmerksamkeit. Ein für die radargestützte Beobachtung des später gebrochenen Brumadinho-Damms (siehe Brumadinho-Dammbruch) Mitarbeiter von Vale erklärte gegenüber dem Untersuchungsausschuss, seine Geräte hätten bei der Überwachung des Dammes des Bergbauunternehmens Vale elf Tage vor dem Bruch eine fortschreitende Verformung des Staudamms festgestellt, – elf Tage bevor der Damm am 25. Januar brach.
Der Architekt Tércio Andrade Costa, ein Mitarbeiter von Vale, der für den Betrieb interferometrischer Radars zuständig ist, präsentierte Daten, die seine Gerätschaften elf Tage vor dem Bruch feststellten. Seine Geräte registrierten demnach eine Verformung der Dammstruktur auf einer Fläche von ca. 14,8 Tausend Quadratmetern. „Die letzte Lesung, die ich gemacht habe, war am 14. Januar. Bis dahin waren die vom Radar identifizierten Bereiche mit Verformung etwa 200 oder 400 Quadratmeter groß. Im Januar dann identifizierte die Anlage eine Fläche von 14.800 Quadratmetern. Fast 1,5 Hektar“, sagte Tércio Andrade Costa laut Medienberichten. Ihm zufolge wurden alle Informationen an die zuständigen Vorgesetzten weitergegeben. Der zuständige Einsatzleiter aber, Silmar Silva, wurde von der parlamentarischen Kommission ebenfalls zu den Messungen befragt. „Ich hatte nie Kenntnis von den Veränderungen, die vom Radar erfasst wurden. Ich habe erst nach der Unterbrechung von diesen Diskussionen erfahren, die Tércio aufgedeckt hat. Aber ich kann auch nicht sagen, was die Relevanz[dieser Verformungen] war oder ob sie zum Bruch beigetragen haben“, sagte er.
Laut Tércio Andrade Costa begannen die Messungen am Brumadinho-Staudamm im März 2018. Der Bereich von 14,8 Tausend Metern, in dem die Verformung zuletzt erkannt wurde, wurde während des gesamten Überwachungszeitraums analysiert. Als die letzten Daten erhoben wurde, so Andrade Costa, sei eine fortschreitende Verfomung zu erkennen gewesen. „Wenn dies geschieht, bedeutet dies, dass sich der Bereich in kurzer Zeit schneller zu verformen begann. Wir nennen das progressive Verformung“, erklärt Andrade Costa den Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Andrade Costa erläuterte zudem, dass diese interferometrischen Radare seit 2013 in Brasilien zum Einsatz kämen. Offizielle Firmenvertreter von Vale erläuterten der Untersuchungskommission, dass das interferometrische Radar ein ergänzendes Instrument sei, das in Verbindung mit den anderen Überwachungswerkzeugen zur Überprüfung möglicher Anomalien eingesetzt werde. Das Bergbauunternehmen erklärte aber auch, dass die Ausrüstung nur im Testmodus für einen zukünftigen Gebrauch während des Prozesses der Decharakterisierung der Struktur betrieben wurde. „Die Ansage war, dass die von den Monitoring-Tools aufgezeigten Ergebnisse später von der Inspektion des geotechnischen Teams vor Ort analysiert wurden, um die in den Instrumenten beobachteten Anomalien zu bestätigen oder nicht“, so die Vale-Vertreter.
Die Schuld- und Haftungsfragen verkomplizieren sich in dem Brumadinho-Fall somit weiter. Denn der brasilianische Bergbaukonzern und Eigner des gebrochenen Tailing-Damms von Brumadinho, Vale, weist auf die schuldrechtliche Verantwortung des deutschen TÜV SÜD hin. Denn der TÜV Süd aus München, namentlich die brasilianische Tochterfirma TÜV Süd do Brasil, hatte im Auftrag von Vale und – so erklärt TÜV Süd auf der Homepage – „auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben (DNPM 70.389/2017) eine Periodic Review of Dams (Dokument vom 18. Juni 2018) und eine Regular Inspection of Dams Safety (Dokument vom 26. September 2018) durchgeführt.“ Die beiden zuständigen TÜV-Süd-Mitarbeiter, die zwischenzeitlich wie mehrere Vale-Mitarbeiter in Untersuchungshaft wegen des Dammbruchs saßen, hatten Unregelmässigkeiten bei dem Damm entdeckt, und laut ihren Aussagen vor den Gerichten sprachen sie sich zunächst gegen die Sicherheitsfreigabe des Damms aus, haben dies aber später dennoch getan. Die beiden TÜV-Süd-Mitarbeiter sagen aber auch, sie seien von Vale-Mitarbeitern dazu explizit gedrängt worden. Vale ihrerseits bestreitet dies und weist die Schuldfrage dem TÜV Süd zu. Vor wenigen Tagen wurde zudem bekannt, dass es am Morgen des Dammbruchs gezielte Sprengungen auf dem Minengelände von Vale gegeben habe, was Vale zunächst dementierte, dann aber beim Auftauchen von Fotos von Warnhinweisen, dass es am Vormittag des 25. januar Sprengungen auf dem Gelände geben werde, einräumte, aber gleichzeitig keinen Zusammenhang zum Dammbruch sehen wollte. Die Schuldfrage bleibt weiter offen.

Susanne Fries, Bergbau-Expertin des Bischöflichen Hilfswerk Misereor, kritisiert den TÜV Süd scharf: „Es deutet derzeit alles darauf hin, dass der TÜV Süd Brasilien aus Profitgier seine professionelle Rigorosität vernachlässigt und so Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat.“

Die Gerichte untersuchen die Schuldfrage weiter, im Mai hatte eine brasilianisches Gericht dem TÜV Süd bis auf weiteres sämtliche Dammzertifizierungen bei Tailing-Dämmen untersagt, und 13 Millionen Firmenvermögens des TÜV Süd in Brasilien vorläufig konfisziert.

Der TÜV Süd seinerseits hat nach Untersuchung der Arbeitsweisen seiner hundertprozentigen Tochterfirma in Brasilien vorsorglich dringend vor möglichen Brüchen weiterer vom TÜV Süd in der Vergangenheit zertifizierten Dämmen gewarnt. Doch während die brasilianische Vale wegen der möglichen Schadensersatzforderungen für den Dammbruch von Brumadinho 4,2 Milliarden Euro zurückgestellt hat, fehlt seitens TÜV Süd eine öffentliche Aussage zu einer Rückstellung in vergleichbarer Höhe bislang.

// christian russau

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