Foto oben: Flussverseuchung durch Tailing-Dammbruch bei Mariana, hier in der Terra Indígena Krenak im Bundesstaat MInas Gerais. Foto: christian russau 2016
Viele der bruchanfälligeren Upstream-Tailings im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais werden erst 2035 zurückgebaut sein, obwohl nach dem Dammbruch von Brumadinho gesetzlich beschlossen worden war, den Rückbau dieser Tailing-Damm-Art bis 2022 zu bewerkstelligen.
Von Christian Russau
Es waren zwei der schwersten Umweltkatastrophen menschlichen Ursprungs, die sich am 5. November 2015 bei Mariana und am 25. Januar 2019 bei Brumadinho ereigneten: die jeweiligen Dämme der Tailig-Rückhaltebecken brachen und ein Schlammtsunami aus Bergwerkschürfresten begrub bergab alles, was sich der Wand aus Schlamm entgegenstellte. Bei Mariana starben 19 Menschen, bei Brumadinho 272 Menschen.
Beide Dämme waren mit der sogenannten Upstream-Methode gebaut worden: Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim Upstream-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste entsprechend ausgetrocknet sind. Upstream-Dämme sind deutlich billiger als Center- oder Downstream-Dämme, deswegen sind sie bei den Bergbaufirmen so beliebt. Sie brechen aber auch viel häufiger.
Groß war der Aufschrei nach dem Bruch des Dammes des Rückhaltebeckens der Vale-Eisenerzmine der Mine Córrego do Feijão in der Nähe des Dorfes Brumadinho im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais am 25. Januar 2019. So groß, dass selbst industrie-nahe, erzneoliberale Politiker*innen öffentlich erklärten, dass nun nach den zwei Brüchen von Mariana und Brumadinho die bruchanfälligsten unter den Dammkonstruktionen für Tailings (also Rückhaltebecken für meist verflüssigte Bergbauabfälle) die sogenannten „Upstream“-Dämme künftig nicht mehr zugelassen werden und, mehr noch, die bestehenden bis 2021 zu deaktivieren und zurückzubauen seien. Diese Entscheidung, die unter medialem Druck, aber gleichwohl geschickt öffentlichkeitswirksam von der erzneoliberalen Bolsonaro-Regierung in Form ihres damaligen Umweltministers Salles kurz nach dem Brumadinho-Bruch verkündet worden war, wurde bereits wenige Monate später, im August 2019, gekippt. Die Regierung lockerte die Rückbauverpflichtung für Rückhaltebeckendämme bei noch aktiven Minen auf August 2023. Bereits damals schon war offensichtlich: Ist die mediale Aufmerksamkeit gesunken, einige Zeit verstrichen, dann obsiegt wieder das industriefreundliche Interesse über den Schutz von Natur und Mensch. Und dies zeigt sich auf Bundes- wie auf Landesebene.
In neun brasilianischen Bundesstaaten gibt es Medienberichten zufolge noch Dämme bei Bergbaurückhaltenbecken, die mit der Upstream-Methode gebaut wurden. Die meisten davon: und zwar 62 Prozent der in Brasilien noch aktiven Upstream-Dämme befinden sich in einem Bundesstaat, in Minas Gerais. Und nur 21 der 54 bestehenden Uptream-Dämme in Minas Gerais sind stillgelegt worden. Zwei der 33 Dämme, der Serra-Azul-Damm in Itatiaiuçu und der Forquilha-III-Damm in Ouro Preto, die beide noch in Betrieb sind, werden dabei in die höchste Risikostufe 3 eingestuft. Das Bauwerk Forquilha III, das sich im Besitz von Vale in Ouro Preto befindet, wird erst 2035 außer Betrieb genommen werden. Dies war die längste Frist, die in den Abkommen zwischen der Firma und der Staatsanwaltschaft (in einem sogenannten TAC-Vertrag) festgelegt wurden. Dabei hatte der Bundesstaat Minas Gerais eigentlich im Gesetz „Mar de Lama Nunca Mais“ (in etwa: Ein Meer von Schlamm Nie Wieder-Gesetz) im Jahr 2019 nach dem Dammbruch von Brumadinho festgelegt, dass es eine Maximalfrist für die Stilllegung der bruchanfälligeren Upstream-Dämme von drei Jahren geben solle, d. h. diese würde 2022 ablaufen und bis dahon hätten auch im Bundesstaat Minas Gerais all diese Upstream-Dämme zurückgebaut worden sein. Hätte.
Neuesten Medienberichten zufolge wurde unlängst auf einer öffentlichen Anhörung in der Gesetzgebenden Versammlung von Minas Gerais (ALMG), die von der Kommission für Umwelt und nachhaltige Entwicklung am 5. Mai organisiert wurde, festgestellt, dass Minas Gerais mindestens 13 Jahre länger als erwartet brauchen wird, um die Upstream-Dämme zu demissionieren, sprich: gefahrlos zurückzubauen. Dies wäre also das 2035 statt wie eigentlch gesetzlich festgeschrieben 2022.
Wir baten zu der Frage des Rückbaus und des grundsätzlichen Ausphasierens dieser bruchanfälligeren Upstream-Dämme unlängst den großen Versicherer Allianz um Stellungnahme (wie Jahre zuvor auch schon bei der Münchener Rück, zählte Allianz doch zu dem (Rück-)Versicherer-Pool bei Mariana und Brumadinho. Doch Allianz verweigerte aus Vertraulichkeitsgründen einerseits jeden Kommentar bezüglicher konkreter Vertragsbeziehungen, andererseits erklärte die Allianz auf unsere Frage nach Ausphasierung: Grundsätzlich ermutigten die Risikoingenieure von Allianz ihre kommerziellen Kunden, von Upstream-Baumethoden Abstand zu nehmen.