Foto: Staudamm Belo Monte (Christian Russau, 2016). Könnte es sein, dass ein Teil der Energie, die künftig in der von ThyssenKrupp für Unigel im Bundesstaat Bahia zu errichtenden Anlage zur Herstellung von Wasserstoff benötigt wird, auch vom Staudamm Belo Monte oder anderen Großprojekten mit solch zwielichtiger Sozialbilanz kommt?
Das brasilianische Unternehmen Unigel und die Thyssenkrupp-Tochtergesellschaft Nucera haben eine Vereinbarung zur Erhöhung der Produktionskapazität für grünen Wasserstoff getroffen. Aber die Erfahrungen in Brasilien der letzten Jahre beim eigentlich positiv zu bewertendem Ausbau erneuerbarer Energien wie Windkraft und Photovoltaik haben gezeigt, dass diese „grünen“ Projekte – ebenso wie zuvor auch schon bei der Wasserkraft – sehr oft die Ländereien traditioneller Völker und Gemeinschaften oder von Kleinbäuer*innen betreffen, die das Land historisch gemeinschaftlich und oft ohne ausgestellte Landtitel nutzen und davon leben. So verschärfen sich teils schwere soziale Konflikte um Land weiter, die das Versprechen des künftig grünen Wasserstoffs sei es für den Inlandsverbrauch oder für den Export nach Deutschland als nachhaltige und sozial gerechte Lösung zutiefst infrage stellen. ThyssenKrupp muss entsprechend umgehend sicherstellen und transparent beweisen, dass die künftige Energie für das Kooperationsprojekt mit Unigel zur Gewinnung des „grünen“ Wasserstoffs aus sozial fairen Projekten kommt. Dazu gehört, dass es Projekte (sei es Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie, Stromgewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr, Palmöl etc) sind, die eben nicht nur die wohlfeil propagierte, angeblich klimaneutrale Wirkung haben, sondern Projekte sind, bei denen nachweislich vor Baubeginn eine freie, vorherige und informierte Konsultation aller betroffenen traditionellen Gemeinschaften der Region durchgeführt wurde und deren explizites Einverständnis dazu eingeholt wurde, so wie es die von Brasilien und Deutschland ratifizierte ILO-Konvention 169 vorschreibt.
Von Christian Russau
Der geplante und nun Schritt für Schritt in die Tat umzusetzende Plan zum Ausbau weltweiter Hubs für die Wasserstoffproduktion erfolgt auch auf expliziten Wunsch der deutschen Bundesregierung: „Wenn wir nicht 5 oder 10 Prozent der Landesfläche mit Windkraftanlagen vollstellen wollen – das halte ich für absurd – brauchen wir Wasserstoffimporte“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Februar 2022. Dazu vereinbart Deutschland sogenannte Wasserstoffpartnerschaften und läßt im Auftrag der Bundesregierung das wirtschaftliche Potential errechnen. Eine der auserwählten Boom-Regionen dafür ist der Nordosten Brasiliens. Sollten diese Projekte umgesetzt werden, hat das zunächst direkte Auswirkungen auf die direkt an solche Industrieprojekte angrenzend lebenden Bewohner:innen, die sich vielerorts in Brasiliens bereits in der Vergangenheit gegen die lokalen Auswirkungen von Straßen-, Wasserstraßen-, Eisenbahnstrecken oder Hafenausbau zur Wehr setzen mussten, um ihre Land- und Territorialrechte ebenso wie ihre Menschenrechte in ihrer Unteilbarkeit zu schützen.
Doch bei der Wasserstoffproduktion erfordert der kritische Blick eben nicht nur das Monitoring des einzelnen Industrieprojektes (Wasserstoffproduktion und Transport desselben mittels Schiene und Hafen nach Übersee und welche oft territorialrechtlich bezogenen Menschenrechte dabei in Mitleidenschaft gezogen werden), sondern es bedarf auch der kritischen Analyse der Herkunft des oft wohlfeil als „grün“ titulierten Stroms, mit dem die Wasserstoffproduktion dann auch wirklich „grün“ werden soll: erneuerbare Energien. Und diese haben sich in Brasilien in den vergangenen Jahren leider keinen durchweg positiven Ruf erworben, denn zu oft steht Profitmacherei im Zentrum des Vorgehens und die lokalen Anwohner:innen – meist Angehörige traditioneller Völker und Gemeinschaften oder Kleinbäuerinnen und -bauern – verlieren in Brasilien oft ihren historisch genutzten Zugang zur grundlegendesten Ressource ihres Überlebens: das Land.
Ende vergangenen Jahres kündigten der brasilianische Chemiegigant Unigel und der deutsche Industrieriese ThyssenKrupp an, in Camaçari im Bundesstaat Bahia „die erste Produktionsstätte im Industriemaßstab für grünen Wasserstoff in Brasilien“ zu errichten. Rund insgesamt 120 Millionen US-Dollar soll der Aufbau des Produktionsstandorts für grünen Wasserstoff in Brasilien kosten. In der ersten Phase des Wasserstoff-Projekts installiert Unigel drei 20-MW-Standardelektrolyseure von ThyssenKrupp Nucera mit einer Gesamtkapazität von 60 Megawatt (MW). Der produzierte Wasserstoff werde für die Herstellung von grünem Ammoniak verwendet, so ThyssenKrupp. Für die kommenden Jahre plane Unigel „die Vervierfachung seiner Produktion von grünem Wasserstoff. Die Elektrolyseur-Kapazitäten sollen auf über hundert Megawatt ausgebaut werden, so dass etwa 40.000 Tonnen grüner Wasserstoff jährlich hergestellt werden können.“ Erst gegen Ende der Pressemitteilung räumt ThyssenKrupp an, dass „[r]und drei Viertel der in der Elektrolyse des Unigel-Projekts eingesetzten Energie stammen aus erneuerbaren Quellen.“ Es handelt sich also nicht nur um „grünen“ Wasserstoff. Aber ein genauerer Blick auf die Herkunft des zur Wasserstoffproduktion zukünftig einzusetzenden Stromes wäre ja durchaus hilfreich, um einschätzen zu können, wie „grün“ der Wasserstoff tatsächlich ist – und vor allem, wie sozial verträglich er ist.
Die Tageszeitung Folha de São Paulo berichtete im Juli des Jahres 2022 dazu: „O grupo químico não especificou de onde virá a energia renovável para produção do combustível, mas ressaltou que já possui acordos de geração de energia eólica com a Casa dos Ventos“ („Der Chemiekonzern gab nicht an, woher die erneuerbare Energie für die Herstellung des Kraftstoffs kommen soll, betonte aber, dass er bereits Vereinbarungen mit Casa dos Ventos zur Erzeugung von Windenergie geschlossen hat.“).
Die Firma Casa dos Ventos beschreibt sich selbst auf seiner Webseite wie folgt: „Casa dos Ventos ist der größte Entwickler von Projekten zur Erzeugung erneuerbarer Energie in Brasilien. Durch Innovation, Technologie und maßgeschneiderte Lösungen unterstützen wir die Verbraucher bei der Energiewende hin zu einer nachhaltigen, kostengünstigen Versorgung.“
Die Nichtregierungsorganisation von Investigativjournalist:innen Repórter Brasil hat Ende 2023 eine umfassende Untersuchung des Vorgehens von Windanlagenprojektierern und -betreibern in Brasilien vorgenommen. Casa dos Ventos ist demnach nach der portugiesischen Firma EDPR, die 316 Verträge für Windparks in Brasilien hat, landesweit auf Platz 2 mit 307.
Casa dos Ventos taucht in der Analyse von Repórter Brasil bei folgendem Fall auf: „Der Analphabet José Bernardo Sobrinho unterzeichnete einen Vertrag mit einer Laufzeit von 37 Jahren, der um weitere 22 Jahre verlängert werden kann, mit einem Windenergieunternehmen, das in seinem Garten einen Turm [mit Windkraftanlage] errichtete, um den Wind einzufangen. Das alles geschah, ohne dass José Sobrinho wusste, dass der Vertrag ihn daran hindern würde, auf seiner Farm Bohnen anzubauen oder gar weitere Häuser für seine Kinder zu bauen, die in Parazinho in der halbtrockenen Region von Rio Grande do Norte aufwachsen.
Casa dos Ventos, das für den ursprünglichen Vertrag mit José Bernardo Sobrinho verantwortlich ist, sagt, dass es sich für die soziale Entwicklung und die Nachhaltigkeit der Gebiete, in denen es tätig ist, einsetzt und „sicherstellt, dass die Verträge die Eigentumsrechte für die Nutzung und den Ertrag respektieren“. Das Unternehmen erklärt, dass die Bedingung, dass das Gebiet dann genutzt werden kann, solange der Betrieb nicht beeinträchtigt wird, für die Sicherheit des Parks und der Eigentümer unerlässlich ist.“
„Wir haben Carioca-Bohnen am Fuße dieses dünneren Turms gepflanzt, und sie haben den Traktor genommen und sind darüber gefahren“, beschwert sich Severina Rodrigues da Silva, die Witwe von José, während sie auf einen der sechs lärmenden Türme in der Nähe ihres Hauses zeigt.“ Der Anbau von Bohnen gefährdet die Dicherheit der Windkraftanlage?
Repórter Brasil fährt fort: „Der 2014 verstorbene Sobrinho hat den Vertrag an Severina und ihre sechs Kinder weitergegeben, ohne dass diese die Möglichkeit hatten, den Vertrag zu ändern. Severina hat immer noch Schulden bei dem Unternehmen, so dass die Firma ihr jeden Monat die Hälfte der 1.300 R$, die der Familie zustehen, abbucht. Als der Windpark angelegt wurde, bot man ihnen 14.000 R$ an, damit sie von ihrem Lehmhaus in ein Backsteinhaus umziehen konnten. Sie haben bereits 72.000 R$ abbezahlt und haben noch 27 Jahre lang Zahlungen zu leisten. Die Tochter Jucimara da Silva, die im hinteren Teil des Hauses ihrer Mutter wohnt, bedauert, das Land verpachtet zu haben. „Ich habe meinem Vater gesagt, er solle den Vertrag nicht unterschreiben. Wozu hat das gut getan? 650 R$ sind nichts“, sagt sie.“
Verschuldung bei dem Unternehmen, eine monatliche Zahlung von 650 Reais, derzeit umgerechnet 212 Euro, und innerhalb des Sicherheitsradius (den das Unternehmen festlegt) des Windkraftturms darf die Familie nichts mehr für den Eigenbedarf anbauen. Nicht einmal Bohnen. Und die 650 Reais? Severina sagt: „Das reicht allenfalls fürs Mittagsessen“, so Repórter Brasil.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Misereor: „[B]ei ungeklärten Besitzverhältnissen ist es für Windenergiebetreiberfirmen ein Leichtes, sich die Gebiete zur Errichtung von Windparks durch Landgrabbing anzueignen oder über undurchsichtige Pachtverträge mit der Landbevölkerung ins Geschäft zu kommen. „Erst im Nachhinein stellt sich für die Bevölkerung heraus, dass die geschlossenen Verträge für sie nachteilig sind, da sie beispielsweise eine gleichzeitige Beweidung der Fläche nicht zulassen und der dadurch entstehende Einkommensverlust durch die niedrigen Pachtzahlungen nicht ausgeglichen wird“, beklagt Marina Rocha von der kirchlichen Fachstelle für Landfragen, CPT, in Bahia. „Die Landkonflikte zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern in der Region schwelen oftmals seit Jahren oder Jahrzenten. Mit den Windenergiebetreiberfirmen kommen nun weitere Akteure dazu, die Interesse an dem Land haben. Damit werden die Konflikte sicherlich nicht geringer“, sorgt sich Marina. […]“ Marina Rocha sagt auch: „Wir kennen kein Unternehmen, das die Gemeinden in einer angemessenen Art und Weise behandelt hat.“
Repórter Brasil hat die Wissenschaftlerin Mariana Traldi, Professorin des Instituto Federal de São Paulo, dazu befragt. In ihrer Doktorarbeit (in deutschsprachiger Übersetzung des Titels) „Die Privatisierung des Windes für die Erzeugung von Windenergie in der brasilianischen Halbtrockenregion“, die sie an der Staatlichen Universität von Campinas (Unicamp) verteidigte, stellte sie fest, dass das brasilianische Zivilgesetzbuch ein Schlupfloch dafür öffnet, dass das Energiepotenzial des Windes als zum Land gehörend betrachtet wird, da die Vorschrift den Luftraum als Teil des Grundstücks einstuft, ohne die Höhengrenze zu definieren. Auf diese Weise nutzen die Windkraftunternehmen die Instrumente des Agrarrechts, um Geschäfte zu machen: hauptsächlich das Landstatut (1965) und das Dekret 59.566 (1966). Diese Vorschriften wurden geschaffen, um die Landnutzung zu einer Zeit zu erörtern, als Windparks noch nicht einmal in Erwägung gezogen wurden. Dieser Mangel an Vorschriften lasse Raum für Missbrauch, sagt Traldi. „Ich habe von Verträgen mit einer Laufzeit von 49 Jahren gehört, die sich automatisch um weitere 22 Jahre verlängern, ohne dass die Zustimmung des Landbesitzers erforderlich ist. Obwohl sie weiterhin Eigentümer des Landes sind, verlieren die Besitzer die Kontrolle über das Land“, sagt sie, so berichtet Reórter Brasil.
Und auch der Staat geht leer aus. Repórter Brasil berichtet, dass das Fehlen von Vorschriften für den Sektor sich auch auf die öffentlichen Kassen auswirke, da anders als bei der Erdölförderung keine Lizenzgebühren an Kommunen, Bundesländer oder den Bund gezahlt werden. Ein Vorschlag zur Änderung der Verfassung (PEC) wurde 2015 in der Abgeordnetenkammer vorgelegt, um das Thema zu erörtern. Er wurde vom Verfassungs- und Justizausschuss gebilligt, liegt aber seit 2017 auf Eis. Und die Windkraftfirmen machen weiterhin ihren Reibach, zahlen aber den Betroffenen vor Ort sehr wenig.
Wenn überhaupt. Denn die Erfahrungen der letzten 40 Jahre in Brasilien mit „erneuerbaren“ Energien offenbaren die enorme soziale Schieflage bei der Mehrzahl an Großprojekten: bei Wasserkraftprojekten wie dem Staudamm Belo Monte wurden bis zu 40.000 Menschen zwangsumgesiedelt, die Entschädigungen sind bis heute nicht vollumfänglich geleistet worden und die Biodiversität der Volta Grande do Xingu ist eine Katastrophe und die Energieproduktion liegt wie von den Kritiker:innen prophezeit unter den vollmundigen Ankündigungen von Politik und Wirtschaft. Zuckerrohr – das auch zur Biomassegewinnung und Stromerzeugung oder als Ethanol genutzt wird und auch einer der Kandidaten für die Energiegewinnung zur Wasserstoffproduktion ist, ist einer der Hauptsektoren des Einsatzes gefährlicher Agrargifte und stellt jedes Jahr aufs Neue den Negativrekord bei Sklavenarbeitsähnlicher Zwangsarbeit auf. Bei allen Cash Crops – sei es Zuckerrohr, Dendê-Palmöl, Soja -, die auch zur Energiegewinnung genutzt werden können, gibt es immer wieder Landkonflikte, vor allem werden die historisch genutzten Ländereien der traditionellen Gemeinschaften und Völker, die keine formalen Landtitel haben, aber laut Verfassung eigentlich ein Recht auf ihr traditionell genutztes Land haben, immer wieder von Firmen und Großfarmern illegal in Beschlag genommen – und die Justiz ist langsam, machtlos oder unwillig, den Betroffenen zu ihrem Land zurückzuverhelfen. Gleiches gilt auch für die ganzen neuen Wind- und Solarparks vor allem im brasilianischen Nordosten. Bei Off shore Windparks kommt eine Gesetzesnorm hinzu, die jegliche Fischerei im Radius von 500 Metern einer Windkraftanlage verbietet. Da die Off shore Windparks mitunter mehrere Quadratkilometer groß sind, können die Kleinfischer, von denen es in Brasilien eine Million gibt, ihrem täglichem Fischfang zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts oft nicht mehr nachkommen. Sie sind von ihren angestammten Fischgründen buchstäblich abgeschnitten worden.
Das Bild ist eindeutig: So verschärfen also auch Projekte erneuerbarer Energien bereits bestehende Landkonflikte. Die katholische Landpastoral CPT zählt für die erste Hälfte des Jahres 2023 insgesamt 973 Landkonflikte, was einem Anstieg von 8 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 entspricht, als 900 Konflikte erfasst wurden. Damit liegt das erste Halbjahr 2023 auf Platz 2 der letzten 10 Jahre und wird nur noch von 2020 übertroffen, als 1.007 Konflikte verzeichnet wurden.
Der Indigenenmissionsrat CIMI errechnete für das Jahr 2022 158 Fälle von Konflikten um Territorialrechte sowie illegales Eindringen und Ressourcenraub in 309 Fällen, die mindestens 218 Indigene Territorien in 25 brasilianischen Bundesstaaten betrafen.
In Bahia, wo ThyssenKrupp mit Unigel die Wasserstoffproduktionslanlage hochzieht, verzeichnete die Landpastoral CPT im Jahr 2022 211 Landkonfikte in Bahia. Der Bundesstaat liegt in der Rangliste der Landkonflikte an dritter Stelle, nur noch hinter Maranhão (225) und Pará (236). Die CPT verzeichnete außerdem einen Anstieg der Zahl der Konflikte in Bahia um 16,42 Prozent, was weit über der nationalen Rate (10,39 Prozent) liegt. Die CPT registriert Konflikte um Land und Wasser, sklavereiähnliche Arbeit sowie Besetzungen und Enteignungen von Land und Territorien. In Bahia stellen Konflikte um Land mit 156 Einträgen und der Beteiligung von mehr als 8.700 Familien die große Mehrheit dar. Diese Kategorie umfasst alle Widerstandsaktionen und Auseinandersetzungen um den Besitz, die Nutzung und das Eigentum von Land sowie den Zugang zu natürlichen Ressourcen. Bahia ist zudem derjenige Bundesstaat mit den meisten Quilombos und der größten Zahl an Quilombolas, von denen viele noch immer um die staatliche Anerkennung ihrer traditionellen Territorien kämpfen und sich oft den massiven Wirtschaftsinteressen von Firmen und Farmen erwehren müssen.
So zeigen auch die Erfahrungen in Brasilien der letzten Jahre beim eigentlich positiv zu bewertendem Ausbau erneuerbarer Energien wie Windkraft und Photovoltaik, dass diese „grünen“ Projekte – ebenso wie zuvor auch schon bei der Wasserkraft – sehr oft die Ländereien traditioneller Völker und Gemeinschaften oder von Kleinbäuer*innen betreffen, die das Land historisch gemeinschaftlich und oft ohne ausgestellte Landtitel nutzen und davon leben. So verschärfen sich teils schwere soziale Konflikte um Land weiter, die das Versprechen des künftig grünen Wasserstoffs sei es für den Inlandsverbrauch oder für den Export nach Deutschland als nachhaltige und sozial gerechte Lösung zutiefst infrage stellen. ThyssenKrupp muss entsprechend umgehend sicherstellen und transparent beweisen, dass die künftige Energie für das Kooperationsprojekt mit Unigel zur Gewinnung des „grünen“ Wasserstoffs einerseits nicht nur wirklich „grün“ (also den Kriterien von KLimaneutralität, Umwelt- und Biodiversitätsschutz entspricht) ist, sondern auch wirklich aus sozial fairen Projekten kommt. Dazu gehört, dass es Projekte (sei es Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie, Stromgewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr, Palmöl etc) sind, die eben nicht nur die wohlfeil propagierte klimaneutrale Wirkung haben, sondern Projekte sind, bei denen nachweislich vor Baubeginn eine freie, vorherige und informierte Konsultation aller betroffenen traditionellen Gemeinschaften der Region durchgeführt wurde und deren explizites Einverständnis dazu eingeholt wurde, so wie es die von Brasilien und Deutschland ratifizierte ILO-Konvention 169 vorschreibt. Und dass es Projekte sind, die Fälle wie die von José Bernardo Sobrinho und seiner Witwe Severina von vorneherin ausschließt und aktiv verhindert. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.
Was ist wichtig?
Soziale Bewegungen und Zivilgesellschaft warnen seit Jahrzehnten vor dem naiven Glauben der Dekarbonisierung der brasilianischen Wirtschaft durch das simple Vertrauen in „grüne“ Technologien
Landfrage (unabhängig von Landtitel) und Rechte traditioneller Völker und Gemeinschaften muss immer im Vordergrund stehen
Freie, vorherige und informierte Konsultation der betroffenen („FPIC“) traditionellen Völker und Gemeinschaften ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, Realität sieht aber meistens anders aus
Selbsterstellung von Konsultationsprotokollen als juristisches Schutzinstrument der traditionellen Völker und Gemeinschaften immer wichtiger
Entschädigungsmechanismen sind unzureichend, ungenügend, so gut wie immer ungerecht bis hin zu nicht-existent
Justiz oft kein Garant für faire Verfahren, Politik oft klientelistisch
Großprojekte MÜSSEN daher grundsätzlich kritisch begleitet werden, um Rechte Betroffener zu schützen, zu achten und zu gewährleisten
Beweislastumkehr sollte Pflicht werden, Rechtsrahmen müssen geändert werden, Konsultationsrechte ebenso wie Landrechte vollumfänglich respektiert werden.
In solchem Rechts- und Politikumfeld empfehlen sich grundsätzlich Transparenz, Beteiligung, Vetorechte Betroffener, Dekonstruktion des zentral geplanten Entwicklungsnarrativs, Begrenzung des Anspruchs nationalen Interesses, welches „Áreas de sacrifício“ („Opfergebiete“) oft mit deutlicher Komponente von Umweltrassismus schafft
„Energie für wen, durch wen, mit wem?!“ – und eher „small is beautiful“