Wachstum bei Kleinwasserkraftwerken prognostiziert, aber potentiell ökologische Schäden dennoch existent

Dem Weltmarkt für sogenannte Kleinwasserkraftanlagen wird ein Wachstum vorausgesagt. 2019 lag der Weltmarkt für Kleinwasserkraftwerke von 1- 10 MW bei 2,6 Milliarden US-Dollar, bis 2024 solle dieses Segment auf 3 Milliarden US-Dollar steigen. Dies berichtet das Portal MarketsandMarkets. Der Bericht sieht als Ursachen dafür steigendes Interesse an Elektifizierung ländlicher Regionen sowie die Rolle der Politik, die vermehrt finanzielle Anreize für solche Kleinwasserkraftanlagen in ländlichen Regionen schaffe. Vor allem China sei derzeit schon führend in diesem Marktsegment für ländliche Elektrifizierung. Auch das zunehmende Interesse von Investoren und Finanzanlegern an „grüner“ Energie werde als einer der Treiber angesehen, so das Portal MarketsandMarkets, und verweist dabei auf die USA und Norwegen. Aber die für den Markt von 1-10 MW-Kleinanlagen führende Region sei die Asien-Pazifikregion, so das Portal in dem Bericht, vor allem China, Vietnam und Indien seien hier zu nennen. Der Bericht zitiert als führende Turbinenhersteller in diesem Segment unter anderem die Firmen Voith-Hydro, Andritz, GE Renewable Energy und Toshiba.
Der Bericht bei MarketsandMarkets gibt natürlich nur die ökonomischen Marktentwicklungen wider, was kritischen Beobachter:innen aber fehlt, ist die Gretchenfragen: „Wie hätst du es mit der Umwelt?
„Small is beautiful“ – oder doch nicht? Kleinst- und Kleinwasserkraftwerke gelten gemeinhin als sozial- und umweltbezogen bessere, da sanftere Alternativen. Als Argumente werden dafür oft ins Feld geführt, es seien für Kleinst- und Kleinwasserkraftwerke keine großen Stauseen vonnöten, durch die Menschen zu Tausenden von ihrem Land vertrieben würden, auch die Biodiversität würde in weitaus geringerem Maße Schaden nehmen, da die Kleinst- und Kleinwasserkraftwerke keine großflächigen Bauarbeiten und Überflutungen erforderten. Stimmt das? Eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 über den Fall von Kleinwasserkraftwerken an den Zuflüssen des brasilianischen Pantanal sollte nachdenklich stimmen.
Eines der größten Binnenland-Feuchtgebiete der Erde, das brasilianische Pantanal, ist durch den Bau von Kleinwasserkraftwerken an den Zuläufen bedroht. Dies geht aus der damaligen Studie von Wissenschaftler:innen des Instituto Nacional de Ciência e Tecnologia em Áreas Úmidas (INCT-INAU) im Bundesstaat Mato Grosso hervor, wie GegenStrömung bereits im Februar 2017 berichtete. Die Studie hatte zum Ziel herauszufinden, welche Folgen eine deutliche Erhöhung der Zahl der Kleinwasserkraftwerke hätte an den Zuflüssen zu dem artenreichen, unter Naturschutz stehenden und seit 2000 zum Welterbe durch die UNESCO anerkannten Feuchtbiotop Pantanal von damals 41 durch 96 weitere Kleinwasserkraftwerke. Die Folgen, so die Wissenschaftler:innen auf Basis ihrer dreijährigen Untersuchung damals, seien vor allem die Unterbrechung der nährstoffreichen Sedimentfracht unterhalb der Stauwerke, die Änderung des Flusslaufs und die Zunahme der Wassertrübung sowie die Beeinträchtigung der Fischmigration auf dem Weg zu den Laichgründen. „Wenn all diese 96 Vorhaben zusätzlich zu den bereits bestehenden 41 Kleinwasserkraftwerken in die Tat umgesetzt werden, gehen unsere Schätzungen davon aus, dass 30 Prozent der Fischmigrationsrouten verloren gehen“, so Professor Ibraim Fantin von der Bundesuniversität Universidade Federal de Mato Grosso (UFMT), der für die Studie „Auswirkungen von Wasserkraftwerken auf die Flüsse des Pantanal“ (“Impactos das Hidrelétricas nos rios do Pantanal”) damals zuständig war.
Fantin warnte zudem vor der Verkennung der auch von Kleinwasserkraftwerken ausgehenden Gefahr für das Gleichgewicht der Natur und die Biodiversität. Denn die bis zu 30 Megawatt großen Kleinwasserkraftwerke werden oft in Reihe in den Flüssen gebaut, ohne dass deren kumulativen Effekte in Betracht gezogen würden. Die brasilianische Gesetzgebung biete eben diesen Kleinwasserkraftwerke, wenn ihre Stauseen kleiner als 13 Quadratkilometer seien, die Möglichkeit der Befreiung von den eigentlich vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfungen an, die in Brasilien EIA-Rima heißen. Im Bundesstaat Mato Grosso, wo Zuflüsse des Pantanalgebiets fließen, obliege die Entscheidung, ob bei einem Kleinwasserkraftwerk eine Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt durchgeführt werden müsse, bei den Umweltbehörden des Bundesstaats. Diese analysierten in der Regel aber nur die jeweils lokal begrenzten Auswirkungen des jeweiligen Kleinwasserkraftwerkes. Zusammentreffende und gegebenenfalls kumulierend wirkende Effekte würden nicht in Betracht gezogen, ebensowenig wie Folgen wie flussabwärts oder -aufwärts Beachtung finden würden in den Entscheidungen zum Bau von Kleinwasserkraftwerken, so die Forscher. „Dies sind die Faktoren, die uns in Bezug auf die Zukunft des Pantanal extrem besorgt sein lassen, zumal wir noch immer nicht genau wissen, was passieren wird, wenn all diese 96 Vorhaben umgesetzt werden“, so Ibraim Fantin damals.
Auch ein Beispiel im Süden Indiens machte diese Problematik des vermeintlich „small is beautiful“ deutlich (GegenStrömung berichtete): In Südindien, im Staat Karnataka, fließt der Fluss Gundia, ein Zufluss des Netravathi-Flusses. Wegen seiner geologischen Lage scheint es Staudammbefürworter:innn ausgemacht, dass dies der ideale Ort für Wasserkraftwerke sei. Vor allem für sogenannte kleine Wasserkraftwerke. Dezentral und klein, dies sei doch umweltverträglich, so die Maxime, da es dort zu deutlich weniger sozialen und Umweltfolgenproblemen als bei Großstaudämmen käme. Aber stimmt das? Eine Feldstudie, die die Region zwischen den Jahren 1999 und 2013 untersuchte und sich dabei die Folgen von vier sogenannten Kleinwasserkraftprojekte vor Ort anschaute und deren Folgen analysierte, kam zu anderen Schlüssen. Was das mit wütenden Elephanten, sterbenden Fischen und ausgedorrten Äckern dank „Small is beautiful“ zu tun hat, wird hier erläutert.
In qualitativen Interviews mit den Bewohner:innen haben die Forscher:innen zunächst festgestellt, dass es zwischen 1999 und 2004 – vor dem Bau der kleinen Wasserkraftwerke – insgesamt 248 Zwischenfälle zwischen Elefanten und Anwohner:innen gab. Die Elephanten zerstörten die Felder, drangen in Siedlungen ein und brachten Menschen in Gefahr. Nach dem Bau der vier kleinen Wasserkraftwerke in den Jahren 2005 bis 2013 stieg diese Zahl der Konflikte auf 2.030 an, eine Verachtfachung.
Die Ursache: durch die Fragmentierung des Wanderungsbiet der Elephanten mittels den Kleinwasserkraftwerken dienenden Leitungen, Kanälen, Straßen und infolge dessen auch Waldrodungen sowie durch Reduzierung der Wassermengen in den ursprünglichen Flussläufen und damit einhergehender vertrocknender Vegetation wie dem für die Nahrung der Elephanten unerlässlichem Bambus entlang der Flussläufe waren die Elephanten mehr und mehr in ihrem Lebensumfeld und in ihrer Ernährung eingeschränkt, so dass sie vermehrt auf die Felder und in die Dörfer der Menschen auf Suche nach Nahrung eindrangen. Hinzu kam es durch die sinkenden Wasserpegel der ursprünglichen Flussläufe zu zurückgehenden Fischpopulationen: Die Fische schwammen wie gewohnt saisonal zum Laichen flussaufwärts, strandeten aber wegen des geringeren Wasserstands auf Sandbänken, wo sie verendeten, was den lokalen Kleinfischer:innen das Überleben schwerer machte, gar in etlichen Fälle ihre Ernährungssouveränität in Gefahr brachte. Und die verringerte Wassermenge reichte nach der Abzweigung für die Kleinwasserkraftwerke nicht mehr für die Bewässerung durch das traditionelle Kanal- und Leitungssystem für die lokale kleinbäuerliche Bewässerungslandwirtschaft. Dabei erwies sich zudem, dass jedes Kleinwasserkraftwerk lokale Folgen zeitigte, aber vor allem die Fülle der oft in Reihe geschalteten Kleinwasserkraftwerke dann über die lokale Ebene hinaus regional für die Menschen und die Umwelt gravierendere Folgen hatte, als zuvor angenommen. Möglich macht dies vor allem die Tatsache, dass Kleinwasserkraftwerke (nicht nur in Indien, in Brasilien besipielsweise auch) als harmlos gelten, mit geringen Impakten für Mensch und Umwelt, da sie eben „klein“ seien, und dass dies eben die Begründung dafür ist, dass diese Kleinwasserkraftwerke keine Umweltverträglichkeitsprüfung und von daher keiner Umweltprüfung durch Behörden benötigen. Sie können einfach gebaut werden. „Small is beautiful“, macht es alles einfach – und bedenkt dabei wieder einmal nicht die potentiellen Folgen.
Besagte Studie in Südindien wurde von der Umweltwissenschaftlerin Suman Jumani 2018 fortgesetzt und die Ergebnisse waren mehr als ernüchternd (GegenStrömung berichtete). Vor allem vor dem Hintergrund, dass „in Indien bereits mehr als 1.000 Kleinwasserkraftwerke errichtet wurden und weitere 6.474 potentielle Baustellen für weitere Kleinwasserkraftwerke identifiziert wurden“, erklärte Jumani den dem Portal Firstpost.
Kleinwasserkraftprojekte würden meist als umweltfreundliche Alternativen zu größeren Staudämmen gefördert und als „harmlos“ wegen ihrer geringen Größe propagiert. Die Auswirkungen von Kleinwasserkraftprojekten wären jedoch bislang nur unzureichend untersucht, insbesondere in tropischen Entwicklungsländern, wo ihr Wachstum überproportional gefördert werd, so Jumani. Die Wissenschaftlerin untersuchte die Auswirkungen von zwei Kleinwasserkraftwerken auf Süßwasserfischgemeinschaften im Biodiversitäts-Hotspot von Western Ghats in Indien. Zwei gestaute und ein ungedämmter Nebenfluss des Netravathi-Flusses mit ähnlicher Stromordnung, Höhenlage und umgebenden Landnutzungstypen wurden als Test- bzw. Kontrollorte identifiziert. Die Wissenschaftlerin stellte fest, dass die Kleinwasserkraftprojekte Strömungsänderungen hervorriefen, die die Breite und Tiefe des Stroms nachhaltig beeinflussten. Als weitere Folge nahm die Menge an Sedimenten ab, die Wassertemperatur nahm zu und der im Wasser vorhandene Sauerstoff ging deutlich zurück. Dadurch variierte die Zusammensetzung der Fischarten. An den Staubecken der Kleinwasserkraftanlagen fand sich geringerer Fischartenreichtum, die Biodiversität ging messbar zurück. Analysen der im Fluss vorhandenen Biodiversität zeigte, dass der Fischartenreichtum in gestauten Strömen mit der Entfernung vom Staudamm in der stromaufwärts gelegenen Richtung zunahm. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Kleinwasserkraftwerke besonders in der Trockenzeit gravierende Auswirkungen auf die Stromgeometrie, Wasserchemie und aquatische Lebensgemeinschaften haben.
Die Wissenschaftlerin Jumani riet schon damals angesichts des geplanten dramatischen Ausbaus von Kleinwasserkraftwerken vor allem in Indien daher dringend zu grundlegenden Verfahrensänderungen bei den Genehmigungsverfahren für Kleinwasserkraftwerke, um die Vielfalt der Flussfische zu erhalten. Dazu gehören obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie weitere umfangreiche Umweltsicherungsmaßnahmen, die zur Vermeidung der massiven Negativfolgen der vermeintlich harmloseren Kleinwasserkraftwerke beitragen könnten.
Grundsätzlich gilt aber: Es gibt keine international gültige Definition eines „Kleinwasserkraftwerks“. Was als Kleinwasserkraftwerk zählt, variiert von Fall zu Fall. Laut der International Commission on Large Dams sind alle Staumauern ab 15 Metern Höhe vom Fundament bis zur Krone oder von 5 bis 15 Metern mit einem Reservoir von mehr als drei Millionen Kubikmetern Großstaudämme. In vielen Ländern wird dagegen eine Megawattzahl zur Klassifizierung herangezogen: In der Regel werden demnach Kraftwerke bis zehn MW Nominalkapazität als Kleinwasserkraftwerke angesehen, von zehn bis 30 MW gelten sie als mittelgroße Kraftwerke. Länder mit besonders hohem Wasserkraftpotenzial wie Brasilien, China und Indien betrachten hingegen alle Kraftwerke bis 30 MW als „klein“, wie dem „Handbuch Kleinwasserkraftwerke des Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK / Bundesamt für Energie BFE: Handbuch Kleinwasserkraftwerke. Informationen für Planung, Bau und Betrieb, Ausgabe 2011“ entnommen werden kann. Auch bei Small Hydro ist also Vorsicht geboten: sie ist weder per se umweltfreundlich noch menschenrechtskonform, es bedarf immer einer sehr genauen Prüfung.
// christian russau