Von Dämmen und Weizenfarmer*innen, von Lachsen und verhungernden Orcas

Kontroverse über die acht Columbia- und Snake-River-Staudämme spitzt sich zu.

Von Christian Russau

Im Flusseinzugsgebiet der drei US-amerikanischen Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho prallen die unterschiedlichen Interessen von Umweltschützer*innen auf der einen Seite und Weizenfarmer*innen und Transportschifferei auf der anderen Seite aufeinander. Während in Seattle und Portland Umweltschützer*innen Demonstrationen für den Schutz der Orcas demonstrieren, mobilisieren in Idaho die Weizenfarmer und Transportschiffer*innen die Politik für ihre Interessen. Der Stein des Anstoßes: die insgesamt acht Energie produzierenden Staudämme am unteren Columbia-River und an dem Zufluss des Columbia-Rivers, dem Unteren Snake Fluss. Denn die seit 1975 bestehenden Dämme produzieren zwar nur fünf Prozent des Stroms der im Großraum liegenden Städte, dienen aber gleichzeitig wegen der Schleusen an den Dämmen der Verschiffung des Weizens aus der agrarwirtschaftlich geprägten Region Idahos. Die Dämme bilden Reservoirs, aus denen die Farmer*innen regelmässig Wasser entnehmen, um damit ihre Landwirtschaft zu bewässern. Doch die Dämme behindern die natürliche Wanderung der dort angestammten Chinook-Lachse. Beherbergten der Columbia- und der Snake-River dereinst die mit 16 Millionen Lachsen größte Population, sind es heute nur noch 1,1 Millionen Fische.

Das hat Folgen für das Ökosystem. Zwar gelangen durch neu angepasste Turbinen mehr Fische als früher flussabwärts, so belegen aber neuere Studien, dass die Fische dennoch nahezu bei jedem Turbinengang mindestens einen Schlag erhalten. Dennoch überleben mittlerweile die meisten Lachse den Weg durch die Turbinen abwärts, aber flussaufwärts sieht das anders aus. Denn die Barrieren der Dämme sind zu hoch, auch Fischtreppen helfen oftmals nicht weiter, so dass bereits zum fünften Mal die Staudammbetreiber höchstrichterlich dazu verurteilt wurden, mittels Hebekähnen die die Flüsse kurz vor der Laichzeit hochziehenden Lachspopulationen manuell über die Dämme hinwegzuheben, – dies gelingt aber nach wie vor nur in weniger als zwei Prozent der Fälle und verursacht – sehr zum Leidwesen der Staudammbetreiberfirma – Millionenkosten. Wären es zwei Prozent der Lachse, die es dergestalt über die Staudammbarrieren schafften, dann gelte dies unter Wissenschaftler*innen als die Zielzahl, um die vor Ort existierende Population des Chinook-Lachs zumindest vor dem Aussterben zu retten. Diese Zielzahl wird aber nicht erreicht. Um die Population hingegen gar dauerhaft zu sichern und einen Anstieg der Population zu erreichen, müsste das – regelmässig in der Praxis unterschrittene – Zweiprozentziel deutlich übertroffen werden. Hinzu kommt: Das Reservoir in dem durch die Staudämme regulierten Flusslauf ist ein meist stehendes Gewässer – und kein lebendig fließendes und daher deutlich kühleres Gewässer. Dadurch breiten sich dort vermehrt natürliche Fressfeinde des Chinook-Lachses aus, was die Population weiter reduziert. Diesen Sommer wurde zudem bei den infolge des Klimawandels erhöhten Wassertemperaturen der stehenden Reservoirgewässer eine weitere deutliche Bedrohung des Chinook-Bestandes festgestellt. Wissenschaftler*innen fordern seit Langem, dass mehr Wasser durch die Überlaufkanäle der Dämme abgeleitet werden solle, um so die Gefahr für die Chinook durch Turbinenrotorschlag zu vermindern und um das Wasser der Flüsse wilder und damit auch kühler zu machen.

Der deutliche Rückgang des Chinook hat aber auch flussabwärts, in einem ganz anderen Habitat, dramatische Folgen. Und zwar für die Meeresfauna im Pazifik. Dies wurde diesen Sommer auch den letzten die Medien verfolgenden Bürger*innen klar, als über mehrere Tage Livebilder in Fernsehen und sozialen Medien gezeigt wurden, auf denen eine Orca-Walmutter über mehrere Tage ihr junges, aber bereits totes Kalb im Wasser bewachte. Das Kalb war infolge des Fressmangels der Mutter verhungert. Denn eine der Hauptnahrungsquellen der Orcas vor der Mündung des Columbia-Rivers sind die Chinook-Lachse, denen die Orcas zu dieser Jahreszeit, kurz vor dem Flussaufwärtsschwarm der Lachse, folgen. Je weniger Chinook, desto weniger haben die Orcas in der Region eine Überlebenschance.

Daher gibt es die deutliche Forderung von Umweltschützer*innen, die Dämme zurückzubauen und den Columbia- und den Snake-River wieder zu einem frei fließenden Fluss zu machen. Damit sind aber die Weizenfarmer*innen und Transportschiffer*innen nicht einverstanden, wollen sie doch ungehindert aus dem als Seehafen geeigneten Verladenhafen Lewiston im Bundesstaat Idaho, 465 Meilen, also 748 Kilometer vom Pazifik entfernt, weiterhin ihren Weizen in alle Welt exportieren. Und die Staudammbetreiberfirma BPA will auch lieber weiterhin ihren Strom verkaufen. Dabei liefern mittlerweile neuesten Erhebungen zufolge Solaranlagen in Kalifornien, die gekoppelt sind mit Speicherbatterien, billigeren Strom als die Wasserkraft vom Columbia- und Snake-River. Doch BPA kann derzeit ihren Strom an die Großabnehmer noch teurer verkaufen, weil die Alt-Verträge noch höhere Preise garantieren als die neuen billigeren Solaranlagen. Doch diese Alt-Verträge enden 2028.

Derzeit bildet sich im Dreiländereck eine neue Allianz aus Umweltschützer*innen, Wissenschaftler*innen und kritischer Öffentlichkeit, die fordern, jetzt endlich mit dem Plan für den Rückbau der Dämme zu beginnen. Die Wissenschaftler*innen wiesen in Bezug auf die Besorgnisse der Weizenfarmer*innen auf den ohnehin massiven Anstieg des Weizentransports per Bahn hin und die Bewässerung für die Farmer*innen reiche auch an einer weiter oben gelegeneren Stelle des Snake-Rivers.

Wer in dem Streit letztlich die Oberhand gewinnen wird, ist noch unklar. Aber zumindest die Möglichkeit des Rückbaus der acht Dämme am Columbia- und Snake-River ist eine reale Möglichkeit geworden. Damit der Columbia- und der Snake-River wieder frei fließen, damit der Chinook wieder ungehindert wandern und damit die Orca nicht verhungern müssen.