Staudämme am Rio Madeira reduzieren Fischbestände deutlich
Neue Universitätsstudie bestätigt Rückgang der Fischbestände um 40 Prozent
Das, wovor die Gegner*innen der Staudammbauten am Rio Madeira seit Jahren gewarnt haben, ist nun eingetreten und wissenschaftlich bestätigt worden. Der Bau der zwei Staudämme am Rio Madeira, Jirau und Santo Antonio, hat zu einem Rückgang der Fischbestände um 40 Prozent geführt. Dies geht aus einer neuen wissenschaftlichen Studie der Universidade Federal do Amazonas hervor, aus der brasilianische Medien berichten. Laut Rogério Fonseca von der Universidade Federal do Amazonas und Ko-Autor des in Umweltzeitschrift Revista Ambio zusammengefassten Studie habe der durch die Staudammbauten veränderte Wasserfluss und die durch die Wehrfunktion der Dämme behinderte Fischdurchgängigkeit zu einem massiven Rückgang der Fischpupulationen und mithin der Erträge der Fischerinnen und Fischer geführt. Allein im Munizip Humaitá beliefen sich die Ertragsverluste auf 342 Millionen Reais, umgerechnet derzeit 65 Millionen Euro. In einigen Fällen berichteten die Fischerinnen und Fischer, dass sich ihr Fangergebnis von 200 bis 300 Kilo auf rund 50 Kilo reduziert habe. Der Pressebericht gibt keine Erklärung über den Zeitrahmen dieser Fanggrößen an. Hinzu käme aber, so Rogério Fonseca, dass etliche der Fischerinnen und Fischer, die nun ihren Lebensunterhalt nicht mehr wie zuvor bestreiten könnten, sich illegalen Tätigkeiten, wie Holzfällen, Goldschürferei oder Landtitelbetrug zugewandt hätten, um ihr finanzielles Überleben zu sichern.
Jirau und Santo Antonio sind in den Medien zwei alte Bekannte. Jirau und Santo Antonio wurden 2011 berühmt-berüchtigt durch die Arbeiter*innenproteste
 von zigtausenden Arbeiter*innen, die sich gegen die schlechte 
Bezahlung, schlechte Unterbringung und Verpflegung zur Wehr setzten. 
Jahre später schlug vor allem der Arbeitsstreik und die Revolte juristische Kapriolen
 zwischen Brasilien und Großbritannien, weil die Versicherer und 
Baufirmen sich um die Frage stritten, wer die Kosten für die 
Arbeiter*innenrevolte zu tragen habe und welcher Gerichtsort für die 
Klärung dieser Fragen zuständig sei: Die eigentlich zuständigen Gerichte
 in Brasilien oder der in den Beschaffungsverträgen (illegal, da gegen 
die Brasilianische Verfassung verstoßend) niedergeschriebenen 
Gerichtsort London des privaten Schiedsgerichtes Arias. Auch hier, nur 
en passant, zur Erinnerung die Namen der beiden großen 
Versicherungsunternehmen aus Deutschland, die sich für die Staudämme am 
Rio Madeira an den Versicherungsdienstleistungen beteiligten und stets 
betonten, es handele sich dabei um „grüne“ Energie und die 
Umweltverträglichkeitsprüfungen würden genau studiert, es bestehe keine 
Gefahr für die Umwelt, und schon gar nicht für die Fischpopulationen: Am
 Versicherungspool von Santo Antonio beteiligte sich die Münchener Rück,
 und am Pool von Jirau die Allianz.
Zur Frage der durch Staudammbauten in Amazonien bedrohten Fischarten und den Rückgang der Fischerträge der unzähligen Kleinfischerinnen und -fischer gab es auch beim Bau des weltweit drittgrößten Staudamms, Belo Monte (auch hier wieder damals mit dabei: u.a. Allianz und Münchener Rück), viel Ärger, Streit und Ungereimtheiten. Nicht nur stellte sich nach Inbetriebnahme der ersten Turbinen heraus, dass die Turbinen große Bestände der Fische regelrecht zerhacken. Schon vorher gab es Probleme: „Wir lebten vom Fischfang, nun ist da nichts mehr“, berichteten die Flussanwohnerinnen und -anwohner bereits 2011, da sich im Fluss wegen der Bauarbeiten für den Kofferdamm die Fischbestände bereits verringerten. Im gleichen Jahr hatte ein Bundesgericht die Bauarbeiten wegen der Bedrohung der Zierfischerei vor Ort zwischenzeitig gestoppt. Der Fisch im Xingu ist nicht nur Nahrungsquelle für die lokalen Flussanwohnerinnen und -anwohner, das Fangen und der Export von Zierfischen nach Übersee schaffen Arbeit und Einkommen für Hunderte von Familien vor Ort und sicherte deren Überleben. Im Jahr 2012 hatten 800 Fischerinnen und -innen dann die Baustelle von Belo Monte mehrtägig besetzt, um auf den starken Rückgang der Fischbestände hinzuweisen.
All dies hatte die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) , die im 
Auftrag der Bauherrin erstellt wurde, so nicht vorausgesehen. Die 
bedrohten Schildkrötenarten fanden Eingang in die UVP, medienwirksam 
wurden Schildkröteneier umgesetzt, aber Fernsehkameras zeichneten auch 
das unsachgemäße Verbringen der Eier auf, in ungeschützten Kübeln 
gestapelt. Die UVP sah einige lokale Fischpopulationen temporär durch 
die Bauarbeiten beeinträchtigt, aber nicht vom Aussterben bedroht. Dabei
 hatte selbst die Umweltbehörde Ibama in einer Stellungnahme im November
 2009 sich darüber beschwert, dass politischer Druck ausgeübt werde und 
dass unklar bliebe, was mit dem Fischbestand geschehen wird auf den 100 
Kilometern Flusslauf des Xingu, die zu 80 Prozent trocken gelegt werden 
durch den Staudammbau. Nur: diese Stellungnahme wurde damals leider als 
nicht öffentlich einsehbar deklariert.
2015 meldete sich eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und 
Wissenschaftlern, die die Fischpopulationen von 400 Spezies des 
Xingu-Flusses untersucht haben. Die Forscherinnen und Forscher der 
Bundesuniversität von Pará vermeldeten dabei, zumindest einer der 
bislang als endemisch nur in der Großen Flussschleife des Xingu 
geltenden Fische, pacu-capivara (Ossubtus xinguensis), sei durch Belo 
Monte nun doch nicht vom Aussterben bedroht. Pacu-capivara, ein kleiner 
Fisch, sei auch flussaufwärts in von Belo Monte unbeeinträchtigten 
Populationen gesichtet worden. Also keine Gefahr? Nur stellte sich 
heraus, dass die Bundesumweltbehörde Ibama bereits 2010 diesen Fisch 
explizit als durch den Staudammbau bedroht eingestuft hatte. Wer hatte 
denn nun recht? Der seit Jahrzehnten in Amazonien lebende und forschende
 Wissenschaftler Philip Fearnside wies explizit auf die Bedrohung der 
Fische hin. Denn der Staudammbau behindere massiv die 
Migrationsbewegungen der Fische – und die lokalen Auswirkungen in der 
Großen Flussschleife, die bei dann nur noch 20-Prozent-Wasserfluss nicht
 mehr dem lokalen Habitat der Fische entspräche, trügen auch ihren Teil 
zur Auslöschung der Populationen bei. Es reicht nicht zu sagen, es gab 
vor dem Staudammbau ober- wie unterhalb des Staudamms Fischpopulationen,
 denn es bedarf immer einer Mindestgröße einer Fischpopulation zum 
Überleben, genauso wie es eben bei Wanderfischen die 
Fischdurchgängigkeit braucht.
Hinzu kommen grundsätzlich Bedrohungen bei Veränderungen von Fließ- zu Staugewässern mit vermindertem Sauerstoffgehalt in tieferen Wasserschichten. Ähnliche Schlussfolgerungen hatte im Jahr 2009 ein 40-köpfiges Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Universitäten über Belo Monte gezogen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisierten die unvollständigen und mit heißer Nadel gestrickten Umweltstudien scharf, wiesen auf die Widersprüche der Studien hin und mahnten, dass die sozialen Folgen und Konsequenzen für die Umwelt durch das Staudammprojekt Belo Monte schwerwiegend sein würden. Laut ihrer Analyse sind durch Belo Monte schätzungsweise 100 Fischarten bedroht. Bislang sind 26 Fischarten bekannt, die nur am Xingu vorkommen. Würden alle im Amazonasgebiet geplanten Dämme gebaut werden, so die Wissenschaftlerinnen bereits im Jahre 2009, würde dies sogar die Vernichtung von bis zu 1.000 Fischarten bedeuten.
Über das tatsächliche Ausmaß des Artenverlustes gibt es 
allerdings bis heute kaum verlässliche Angaben, denn die Artenvielfalt 
vor Ort ist immer noch viel zu wenig erforscht, um abschätzen zu können,
 welche Verluste durch Großprojekte verursacht werden. Die offizielle 
Liste der in Brasilien bedrohten Fischarten zählt 133 auf, unabhängige 
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprachen einer Studie aus dem 
Jahr 2015 zufolge von 819 bedrohten Fischarten in Brasilien. Viele 
Studien, ebenso viele Meinungen. Wer hat denn nun recht? Schwer zu 
sagen. Ohne großangelegte, systematische Studien ist das nicht 
herauszufinden.
Die Journalistinnen und Journalisten des investigativen Portals A
 Pública wiesen ebenfalls bereits 2015 auf einen weiteren, eher 
unbeachteten Punkt hin: Die Umweltfolgenstudien zu Sozialem, zu Flora 
und Fauna bei Staudammbauten werden im Auftrag der Baufirmen von den 
Consultings erstellt, was schon hinreichend Anlass zu Kritik gibt. Aber 
mehr noch: Die Consultings partizipieren mitunter hinterher auch an den 
von ihnen zuvor geprüften Projekten. So hat Engevix Engenharia für den 
Staudamm Belo Monte die UVP erstellt – und Engevix Construções (von der 
gleichen Gruppe) hat hinterher zusammen mit Toyo Setal die 
elektromechanische Ingenieursdienstleistung für Belo Monte in Höhe von 
umgerechnet rund 300 Millionen Euro übernommen: siehe hierzu „Die unerträgliche Leichtigkeit der Umweltverträglichkeitsprüfungen„. Ein Schelm, wer Böses…
Auch das Beispiel des am Tapajós bis Mitte 2016 von der Regierung in 
Planung stark vorangetriebenen, dann aber im August 2016 wegen 
Ungereimtheiten bei der Umweltverträglichkeite gestoppten 
Staudammprojekts São Luiz do Tapajós verdeutlicht die Problemlage der 
durch Staudammbauten ausbleibenden oder gar aussterbenden 
Fischpopulationen und was das für die Fischerinnen und Fischer bedeutet:
 Obwohl sich die Verfasserinnen und Verfasser der UVP zum 
Staudammprojekt São Luiz do Tapajós und deren Kritikerinnen und Kritiker
 einig sind, dass diese Staudämme Auswirkungen und Folgen haben, 
scheiden sich die Geister an der Frage, wie massiv und folgenschwer 
diese zu bewerten sind. So ist es unbestritten, dass der Bau des São 
Luiz do Tapajós-Staudamms einen Verlust von Biodiversität vor Ort 
zeitigen würde. Die UVP selbst erfasste unter anderem 1.378 
Pflanzenarten, 600 Vogelarten, 352 Fischarten, 109 Amphibienarten, 95 
Säugetierarten sowie 75 Schlangenarten. Wo aber die UVP beispielsweise 
von Beeinträchtigungen der Schildkröten, Flussdelfin- und 
Fischpopulationen spricht, die aber durch entsprechende Maßnahmen 
abgemildert werden könnten, werfen Kritiker wie die Autorinnen und 
Autoren der 2016 veröffentlichten Greenpeace-Studie der UVP vor, die 
Daten nicht angemessen bewertet zu haben, da diese Populationen durch 
den Staudammbau gar in ihrem (oftmals endemisch, also einzigartigen nur 
dort vorkommenden) Bestand als Population bedroht sind.
Und diese
 Fragen ziehen dann weitere Konsequenzen – auch für Fragen des bedrohten
 Rechts auf Nahrung und Ernährungssouveränität der betroffenen 
Bevölkerung – nach sich, wie eben das Beispiel der Fischpopulationen 
anschaulich klarmacht.
Für die Umweltverträglichkeitsprüfung zum 
Staudamm São Luiz do Tapajós wurde eine Erhebung der wirtschaftlichen 
Aktivitäten der im betroffenen Einzugsgebiet des Staudamms lebenden 
Flussanwohnerinnen und -anwohner vorgenommen. Demnach lebt die Mehrzahl 
der Betroffenen in Subsistenz, als Acker- und Kleinviehwirtschaft 
betreibende Kleinbäuerinnen und -bauern, deren hauptsächliche 
wirtschaftliche Aktivität in der Herstellung von Maniokmehl aus selbst 
angepflanzten Maniokwurzeln sowie aus Fischfang besteht. Dies liegt 
daran, dass der von ihnen produzierte Überschuss an Maniokmehl und aus 
dem Fischfang an die lokal arbeitenden, aber dort nicht heimischen 
Goldschürfer verkauft wird. So kommt es, dass eigentlich in Subsistenz 
lebende Kleinbäuerinnen und -bauern in Erhebungen auch als dem 
Dienstleistungssektor zugezählt werden, obwohl dies nur einen 
Randbereich ihrer beruflichen Aktivität darstellt, die eben vorwiegend 
von Subsistenzwirtschaft geprägt ist.
55% der im Einzugsgebiet 
des São Luiz do Tapajós-Staudamms am Fluss lebenden Menschen 
praktizieren Fischfang, für 31% von diesen ist dies ihre hauptsächliche 
wirtschaftliche Aktivität, so die UVP der Staudammplaner 
(Eletrobras/CNEC/Worley Parsons: RIMA. Relatório de Impacto Ambiental 
AHE Sao Luiz do Tapajós, Juli 2014, S. 67.). Dabei überwiegt die Nutzung
 des Fisches als Subsistenz, nur ein geringer Teil wird in den 
Kleinstädten Jacareacanga (80 t/Jahr) und Itaituba (400 t/Jahr) auf den 
wenigen vorhandenen Fischmärkten umgeschlagen (Ronaldo Barthem, Efrem 
Ferreira und Michael Goulding: As migrações do jaraqui e do tambaqui no 
rio Tapajós e suas relações com as usinas hidrelétricas, in: Ocekadi: 
Hidrelétricas, Conflitos Socioambientais e Resistência na Bacia do 
Tapajós / Daniela Fernandes Alarcon, Brent Millikan und Mauricio Torres 
[Hrsg.], Brasília 2016, S.483.). Von den in der 
Umweltverträglichkeitsprüfung der Staudammplaner festgestellten 352 im 
Umfeld des geplanten São Luiz do Tapajós-Staudamm heimischen Fischarten 
(ältere Studien zum Tapajós zählten hingegen 494 Fischarten, siehe 
Ricardo Scoles: Caracterização ambiental da bacia do Tapajós, in: 
Ocekadi: Hidrelétricas, Conflitos Socioambientais e Resistência na Bacia
 do Tapajós / Daniela Fernandes Alarcon, Brent Millikan und Mauricio 
Torres [Hrsg.], Brasília 2016, S.35.) sind zwar nur 42% Wanderfische 
(siehe Eletrobras/CNEC/Worley Parsons: RIMA. Relatório de Impacto 
Ambiental AHE Sao Luiz do Tapajós, Juli 2014, S. 60.), aber die auf den 
Märkten von Jacareacanga und Itaituba feilgebotenen, lokal gefangenen 
Fische setzen sich Erhebungen zufolge wegen ihres massenhaften 
Vorkommens im Fluss zu 50 bis 90% aus saisonalen Wanderfischen zusammen,
 die zum Laichen andere Habitate aufsuchen (siehe Ronaldo Barthem, Efrem
 Ferreira und Michael Goulding: As migrações do jaraqui e do tambaqui no
 rio Tapajós e suas relações com as usinas hidrelétricas, in: Ocekadi: 
Hidrelétricas, Conflitos Socioambientais e Resistência na Bacia do 
Tapajós / Daniela Fernandes Alarcon, Brent Millikan und Mauricio Torres 
[Hrsg.], Brasília 2016, S.479.). Wissenschaftlerinnen und 
Wissenschaftler verschiedener Studien warnen ausdrücklich, dass der Zug 
dieser Wanderfische durch den Staudammbau abgeschnitten werde und dies 
so das Aussterben der Populationen in den durch Staudammbau von einander
 isolierten Gebieten zufolge haben könnte (siehe Ronaldo Barthem, Efrem 
Ferreira und Michael Goulding: As migrações do jaraqui e do tambaqui no 
rio Tapajós e suas relações com as usinas hidrelétricas, in: Ocekadi: 
Hidrelétricas, Conflitos Socioambientais e Resistência na Bacia do 
Tapajós / Daniela Fernandes Alarcon, Brent Millikan und Mauricio Torres 
[Hrsg.], Brasília 2016, S.490.). 
Dies verdeutlicht, worum es letztlich geht: Um das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität.