Siemens wegen Staudammprojekten in Kolumbien und Kanada in der Kritik

Ein Bündnis aus mehreren Nichtregierungsorganisationen hat sich auch dieses Jahr wieder mit dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zusammengeschlossen, um auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung von Siemens am 30. Januar 2019 in München gegen die Beteiligung der 35% Siemens-Tochter Voith-Hydro an Staudammprojekten zu protestieren. Um dem Konzern schon vorab die Möglichkeit zu geben, diesmal endlich umfassendere und konkretere Antworten auf die vorgebrachte Kritik als in den vergangenen Jahren zu geben, haben die AktivistInnen wieder einen Gegenantrag eingereicht, der Siemens vorab zugeschickt wurde, um Siemens davon in Kenntnis zu setzen und damit Siemens den Gegenantrag auf der firmeneigenen Webseite veröffentliche.

Die in dem Gegenantrag vor allem vom Öku-Büro München und der Initiative GegenStrömung vorgebrachte Kritik an Siemens‘ Staudammgeschäften bezieht sich dieses Mal schwerpunktmässig auf Menschenrechtsverletzungen durch Staudammprojekte in Kolumbien und Kanada.

Siemens lieferte Transformatoren, eine Schaltanlage sowie weitere elektrische Ausrüstung für die umstrittenen Wasserkraftwerke Hidrosogamoso und Hidroituango in Kolumbien. Beide Projekte wurden in Regionen geplant und umgesetzt, die sehr stark vom bewaffneten Konflikt betroffen sind. Trotz der Proteste von Angehörigen und Menschenrechtsorganisationen wurden in beiden Fällen Massengräber überschwemmt. In Fällen von Morden und gewaltsamen Verschwindenlassen können die sterblichen Überreste, nach denen Familien bis heute suchen, nicht mehr gefunden werden. Mordean und Drohungen gegen Staudammkritiker*innen sind seit Jahren bekannt, so der Gegenantrag. So wurden allein 2018 drei Mitglieder der Organisation Ríos Vivos, die sich kritisch mit Hidroituango auseinandersetzt, und drei ihrer Familienangehörigen ermordet.

Im Fall von Hidroituango war von Beginn an offensichtlich, dass die Lizenzen ohne Rücksicht auf Naturschutzgebiete und ohne Beachtung des Rechtes indigener Gemeinden auf vorherige, freie und informierte Konsultation und teils erst nachträglich erteilt wurden. Im vergangenen Jahr kam es durch verstopfte Tunnel zu Erdrutschen und Überflutungen. Hunderte Familien verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Bis heute ist unklar, wie die Opfer der Katastrophe entschädigt werden. Viele Familien sind noch immer in einer provisorischen Notunterkunft oder privat untergebracht.

Im Fall Hidrosogamoso haben auch zahlreiche regulär umgesiedelte Menschen keine angemessene Entschädigung erhalten, ihnen wurden keinerlei Alternativen für ihre verlorenen Lebensgrundlagen angeboten. Durch die ökologischen Folgen beider Projekte sind Fischfang, Landwirtschaft und Tourismus stark beeinträchtigt.

Aber auch in Kanada steht Siemens bei Staudammprojekten in der Kritik. So würden indigene Rechte in Kanada missachtet, und zwar ebenfalls über das Siemens Joint-Venture mit Voith, Voith-Hydro. Denn dieses beteiligt sich auch am Bau des umstrittenen Staudamms Site C am Peace River in British Columbia, Kanada (GegenStrömung berichtete hier und hier und hier). Voith Hydro soll die Turbinen und die elektromechanische Ausstattung des Kraftwerks liefern. Durch den Bau werden die seit 1899 im Treaty 8 garantierten Landrechte der indigenen Bevölkerung missachtet, weshalb eine indigene Vereinigung mit juristischen Mitteln gegen das Projekt vorgeht. Roland Willson, Chief der West Moberley First Nations erklärte, dass Site C einem „kulturellen Genozid“ gleichkomme. Dieser Sichtweise haben im Dezember vergangenen Jahres auch die Vereinten Nationen Recht gegeben: der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung verlangte von Kanada, das Projekt zu unterbrechen, um gemeinsam mit den Betroffenen Alternativen für das 10,7 Milliarden teure Projekt zu erarbeiten.Ne ben den Landrechten von Indigenen würden durch den Staudamm über 2.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche verloren gehen. Durch die nötig werdenden Lebensmittelimporte würde British Colombia mit Site C laut dem kanadische Wissenschaftler David Suzuki sogar mehr Kohlendioxid ausstoßen, als ohne.

Seit 2013 protestieren NGOs wie das Öku-Büro und GegenStrömung auf Siemens-Hauptversammlung gemeinsam mit dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre gegen die Beteiligung der Siemens-Tochter Voith-Hydro, an Staudammprojekten. Schwerpunkt der Kritik waren jahrelang die beiden Staudämme Belo Monte in Brasilien und Agua Zarca in Honduras. Belo Monte ist – mit allen katastrophalen Folgen – derzeit so gut wie fertiggestellt, und die Turbinenlieferung an Agua Zarca hat Voith-Hydro mittlerweile eingestellt: Diese Einstellung des Vertrages und Nicht-Auslieferung der Turbinen erfolgte aber nach Ansicht der NGOs viel zu spät. Nämlich erst, nachdem die bekannte Widerstandskämpferin gegen Agua Zarca, die indigene Aktivistin und Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres, erschossen wurde, – und zwar von Killern im Auftrag von mutmaßlichen Mitarbeitern der honduranischen Staudammfirma DESA, die für den Bau von Agua Zarca verantwortlich war. Im laufenden Prozess gegen die Killer und einen Teil der Hintermänner des Mordes hat die Staatsanwaltschaft vor wenigen Tagen die Strafmaßforderung verkündet, aber der Verteidigung stehen noch mehrere Rechtswege offen.

// christianrussau